Das verscherbelte Erbe

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Initiative: Pro Bahnhof Drahnsdorf

11.11.2013

Das verscherbelte Erbe Wieder einmal sollen Bahnhöfe geschlossen und ganze Regionen abgehängt werden. Ein infrastrukturelles und kulturpolitisches Desaster. Erzählt wird dies auch am Beispiel des Drahnsdorfer Bahnhofs.

Schließung der Bahnhöfe: Die Gründe dafür scheinen erstmal nachvollziehbar

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Die Argumentation ist nicht stichhaltig und lenkt von der Verantwortung ab

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Und: Aktuelle Entwicklungen werden übersehen, Potentiale werden ignoriert

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Was ist dann der eigentliche Grund für die drohende Stilllegung des Bahnhofs?

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Bildquelle: akpool.de

Postkarte aus der Jahrhundertwende. Damals waren die Dörfer an der Strecke nach Dresden gern besuchte touristische Reiseziele.

Das verscherbelte Erbe

Wieder einmal sollen Bahnhöfe geschlossen und ganze Regionen abgehängt werden. Ein infrastrukturelles und kulturpolitisches Desaster. Erzählt wird dies auch am Beispiel des Drahnsdorfer Bahnhofs.

01. Sechzig Bahnhöfe sind bedroht. Die Gründe für die Schließung scheinen zunächst nachvollziehbar: An einem sommerlichen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen wurde die Nachricht an uns von der Nachbarin herangetragen. »Der Bahnhof in Drahnsdorf soll geschlossen werden!« Sie hätte es gestern im Radio gehört. Die Entscheidung sei schon so gut wie gefallen. Es trifft uns wie ein Schlag. Wir waren vor einem Jahr nach Drahnsdorf gezogen. Wegen der wunderschönen Landschaft, aber auch wegen der direkten Anbindung an Berlin. Wieder bei uns angekommen und immer noch etwas benommen, machen wir uns im Internet auf die Suche. In der Onlineausgeabe des Märkischen Kurier vom 14.07.13 lesen wir: »sechzig bahnhöfe stehen auf der roten liste. für zwölf der sechzig stationen sieht es besonders schlecht aus« Wir geben diese Neuigkeiten an Nachbarn und Bekanne weiter. Die ersten Reaktionen deprimieren uns: »Diesen Kahlschlag gibt es schon seit Jahren «, »Die machen doch sowieso, was sie wollen«, »Jetzt sind wir eben dran«. »Alles klar...« ist unsere erste Reaktion. »...dann lass uns wieder weg von hier. Alles andere wäre auf Dauer unvernünftig«. Doch hinter diesen resignativen Mitteilungen wird auch Wut spürbar. Sie speist sich aus Jahren frustierender Entmündigung und daraus, dass man sich mit Recht ungerecht behandelt fühlt. Dies läst sich anfangs nur schwer in Worte fassen, denn zuerst sieht es so aus, als wären die plausiblen Argumente auf der Seite der Schließungsbefürworter: Diese lauten: 1. Die Nachfrage ist zu gering. Fünfzig Fahrgäste müssten es schon sein. 2. Busverbindungen könnten den Bahnhalt ersetzen 3. Der Unterhalt der Bahnhöfe ist außerdem zu kostenintensiv.

