KIM-Lesemagazin 2019 | Primarschule

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KIM

Lesemagazin 2019


INHALTSVERZEICHNIS 4

Die Rache der Schwarzen Katze und andere Sagen aus der Schweiz............................................................... Katja Alves

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Fredy flunkert – Lügen haben lange Hälse...................................................................................... Jacqueline / Daniel Kauer

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Wundertier Schwamm................................................................................................................................................. Ninon Ammann

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Fitz Fups muss weg............................................................................................................................................................. Lissa Evans

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Hannas Hosentasche........................................................................................................................... Daniel Fehr / Jamie Aspinall

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Wir sind Roger!....................................................................................................................................................................... Martin Helg

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Dumme Ideen für einen guten Sommer................................................................................................................... Kiera Stewart

18

Club der Doofen 1 – Die Fledermaus............................................................................................................ Pia Schad / Eva Rust

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Snuffi Hartenstein und sein ziemlich dicker Freund................................................................................................. Paul Maar

22

Globis Abenteuer in Rom............................................................................................................ Daniel Frick / Jürg Lendenmann

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Das grosse Werkbuch für Kinder................................................................................................ Claudia Huboi / Claudia Scholl

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Ein Fall für die MounTeens – Die Steinböcke sind los......................................................................................... Marcel Naas

28

Am liebsten ass der Hamster Hugo Spaghetti mit Tomatensugo................................. Franz Hohler / Kathrin Schärer

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Akissi – Auf die Katzen, fertig, los!.................................................................................................................. Marguerite Abouet

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Vom Dachs zum Schwein – Heimische Tiere............................................................................................... Daniele Muscionico

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Caldera 1: Die Wächter des Dschungels.................................................................................................................. Eliot Schrefer

36

Onkel Stan und Dan und das ungeheuerlich ungewöhnliche Abenteuer..................... A.L. Kennedy /  Gemma Correll

38

Maunzer – Klara, Wolle und der magische Kater....................................................Daniele Meocci / Yvonne Rogenmoser

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Mattis und die Sache mit den Schulklos............................................................................. Silke Schlichtmann /  Maja Bohn

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Viele Grüsse vom Kap der Wale......................................................................................................... Megumi Iwasa / Jörg Mühle

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Die Kaminski-Kids – Tatort Ocean Queen.................................................................................................................... Carlo Meier

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Die magische Zahnspange................................................................................................................ Lukas Hartmann / Julia Dürr

48

Power People – Frauen und Männer, die die Welt verändert haben........................................................... Kay Woodward

50

Toni. Und alles nur wegen Renato Flash.............................................................................................................. Philip Waechter

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Baum der Wünsche............................................................................................................................................. Katherine Applegate

54

Am Sonntag, als das Ei aufging................................................................................................... Lorenz Pauli /  Kathrin Schärer

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Die kleine Eulenhexe – Willkommen im Zauberwald.............................................................................................. Katja Alves

58

Ich, Odin und die wilden Wikinger – Götter und Helden erzählen nordische Sagen................. Frank Schwieger Die

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Bartfrau.............................................................................................................................................. Katalina Brause / Kai Schüttler

IMPRESSUM Herausgeber und Auslieferung:

Wir werden unterstützt vom Zusammenschluss der ver-

Kinder- und Jugendmedien Zürich

schiedenen Regionalgruppen von Kinder- und Jugendmedien

Güeterstalstrasse 17, CH-8133 Esslingen

Schweiz, in Partnerschaft mit dem Schweizerischen Institut

magazin@kjm-zh.ch, www.kjm-zh.ch

für Kinder- und Jugendmedien – www.sikjm.ch. Alle vorgestellten Bücher können im Schweizer Buchhandel

Redaktion und Konzeption:

gekauft oder in Bibliotheken ausgeliehen werden.

Sabrina Schmid, Kinder- und Jugendmedien Zürich

Bibliotheken erhalten sie bereits aufgearbeitet bei der SBD.bibliotheksservice ag, www.sbd.ch.

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© 2019: Sämtliche Bilder, Illustrationen und Texte der vorgestellten

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Bücher sind urheberrechtlich geschützt und dürfen weder

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ganz noch auszugsweise kopiert, verändert oder veröffentlicht

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtes Papier.

werden. Die Copyrights liegen bei den Verlagen der vorge-

Auflage 2019: 26 000. Nachdruck verboten.

stellten Bücher.


HALLIHALLO Schön, dass du da bist! Bereit für eine intergalaktisch-fantastische Reise? Na dann, folge mir… …ins Land der merkwürdig bunten Wimbli, die aussehen wie Mülltonen mit riesigen Augen. Hörst du sie sprechen? Ihre Stimmen sind so hoch wie das Piepsen von Mäusen, die mit Sirup gegurgelt haben. Weiter geht’s, vorbei an Dr. P’Kralls Institut für Hochsicherheit und Heilung von Ungewöhnlichkeiten. Benimm dich auf keinen Fall ungewöhnlich, sonst landest du noch hinter Gittern. Schau mal, dort drüben im Nest des Geiers, schlüpfen aus den Eiern Affen! Gibt’s denn so was? Und jetzt … Luft anhalten! Wir tauchen ab und beobachten die Schwämme am Meeresgrund. Manche sehen aus wie richtige Kunstwerke, findest du nicht auch? So, jetzt lasse ich dich alleine weiterziehen. Ich bin schon ganz gespannt, was du unterwegs noch alles erlebst. Erzähl mir doch in einem Brief davon und sag mir, wie dir die Reise gefallen hat! KIM c /o Kinder- und Jugendmedien Zürich Güeterstalstrasse 17 CH-8133 Esslingen oder per Mail an magazin@kjm-zh.ch Ich wünsche dir die allertollsten Entdeckungen und unendlich viel Lesespass!

Auf bald KIM


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UND DIE GEWINNER SIND… Zwei besonders tolle Bücher wurden im vergangenen Jahr mit Schweizer Kinderbuchpreisen ausgezeichnet.

Ein Sommer in Sommerby von Kirsten Boie, ab 10 Jahre, 320 Seiten, Oetinger, 2018 Die zwölfjährige Martha und ihre jüngeren Brüder Mats und Mikkel müssen die Ferien bei ihrer Oma auf dem Land verbringen. Und diese Oma ist ein bisschen seltsam: Sie wohnt allein in einem abgelegenen Haus, verkauft selbstgemachte Marmelade, hat kein Telefon und erst recht kein Internet. Aber Hühner, ein Motorboot und ein Gewehr, mit dem sie ungebetene Gäste verjagt. Als die Idylle bedroht wird, halten die Stadtkinder und ihre Oma zusammen und erkennen, worauf es im Leben wirklich ankommt. ................................................................................................................................

Der alte Mann und das Meerschweinchen von Jens Sparschuh, ab 9 Jahre, 160 Seiten, Gerstenberg, 2017 Zum ersten Mal verreist Familie Polke gemeinsam ans Meer. Angelina freut sich riesig. Und Meerschweinchen Ottilie soll natürlich mit. Nur dumm, dass niemand das Kleingedruckte im Vertrag für die Ferienwohnung gelesen hat: «Haustiere aller Art sind strengstens verboten!» Zum Glück erklärt Nachbar Möhring sich bereit, Ottilie bei sich aufzunehmen. Ein wenig merkwürdig ist der alte Mann ja schon…Und schliesslich ist da auch noch Frau Waller. Die steht schon bald mit einem grossen Strauss Petersilie, Ottilies Lieblingsspeise, vor der Tür und möchte auch gerne verreisen – mit Herrn Möhring ans Meer. Und Ottilie kommt einfach mit. ................................................................................................................................

Das erwartet

17. Mai 2019

Prix Chronos

www.prixchronos.ch

dich dieses Jahr

25. Oktober 2019

Bookstar

www.bookstar.ch

25. Oktober 2019

Zürcher Kinderbuchpreis

www.kinderbuchpreis.ch

9. November 2019

Baarer Rabe

www.abraxas-festival.ch

Du kommst ba ld in die Oberstufe und liest schon Jugendbücher? Dann mach doch mit beim Bookstar 2019, vote on line für dein Lieblingsbuch und gewinne tol le Preise: w w w.bookstar.ch!


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Viel Spass beim Lösen des Wettbewerbs! 1.  Was ist das Lieblingsessen von Hamster Hugo? W   Spaghetti mit Tomatensugo

1.

A   Spaghetti mit Pesto

Z

Spaghetti Carbonara

2.  Wie heissen die Freunde von Globi in Rom? B   Rebecca und Renzo

2.

E   Romy und Remo

Y   Ricarda und Romeo

3.  In welchem Land war Nelson Mandela Präsident? L

Südafrika

C

3. X  Türkei

Amerika

4.  Welcher Schwamm hat eine tütenartige Form? T

Der Neptunschwamm

4.

D   Der Tonnenschwamm

V

Der Gallertschwamm

5.  Wo wohnt der Walfisch Waldo? E   In Hawaii

5. U   Auf einer Eisscholle

A   Vor der Insel Otto

6.  Wie heisst der Bösewicht im Abenteuer von Onkel Stan und Dan? F

Dr. Ungewöhnlich

T

6. L

Dr. Kralle

Dr. P'Krall

7.  Wie alt können Lamas werden? L

15 bis 20 Jahre alt

7. G   10 bis 15 Jahre alt

S

50 bis 70 Jahre alt

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Lösungswort: Vor- und Nachname:

i he

Sende den ausgefüllten Talon bitte bis 31.12.2019 an: Kinder- und Jugendmedien Zürich, Güeterstalstrasse 17, 8133 Esslingen oder maile das Lösungswort mit deiner Adresse an magazin@kjm-zh.ch.

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Postleitzahl und Wohnort:

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Es gab eine Zeit, da die Glühwürmchen im Kanton Tessin viel heller leuchteten und ihr zauberhaftes Licht in der Dunkelheit alle Menschen erfreute. Dass es heute nicht mehr so ist, hat mit einem Hochzeitsfest und einem achtlosen Bräutigam zu tun. Alles begann damit, dass die drei fleissigen Schneiderinnen Bianca, Benedetta und Bernarda in arge Zeitnot gerieten. Das Hochzeitskleid der Gräfin sollte bis in einer Woche fertiggenäht werden, und die Schneiderinnen waren Tag und Nacht am Arbeiten. «Unsere Öllampe flackert, das Licht geht aus», sagte Bianca. Sie war über den feinen Stoff gebeugt und konnte kaum noch etwas sehen. «Wir müssen bei Tageslicht weitermachen», sagte Benedetta. «Aber wenn wir nachts nicht arbeiten können, wird das Hochzeitskleid nie fertig», seufzte Bernarda. Die Flamme flackerte immer mehr, und schliesslich erlosch das Licht ganz. Und weil die Schneiderinnen sehr arm waren und ihren Lohn erst nach getaner Arbeit erhielten, konnten sie sich kein neues Öl für die Lampen leisten. «Ach, wenn uns doch nur jemand helfen könnte!», rief Bianca verzweifelt und wischte sich mit dem Saum des Kleides eine Träne ab. Dieses Flehen hörte eine gute Fee, die in der ganzen Gegend für ihre Hilfsbereitschaft bekannt war. Begleitet von unzähligen Glühwürmchen, erschien sie in der dunklen Kammer der Näherinnen. «Ich will euch gerne helfen und euch all meine lieben und treuen Glühwürmchen dalassen, damit ihr bei hellstem Licht eure Arbeit zu Ende bringen könnt», schlug sie den drei Näherinnen vor. «Das wäre ganz wunderbar!», freute sich Benedetta. «Danke, liebe Fee!», riefen Bianca und Bernarda. «Aber dafür möchte ich auch, dass ihr mir und meinen Glühwürmchen einen Dienst erweist»,

sagte die Fee. Denn umsonst bieten nicht mal Feen ihre Hilfe an. Die Näherinnen hörten ihr aufmerksam zu. «Meine Glühwürmchen sollen auch am Hochzeitsfest teilnehmen dürfen. Ich möchte, dass sie auf dem Kopfschmuck der Gräfin sitzen und einen leuchtenden Kranz bilden.» Die Näherinnen berieten sich. Schliesslich sagte Bernarda: «Wenn das alles ist, was du von uns verlangst, willigen wir sehr gerne ein! Deine Glühwürmchen sollen auf dem Brautschleier sitzen.» Schon bald kamen immer mehr Leuchtkäferchen angeflogen und erleuchteten die Kammer der Näherinnen. Bei gutem Licht kamen die drei schnell voran, und im Nu war die Arbeit getan. Es war ein prunkvolles Hochzeitsfest. Doch als sich die Glühwürmchen wie vereinbart auf den Kopfschmuck und den Schleier der Braut setzen wollten, wurden sie vom Bräutigam davongejagt. «Weg mit euch, garstiges Ungeziefer!», schrie er, nicht wissend, dass seine Braut ihr wunderschönes Kleid auch den Glühwürmchen zu verdanken hatte. Als die hilfsbereite Fee dies sah, war sie sehr gekränkt und verliess erbost das Fest. Von diesem Tag an leuchteten die Glühwürmchen nur noch ab und zu und nie mehr so hell und prächtig wie zuvor. Und es ist auch nicht bekannt, dass sie jemals wieder einer Näherin die Kammer beleuchtet hätten. Katja Alves Die Rache der Schwarzen Katze und andere Sagen aus der Schweiz NordSüd Verlag 136 Seiten, Fr. 32.00 Mit farbigen Illustrationen von 19 jungen Illustratorinnen und Illustratoren aus allen vier Landesteilen der Schweiz.


