Kloenschnack - Juni 2014

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GESELLSCHAFT

Im Alltag eines Behinderten

Was ist schon normal? Johanna Kotsch ist ein lebensfroher Mensch und eine attraktive Erscheinung. Und Johanna ist schwerbehindert. Ein Assistenzhund hilft ihr, im Alltag klar zu kommen. Doch der ganz normale Alltag ist nicht immer einfach zu bewältigen. Johanna, Studentin und Praktikantin beim HAMBURGER KLÖNSCHNACK, hat ihre Gedanken aufgeschrieben.

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die Hand und zeige auf die rote unübersehbare Kennweste, die mein Hund trägt, und versuche noch einmal zu erklären: „Das ist mein Assistenzhund Lillebror. Ich habe Diabetes Typ 1 und spüre meine drohende Unterzuckerung nicht. Er kann meine fallenden Werte riechen und warnt mich, noch bevor ich einen Krampfanfall oder schlimmeres erleide. Da eine Unterzuckerung sehr schnell kommen kann, muss er bei mir bleiben.“ Ruhig sieht sich die Marktleiterin die Ausweise an und lächelt verständnisvoll: „Ja, ich kenne das mit diesen speziellen Hunden. Kein Problem, gehen Sie durch.“ Während des Einkaufens werde ich immer wieder von Kunden belehrt, dass „... Hunde hier nicht erlaubt sind“. So werden viele alltägliche Situationen für mich zum Spießrutenlauf, denn meine Behinderung sieht man mir äußerlich nicht an und somit ist der Hund trotz Kennweste in ihren Augen nur ein unrechtmäßiger Anhang. Solange mir Lillebror die Unterzuckerungen rechtzeitig anzeigt, kann ich eigentlich ein ganz normales Leben führen. Er warnt mich häufig noch, bevor meine Blutzuckerwerte zu tief sinken. Jede Unterzuckerung

ie dürfen hier nicht mit dem Hund rein!“, sagt die Kassiererin mehr als deutlich als ich einen Blankeneser Supermarkt betrete. Die Leute starren mich verwundert an, ein Mann greift drei Mal neben seinen Einkaufskorb bevor er ihn endlich zu fassen bekommt, weil er den Blick nicht abwenden kann. Unverständlich finde ich das nicht. Ein Mädchen ohne Rollstuhl oder Blindenbinde, aber mit Assistenzhund sieht man Statt gegen die Schranken nicht häufig. Trotzdem ist es mir des Diabetes stoße ich nun an unangenehm, so angestarrt zu die Schranken, die mir die werden und ich wünschte mir, Gesellschaft entgegenstellt. meine Einkäufe erledigen zu können ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Daher antworte ich schnell: raubt meinem Körper viel Kraft und ich bin „Ich weiß, Hunde sind hier sonst nicht er- oft so müde, dass ich nichts weiter tun laubt, aber Lillebror ist mein Assistenz- kann als schlafen zu gehen. Das behindert meinen Alltag enorm. Im schlimmsten Fall hund, denn...“ Die Frau an der Kasse unterbricht mich: kann mich eine Unterzuckerung sogar ins „Trotzdem nicht! Hunde dürfen hier gene- Koma oder gleich direkt ins Jenseits beförrell nicht rein. Wegen der Lebensmittel.“ dern. Ein rechtzeitiger Stupser von LilleAuch meinen Schwerbehindertenausweis bror bewahrt mich vor alldem. und den Assistenzhun- Ich habe ihn gemeinsam mit der Hypodeausweis möchte Sie nicht Hundeschule in Uelsby ausgebildet. Über sehen. Die Kunden in der ein Jahr lang sind Lillebror und ich jeden Monat zum Training in den kleinen Ort Schlange werden unruhig. Schließlich greift die zwischen Nord- und Ostsee gefahren, um Marktleiter in gemeinsam zu trainieren und viel zu lerein. Ich drücke ihr nen. Am Ende haben wir so die Assistenzunsere Ausweise in hundeprüfung bestanden. Seit der Hund mich im Alltag unterstützt, macht mir der Diabetes kaum noch Probleme. Dafür wirft er an meiner Seite viele Fragen bei Fremden auf. Neben Zustimmung stoße ich im Alltag auch immer wieder auf Ablehnung. Statt gegen die Schranken des Diabetes stoße ich nun an die Schranken, die mir die Gesellschaft entgegenstellt. Dann frage ich mich, wie es wohl anderen Beeinträchtigten geht. Menschen im Rollstuhl, Blinde, Gehörlose, Epileptiker oder Menschen mit Trisomie 21. Bin ich viel-


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