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Zum 1. Argument: Wir haben uns in Drahnsdorf umgesehen, haben die Betroffenen befragt und in der Geschichte dieser Strecke recherchiert. Da ist uns Folgendes deutlich geworden: Der Bahnhof war in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend unattraktiv gemacht geworden. Die geringe Nutzung des Bahnhofs hängt nämlich wesentlich damit zusammen, dass das Angebot kaum ausreichend ist. Wir hören Aussagen wie: »Unsere Fahrradtouristen weichen jetzt auf Uckro aus, weil es für sie in Drahnsdorf zu riskant ist einen Zug zu verpassen. Sie müssten zwei Stunden auf den Anschlusszug warten« (Betreiber der Bachmühle). »Ich habe mir ein Auto angeschafft, da ich sonst über eine Stunde auf die Rückfahrt von der Arbeit nach Drahnsdorf warten muss (Einwohner).« »Ich fahre mit dem Auto, weil ich sonst abends nicht mehr zurück komme« (Betreiber der Dammmühle). »Ich würde gerne wieder in den Ort meiner Eltern ziehen, aber es gibt keine guten Anschlüsse« (gebürtige Drahnsdorferin, jetzt in Berlin wohnend). Noch in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts konnte man vom Anhalterbahnhof in Berlin in weniger als einer Stunde nach Drahnsdorf kommen. Heute benötigt die Bahn, – auch wegen umständlicher und äußerst fragwürdiger Streckenführungen – beinahe eineinhalb Stunden. Seit der 1990 hält die Bahn nur noch alle zwei Stunden (und wegen Verzögerungen zumeist unpünktlich, siehe dazu Seite 3) in Drahnsdorf, obwohl sie stündlich halten könnte. Denn die Regionalbahn fährt stündlich am Bahnhof Drahnsdorf vorbei. Die letzte Bahn verläst Berlin um 21 Uhr, sodass in Berlin kein Abendprogramm oder Abendbesuch möglich ist. Die Konsequenz ist: Viele Drahnsdorfer und die im Umland betroffenen Einwohner mussten mit den Jahren auf das Auto ausweichen, wenn sie sich das finanziell überhaupt leisten konnten. Aus diesem Grund muss erst einmal das Angebot verbessert und die potentielle Nachfrage ermittelt werden, bevor man durch stumpfes Zählen von Fahrgastzahlen die angeblich reale Nachfrage proklamiert. Wir fordern deshalb, dass das Angebot nicht abgeschafft, sondern verbessert werden muss! Wir halten die Argumentation der Bahn geradezu für zynisch. Es wird den Gemeinden und ihren Einwohnern etwas vorgeworfen, für das sie keine Verantwortung tragen. Ganz im Gegenteil: Die Bahn und die für diese Entwicklickung zuständigen Entscheidungsträger haben diese unbefriedigende Situation selbst geschaffen. Das 2. Argument ist ebenfalls fadenscheinig: Denn der Ersatz der direkten Bahnverbin dung durch Buslinien kann nicht annähernd zufriedenstellend funktionieren. Die Fahrzeit würde drastisch erhöht werden. Auch den sehr großen älteren Bevölkerungsanteilen auf dem Lande sind die immer komplexer und komplizierter werdenden Bus- und Bahnverbindungen mit ihren langen Wartezeiten nicht zuzumuten. Sie bleiben dabei wortwörtlich auf der Strecke. Erstens ganz konkret: Wenn sie ihren Anschluss verpassen. Und zweitens im übertragenen Sinne: Denn sie würden eine deartige Option wohl kaum mehr nutzen. {Zusätzliche Buslinien stellen im übrigen nur eine Kostenverlagerung da, ebenso wie die zusätzlichen Vergütungsanreize für Ärzte in den abgehängten Regionen. Von den dann obsolet gewordenen staatlichen und europäischen Fördermitteln für die Region mal ganz abgesehen}. Und da wir schon bei Kosten sind:

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Auffällig ist, das ausgerechnet auf der Strecke nach Elsterwerda (auf der auch Drahnsdorf liegt) bei vielen Haltestellen ein „akuter Entscheidungsbedarf ”(= weißer Punkt) besteht: Dies liegt nicht nur daran, dass die Bummelbahnen stören, wenn die Strecke für Hochgeschwindigkeitszüge ausgebaut wird. An vielen Haltestellen wurden nach der Wende schwerwiegende Planungsfehler gemacht, die ungern offen gelegt werden. In vielen der weiß gekennzeichneten Ortschaften wurde einer von zwei Bahnsteigen – obwohl funktionsfähig – stillgelegt, so dass der Bahnverkehr seitdem jedesmal umständlich über insgesamt acht Weichen pro Haltepunkt auf den noch verbliebenen Bahnsteig umgelenkt werden muss. Dies führt nun auf der – eigentlich zweigleisigen Strecke– regelmäßig zu Verzögerungen weil durch die „Wegrationalisierung” im Haltebereich nur noch ein Gleis genutzt werden kann. Die Ursachen für diese unglückliche Entscheidungen werden wahrscheinlich in den kurzfristige Kosteneinsparungen und in den mangelnde Absprachen zwischen den unterschiedlichen verantwortlichen Stellen zu suchen sein. (Auskunft: E. Schröter, Reichsbahnhauptrat a. D.).