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«Das Licht der Glühwürmchen» illustriert von Paloma Canonica in «Die Rache der schwarzen Katze und andere Sagen aus der Schweiz», hrsg. und neu erzählt von Katja Alves, © 2019 NordSüd Verlag AG, Zürich / Schweiz


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Fredy hatte einen Auftritt mit seiner Rockband und gibt bei seinem allerbesten Freund Fauli ganz schön damit an. Aber stimmt das auch alles?

Fauli ist traurig, dass er diesen grossen Moment seines besten Freundes verpasst hat. Weil er wissen will, wie Fredy die Bude gerockt hat, schaut er im Internet nach.

Keine Zuschauer. Kein Plattenboss. Nur Rosi.

Doch da findet er nur Fotos, auf denen Fredy und seine Rockkumpels alleine zu sehen sind.

Das findet Fauli ein bisschen seltsam.

Sonst, war da niemand.

Doch der Abend war laaang, und er ist müüüde. Seine Gehirnzellen schlafen schon – da mag er nicht mehr nachdenken.

Jacqueline und Daniel Kauer Fredy flunkert – Lügen haben lange Hälse KaleaBook 36 Seiten, Fr. 22.90


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Coole Facts über Lama Alter mas In freier Natur können La . en 15 bis 20 Jahre alt werd

Grösse Wir können bis 1 Meter 80 gross werden Weibchen sind meist etwas grösser als Männchen.

Lebensraum Lamas leben in Südamerika. In Graslandschaften, Halbwüsten und Steppen.

Lieblingsfood zenfresser und Wir sind Pflan inde, Moose, Pilze, R lieben Blätter, ras. Kräuter und G

Kuschelalarm Lamas gibt es in vielen Farben: von hellgelb bis dunkelbraun. Unser Fell ist weich und wollig.

Gewicht Wir können bis zu 180 Kilo wiegen.

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Unsere Feind e sind Pumas un d Schakale.

Wir können lustige Grimassen schneiden, da unsere Oberlippen gespalten und sehr beweglich sind.

Lamas sind mit den Kamelen verwandt, haben aber keine Höcker. Lamas haben weiche Polster an den Sohlen und können daher auch an steilen Hängen klettern, ohne abzustürzen.


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Wundertier Schwamm Bewegen und nicht bewegen Etwas haben Schwämme mit Pflanzen gemeinsam: Sie leben angewachsen auf festem Grund. Sie haben zwar keine echten Wurzeln wie Pflanzen, können sich aber gut am Meeresboden festhalten. Manche wachsen auch flächig wie Moose auf Steinen und Riffen. Rundherum verändert sich immer wieder etwas, während der Schwamm langsam wächst. Und doch überdecken ihn keine Algenschichten, denn seine Oberfläche ist schleimig-weich und beweglich. Viele Schwämme bilden auch Abwehrstoffe, die sie gegen Kleinstlebewesen und Algenbewuchs schützen. In vielen Formen und Farben Wer nur an den Badeschwamm denkt, erkennt kaum die Formenvielfalt von Schwämmen.

Fingerförmig z. B. der Rote Fingerschwamm

Variantenreich angeordnet

Aufsitzend

z. B. der Verzweigte Röhrenschwamm

z. B. der Rote-Bohrschwamm, der hier auf einer Hirnkoralle sitzt.

Weich (ohne Skelett) z. B. der Gallertschwamm


Einige sehen wie Korallen aus, andere wie Kunstwerke aus Glas, wieder andere wie Steine. Und neben solchen mit leuchtenden Farben gibt es auch braune oder graue Schwämme, die gar nicht auffallen.

Ninon Ammann Wundertier Schwamm Rund

TĂźtenartig

Vasenartig

z. B. die Meerorange

z.B. der Neptunschwamm

z. B. der Tonnenschwamm

Atlantis 40 Seiten, Fr. 24.90


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Durch die Kellertreppe fällt Phine in ein Land voller merkwürdiger bunter Bewohner. Sie merkt schnell, dass hier irgendetwas nicht stimmt... «Nein», sagte Phine. Aber das Wort auszusprechen änderte nichts. Die leicht hügelige, grüne Landschaft mit Bäumen, die wie Lollis aussahen, blieb die gleiche, genauso wie die Dörfer aus gestreiften und gepunkteten Häusern und der flaschengrüne Zug, der auf einem kreisförmigen Bahngleis entlangfuhr. Und am wenigsten änderte sich etwas an der zylinderförmigen pinken Figur, die mit ausgestreckten Armen auf sie zugerannt kam. Phine drehte sich um und raste wie ein Hase Haken schlagend zurück die Böschung hinunter. Der Zug donnerte wieder vorbei und sie schaffte es gerade noch so, die Schienen zu überqueren. Sie machte sich daran, die Böschung auf der anderen Seite hochzuklettern. Doch hier gab es nichts, woran sie sich festhalten konnte. Als endlich der letzte Waggon vorbeigerattert war, drehte sie sich verzweifelt um und sah wie der pinke Wimbli – denn ohne Zweifel war diese Figur ein Wimbli – ihr von der anderen Seite der Gleise zuwinkte. Er war etwa so gross wie ein erwachsener Mensch, aber ein erwachsener Mensch in der Form einer Mülltonne, mit kurzen, biegsamen Armen und Beinen, grossen Augen, die wie aufgemalt aussahen – nur dass sie blinzelten – einer tropfenförmigen Nase und einem grossen Mund, der im Moment zu einem Lächeln verzogen war, das in etwa ein Viertel des zylinderförmigen Körpers einnahm. Alles in allem war der Anblick furchterregend. «Geh weg», sagte Phine und ging langsam rückwärts. Aus dem Augenwinkel konnte sie ein weiteres zerknülltes Stück Papier sehen, das auf dem Kies entlangrollte.

Der Wimbli bückte sich und hob die Papierkugel auf. Phine sah, dass er vier Finger an jeder Hand hatte. Alles an ihm schien aus Gummi zu bestehen. «Oooh schau …» sagte der Wimbli, während er den Zettel auseinanderfaltete. Seine Stimme war hoch – wie die Stimme einer Maus, die mit Zuckersirup gegurgelt hatte. «… der Brief hier ist für dich gedacht, drum lies ihn, Freundin, gib gut acht.» Immer noch mit diesem breiten Lächeln auf dem Gesicht hielt er Phine den Zettel hin. Sie zögerte einen Moment und beugte sich dann nur ganz leicht nach vorne, um den Zettel lesen zu können. Es war ein weiteres Gedicht. Ein viertes Mal nun seh’n wir dich ach bitte, Fremde, gräm’ dich nicht. Wir müssen dich nun noch mal bitten, voranzugeh’n in grossen Schritten. Jeder kennt uns als schlau und klug, doch stecken wir fest in diesem Zug. Geh die lila Wimblis suchen, nur sie allein wissen vom Umgang mit grösseren Hindernissen. Den anderen Farben kannst du nicht vertrauen, vor allem vermeide Kontakt mit den Blauen. Gelb, Orange, Grün und Pink haben null Schimmer, sie kichern und raufen und kuscheln nur immer. Phine trat einen Schritt zurück und betrachtete den pinken Wimbli noch einmal. Er sah auf jeden Fall harmlos aus. Und hirnlos. Bevor sie etwas dagegen tun konnte, musste sie an ein paar Zeilen aus Minnies Buch denken:


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«Gelbe sind ängstlich, Blaue sind stark, Graue sind weise und selten verzagt Grüne sind mutig, Pinke verschmust …» «Das reicht», sagte sie bestimmt, mehr zu sich selbst als zu dem Wimbli. «Ich muss nach Hause. Bevor ich noch total verrückt werde.» Der Pinke Wimbli streckte seine Arme zu einer Umarmung aus, in der einen Hand hielt er immer noch den Zettel. «Nein», sagte Phine, die bei dem blossen Gedanken schon zusammenzuckte. «Kuscheln gibt dem Leben einen Sinn, die Traurigkeit ist gleich dahin.»

von dem Tag stammte, als Mum das Bügeleisen heruntergefallen war. «Ich muss hier raus. Und zwar sofort.» Sie wartete. Die Grashüpfer zirpten im Chor. «Und zwar sofort!», wiederholte sie. Zu den Grashüpfern gesellte sich das entfernte Geräusch des Zugs, der mal wieder im Anmarsch war. «Und zwar so…» Sie schlug die Augen auf. Ein furchtbarer, schriller Schrei kam von der anderen Seite der Böschung, gefolgt von der zitternden Stimme des pinken Wimblis. «Bitte lass mich los, bitte lass mich gehen! Wessen Zettel das ist, hab ich nicht gesehen Ich habe ihn bei den Schienen gefunden …»

«Nein, das glaube ich nicht.»

«Bitte», sagte Phine, «geh einfach weg.»

«Du lügst und kommst jetzt mit uns mit», entgegnete jemand mit einer tiefen Stimme, «sonst geben wir dir einen Tritt, ausser du hast es sofort auf der Hand, wer der Fremde ist im Wimbli-Land.»

Das riesige Lächeln verschwand und wurde von einer leicht trotzigen Schnute ersetzt.

Der Pinke kreischte wieder:

«Dann suche ich mir einen anderen Ort, und jemand Netteren zum Kuscheln dort.»

«Das hab ich nicht, es war eine Frau, doch ihren Namen weiss ich nicht - au!»

«Ja, mach das», murmelte Phine. Der Wimbli drehte sich eingeschnappt um und ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Oben angekommen drehte er sich um, zögerte und öffnete dann noch einmal hoffnungsvoll die Arme. «Nein», sagte Phine. Geknickt drehte der Pinke sich wieder um und verschwand aus ihrem Sichtfeld. Phine schloss fest ihre Augen. «Ich muss hier raus», sagte sie und konzentrierte sich dabei darauf, nicht daran zu denken, wo «hier» war. Sie versuchte stattdessen, sich normale Dinge vorzustellen, wie Minnies von Spielzeug übersäte Seite des Kinderzimmers oder den versengten braunen Fleck auf dem Wohnzimmerteppich, der

«Moment mal!», rief Phine, die sich daran machte, den buschigen Hang hinaufzuklettern. «Was ist denn hier los?»

»Einmal Kuscheln tut jedem gut, zweimal Kuscheln bringt neuen Mut.»

Lissa Evans Fitz Fups muss weg Mixtvision 386 Seiten, Fr. 21.90


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Das bin ich. Hanna. Ich bin schon sechs. Matti, mein kleiner Bruder, ist erst vier. Er hat immer allerlei Kram in seinen Hosentaschen. Murmeln, Bonbons, Schrauben, Schnur, Kreide, ein alter Knopf. «Kein Kram, nützliche Dinge sind das!» «Wofür brauchst du denn einen alten Knopf?» «Den braucht man eben!» Ich habe nie etwas in meinen Hosentaschen. […] Als ich gestern aufwachte, sah ich, wie sich meine Hosentasche bewegt. Nur ganz kurz. Ich rannte sofort zu meiner Hose und schaute in die Tasche, aber da war nichts. Da war aber was! Bestimmt.

