Kinki Magazine - #11

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as, wenn ausnahmsweise 95 Prozent der Wissenschaftler Recht behalten? Wenn die Temperaturen unaufhaltsam steigen, wenn Polkappen und Gletscher schmelzen wie die Eiswürfel in unserem Longdrinkglas? Wenn der Meeresspiegel anschwillt, Inseln versinken, Küsten überflutet werden, wenn Tornados und Flutkata-­ strophen zunehmen? Die Politik verordnet CO2-Diäten, Abgeordnete jetten von Klimagipfel zu Klimagipfel, Appell folgt Appell. Ein paar Prozent weniger Klimagase sollen die Erderwärmung bremsen, aber der 239PS-SUV ist heilig und darf weiterfahren, die Chinesen tauschen ihre Velos gegen Mofas oder Kleinwagen, und wer will es den Menschen in Indien, Nigeria oder Venezuela verleiden, sich einen modernen Air Conditioner an die Wand zu schrauben? So werden Klimaforscher mahnen, Politiker ihre Besorgnis ausdrücken und vielleicht appelliert auch der Papst zu einem entschlossenen Handeln der Staatengemeinschaft: Der Treibhauseffekt beschleunigt sich trotzdem. Je unfähiger sich die Menschen anstellen, den Ausstoss von Klimagasen zu reduzieren, desto lauter werden die Rufe nach den Klimaklempnern. Geo-Engineering nennt sich ihr Fachgebiet. Technische Eingriffe in den Wetterkreislauf sollen die Erderwärmung bremsen.

Wettermanipulation als Kriegsführung

Mitte der 1940er Jahre war es das US-Militär, das mit der Manipulation des Wetters Schlachten gewinnen und die Ernten des Feindes vernichten wollte. Diese Forschungen führen die Klimaexperten von heute fort – mit dem Ziel, nichts Geringeres als die Welt zu retten. Ein Nobelpreisträger zählt zu den Pionieren des modernen Geo-Engineering. Paul Crutzen, Deutsch-Niederländer, Erforscher des Ozonlochs, Chemiker und Meteorologe, ist wohl der bekannteste Klimaklempner. Seine Pläne taugen für einen mässigen Science-FictionFilm mit Kevin Costner: Mehrere Tonnen Schwefeldioxid will Crutzen in die Stratosphäre befördern. Das Gas soll sich dort in winzige Reflektoren verwandeln, die einen Teil des Sonnenlichts abhalten. Eine Sonnenbrille für den Himmel. Werden etwa zwei Prozent des Sonnenlichts gedimmt, so rechnen Experten vor, lässt sich die vom Menschen verursachte Erderwärmung ausgleichen. Die Verdunklung sei kaum wahrnehmbar. Ideengeber für die Pläne Crutzens waren grössere Vulkanausbrüche wie der des indonesischen Krakatau im Jahr 1883. Eine gewaltige Eruption schleuderte damals feine Asche in die Stratosphäre. Binnen Tagen verteilte sie sich weltweit. Der Ausbruch senkte so die Durchschnittstemperatur auf der Erde um etwa ein Grad Celsius. Drei Jahre dauerte es, ehe der Grossteil der Partikel wieder abgesunken war. Die Kühlung der Erde hielt lange an.

glaubt, Militärflugzeuge seien ein geeignetes und vor allem günstiges Transportmittel. Wesentlich günstiger jedenfalls als die von Crutzen favorisierte Variante. Der Nobelpreisträger möchte Schwefel mithilfe von Ballonen von den Tropen aus in 20 Kilometer Höhe in den Himmel schicken. Die veranschlagten Kosten scheinen horrende. Doch angesichts der Rekordsummen, die weltweit die Banken in der Finanzkrise verzockten, tönen die geschätzten Ausgaben zwischen zwei und 70 Milliarden Franken pro Jahr – je nach Transportmittel – für die Klima-Kur läppisch. Freilich lässt sich die Erderwärmung so nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen stoppen. In einem Aufsatz für die Wissenschaftszeitschrift ‹Science› hat sich Simone Tilmes zusammen mit einem Forscherteam mit den Folgen der Pläne Crutzens beschäftigt. Würden seine Ideen umgesetzt, so befürchtet Tilmes, reduziere sich die Ozonschicht über der Arktis um ein Drittel. Wie dutzende andere Wissenschaftler sieht das Team um Tilmes noch viele weitere, unkalkulierbare Risiken für das Ökosystem. Man stehe noch am Anfang der Forschung, räumen die Klimaklempner ein. Und auch wenn die Risiken irgendwann einmal beherrschbar erscheinen, gelte: Ein Freibrief, weiter hemmungslos CO2 in die Atmosphäre zu pusten, ist GeoEngineering nicht, allenfalls eine Ergänzung zum Klimaschutz – oder eine Notbremse für den Fall der Fälle.