Entwurf Landesverkehrsplan 2013-17, Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft

Betrachten wir das 3. Argument: Der Unterhalt der Bahnhöfe ist zu kostenintensiv”. Im Märkischen Kurier vom 31. August 2013 erfahren wir dazu, dass das Land für einen der betroffenen Haltestationen an die zuständige Bahntochter Station & Service im Schnitt 50.000 Euro für den Unterhalt bezahlt. (Das Bahnhofsgebäude selbst ist ja längst stillgelegt geworden). Damit ist – bei genauerem Hinsehen- vor allem das regelmäßige Ausleeren der Müllkörbe gemeint. {Ich habe einmal nachgezählt: Es sind insgesamt acht Tüten in Drahnsdorf, die ausgewechselt werden müssen}. Wer würde bei dieser üppigen Vergütungspraxis nicht gerne diese Arbeit übernehmen? Zumal in einer so einkommenschwachen Region wie in Brandenburg? In dem Märkischen Kurier wird ergänzend zum „Kosten-Argument” weiter ausgeführt: »hinzu komme etwa die gleiche summe für den zusätzlichen energieaufwand des bremsens und wiederanfahrens«. Doch auch diese veranschlagte Summe für das Abremsen und wieder Anfahren ist allerhöchstwahrscheinlich viel zu hoch gegriffen, denn mittlerweile gibt es technische Systeme, die diesen Vorgang wesentlich ernergie- und kostensparender bewerkstelligen können. Damit ist denn auch dieses dritte Argument der Bahn, dass auf den von ihr selbst geschaffenen, fragwürdigen »Tatsachen« gründet, haltlos geworden.

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02. Doch sind die Argumente nicht stichhaltig und lenken von der eigentlichen Verantwortung ab Bemerkenswert ist nicht nur, dass die Argumente bei längerer Recherche vollständig ihre Stichhaltigkeit verlieren. Erstaunlich ist auch, wie durch diese über die Medien verbreitete „Argumentationsstrategie” von der eigentlichen Problematik abgelenkt worden ist: Denn es ist eine zentrale Aufgabe und Verantwortung der Politik und mithin auch der Bahn, die dafür sehr viel Steuergelder erhält, strukturschwache Gebiete zu fördern. Ich möchte aus einer Reihe von Schriften, die dazu von politischer Seite im Internet veröffentlicht wurden, nur eine zitieren. Urheber dieses Schriftstückes ist der deutsche Städte und Gemeindebund (DStGB Dokumentation No 77, Politik für ländliche Räume): »die stilllegung von bahnverbindungen stellt (daher) eine eklatante fehlentwicklung dar, die insbesondere die ältere bevölkerungsschicht negativ trifft. es ist daher unabdingbar, dass die zur sicherung der mobilität im öffentlichen personennahverkehr notwendige finanzielle absicherung durch bundes- und landesmittel gestärkt wird«. Zu diesem Themenbereich gesellen sich Verordnungen und Gesetze, welche die Schiene gegenüber dem motorisierten Individualverkehr aus Gründen von „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ (ÖPNV Fördergesetz) als besonders förderungswürdig betrachten. Vor allem aber Regelungen zur „Sicherung der Daseinsvorsorge”. In einer Veröffentlichung vom Städte- und Gemeindebund Brandenburg steht dazu geschrieben, dass diese infrastruktuellen Entscheidungen in jedem Fall von der »bevölkerung der region mitgetragen werden« muss. Sie sollten gleichfalls mit den »vorhandenen regionalen entwicklungszielen« der betroffenen Orte und Gemeinden abgestimmt sein. Und sie dürfen sich keinesweges auf eine »reduzierung des angebots beschränken, sondern müssen (!) neue angebotsformen und effiziente organisationsstrukturen hervorbringen«. (http:// www.bbr.bund. de/ veroeffentlichungen/ download/ soeff_daseinsvorsorge.pdf) Soweit zum Thema „Aufgaben und Verantwortung”. Wir fassen zusammen: Dieses perspektivlose und nur vordergründig plausible Effizienzdenken wird der infrastrukturellen Verantwortung nicht gerecht. Und das ist der allerwichtigste Punkt, den man im Entscheidungsvorgang mal einfach unter den Tisch hat fallen lassen. 03. Aktuelle Entwicklungen werden übersehen, Potentiale werden ignoriert. Man könnte einwenden und das wäre durchaus nachvollziehbar: Das bei so gut wie schon entvölkerten Gebieten nur noch eine „Zentralisierung der infrastrukturellen Angebote“ zur Erhaltung der noch vorhanden „Siedlungskerne” wirtschaftlich sinnvoll erscheint. Bei den von der Schließung bedrohten Bahnhöfen – und dies trifft nun im besonderen Maße auch auf Drahnsdorf zu – sieht die Situation jedoch ganz anders aus: Nach Jahren sinkender Einwohnerzahlen füllen mehr und mehr Berliner, Wieder-Brandenburger und aus anderen Regionen Zugereiste den Leerstand aus. Drahnsdorf hat seit einigen Jahren sogar die reale Chance zu einem Teil des sich erweiternden Zuzugsgebietes für den Ballungsraum Berlin zu werden.