Daniel Fehr /  Jamie Aspinall Hannas Hosentasche Helvetiq 30 Seiten, Fr. 19.90


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WIR SIND

ROGER! Die Geschichte des Tenniskönigs Roger Federer Ein Junge, der weiss, was er will Wie ist Roger der Champion geworden, der er ist? Schon als Primarschüler verkündete er, der beste Tennisspieler der Welt werden zu wollen. «Die Leute lachten ihn nur aus», erinnert sich sein damaliger Trainer. Aber Roger bleibt dabei. Mit 15, als man ihn im Tennisinternat auffordert, seine Ziele auf ein Blatt zu schreiben, notiert er kurz und bündig: «In die Top Ten kommen, dann die Nummer eins werden.» – «Von da an schauten wir ihn mit anderen Augen an», sagt sein früherer Kollege Yves Allegro. Auf den Tennisreporter und Federer-Biografen René Stauffer wirkt der 15-­Jährige wie ein «ungeschliffenes Juwel». Er sucht den schnellen Punkt­gewinn auf jede erdenkliche Art, beherrscht alle Schläge, und schon damals beschleunigt er die Bälle ohne ersichtlichen Kraftaufwand. Aber wenn ihm einmal

etwas misslingt, verliert er die Nerven, schon bei kleinsten Fehlern. «Duubel, Idiot», beschimpft er sich dann. Überhaupt spricht er ununter brochen mit sich selbst, um dann – zack! – seinen Schläger vor Wut über den Platz zu schmeissen. Der Teenager ist ein Hitzkopf! Mehr als mit seinem Gegner kämpft er mit seinem Temperament. Aber er kennt sein Problem. «Ich weiss, ich darf nicht immer schimpfen, das schadet mir nur. Aber ich verzeihe mir halt fast keine Fehler.» Während des Gesprächs mit René Stauffer blickt der junge Federer plötzlich in die Ferne – so, wie man ihn als Weltstar noch oft in die Ferne blicken sehen wird, auf einen geheimnisvollen Horizont konzentriert – und sagt dann wie zu sich selbst: «Man sollte eben perfekt spielen können.» Offenbar war er damals schon fähig, sein Spiel und sich


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selbst aus der Distanz zu betrachten. Er weiss, dass seine Wutausbrüche eine Schwäche sind, aber auch eine Folge seines hohen Anspruchs. Weil er ein Perfektionist ist, ärgert ihn die Kluft, die die Wirklichkeit seines Spiels vom Ideal trennt. Federer schimpft sogar, wenn er einen Punkt gewinnt, jedenfalls dann, wenn er mit der Art und Weise, wie er ihn gewinnt, unzufrieden ist.

Martin Helg Wir sind Roger! SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk 40 Seiten Schulpreis Fr. 6.00


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DUMME IDEEN FÜR EINEN GUTEN SOMMER

ommer S n e d r ü f ute Ideen !!! Petunias g FEIGLINGE R Ü F S T H NIC ACHTUNG: n fangen e d n ä H n e s s nge mit blo la h c S e in e 1. den chätze fin S e n e g r o 2. verb n ikan tanze r r u H im . 3 rnen 4. flirten le en nuppe seh h c s n r e t S 5. eine wünschen s a w h ic s en und hte schreib ic h c s e lg e s 6. eine Gru LMOND ren 7. bei VOL f überque p m u s r e h nzie den Korke n, den man e m r a m u schen chte 8. den Men armen mö m u n e t s enig am allerw ur küssen e m r a h C n 9. de


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Für die 12-jährige Edie ist die Aussicht auf die Ferien so schlimm wie nie. Mit ihrer peinlichen Familie muss sie in einer Kleinstadt in Florida ausharren, um das Haus der verstorbenen Grossmutter Petunia auf Vordermann zu bringen. Aber vielleicht wird der Sommer gar nicht so übel wie erwartet… Nachdem ich die letzten drei Tage zusammen mit meinen Eltern und den Zwillingen im Auto eingepfercht war, ist noch mehr Familie um mich herum das Letzte, was ich gerade brauche. Die Kindersicherung wird entriegelt und ich schiebe die Seitentür auf. In der Sekunde, in der ich aussteige, meldet sich der Riesen-Eistee, den ich hundert Meilen zuvor runtergekippt habe. «Mom, wo ist die Toilette?», frage ich. «Lass uns doch erst die Koffer aus dem Auto holen und dann zeige ich sie dir, Schatz.» Sie zieht an einem Koffer, der sich offenbar verkeilt hat. Mein Dad versucht ihn mit roher Gewalt aus dem Kofferraum zu zerren. «Ich finde sie schon allein, Mom.» «Natürlich tust du das, Edith, aber ich weiss nicht, in welchem Zustand das Haus ist. Meine Mutter war keine sonderlich gute Hausfrau. Es wäre mir lieber …» «Mom? Bitte. Ich glaub, ich komm schon klar.» Sie atmet aus. «Also gut, Edith, hör zu: Der Schlüssel liegt wahrscheinlich unter der Fussmatte. Das Badezimmer ist im hinteren Teil des Hauses. Du musst vorne durch die Diele gehen und dann durch die Küche.» Sie holt noch einen Koffer hervor. «Aber sei vorsichtig.» Die Holzstufen der Veranda ächzen unter meinen Füssen. Ich hebe die Fussmatte hoch, doch da liegt kein Schlüssel. Ich ruckele am Türknauf. Er lässt sich drehen und die Tür ist unverschlossen. Ich stosse die schwere Tür auf und betrete das Haus. Und bleibe stehen. Das Haus meiner Grossmutter zu betreten ist, wie in einen schlechten Traum zu geraten. Bislang bin ich kein grosser Fan von Florida – in diesem Staat kommt man sich überall so vor, als sei man nach einem aggressiven Völkerballspiel unter der Achsel seines Sportlehrers eingeklemmt –, doch draussen gibt es immerhin Sonne, leuchtende Far-

ben und eine leichte Brise. Und um ehrlich zu sein, wahrscheinlich auch giftige Schlangen. Mit Fangzähnen. In der Düsternis dieses Hauses hingegen herrscht eine dichte, schwere Atmosphäre. Es fühlt sich an, als ob sie sich um mich herum zusammenziehen würde. Staub wirbelt durch die Luft wie Plankton durchs Wasser. Ich blinzele und meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Eine breite, ausladende Treppe windet sich aus dem grosszügigen Eingangsbereich nach oben. Es wirkt prachtvoll, lässt einen aber auch an Gespenster denken. An die ich nicht glaube, beruhige ich mich selbst. Ich blicke den langen Flur entlang in Richtung des Tageslichts, das durch das Küchenfenster dringt. Es scheint sehr weit entfernt zu sein. Ich fühle das allzu bekannte angstvolle Kribbeln und will mich umdrehen, um doch draussen auf Mom zu warten. Aber dann halte ich inne. Vielleicht wird es Zeit für eine neue Edith. Eine mutigere Edith. Eine mit mehr Mumm. Eine Edith, die sich nicht in einem Zelt verstecken würde, während andere Leute nachts schwimmen gehen. Oder Lagerfeuer machen. Sich mit Jungs treffen. Eine Edith, die definitiv nicht auf ihre Mutter warten würde, damit die sie zur Toilette begleitet. Deshalb ignoriere ich die Gänsehaut, die schlechten Gerüche und alle Gründe, die dagegensprechen, und rede mir gut zu, weiter in das dunkle Haus vorzudringen.

Kiera Stewart Dumme Ideen für einen guten Sommer Carlsen 256 Seiten, Fr. 15.90 erscheint am 25. April 2019


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DIE FLEDERMAUS Die Freunde Tom, Elroy und Linus werden an Halloween Opfer eines gemeinen Raubüberfalles. Das lassen die drei Jungs natürlich nicht einfach so auf sich sitzen. Die Sonne schien blass, als Tom am nächsten Morgen den Pausenplatz betrat. Es war eine grosse Schule. Sie lag auf mehreren Ebenen versetzt am Hang; die einzelnen Betongebäude waren miteinander verbunden. Auf dem Rasen vor den Turnhallen fegte der griesgrämige Hausmeister Frutiger mit einem Laubbläser, der einen Höllenlärm machte, die letzten Blätter zusammen. Tom entdeckte Elroy und Linus in einer Ecke. Sie kickten sich den Ball zu, den Elroy kürzlich zum Geburtstag bekommen hatte. Tom schlenderte zu ihnen hin, und sofort kam der gemeine Überfall zur Sprache. «Wir könnten sie an ihrer Grösse und ihren Stimmen erkennen», meinte Linus. «Achtung, da drüben sind Arne und Kajo!», warnte Elroy. Die hoch aufgeschossenen Jungen bummelten über den Platz. Sie trugen trotz der Kälte nur Kapuzenpullover. Als sie die drei Jungen sahen, stiessen sie einander mit den Ellbogen an und grinsten. «Wetten, dass sie es waren», sagte Tom grimmig. Er wurde richtig wütend, wenn er nur an den Überfall dachte. Sie mussten irgendetwas unternehmen. Aber es war gar nicht so einfach, sich eine wirksame Revanche einfallen zu lassen. Nach und nach trudelten die Schülerinnen und Schüler ein. Die Mädchen standen in Grüppchen zusammen. Sie gründeten neuerdings Clubs und nannten sich «Girlpower» oder «Yolo-Gang». Die Pausenglocke klingelte. Tom, Elroy und Linus warteten, bis

Arne und Kajo ausser Sichtweite waren, dann rannten sie über den Platz. Dabei stiessen sie fast mit dem Hausmeister zusammen. «Jeden Morgen das Gleiche!», schimpfte Herr Frutiger. Seine schlechte Laune war in der ganzen Schule gefürchtet. Schnell liefen die Jungen ins Klassenzimmer. Frau Länglich, die Klassenlehrerin, sass schon an ihrem Pult. Ganz im Gegensatz zu ihrem Namen war sie ziemlich rundlich, um nicht zu sagen kugelrund. Sie trug mit Vorliebe warme ocker- oder lilafarbene Wollkleider, vor allem im Herbst, weil sie sich leicht erkältete. Gerade schien es wieder so weit zu sein. Sie kramte in ihrer Handtasche, fand endlich ein Taschentuch und schnäuzte sich orkanartig. «Guten Morgen!», krächzte sie. «Heute wollen wir uns einem hochinteressanten Thema zuwenden!» Die Klasse kicherte. «Hochinteressant» war Frau Länglichs Lieblingswort. «Was haben Wildschweine, Waschbären, Hermeline und Dachse gemeinsam?» «Sie haben scharfe Zähne?», fragte Linus vorsichtig. «Das ist doch logisch!», rief Annika. «Ich weiss es: Es sind Säugetiere!» «Richtig. Ich denke aber noch an etwas anderes», sagte Frau Länglich. «Diese Wildtiere leben alle bei uns in Wald und Feld. Es ist erstaunlich, wie viele Arten es bei uns gibt.» «Hochinteressant!», murmelte Tom. Elroy gluckste. «Ihr werdet in Gruppen ein Tier auswählen, im Internet und in Büchern recherchieren und eine Präsentation dazu vorbereiten», sagte Frau Läng-


lich. «Es stehen genügend Tiere zur Auswahl auf der Liste; nehmt nicht alle das gleiche!» Die Jungen stöhnten. Sie sahen einen Haufen langweiliger Stunden auf sich zukommen. Natürlich wollten mehrere Mädchen und Jungen den süssen Waschbären und das noch süssere Hermelin. Die übrigen Kinder verdrehten die Augen. Ausser Yvo. «Ich nehme das Wildschwein!», rief er freudestrahlend. Yvo hatte strohblondes Haar und leuchtend blaue Augen und war der Sohn des letzten am Stadtrand verbliebenen Bauern. Ihr Hof grenzte direkt an den Wald. Die Maisfelder seines Vaters waren schon mehrmals von einer Wildschweinrotte verwüstet worden. Deshalb wollte Yvo Wildschweinjäger werden. Gerade heute hatte er sich überlegt, wie es mit einem Club gegen Wildschweine wäre, «Die Rächer im Wald» oder so. Tom, Elroy und Linus würden zusammenarbeiten, das war klar. Nur, welches Tier sollten sie nehmen? Elroy war für den Siebenschläfer, weil der Name vielversprechend nach wenig Arbeit klang. Aber da gab es auch noch die Wanderratte, den Feldhasen und den Luchs. Sie konnten sich nicht einigen. «Vergesst nicht», rief Frau Länglich beim Pausenläuten, «wir haben heute Nachmittag Clean-up Day!» In der Pause erzählte Elroy, der ständig an etwas herumtüftelte, seinen Freunden, dass er aus zwei unterschiedlich grossen Konservenbüchsen einen Dosenkocher zusammenbauen wolle. Er sei bald fertig damit, und sie könnten ihn irgendwo ausprobieren. Linus meinte, möglicherweise sei dies ein