Wissenschaftler fordern faire Debatte

Sei es nun Gigantismus oder Grössenwahn: Die Forscher verlangen vor allem eine sachliche Debatte. Ohne Hysterie und Denkverbote. Und noch ist nicht entschieden, wer unter den Klimaklempnern den Masterplan für die Rettung des Weltklimas liefern könnte. Denn andere Megaprojekte, die in Laboren oder Simulationen ausgetüftelt werden, sind kaum weniger verwegen als die Pläne Crutzens. Statt Schwefel will etwa der US-Astronom Roger Angel kleine Siliziumspiegel in den Himmel schiessen, die – bei einem Durchmesser von je 60 Zentimetern – das Sonnenlicht zurück ins All reflektieren. Nicht weniger als 16 Billionen dieser kleinen Scheiben sollen in die Stratosphäre befördert werden. Auf die Spezial-Kanonen, die den Transport übernehmen sollen, käme eine Menge Arbeit zu. Zehn Jahre lang müssten sie im Abstand von wenigen Minuten Container mit mehreren hunderttausend Scheiben ins All befördern.

Kohlendioxid aus der Luft filtern und gleich mit Pipelines unter die Erde pumpen, wo es gelagert wird. Gegen die geschätzten Kosten hierfür – von mehr als 100 Billionen Franken, um den CO2Spiegel auf vorindustrielles Niveau zu senken – sind jedoch selbst die von den Banken verbrannten Vermögen Peanuts. Nicht nur die Erderwärmung sondern auch einen drohenden Energienotstand wollen andere Forscher mit riesigen Plantagen in den Griff bekommen. Ihre Überlegung: Bäume, die der Atmosphäre in der Wachstumsphase das Kohlendioxid entzogen haben, werden verbrannt. So lässt sich Energie gewinnen, das CO2 wird dabei absorbiert und unterirdisch gespeichert. Umweltschützer sehen jedoch – wie beim Atommüll – eine ungeklärte Sicherheitsfrage bei der Lagerung auf die Menschheit zukommen.

Düngung der Meere

Geradezu bescheiden muten die Pläne an, Meeresalgen als Klimaretter einzusetzen. Werden diese mit Eisensulfat gedüngt, entziehen sie der Atmosphäre deutlich mehr Kohlendioxid. Sinken die Algen auf den Meeresboden, reduziert sich der CO2-Gehalt. Das Konzept hat nur einen Schönheitsfehler: Bei sämtlichen Versuchsreihen sank der Grossteil des Eisensulfats auf den Meeresboden, ohne dass es die Organismen vorher zur CO2-Aufnahme anregen konnte. Und die Folgen für den Mikrokosmos Ozean sind nicht absehbar. Noch rufen die Umweltschützer lauter ‹Halt, Gefahr› als die Wissenschaftler ‹anpacken›. Das dürfte noch eine Zeit lang so bleiben. Aber nach immer mehr Wirbelstürmen, nach immer mehr Flutkatastrophen, nach immer mehr wirkungslosen Appellen an die Vernunft und nach immer neuen Studien, die eine beschleunigte Erderwärmung feststellen, werden die Klimaklempner gefragt sein: ‹Machen Sie einen Kostenvoranschlag.› Text: Jens Dierolf Illustration: Raffinerie

Plastikplanen in der Wüste

Andere Wissenschaftler sehen schwimmende Kunststoffteile in den Ozeanen oder riesige Plastikplanen in den Wüsten als Alternative. Es genüge, die Sonnenstrahlen von der Erde ins All zurückzuwerfen und nicht bereits am Himmel. Auch wie sich dieser Eingriff in den Wetterkreislauf auf Pflanzen oder Tiere auswirkt, lässt sich kaum vorhersagen. Genaue Untersuchungen fehlen. Unklar ist noch, welche Technik gigantische MenEinige Institute für Klimaforschung halten es gen Schwefel in die Stratosphäre befördern könnte. für technisch machbar, den Treibhauseffekt mit Alan Robock von der American Geophysical Union riesigen Türmen zu bremsen, die das Klimagas

Raketen zur Klimarettung

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