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So gibt es bereites in Drahnsdorf und seiner Umgebung durch den Zuzug der letzten Jahre eine Entwicklung verschiedenster Projekte im kulturuellen, therapeutischem und alternativ landwirtschaftlichen Bereich. In der Endstehungsphase befinden sich: das Kulturzentrum Neue Mühle Dahmetal, der Projektraum Drahnsdorf, Werkstätten in Drahnsdorf, Ferienwohnungen in Drahnsdorf. Diese Projekte ergänzen die schon vorhandenen Projekte: die Dammmühle, die Oase-am-Wind und die Bachmühle. Dies ist kein Zufall!: Denn vor dem Hintergrund rasant steigender Immobilienpreise in Berlin und auch aufgrund der guten Anbindung an den Schönefelder Flughafen gewinnen die vielen leer stehenden und noch günstigen historischen Immobilien in der reizvollen, ländlichen Umgebung zunehmend an Attraktivität, soweit sie denn über die öffentlichen Nahverkehr einigermaßen zugänglich sind und bleiben! Und dies meint in der Regel, dass die Fahrtstrecke nicht wesentlich mehr als eine Stunde betragen sollte und der Ort regelmäßig und dh. in etwa stündlicher Frequenz angefahren werden kann. Ich habe einige Dutzend Berliner dazu befragt. Viele würden die ländliche Umgebung den engen, kleinstädtischen Randgebieten vorziehen. Entscheidend für sie ist die Zugänglichkeit über öffentliche Verkehrsmittel und nicht nur die gute Autobahnverbindung für den motorisierten Individualverkehr (schon allein wegen der steigenden Benzinpreise)! Und ganz anders, als wie dies in den letzten Jahrzehnten im direkten Umland von Berlin geschehen ist wäre eine Zersiedelung der Landschaft durch Neubau unwahrscheinlich: Die Stadtbevölkerung, die es heute in ländliche Gegenden treibt, möchte die Landschaft und die dörfliche Kultur erhalten. Sie tut dies durch Instandsetzung der vielfach heruntergekommen Gebäude. Sie rettet baufällig gewordene Bauernhöfe, bewirtschaftet in kleinen Teilen brach liegende Äcker und Gärten – vor allem auch unter ökologischen Gesichtspunkten. Sie ist interessiert an der alten baulichen Substanz und Schönheit der Gebäude, saniert oft denkmalgerecht und leistet damit einen wesentlichen Betrag zur Sicherung des regionalen Handwerks. (Dies ist ein relevanter Faktor, der beispielsweise im Luckauer Arbeitsamtsbezirk die Arbeitslosenquote konstant niedrig hält.) Und damit kommen wir zu einem weiteren Aspekt, welcher Drahnsdorf und sein Umland für Berliner zunehmend attraktiv macht, dem Tourismus: Die Dörfer, die dort zwischen den Ausläufern des Fläming und den Lausitzer Höhen gelegen sind, werden von der Dahme und ihrem Tal, von Mühlen, alten Feldsteinkirchen, Vierseitenbauernhöfen, einigen Gutshäusern und den angrenzenden Hügeln geprägt. Der Flämingskate, der Dahme-Radweg und der Gurken- und Kranichradweg sowie die Kirchenradwege des Förderkreises „Alte Kirchen der Luckauer Niederlausitz” sind vom Bahnhof Drahnsdorf sehr gut erreichbar. Reisende von Berlin aus haben hier erstmals das Gefühl, wirklich das freie Land erreicht zu haben!

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Der ehemalige Gutshof von Drahnsdorf wird von uns Schritt für Schritt renoviert, damit dort Projekte und Seminare stattfinden können. Die Studenten, die diesen Sommer zu uns gekommen sind, sind auf die direkte Bahnanbindung angewiesen.

Studenten beim Bewegungsworkshop in Drahnsdorf.