Fall fürs Patentamt. Elroy zeigte gerade mit beiden Händen, wie gross der Dosenkocher werden sollte, da entdeckten die Jungen Arne und Kajo. Die beiden standen in einer Ecke und rauchten. Das war natürlich strengstens verboten. «Sollen wir sie verraten – aus Rache?», fragte Linus. «Bist du doof?», sagten Tom und Elroy wie aus einem Mund. «Wir haben ja noch keinen Beweis, dass sie es wirklich waren», gab Tom zu bedenken. «Sie gucken in unsere Richtung. Wenn wir sie verpetzen, haben wir sie am Hals.» Linus war beleidigt. Manchmal fühlte er sich von seinen Freunden einfach nicht genug respektiert. «Selber doof – weil ihr meine Freunde seid», sagte er. «Wir können ja den ‹Club der Doofen› gründen, dann machen wir nur noch doofe Sachen!» Tom und Elroy mussten lachen. «Gute Idee», meinte Tom. «Niemand würde uns ernst nehmen, und wir könnten tun, was wir wollen.» Elroy war Feuer und Flamme. «Alter, der ‹Club der Doofen› gegen Arne und Kajo. Zudem hätten wir dann auch einen Club!» Elroy klopfte Linus anerkennend auf den Rücken. Der blinzelte überrascht. «Dies ist der erste Tag des ‹Clubs der Doofen›», sagte Elroy. «Niemand rechnet mit unserem Club», sagte Tom. «Und er wird unterschätzt», sagte Linus. Sie grinsten sich an.

Pia Schad / Eva Rust Club der Doofen 1 – Die Fledermaus SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk 56 Seiten Schulpreis Fr. 6.00


Seit Niko und Ole sich kennen, brauchen sie ihre unsichtbaren Hundefreunde nicht mehr. Das gefällt Snuffi und Mucki aber ganz und gar nicht. «Sehen die uns denn nicht?», fragt Snuffi. «Vielleicht tun sie nur so, weil sie uns nicht mehr haben wollen», vermutet Mucki. «Meinst du? Das wäre so was von gemein», schimpft Snuffi. «Obergemein», bestätigt Mucki. «Komm, das lassen wir uns nicht gefallen!» «Ja, denen zeigen wir’s!», knurrt Snuffi.


Dafür kriegst du ein Stück von meinem Pausenbrot ab.

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Aber nur, wenn nicht wieder Schmelzkäse drauf ist!

Hallo, Ole! Guck mich doch mal an!

Kann ich mal deinen Bleistiftspitzer haben? Wau! Knurrrr

rrr

Mist! Ich hab meinen auch vergessen!

Paul Maar Snuffi Hartenstein und sein ziemlich dicker Freund Oetinger 80 Seiten, Fr. 14.90 © Oetinger, Text: Paul Maar, Illustrationen: Sabine Büchner


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Globis Abenteuer in Rom

Ein Dieb stiehlt eine goldene Statue, die Mama Lupa! Ob Globi, Romy und Remo den Täter erwischen? «Ist dort Lupa reingelaufen? Lasst uns Eintrittskarten kaufen für das Kolosseum1, schnell!» ruft jetzt Globi. «Noch ist's hell.» Romy und Remo wissen, dass sie nichts bezahlen müssen. Erst wer über achtzehn ist, zahlt, was doch viel besser ist. Wo nur könnte Lupa stecken, Globi möchte erst entdecken, was, dies ist ihm noch nicht klar, unter der Arena war. Ein System von Gängen, Räumen lässt ihn von den Zeiten träumen, wo man oben kämpfte, litt und gar manchen Sieg erstritt. Bei den Freunden ging indessen längst die Öffnungszeit vergessen. «Oh, wie schnell die Zeit verstrich. Acht?», ruft Remo ausser sich. Alle stehen vor dem Gitter, das ist wahrlich äusserst bitter. Auch der Hilferuf verhallt. Na dann: Schönen Aufenthalt!

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Das grösste Amphitheater der Welt wurde zwischen 72 und 80 n. Chr. errichtet.

Daniel Frick / Jürg Lendenmann Globis Abenteuer in Rom Globi Verlag 100 Seiten, Fr. 22.90 auch als Hörbuch erhältlich


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DAS GROSSE

WERKBUCH FÜR KINDER

Saubermach-Alien aus einem Staubtuch Material: Staubtuch, zwei Innenteile von Überraschungseiern, zwei Wackelaugen oder Knöpfe, Stoffschere, Nadel, Garn, altes T-Shirt oder Füllwolle, Papier, Stift, Flüssigkleber

Die Form auf Papier zeichnen, auf das zusammengefaltete Staubtuch legen.

Schneide die Form aus.

Dann rechts auf rechts zusammenlegen. Die linke Seite ist also aussen. Den Stoff für die Augen quer einschneiden. Achtung: Das Loch ganz knapp schneiden, damit die gelben Eier nicht herauspurzeln.

Die Teile mit einem Rückstich zusammennähen und eine Wendeöffnung lassen. Die gelben Eier durch die Schlitze stecken. Alles auf rechts wenden und mit einem alten T-Shirt oder Füllwolle füllen. Die Wendeöffnung von aussen zunähen.

Auf die gelben Eier jetzt die Wackelaugen kleben. Natürlich kannst du aus weiteren Putzlappen Freunde für das Alien nähen.

Du kannst auch einen Mund annähen: Dafür nimmst du zum Beispiel ein rotes Gummiband und nähst es an den Enden fest.


Claudia Huboi / Claudia Scholl Das grosse Werkbuch für Kinder Haupt Verlag 240 Seiten, Fr. 30.00

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EIN FALL FÜR DIE

Die Steinböcke sind los Es ist Frühling in Bad Lärchenberg. Alles wirkt friedlich. Da entdecken die MounTeens Plakate, auf denen die Schliessung des kleinen Zoos mit den einheimischen Alpentieren gefordert wird. Was steckt hinter dieser Aktion? Sam, Lena, Matteo und Amélie gehen der Sache auf den Grund. Ihre Nachforschungen sind aber nicht ungefährlich – und plötzlich wird die Situation brenzlig… Lena gähnte. Es fehlten nur wenige Minuten bis Mitternacht. Sam und Amélie waren vor einer Stunde nach Hause gegangen. Sie lächelte beim Gedanken daran, wie galant Sam angeboten hatte, Amélie heimzubegleiten. Bestimmt würden die beiden noch etwas geflirtet haben. Matteo war bereits eine Stunde früher aufgebrochen, um die letzte Gondel zur Lärchenalp zu erwischen, die jeweils um 22 Uhr fuhr. Es war ein fröhlicher Abend gewesen, der mit gemeinsamem Kochen begonnen und mit viel Herum-albern geendet hatte. Der Geruch nach frisch zubereiteter Pesto-Sauce hing noch immer in der Luft, stellte Lena fest und öffnete das Fenster. Nur kurz hatten sie am Abend den Fall besprochen und dabei über Frau Bosshards höchst auffälliges Benehmen gerätselt. War am Ende doch sie die Täterin und die bisher verdächtigten Frau Werder und Herr Geiger unschuldig? Was aber wäre Frau Bosshards Motiv? Lena beendete die Aufräumarbeiten in der Wohnung. Das musste reichen. Es brauchte ja nicht sauberer zu sein als vor der Abreise ihrer Mutter! Ein kühler Luftzug liess sie frösteln. Natürlich, das Fenster stand ja offen! Sie durchquerte das dunkle Wohnzimmer, um es zu schliessen. Die Kirchglocken schlugen zwölf Mal. Geisterstunde, dachte Lena und schüttelte den Kopf, um sich selbst zu beweisen, dass derartige Gedanken völlig kindisch waren. Dennoch spürte sie eine Art ängstliches Kribbeln im Bauch.

Draussen wirkte alles ruhig. «Keine Geister, siehst du?», sagte Lena halblaut zu sich selber und war ein wenig stolz darauf, die letzten vier Tage alleine zuhause gewesen zu sein und sich dabei nie gefürchtet zu haben. Da! Was war das? Gleich neben dem oberen Eingang des Tierparks drückte sich eine dunkel gekleidete Gestalt in eine nicht beleuchtete Mauernische und liess zwei Autos passieren. Lena hielt die Luft an und verharrte regungslos am Fenster. Die Gestalt schien es nun eilig zu haben. Kaum waren die Fahrzeuge ausser Sicht, hastete sie zum Eingang und verschwand im Dunkel des Tierparks. Lena zögerte keinen Augenblick. Sie musste sehen, was da vor sich ging! Schnell zog sie Schuhe und Jacke an. Sie schloss die Türe hinter sich und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und hinaus auf den Gehsteig. Erst beim Eingang des Tierparks bremste Lena ab, um Atem zu schöpfen. Ein Tippen aufs Handy zeigte, dass fünf nach zwölf war – die dunkel gekleidete Person hatte also höchstens drei Minuten Vorsprung! Lenas Herz schlug bis zum Hals – nicht nur wegen des Zweihundert-Meter-Sprints, sondern auch, weil sie zunehmend Angst vor dem eigenen Mut aufkommen spürte. Sie gab sich einen Ruck. Was konnte schon passieren? Diese Person – Lena war aufgrund der Bewegungen der Gestalt überzeugt, dass es eine Frau war – wollte ja nur dem Tierpark schaden, oder nicht? Der aufkeimende Zweifel machte sie noch nervöser. Schweiss bildete sich auf ihrer Stirn. Sie atmete tief durch, trat mutig durch den Eingang und huschte zum nächsten Baum, um sich zu verstecken. Sie lauschte. Nichts Auffälliges festzustellen – nur der aufkommende Wind war irgendwie beunruhigend. So würde sie keine Schritte hören. Immerhin konnte sie der Person dadurch wenigs-


27 tens unauffälliger folgen, dachte Lena und löste sich aus dem Schatten des Baumes, um weiterzuschleichen. Ihre Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und obwohl es im Tierpark keine Strassenlaternen gab, konnte sie Bäume, Gebüsche, Gehege und Ställe gut ausmachen. Nur die dunkle Gestalt war nirgends zu sehen. Was ist, wenn längst ich die Verfolgte bin, dachte Lena, während ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Was ist, wenn sie mich beobachtet?

Marcel Naas Ein Fall für die MounTeens – Die Steinböcke sind los boox-verlag 188 Seiten, Fr. 28.30


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Am liebsten ass der

HAMSTER HUGO

Spaghetti mit

TOMATENSUGO Tiergedichte

Ein Südtiroler Lämmergeier Der brütete die falschen Eier

Und als die erste Schale krachte Da kam es anders, als er dachte:

Aus den Eiern schlüpften Affen! Das macht dem Geier schwer zu schaffen.

