kinki magazin - #30

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Name: Overkneeboots Geburtsjahr: 1961 Typ: Lederstiefel Besonderheit: grosses Einfüllvolumen

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amen sind nicht immer Schall und Rauch, wie Goethe uns in seinem ‹Faust› glauben lassen wollte, Namen sind mitunter auch identitätsstiftende Klassifizierungsmerkmale. Wenn ein Schuh beispielsweise durch seine öffentliche Betitelung unwiederbringlich mit Assoziationen an das horizontale Gewerbe belegt ist, verrät diese Tatsache gleichwohl einiges über sein Image. Ja, der Nuttenstiefel könnte sicherlich einen charmanteren Kosenamen tragen. Dabei hatte seine Geschichte vergleichsweise harmlos begonnen: Emma Peel, die durch und durch emanzipierte Amateuragentin aus der TV-Serie ‹Mit Schirm, Charme und Melone›, fiel Anfang der 1960er nicht nur durch Lederkorsagen mit Stachelhalsband in feinster SM-Optik auf, sondern hauptsächlich durch einen hautengen Ledercatsuit. Die dazugehörigen Stiefel, die bis über die Knie reichten, fungierten neben all ihren optischen Reizen in erster Linie als Geheimversteck für Emmas Revolver. So weit, so nützlich. Etwa 30 Jahre später tauchten die Stiefel wieder auf – an den Beinen von Julia Roberts, die von der Prostituierten Vivian Ward zur ‹Pretty Woman› metamorphisierte. Die Hollywood-Karriere der US-amerikanischen Schauspielerin begann mit der Szene, in der sie in überkniehohen Lacklederboots lasziv

Text: Bastian Steineck Illustration: Adrian Riemann

Das Nuttenimage ist passé: Die Overkneeboots haben Einzug in die züchtige Damenmode erhalten. kinki vertreter

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über den Rodeo Drive stöckelt, um sich von Richard Gere aufgabeln zu lassen – die züchtige Karriere der Lederboots war damit allerdings zu Ende. Wer sich von nun an mit derartigem Schuhwerk in die Öffentlichkeit wagte, wurde zielstrebig dorthin geschickt, wo Körperlichkeit gegen Geld getauscht wird. Beim Studium der äusseren Erscheinungsmerkmale verwundert es beinahe, dass der sinnlich-erotische Charakter der körperbetonten Stiefel nicht schon eher erkannt und genutzt wurde. Schliesslich lassen die hohen Absätze und der lange Röhrenschaft die Beine länger erscheinen, während das hervorblitzende Stückchen Haut genug Raum für Fantasie und Spekulation bietet. Aus Gleichgewichtsgründen wird der Po nach hinten ausgestellt, die Brust nach vorne geschoben. Dass zudem alle Liebhaber von Lack und Leder auf ihre Kosten kommen, bedarf keiner weiteren Erklärung.

Lack und Leder für Michelle Obama Doch die verruchten Jahre sind vorbei: In Kombination mit Röhrenjeans oder Leggins fand der Overknee spätestens in den Winterkollektionen 2009 seinen Platz in der züchtigen Damenmode gängiger Schuhlabels, die den Besitz der ehemaligen Nuttenstiefel längst legitimiert und für trendwürdig befunden hatten. Präsidentengattin Michelle Obama bestellte gleich zwei Paar beim französischen StarDesigner Robert Clergerie, während Popsternchen wie Lohan, Knowles und Rihanna die Stiefel seit geraumer Zeit auf den Konzertbühnen dieser Welt spazieren führen. Knallige Rot- und schimmernde Schwarztöne sind gedeckten Farben gewichen, genug Stauraum für einen Revolver ist allerdings noch vorhanden.


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