Franz Hohler /  Kathrin Schärer Am liebsten ass der Hamster Hugo Spaghetti mit Tomatensugo Hanser 64 Seiten, Fr. 20.50 Illustrationen: © Kathrin Schärer


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Marguerite Abouet Akissi – Auf die Katzen, fertig, los! reprodukt 96 Seiten, Fr. 28.90 © Marguerite Abouet & Mathieu Sapin / Reprodukt 2018


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VOM DACHS ZUM SCHWEIN Heimische Tiere

Der Hund – er ist der Beste Immer neue Rassen Der internationale Zuchtverband FCI anerkennt über 800 Hunderassen. Und es werden jedes Jahr mehr; auf der ganzen Welt werden ständig neue Rassen gezüchtet. Denn Hundezüchter wollen die Tiere immer besser machen, ihr Charakter soll gehorsam und anpassungsfähig sein und ihr Aussehen niedlich. Deshalb wurde zum Beispiel der «Schnoodle» gezüchtet, eine Kreuzung aus einem Schnauzer und einem Pudel. Oder der «Labradoodle», entstanden aus Labrador und Pudel. Man glaubt, dass sie in ihrem Wesen das Beste aus beiden Rassen verbinden. Diese sogenannten Hybridhunde gelten bereits als anerkannte Rassen und sind bei Familien besonders beliebt. Es gibt aber auch den durch Zucht flachnasig gewordenen Mops, der mit seiner kurzen Nase Mühe hat, zu atmen. Züchter haben dafür gesorgt, dass unser Dackel einen besonders langen Rücken besitzt, er hat deshalb oft Schwierigkeiten mit seiner Wirbelsäule. Sie ist viel zu lang für die kurzen Beine. Auch den winzigen mexikanischen Chihuahua haben Züchter erfunden: Er ist ein Enkel des Wolfs, man sieht es ihm heute nur nicht mehr an. Herrchen und Frauchen gehen mit ihm spazieren, als wäre er ein modisches Handtäschchen. Ohne Rudel ein verlorener Hund Unser Hund, die Angstbeisserin Lili, stand eines schönen Tages in der Küche. Mittelgross, die Rute zwischen ihre Hinterläufe geklemmt, ein schwarzes Fell von unbestimmter Natur. Wenn Menschenhände in der Nähe ihres Gesichtes fuchteln oder wenn sie alleingelassen wird, gerät Lili in Panik. Wenn sie erschrickt – und das kann schon ein Laubblatt auslösen –, will sie nur noch flüchten.

Früher hat Lili in Ungarn auf der Strasse gelebt. Sie war eine Einzelgängerin, für ihr Überleben war sie allein zuständig. Doch das ist eine Aufgabe, der kein Hund gewachsen ist. Er weiss nicht, wo sein Platz ist, wer auf ihn aufpasst oder auf wen er aufpassen soll. Hunde sind Gruppentiere. Ein Hund, der ohne Rudel leben muss, ist ein todunglückliches Tier. Lili ist anspruchslos und ernährt sich gut und gerne nur von Papier. Sie verdaut problemlos Zeitungen, knackt Eier und leckt sie bis auf den kleinsten Rest aus. Wenn Lili Karton frisst oder den Inhalt einer Tube samt Verpackung verschlingt, lebt sie in ihrem früheren Leben. Wenn sie in Panik gerät, erwachen alte Ängste. Sie hat ein Auge verloren, Menschen haben ihren Körper geschunden, man hat sie später zwar gerettet, doch ihre Seele ist beschädigt. Es gibt keinen besseren Freund Ein Haushund teilt das Leben seines Menschen von morgens früh bis abends spät. Er hat Köpfchen, und manchmal hat er auch seinen eigenen Kopf. Wahr ist: Hunde wollen Zuwendung und Aufmerksamkeit. Und sie wollen geniessen, genauso wie ihr Mensch. Doch auch wenn der Hund einmal nicht folgsam ist: Er ist immer ehrlich. Er handelt ohne Berechnung und ohne Arg. Er hat Respekt vor allen Menschen und vor allen Hunden, vor ranghöheren genauso wie vor rangniedrigeren. Der Hund lebt nach den Geboten, die auch die Regeln für ein vorbildliches Menschenleben sind.


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Daniele Muscionico Vom Dachs zum Schwein – Heimische Tiere SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk 40 Seiten Schulpreis Fr. 6.00


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Auszug aus dem LIED DER FÜNF (aus dem Ameisischen übersetzt von Rumi Moskitofresser)

In Caldera war es immer so: Geschöpfe der Sonne Geschöpfe des Mondes Getrennt durch die Schleier von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. (Nur die Ameisen wandeln bei Tag und bei Nacht ... und werden dafür gehasst.) Die Furcht stellt eifrig Regeln auf. Dies sind ihre Gebote: Wer die Schleier überwindet, verhält sich Widernatürlich Ungebührlich Verabscheuungswürdig. Wer in der falschen Zeithälfte wandelt, ist des Todes. Doch was geschieht dann ... mit all jenen Tieren ... die während der Sonnenfinsternis geboren wurden?


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Was stimmt nicht mit mir? Mali ballt und streckt ihre Pfoten. Jedes Mal wenn sie die Augen schliesst, lässt die Unruhe sie gleich wieder aufspringen, ganz egal wie fest sie sie auch zukneift. Alle anderen Panther im Bau schlafen, so wie es sich gehört. Es ist schliesslich mitten am Tag! Warum ist sie dann wach? Warum befindet sie sich auf der falschen Seite des Schleiers? Sie fängt an, Ameisen zu zählen. Vielleicht macht sie das ja müde. Kein Wesen kennt irgendeinen Ort so gut wie Mali diesen Bau. Er besteht aus einem dichten Geflecht aus dornigen Ranken und Lianen, das sich in die Gabelung zweier uralter Bäume schmiegt. Blattschneiderameisen tummeln sich darin, aber abgesehen davon ist er gemütlich und sie sind vor den gefährlichen Tagwandlern geschützt. Gut, Tante Usha wäre wohl auch draussen sicher – Mali kann sich nicht vorstellen, dass irgendein Tier so leichtsinnig wäre, sie anzugreifen. Usha hat ihren langen muskulösen Körper mit dem dichten braunschwarzen Pelz schützend um ihre Jungen gerollt. Ihr leises Schnarchen hat eine beruhigende Wirkung auf die schlafenden Säuglinge. Mali rückt von Tante Usha weg und tappt auf leisen Pfoten ans andere Ende des Baus. Sie schiebt einige Ranken auseinander, bis sich ein kleines dreieckiges Loch im Dach auftut, durch das sie den blauen Himmel und den Sonnenschein sehen kann. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. Am Tag treiben Kreaturen ihr Unwesen, die sie nur aus den Legenden kennt: Monster, die kein Nachtwandler je gesehen hat. Sie blickt ins helle Blau. Eine solche Farbe gibt es nachts nicht. Selbst die Schmetterlinge halten ihre himmelblauen Flügel geschlossen, wenn der Mond das Sagen hat. Mali ist so in Gedanken versunken, dass sie keine Ahnung hat, wie viel Zeit

verstrichen ist, als das blaue Dreieck sich plötzlich grün-weiss verfärbt. Sie kann die Schuppen einer Grünen Hundskopfboa erkennen – eigentlich ein Nachtwandler wie die Panther auch, und deswegen sollte diese Schlange jetzt gar nicht wach sein. Noch ein Tier, das zur falschen Zeit auf ist, genau wie sie! Aufgeregt richtet sich Mali auf und spitzt die Schnurrhaare. Chumba seufzt und regt sich im Schlaf. Obwohl Mali weiss, dass ihre Schwester – wie jeder richtige Panther – am Tag nicht aufwachen kann, kauert sie sich bewegungslos auf den Boden und wartet, bis Chumba zur Ruhe kommt. Nachdem Chumba Mali den Rücken zugedreht und ihre Schnauze und Ohren unter ihrem Vorderbein vergraben hat, schnarcht sie unverdrossen weiter. Das alles dauert nicht lange, doch als Mali sich wieder der dreieckigen Öffnung zur Tagwelt zuwendet, ist der Himmel so blau wie zuvor, und die geheimnisvolle Schlange ist verschwunden. Die Anspannung weicht aus Malis Körper. Sie legt sich hin, aber ihr Schwanz und ihre Ohren zucken vor Ärger über das Adrenalin, das durch ihre Adern strömt, ohne dass sie sich abreagieren kann. Mit klopfendem Herzen senkt sie den Kopf auf ihre Vorderpfoten und macht sich wieder daran, die Ameisen zu zählen. Warum sind es immer so viele? Ihr Cousin Haze behauptet, dass es bis zu der Nacht, als Malis und Chumbas Mutter gestorben ist und Usha die beiden Schwestern bei sich aufgenommen hat, überhaupt keine Ameisen in Caldera gab. Mali glaubt das nicht, denn wie kann sonst das Sternbild der Ameisenkönigin am Himmel stehen, wenn es die Ameisen erst seit Kurzem gibt? Trotzdem scheint es, als würden von Nacht zu Nacht mehr Blattschneiderameisen durch ihren Bau krabbeln.

Eliot Schrefer Caldera 1: Die Wächter des Dschungels Planet! Verlag 384 Seiten, Fr. 22.90


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Dan braucht einen wirklich guten Plan, oder sein bester Freund Stan verschwindet für immer im Institut für Hochsicherheit und Heilung von Ungewöhnlichkeiten. Es gehört Dr. P’Krall… (Sein richtiger Name lautete Sylvester Perlenkralle. Aber er musste sich tarnen, weil er so viele schreckliche Dinge getan hatte, dass er von sämtlichen Polizeikräften der Welt gesucht wurde.) Wenn jemand zu ihm sagte, er habe aber einen ungewöhnlichen Namen, der sich anhörte, als wolle man eine Krähe in einen Schlafsack stecken, dann starrte er denjenigen oder diejenige so lange durchdringend an, bis er oder sie anfing zu weinen. P’Krall achtete bei seinem Rundgang durchs Dorf darauf, alle Menschen, die er traf, zu beunruhigen und ihnen Angst vor der Ungewöhnlichkeit einzujagen. Den Briefträger fragte er: «Sind Sie von irgendwelchen ungewöhnlichen Katzen gebissen worden?» Der Briefträger antwortete, er sei noch nie von Katzen gebissen worden, doch er mache sich all-

mählich Sorgen deswegen. Dr. P’Krall warnte ihn jedes Mal, wenn sie sich trafen, vor Katzenbissen. «Sie sollten sich immer Sorgen machen», sagte P’Krall. «Ungewöhnliche Katzen können sich in Brotkästen oder unter Ihrem Bett oder sonstwo verstecken. ABER KEINE ANGST!» Diese letzte Aufforderung schrie er so laut, dass der Postbote – der ein ziemlich nervöser Mensch war – zusammenzuckte und seine Posttasche fallen liess. »Ich, Dr. P’Krall, Experte für alles Ungewöhnliche, werde Ihnen beistehen! Nehmen Sie sich ein Flugblatt.» «Ich habe schon ein Flugblatt.» «NEHMEN SIE NOCH EINS! SIE KÖNNTEN ES VERLIEREN!» Der Briefträger rannte nach Hause zu seiner rothaarigen Katze namens Jelena. «Oh, Jelena …», flüsterte der Briefträger, «ich hoffe, du wirst nicht ungewöhnlich.»


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A.L. Kennedy /  Gemma Correll Onkel Stan und Dan und das ungeheuerlich ungewöhnliche Abenteuer Orell Füssli Kinderbuch 220 Seiten, Fr. 22.00


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Drei Kinder und ein magischer kleiner Kater bilden eine Art Gang. Sie kämpfen gemeinsam gegen das Fällen ihres Lieblingsbaumes auf dem Schulhof. Als dann auch noch eine mysteriöse Vertretungslehrerin auftaucht, wird die spannende Geschichte immer mehr zum Krimi. Aber eigentlich beginnt alles im dichten Nebel. Er steigt aus dem Untergrund der Stadt auf und müffelt. Sehr eigenartig! «Verflixt und zugenäht, Maunzer, wo steckst du? Du weisst genau, dass du bei diesem Nebel nahezu unsichtbar bist!» Gedämpfte Schritte näherten sich der Trauerweide. Ein Kind tauchte aus der Nebelsuppe auf und gewann rasch an Gestalt. Das Mädchen hielt eine Hand vor Mund und Nase, die andere Hand hatte sie tief in der Tasche ihrer grünen Windjacke versenkt. Sie trug rote Gummistiefel, Jeans und unter einer dunkelgrünen Mütze quollen lange, rotblonde Haare hervor. «Maunz!» «Was meinst du?» «Maunz!» «Ich weiss, Maunzer, schlecht riechender Nebel im Frühling, das ist sehr ungewöhnlich.» «Maunz!»

«Ich komme ja, hetz mich nicht!» Genervt änderte das Mädchen die Richtung. Ein Gebäude ragte schemenhaft aus der weissgrauen Nebelsuppe auf. SCHULHAUS IM KLEE stand in grossen Lettern über dem Eingang. Davor wartete ein süsser, kleiner Kater. Er war cremefarben und seine Augen leuchteten wie zwei winzige Ampeln im Nebel. Das eine hellblau und das andere goldgelb. «Maunz.» «Und wenn du dich irrst?», fragte das Mädchen. «Vielleicht hat sie sich einen anderen Ort ausgesucht.» «Maunz.» Der kleine Kater namens Maunzer streckte sich ausgiebig. Er trippelte zu der Eingangstür des Schulhauses und blickte auffordernd nach hinten. «Maunz!» «Sekunde, ich mach ja schon!»


Das Mädchen tippte mit dem Zeigefinger einmal an die Tür, die sogleich geräuschlos aufschwang. Maunzer preschte los, den langen Flur und eine Treppe hoch, über Fliesenböden, vorbei an Wänden voller Kinderzeichnungen. Vor einer der vielen Türen blieb er mit aufgerichtetem Schwanz stehen und hob witternd die Nase. «He! Ich hasse es, wenn du einfach losrennst, ich bin nicht so schnell wie du.» «Maunz.» «Hier? Bist du dir sicher?» «Maunz!» An der Tür hingen Fotos von Kindern und ihrer Lehrerin, alle lächelten oder lachten. Darüber stand in grossen, bunten Buchstaben KLASSE 4A VON FRAU SOMMER. Die Gruppe wirkte so fröhlich, dass man am liebsten mit dazugehören wollte. «Maunz.» Vorsichtig stupste Maunzer mit dem Kopf gegen die Beine des Mädchens. «Ich weiss, deine Ahnungen.» «Maunz.» «Du bist dir ganz sicher, dass sie hier herkommt?» «Maunz!» «Entschuldige, ich will mich nur vergewissern.» Das Mädchen seufzte auf und lief zurück zum Eingang. Maunzer rannte voraus und versteckte sich. Unerwartet sprang er hinter einem Vorsprung hervor und stürzte sich auf die roten Stiefel des Mädchens, die beim Gehen auf dem glatten Boden quietschten. Mit beiden Pfoten umfasste der Kater

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die hohen Gummitreter, bis das Mädchen kichernd stehen blieb und dem kleinen Kerl ausgiebig das Fell kraulte. Wieder draussen, schauten die beiden nochmals zu den Fenstern im ersten Stock hoch. «Wenn wir nur wüssten, was sie vorhat.» «Maunz.» «Ich hoffe, wir können es verhindern. Nur so können wir Minze retten.» «Maunz.» «Okay, ich werde mich einschulen lassen, das ist der einzige Weg.» «Maunz.» Die grüne Jacke vorne eng zusammengezogen, murmelte das Mädchen: «Arme Kinder der Klasse 4a, sie wissen nicht, was auf sie zukommt.» Dann kehrte sie dem Schulhaus den Rücken zu und machte sich auf den Heimweg. Maunzer hatte seinen Kampf gegen die Stiefel wieder aufgenommen, auch wenn sie draussen nicht mehr quietschten. Mit jedem Schritt verschluckte der Nebel das seltsame Gespann mehr und mehr, bis nichts mehr zurückblieb ausser einem seltsamen Vorgefühl. Eine ungute Ahnung, die einen manchmal beschleicht, bevor etwas Schlimmes geschieht.

Daniele Meocci /  Yvonne Rogenmoser Maunzer – Klara, Wolle und der magische Kater Baeschlin Verlag 144 Seiten, Fr. 24.00


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Mattis bekommt ständig Ärger. Dabei hat er richtig gute Ideen: Zum Beispiel für das Problem mit den verdreckten Schultoiletten. Da malt er einfach Fliegen in die Schüsseln, auf die beim Pinkeln gezielt werden soll. Da war einfach nichts zu wollen. Nicht mal Augustin, der immer alles weiss, würde es ahnen können: dass das hier eine Fliege war. Womöglich würde er auf Elefantenkacke tippen. Wobei ... Das war es vielleicht. Ja! Elefantenkacke. Das war die Rettung. Also, nicht die Kacke. Aber der

Elefant. Ein Elefant hat schliesslich auch einen Rüssel. Genau wie die Fliege. Und für Robert wäre ein Elefant ohnehin viel besser – weil toller, grösser, aufregender. Ich begann sofort: Der schwarze Fleck wurde zum Elefantenauge. Ich malte noch ein zweites Auge dazu und schliesslich den ganzen Elefanten mit rundem Po und dicken Stampferbeinen. Zack, zack und fertig! Ein irres Elefantengraffiti. Ich fand es toll. Alle würden es toll finden. Garantiert! Herr Storm würde seinen letzten Brief vergessen. Ausserdem das Birnengedicht


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sausen lassen. Und Herr Lindemann würde vor Begeisterung über die Schulhecke springen. Die war damit schliesslich auch gerettet. 10.21 Uhr: Zweites Pipibecken, zweiter Elefant. Oder nein. Schon wieder fiel mir was Besseres ein. Das Schlimmste an der Schule sind gar nicht die ekligen Klos. Das Schlimmste ist die Langeweile. Deshalb würde ich für Abwechslung sorgen. Wenn schon nicht im Unterricht, dann wenigstens auf dem Klo. In das zweite Becken kam eine

Giraffe. In das dritte ein Nashorn. Ein echter Klozoo! Wie im Tierpark Hagenbeck. Ich hörte bereits Robert, Marvin und Leon sich am Anfang jeder Pause streiten: «Ich nehm den Elefanten!» «Nein, ich!» «Du bist zu lahm, nimm das Nashorn!» «Ich bin zuerst bei der Giraffe!» 10.25 Uhr. Ich hockte mich vor das vierte Becken. Und überlegte gerade: Flamingo oder Krokodil? Mein Kopf hing schon im Becken. Da hörte ich – klarack – die Tür zum Jungsklo aufgehen.

Silke Schlichtmann /  Maja Bohn Mattis und die Sache mit den Schulklos Hanser 64 Seiten, Fr. 14.50 Illustrationen: © Maja Bohn


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Viele Grüsse vom Kap der Wale Der Walprofessor war furchtbar aufgeregt. Der lang ersehnte Brief! Das war der Nervenkitzel, den er sich wünschte.

Von wem der wohl war? Der Walprofessor hatte keine Ahnung, wo die Insel Otto war, und schon gar nicht, wer dieser Waldo war. «Ruhig Blut jetzt», dachte der Professor, holte tief Luft und blies eine Fontäne.

Der Walprofessor hatte eigentlich gehofft, eine Antwort von einem Tier zu erhalten, das er nicht kannte und das ganz anders war als er selbst.


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Von der Insel Otto hörte er zum ersten Mal, aber dieser Waldo war ein Wal wie er. Und auch wenn Waldos Grossvater am Kap der Wale gelebt hatte, gab es ihn jetzt nicht mehr.

Der Walprofessor schrieb sofort einen Antwortbrief.

Megumi Iwasa / Jörg Mühle Viele Grüsse vom Kap der Wale Moritz Verlag 112 Seiten, Fr. 16.90 auch als Hörbuch erhältlich © Frankfut: Moritz Verlag 2018 / Bildnachweis: Jörg Mühle


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Die Kaminski-Kids machen Ferien auf einem Kreuzfahrtschiff. Noch sind alle bester Laune. Doch schon bald geschehen merkwürdige Dinge an Bord, und die Kids stecken mitten in einem mysteriösen Fall. «Halt!» Der Sicherheitsbeamte drückte auf einen grossen roten Knopf, und sofort glitt die Glastür zu. Der Eingang zum Schiff war nun versperrt. Ein zwei Meter grosser Mann in weisser Uniform stellte sich den Kids in den Weg. «Ich bin Pieter, Leiter der Bord-Security», sagte er und zeigte auf Zwockel, den Opa an der Leine hielt. «Hunde sind an Bord der Ocean Queen verboten. Habt ihr die Vorschriften beim Buchen nicht gelesen?» «Wir haben nicht gebucht», antwortete Simon. «Opa hat die Reise gewonnen, für sich und drei Begleitpersonen. Bei einem Gewinnspiel im Radio.» Pieter zuckte seine breiten Schultern. «Trotzdem sind Hunde verboten. Tut mir leid, den müsst ihr an Land lassen.» «Alles, was recht ist!», meldete sich ein Mann aus der Warte-Reihe hinter den Kids. «Sehen Sie denn nicht, dass der alte Mann blind ist? Haben Sie Tomaten auf den Augen?» «Genau», fügte seine Frau hinzu. «Das ist ein Blindenhund! Lassen Sie ihn doch an Bord, seien Sie kein Unmensch!» Der Security-Leiter überlegte kurz. Dann drückte er eine Taste an seinem Funkgerät und sprach leise hinein. Opa setzte derweil seine dunkle Sonnenbrille auf

und tappte mit der freien Hand im Leeren voran. Möwen kreischten in der salzigen Luft. Das tiefe Tuten eines auslaufenden Schiffs hallte durch den Hafen. Pieter beendete sein Funkgespräch und trat zur Seite. «Alles klar.» Er machte mit seinem kräftigen Arm eine einladende Geste. «Weil der Gast ohne seinen Blindenhund nicht auskäme, darf das Tier an Bord – Ausnahmeregelung!» «Super!», rief Raffi. «Klasse, Mann!» Der Leiter wandte sich um, nickte dem Sicherheitsbeamten drinnen zu, und dieser liess die gläserne Eingangstür der Ocean Queen wieder aufgleiten. «Na endlich», seufzte der Mann hinter den Kids. «Geht doch!» Auf dem Schiff tuschelten zwei gutaussehende dunkelhäutige Jungs vom Zimmerservice miteinander. «Geh du die Austern holen und bring sie der alten Schachtel», murmelte Wayan leise. «Ich?» Putu schaute seinen Bruder an. «Du bist doch ihr Zimmerboy, nicht ich!» «Die Alte merkt das eh nicht, uns kann doch keiner auseinanderhalten.» Tatsächlich sahen die beiden Zwillinge genau gleich aus, hatten dieselbe kaffeebraune Hautfarbe, schwarze Lockenpracht und eine geschmeidig schlanke Gestalt. «Warum willst du denn tauschen?», fragte Putu. «Ich möchte wissen, wie das hübsche Mädchen da drüben heisst.» Wayan zeigte auf Debora, die soeben mit Simon, Raffi, Opa und Zwockel an Bord kam. «Alles klar.» Die beiden Jungs grinsten sich zu. Wayan lief zur Reling und nahm Debora den Koffer ab. «Ich bin euer Zimmerboy», strahlte er. «Ich bringe euch zur Kabine.» «Oh, danke», lächelte Debora.


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«Es ist mir ein Vergnügen!» Wayan nahm auch Raffis Tasche, während Simon Opas Rollkoffer zog. Zwockel tippelte schön brav an Opas Leine und guckte sich aufmerksam um. Wayan eilte zur Decktür, um sie vor Debora zu öffnen. Doch da er beide Hände voller Gepäckstücke hatte, war das gar nicht so einfach. Mit vorgerecktem Ellenbogen drückte er die Klinke runter, dabei fiel ihm fast Raffis Tasche zu Boden. Mit einem angestrengten Lächeln hielt er die Tür auf. «Bitteschön, die Dame!» Debora trat schmunzelnd hindurch. «Vielen Dank, aber ich könnte meinen Koffer auch selbst tragen.» «Kommt gar nicht in Frage! Hier entlang, bitte.» Simon und Raffi zwinkerten sich grinsend zu, während sie hinter Opa und Zwockel über den weichen Teppich den Flur entlangschlenderten. Gedämpfte Musik drang aus unsichtbaren Deckenlautsprechern, und ein Hauch von Vanille-Aroma hing in der gekühlten Luft. Vor den Aufzügen hielt Wayan an und wartete auf Opa und die Kids. «Oh!» Rasch stellte er das Gepäck ab und eilte zu Raffi zurück. «Dir ist da was runtergefallen.» Er hob es auf und gab es ihr. Es war ein Geldschein. «Danke! Hab ich gar nicht gemerkt!» Sie steckte den Schein tief in die Hosentasche. «Das wäre jetzt voll blöd gewesen, mein ganzes Taschengeld für die Reise weg!»

«Kann ich verstehen, ist mir auch schon passiert», erzählte Wayan. «Doch statt Taschengeld war’s bei mir die Lohntüte, und damit war der ganze Wochenlohn weg – auf Nimmerwiedersehen.» Debora musterte ihn erstaunt. «Jemand muss die Tüte doch gefunden haben … und keiner hat sie dir zurückgegeben?» «Leider nicht.» Wayan zuckte die Schultern. «An Bord kümmert sich jeder nur um sich. Nur wenige halten zusammen. Aber die gehen dafür gemeinsam durch dick und dünn.» In diesem Moment ging ein Ruck durch das Schiff. Das tiefe Tuten des Signalhorns ertönte. Wayan lächelte. «Wir legen ab.»

Carlo Meier Die Kaminski-Kids – Tatort Ocean Queen Fontis-Verlag 176 Seiten, Fr. 21.00 Copyright Illustrationen: © Fontis-Verlag


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Als Tobis neue Zahnspange plötzlich mit ihm spricht, traut er seinen Ohren kaum. Hat er sich das bloss eingebildet? So schob ich die Spange in den Mund, als ich mich für die Hausaufgaben hinsetzte, das hatte mir ja die Böhnlein eingeschärft. Meine Mum will, dass wir unsere Pflichten nicht aufschieben. Ich muss ja auch immer alles Unangenehme erledigen, bevor ich zum Fussballspielen raus darf. So sass ich also an meinem Schreibtisch und sah mir das Aufgabenblatt an, das uns Frau Bodenheimer mitgegeben hatte. Manchmal schaute sie mich so merkwürdig an, dass mir ganz heiss wurde, und ich wusste gar nicht, warum. Es ging um Gewichte in Kilogramm und Gramm, wir mussten das Gewicht von Tieren schätzen, die auf dem Blatt abgebildet waren. Wer am besten abschneiden würde, hatte Frau Bodenheimer gesagt, werde einen Preis bekommen. Das macht sie oft so. Um uns anzuspornen, sagte sie. Meistens war der Preis etwas Gesundes, eine Frucht zum Beispiel. Aber so leicht war die Aufgabe gar nicht. Das erste Tier war ein Braunbär. Wie schwer konnte so einer sein? Ich presste die Lippen aufeinander und dachte nach. Hundertzehn Kilogramm wollte ich unter das Bild schreiben. Etwa so

schwer wie mein dicker Onkel, der stolz auf seinen Bauch ist. Aber da war plötzlich wieder diese Stimme da, irgendwo in meinem Kopf und jetzt sehr verständlich: «380 Kilogramm!» Ich zögerte. Der Bär war wirklich gross und struppig. Der konnte mich, wenn ich an die echten Bären im Zoo dachte, mit einem einzigen Tatzenhieb umwerfen. Ich schrieb die Zahl hin, überlegte gar nicht mehr lange. Das Nächste war ein Regenwurm. Sehr schwierig. Es gibt ja lange und kürzere. Und als ich kleiner war, hatte ich mir manchmal einen um den Finger gewickelt, und später hatte es mich gegraust. Zehn Gramm vielleicht? «Schreib zwei Gramm», befahl die Stimme. Ich gehorchte, obwohl mir das viel zu leicht schien. Königstiger 250 Kilo, sagte die Stimme, Nilpferd 1600 Kilo (das hatte ich krass unterschätzt), Storch bloss drei Kilo. Im Ganzen gingen wir, die Spange und ich, auf diese Weise fünfundzwanzig Tiere durch. Das ausgefüllte Blatt steckte ich in die Klarsichtmappe und die in die Schultasche. Fürs Abendessen nahm ich die Spange natürlich heraus und kam mir gleich fast ein wenig einsam vor. Fürs Schlafen setzte ich sie wieder ein, und als Mum und später auch Pa fragten, wie es mir damit gehe, lispelte ich: «Es geht so.» Am nächsten Morgen gab ich das Blatt ab. Bis am Mittag hatte Frau Bodenheimer die Blätter durchgesehen. Und nach der Elf-Uhr-Pause trat sie vor die Klasse und zeigte uns das Blatt, das gewonnen hatte. Es war meines. «Nicht zu fassen», sagte Frau Bodenheimer. «Tobi hat alles richtig beantwortet, auf Kilogramm und Gramm genau.» Ein Raunen ging durch die Bänke, die Köpfe drehten sich nach mir um. Frau Bodenheimer schaute mich seltsam an.


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«Schummeln war ja nicht möglich, oder?» Ich schüttelte heftig den Kopf. «Oder hast du die halbe Nacht im Internet nachgeforscht?» «Das darf ich doch gar nicht», antwortete ich. «Wieso hast du denn alles so genau gewusst?» Ich zuckte die Achseln. «Ich lese halt eine Menge und behalte das meiste im Kopf.» «Streber», zischte jemand von hinten. Es war natürlich Helmut, der dauernd prahlt, er sei der Stärkste von uns. «Der kann sich einfach ganz viel merken!», sagte Viola, auch von hinten. Ich drehte mich nach ihr um. «Danke!» Sie lächelte mich an. «Jetzt schweigt alle schön», befahl Frau Bodenheimer, «und gönnt Tobi seinen Erfolg.» In der Pause umringten mich ein paar Jungen, auch Helmut war darunter. Frau Bodenheimer hatte mir zur Belohnung eine reife Birne geschenkt, die schmeckte wunderbar süss. «Jetzt gib es doch zu», schimpfte er und zeigte mir die Faust. «Du hast geschummelt. Du betrügst uns.»

«Nein!» Ich schüttelte den Kopf, hatte aber ziemlich Angst. «Ich hab’s einfach gewusst.» «Man findet alles im Internet», sagte Michael, der sonst immer der Klügste war. «Man muss es nur schlau genug anstellen.» «Ich schwöre euch», sagte ich und hob meine Schwurfinger. «Ich hatte alle Angaben im Kopf.» Und das war ja nicht einmal gelogen. Danach liessen sie mich zum Glück in Ruhe.

Lukas Hartmann /  Julia Dürr Die magische Zahnspange Diogenes 240 Seiten, Fr. 21.00


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POWER

People

Was würden sie dir raten?

Was würden sie dir raten?

NELSON MANDELA Was würden sie dir raten?

VAT ER DER NA TIO N Name: Nelson Rolihlahla Mandela Geboren: 18. Juli 1918 Gestorben: 5. Dezember 2013 Nationalität: Südafrikanisch Beruf: Präsident von Südafrika

Wenn einer schon «Unruhestifter» heisst … Doch, das ist tatsächlich die Bedeutung von «Rolihlahla» in der Xhosa-Sprache! Kein Wunder also, dass der Träger dieses Namens sich nicht scheute, ordentlich auf den Putz zu hauen. Mandela wollte das zutiefst ungerechte Apartheid-System in Südafrika einfach nicht akzeptieren, und so wurde er zum Anti-Apartheid-Aktivisten. Niemand hätte sich träumen lassen, wohin dieser Weg ihn — und das Land — führen würde.

Frage: Du bist so aufgeregt. Du hast wie ein Irrer Basketball trainiert, und du würdest so gerne probeweise im Schulteam mitspielen. Aber der Trainer hat kein Interesse. «Ich habe schon das beste Team zusammen», sagt er. «Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du gut genug bist.» Wie würde Nelson Mandela handeln? Antwort: Hmm … Es ist natürlich in deinem Fall nicht nötig, genau wie Mandela zu sein. 27 Jahre im Gefängnis sind schon eine verdammt lange Zeit. (Und bereit zu sein, für seine Sache zu sterben, ist auch ein bisschen extrem.) Aber wenn du etwas unfair findest, dann steh ein für deine Überzeugung. Und auch wenn der Trainer sagt, dass du vielleicht nächstes Jahr mitspielen darfst, gib nicht klein bei. Das hat Mandela auch nicht getan.


Kay Woodward Power People – Frauen und Männer, die die Welt verändert haben Was würden sie dir raten? © Carlton Books Limited 2018 © 2019 arsEdition GmbH, München

arsEdition 112 Seiten, Fr. 16.90


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Philip Waechter Toni. Und alles nur wegen Renato Flash Beltz & Gelberg 67 Seiten, Fr. 21.90

Š 2018 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel


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Rot ist ein Wunschbaum – ein Baum, dem die Menschen ihre tiefsten Wünsche anvertrauen. Eines Tages ritzt ein Junge «Geh weg» in seine Rinde. Rot versteht erst später, dass die Worte etwas mit der muslimischen Familie zu tun haben, die neu in die Nachbarschaft gezogen ist… Menschen denken wohl, dass es uns Bäumen nichts ausmacht, wenn man etwas in uns hineinritzt, besonders wenn es sich um Herzen handelt. Aber ein für allemal: Es macht uns etwas aus. Ich hätte natürlich nicht sagen können, was der Junge hineinschnitzte. Aber an der absichtsvollen Art, wie er es tat, konnte ich erkennen, dass es jemanden verletzen sollte. Nicht mich. Ich spürte, dass er mich gar nicht im Sinn hatte. Ich war bloss seine Leinwand.

Ich wollte «Halt» schreien. Wollte etwas sagen. Irgendetwas. Aber natürlich tat ich es nicht. Denn so sind wir nicht. Bäume sollen zuhören, zusehen und ausharren, so ist es für uns vorgesehen. Bongo entdeckte als Erste, was mir zugestossen war. Sie landete neben meinem Stamm und legte den Kopf schief. Der Kartoffelchip fiel ihr aus dem Schnabel, als sie schrie: «Man kann dich ja keine Minute allein lassen, schau, wie du aussiehst! Was zum Kuckuck ist denn hier passiert?» «Jemand hat mich wohl mit einem Kürbis verwechselt», sagte ich. Und als sie nicht lachte, fügte ich hinzu: «Weil man mich geschnitzt hat.» «Rot, zum tausendsten Mal, Erklärungen machen es auch nicht witziger.» Bongo flog dorthin, wo sich mein Stamm gabelt und ein dicker grosser Hauptast abzweigt. Sie untersuchte meine Wunde. «Tut es weh?» «Dir täte es mehr weh. Wir Bäume sind anders.» «Ich muss unbedingt etwas tun», sagte Bongo. «Da kann man nichts tun.» «Du hast ein grosses Wehweh. Ich will dir helfen. Du bist doch der weise alte Baum, sag du mir, was ich tun soll.» «Wirklich, Bongo. Die Zeit heilt alle Wunden.» Bongo kann es gar nicht leiden, wenn ich philosophisch werde. Sie verdrehte die Augen. (Das vermute ich wenigstens. Bei Krähen sieht man das nicht gut. Ihre Augen sind so dunkel und glänzend wie Brombeeren im Morgentau.) «Hoffentlich ist meine Rinde nicht ganz kaputt», sagte ich. «Das ist meine Lieblingsseite.» «Sie ist nicht kaputt. Nur dekoriert. Wie so ein Tattoo, das sich die Menschen stechen lassen.»


Bongo stupste mich mit dem Schnabel. «Zeig mir, wer das gemacht hat. Den knöpfe ich mir vor. Mitten in der Nacht krächze ich ihm an seinem Fenster die Ohren voll. Ich stürze mich im Tiefflug auf ihn und reisse ihm die Haare aus.» Sie flatterte mit den Flügeln. «Ha, noch besser, ich lass was auf seinen Kopf fallen. Jeden Tag lass ich was auf seinen Kopf fallen, ein ganzes Jahr lang!» Ich fragte nicht, was sie fallen lassen wollte. Ich wusste es auch so. «Liebe Bongo», sagte ich, «das brauchst du nicht.« Bongo trat von einem Fuss auf den anderen, was sie immer tut, wenn sie scharf nachdenkt. «Weisst du», sagte sie, «bald ist wieder Wunschtag. Das soll vielleicht ein Wunsch sein. Nur ziemlich dumm überbracht.» «Schon wieder ein Wunschtag», wiederholte ich. Ich hatte das Gefühl, er wäre gerade erst gewesen. War schon wieder ein ganzes Jahr vergangen? Die Tage verschwinden so unmerklich wie Regentropfen in einem Fluss. «Schon wieder kommen habgierige Leute», sagte Bongo, «und belästigen dich mit ihrer Wunschbettelei.» «Schon wieder kommen hoffnungsvolle Leute und wünschen sich was», verbesserte ich sie. Am Wunschtag habe ich es nicht leicht und meine Bewohner auch nicht. Die Tiere und Vögel machen sich dann gewöhnlich aus dem Staub, um neugierig grapschenden Händen und endlosen Fotos zu entgehen. Aber es war ja nur ein Tag. Und ich mochte die Tradition und war stolz auf die Rolle, die ich darin spielte. Ich konnte gut nachfühlen, dass Menschen sich nach vielen Dingen sehnen. Eine Mutter, mit einem kleinen Kind an der Hand, kam den Gehweg entlang und blieb wie angewurzelt stehen, als sie meinen Stamm sah. Die kleine Tochter hielt ihren Stoffhund an seinem schütteren Schwanz fest und fragte: «Mama, was steht da?»

Die Mutter gab keine Antwort. «Mama?» Sie überquerten den Rasen. Die Mutter trat ganz nah zu mir. Schliesslich sagte sie: «Da steht ‹GEH WEG›.» «Wie Gehweg, weil der Baum am Gehweg steht?» Vorsichtig zeichnete die Mutter meine Schnittwunden mit dem Zeigefinger nach. «Vielleicht», antwortete sie, «vielleicht deswegen.» Sie schaute auf die beiden Häuser in der Nähe. Dann schüttelte sie den Kopf und fasste das kleine Mädchen fester an der Hand. «Hoffentlich deswegen.»

Katherine Applegate Baum der Wünsche Ueberreuter 224 Seiten, Fr. 24.90 auch als Hörbuch erhältlich


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Am Sonntag, als das Ei aufging Lorenz Pauli /  Kathrin Schärer

Kennst du alle Monate? Welche fehlen?

Am Sonntag, als das Ei aufging Atlantis 112 Seiten, Fr. 24.90

Der Igel nickt: «Dann kommt der Frühling!»

Der Bär zählt auf: «März, April, Mai.»


«Dann kommt der Sommer! Juni, Juli, August.»

«Dann wird es Herbst! September, Oktober, November.»


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Wenn die kleine Hexe es schafft, dass die sieben unartigen kleinen Eulen so richtig wohlerzogen werden, bekommt sie das berühmte Eulenhexen-Diplom. Aber das ist alles gar nicht so einfach… «Huch, wer sägt denn da an meinem Baumhaus?» Die kleine Hexe springt erschreckt vom Schaukelstuhl. Herr Spiegelei liegt im Wohnzimmer und schnarcht so laut, dass die Wände wackeln. Irgendwann muss ich ihn mal leise zaubern, denkt Petunia und reibt sich verschlafen die Augen. In der Nacht hatte sie einen wunderschönen Traum: Sie stand auf einem riesigen Podest und Hunderte von alten Hexen jubelten ihr zu. In der vordersten Reihe war Tante Aurora und hielt eine gerahmte Urkunde in der Hand. Petunia konnte ganz genau lesen, was darauf geschrieben stand: «Unsere unglaublich talentierte Petunia Olivia von und zu Nadelbaum ist die erste diplomierte NachwuchsEulenhexe vom ganzen Finsterwald.»

Doch gerade als Petunia nach dem Diplom greifen wollte, ist sie aufgewacht. «Wie schade, dass ich nicht noch ein bisschen weiterträumen konnte», seufzt Petunia. «Ojemine, mir tut der Zahn so weh! Ojemine!», tönt es da von unten. «Das ist Fredi Waschbär!», ruft Petunia und rennt ans Fenster. Fredi steht vor seinem Häuschen und hält sich die Wange. «Diese Zahnschmerzen sind gar nicht nach meinem Geschmack», jammert er. Seine Wange ist dick wie ein Tennisball. «Wach auf, Herr Spiegelei!», ruft Petunia. «Fredi Waschbär braucht unsere Hilfe! Er hat heftige Zahnschmerzen, am besten gehen wir mit ihm zu Doktor Igel.»


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Katja Alves Die kleine Eulenhexe – Willkommen im Zauberwald Arena Verlag 11 Seiten, Fr. 19.90 auch als Hörbuch erhältlich

«Und was ist mit meinem Frühstück?», knurrt Herr Spiegelei. «Wir wollen auch Frühstück, wir sind schon ganz lange wach!» Sieben kleine Eulen kommen ins Wohnzimmer spaziert. «Ich bin Eulili!», kräht die kleinste. «Und das sind Eululu, Eulala, Eulolo,

Eulele und Eulölö und die grösste da drüben, die kannst du einfach Eule nennen.» «Huch, euch hätte ich fast vergessen! Was mache ich jetzt nur?» Petunia schaut die kleinen Eulen sorgenvoll an.


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Das ist meine Geschichte Okay. Meine Götterkollegen haben gesagt, ich soll anfangen. Schliesslich sei die Sache mit diesem Buch hier ja meine Idee gewesen. Und überhaupt: Ich sei der Boss, ich hätte ja sooo viel zu erzählen, also müsste ich mit gutem Beispiel vorangehen. Aber genau da liegt das Problem! Ich habe sooo viele Abenteuer erlebt, sooo viele Schlachten geschlagen, sooo viele Unholde besiegt, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen und womit ich aufhören soll. Als ich damit meiner Frau in den Ohren lag, zuckte sie nur mit den Schultern und sagte: «Fang am besten ganz von vorne an. Und dann solltest du den Kindern erzählen, warum du nur ein Auge hast.» Recht hat sie, meine liebe Frigg! Wie eigentlich immer. Ganz von vorne. Das ist tatsächlich eine unglaubliche Geschichte. Aber auch eine ziemlich grausige und ekelhafte. Und warum ich einäugig bin, klar, das weisst du bestimmt noch nicht. Aber dieser Anfang ... Nun ja, ich bin mir da nicht so sicher. War doch wirklich sehr brutal damals. Und ganz schön gruselig. Ich weiss nicht, ich weiss nicht ... Also, ich mach dir einen Vorschlag: Du überspringst einfach die

ersten Seiten und liest auf Seite 20 weiter, wo es heisst: «So, und jetzt will ich dir die Sache mit meinem Auge erzählen.» Alles klar? Also umblättern! Hey! Ich habe umblättern gesagt! Denk daran, du bist ein Mensch. Diese Typen können sehr sensibel sein, fangen leicht an zu heulen und ekeln sich bei der kleinsten Kleinigkeit. Bei winzigen Spinnen zum Beispiel. Oder wenn sie ein Stück schimmeligen Käse sehen. Aber das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was ich dir gleich erzählen werde. Also umblättern! Wie jetzt? Du willst wirklich hier weiterlesen? Also gut. Aber komm mir nicht damit, dass ich dich nicht gewarnt hätte. Und wenn du heute Nacht Albträume von riesigen Kühen und grässlichen Riesen bekommst und zitternd zu deinen Eltern ins Bett krabbelst, dann beschwer dich nicht bei mir! Der Götterkönig hat dich gewarnt!


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Frank Schwieger Ich, Odin und die wilden Wikinger – Götter und Helden erzählen nordische Sagen dtv junior 240 Seiten, Fr. 13.90 auch als Hörbuch erhältlich


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Es war Donnerstagabend. Wie jedes Kind in der kleinen Stadt Mumpitz musste Jonathan Schreckster früh ins Bett. Viel zu früh, fand er. Er war schliesslich schon fast zehn Jahre alt. Doch wie jedes Kind in Mumpitz schlüpfte er ohne Maulen unter die Bettdecke. «Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu», witzelten Besucher, die aus anderen Gegenden kamen. Oder: «Habt ihr die Kinder … irgendwie … verzaubert?» Wie dem auch sei – Jonathan faltete artig die Hände und sprach sein Gutenachtgebet. Heute war das noch wichtiger als sonst. Es war wichtiger, als den letzten Aufkleber für das Stickeralbum zu bekommen. Es war so wichtig wie Knoblauchzehen und ein dicker Schal in Transsilvanien. Es war so wichtig wie ein Laserschwert für Luke Skywalker. Es war überlebenswichtig. Denn es war die Nacht vor den Zeugnissen. Und wie jedes Kind in der kleinen Stadt Mumpitz beendete Jonathan das Gebet mit

einer ganz besonderen Bitte. Er dachte dabei an diese ganz und gar BESONDERE und ziemlich EIGENARTIGE KREATUR … «… und bitte mach», sagte Jonathan, «dass meine Eltern nicht die BARTFRAU holen!» Er seufzte und legte den T-Rex, den Brontosaurus, Superman, Spiderman, Batman und den Hasenhund neben sein Kopfkissen. Doch schlafen

konnte er trotzdem nicht. Er wälzte sich hin und her und zerknautschte das Kissen. Ängstlich blickte er zum Hamsterkäfig hinüber, der auf der Kommode am Fenster stand. «Speedy?», flüsterte Jonathan bang in die Dunkelheit. «Bist du schon wach?»

Im Hamsterkäfig rührte sich nichts. Speedy war ein Goldhamster mit weichem weiss-rotbraunem Fell und glänzenden Augen, braun wie das Innere von Schokolinsen. Und seitdem Jonathans Freunde, Lenny und Junes, so ganz und gar MERKWÜRDIG – brav und langweilig – geworden waren und immer nur Hausaufgaben machen wollten, brauchte Jonathan Speedy mehr als jemals zuvor. Jonathan seufzte wieder. Wenn seine Eltern das Zeugnis sehen würden, dann war Schluss mit lustig. Es würde Hausarrest geben, auf jeden Fall. Konnte er mit leben – solange sie nicht die Bartfrau holten! Jonathan rieb sich die Handflächen. Sie juckten immer, wenn er ängstlich war. Oder nervös. Jetzt war er ängstlich UND nervös. Wenn es doch morgen nur nicht Zeugnisse gäbe! Aber vielleicht, dachte er hoffnungsvoll, passierte ja ein Wunder? Vielleicht war Dr. Desaster, dem Klassenlehrer, seine abgewetzte braune Ledertasche gestohlen worden? Mit sämtlichen Zeugnissen drin? Jonathan


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schluckte. So würde es nicht kommen, das war klar. Morgen war der Tag der Abrechnung. Und er würde furchtbar sein. Jonathan wälzte sich weiter hin und her. Irgendwann schlief er ein.

Zu dumm. Einfach zuuuuu dumm. Denn in dieser Nacht brach ein gewaltiges Gewitter über Mumpitz los. Es blitzte. Donner grollte. Es rumpelte so heftig, als würden Riesen mit Felsbrocken Boule spielen. MERKWÜRDIGERWEISE blitzte und donnerte es nur über dem roten Backsteinhaus mit den weissen Fensterläden, in dem Jonathan mit dem Hamster Speedy lebte. Ach ja, und mit den Eltern, Herrn und Frau Schreckster (ihr werdet sie hoffentlich nicht kennenlernen). Und MERKWÜRDIGERWEISE blitzte es nicht irgendwo über dem Haus. Nein. MERKWÜRDIGERWEISE blitzte und donnerte es nur über Jonathans Zimmer. Ein greller Blitz zuckte. Alles wurde in gleissendes Licht getaucht: der Hamsterkäfig, das Hamsterhäuschen. Ein heller Strahl fiel durch das runde Loch zum Rauskrabbeln. Speedy schrak hoch. Er zwängte sich nach draussen, plumpste auf das Streu und blickte zum Fenster. Und genau da entdeckte er es. Am schwarzen Nachthimmel. Und es war lila, rosa, blau, orange und sogar golden.

Jonathan drehte sich zur anderen Seite und zog die Bettdecke ein Stückchen weiter über den Kopf. Hätte Jonathan dasselbe gesehen wie Speedy – er hätte den Rucksack gepackt. Er wäre weggelaufen. So sah er nicht, wie die bunten Blitze den Nachthimmel durchzuckten. Und was sie an den Himmel schrieben. Ein Wimpernklimpern lang nur war es zu sehen, aber man konnte es klar lesen. In grellen Farben. Am finsteren Himmel.

BARTFRAU WIRD KOMMEN. (stand da)

HÜTE DICH.

Katalina Brause /  Kai Schüttler Die Bartfrau rowohlt rotfuchs 144 Seiten, Fr. 15.90


Bildung heisst, heute schon an morgen denken


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