Die noch historisch erhaltene Rückseite des Gutshofs.

Es ist deshalb absehbar, dass die besondere landschaftliche Schönheit des Dahmetals bei Drahnsdorf in Zukunft durch weitere gastronomische und kulturelle Angebote ergänzt werden wird. Diese entstehen erfreulicherweise oft auch in Zusammenarbeit von Einheimischen und Zugereisten, wie z.B. die Zickauer Kirchenkonzerte oder der Kultursommer 2013 des Vereins „Neue Mühle Dahmetal”. Beide Veranstaltungsorte liegen in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Drahnsdorf und somit ohne Auto für Berliner erreichbar.

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Der Bahnhof grenzt direkt an Wiesenland. Steigt man im Berliner zugebauten Stadtzentrum, ein, so ist dieser Kontrast schon ein Erlebnis.

Drahnsdorf: Wo das Land beginnt. Schon kurz nach dem Ausstieg vom Bahnhof beginnt das weite Land. Man muss nur eine Wiese und dann den Dorfweg in Richtung Schäcksdorf überqueren. Dann trifft man auf ausgedehnte Wiesen-, Wald- und Ackerflächen auf denen Sonnenblumen, Weizen und Mais angebaut werden.

Wer vom Bahnhof in Drahnsdorf aus zu dem drei Kilometer entfernten Schäcksdorf wandert, gelangt in ein Gebiet mit großen, zusammenhängenden Waldbeständen.

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Der Dahme Skater und Radweg zwischen Drahnsdorf und Wildau-Wentdorf

Drei Mühlen sind vom Bahnhof aus erreichbar Denn an Drahnsdorf fließt die Dahme vorbei. Die Bachmühle, die Dammmühle und die Neue Mühle (= Abbildungen von links nach rechts) bieten Übernachtungsmöglichkeiten und sind auf den Bahnhof angewiesen. In der Neuen Mühle finden in einem regelmäßigen Rhytmus von zwei Wochen Kulturveranstaltungen statt. Die Hälfte der Besucher kommen aus Berlin.

Für die Besucher der schön aussehenden Mühlen ist oft nicht mehr erkennbar wieviel Kreativität, Zeit und Arbeit für die Restaurierung dieser ehemals sehr baufälligen Gebäude aufgewendet werden musste.

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Nachdem wir uns von dem ersten Schock erholt hatten, planten wir mit Unterstützung unserer Nachbarin und mit ein paar weiteren Mitstreiterin eine Unterschriftenaktion in Dorf und Umland zu starten. Der Betreiber der Dammmühle Heinrich Kahlbaum hatte ermittelt, dass bis zu zweitausend Einwohner unmittelbar von der Schließung betroffen sein müssten. Wir gründeten zusammen mit der Unterschriftenaktion eine Bürgerinitiative und luden zu einer Versammlung in den Gutshof ein, den wir vor einem Jahr bezogen hatten. Schon am Abend vor der Versammlung fanden sich spontan Unterstützer ein: Die zwei Betreiber der Oase am Wind in Schäcksdorf (Aijouni Tohmas-Rotter und Siegfried Rotter), der Besitzer der Dammmühle in Wildau-Wentdorf (Heinrich Kahlbaum), ein engagierter, grüner Komunalpolitiker aus Caule (Lothar Treder-Schmidt), der uns darauf aufmerksam machte, dass diese Gegend noch nie einflussreiche „Fürsprecher” hatte. Eine Ärztin aus Liedlkahle (Steffi Ring), die auf die direkte Anbindung an Berlin ebenso angewiesen ist wie ihre nicht motorisierten, älteren Patienten, weil sie dort manchmal einem Spezialisten aufsuchen müssen. Und unsere Nachbarin (Siegrid Aisher Kintscher), die von Haus zu Haus gegangen war, um Unterschriften zu sammeln Uns allen wird an diesem Abend eines klar: Die beabsichtigte Schließung des Bahnhofs ist absurd. Wo liegen die eigentlichen Hintergründe? Doch all das war auch erschöpfend und frustierend. Denn was sind die nächsten Schritte? Wohin soll man sich wenden? Wer sind die Verantwortlichen? Der Verkehrsminister?, die Landräte?, die Abgeordneten?, der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin Brandenburg (VBB) oder sein Pressesprecher? Oder doch gleich die BundeskanzlerIn? Denn umso mehr man nach den Hintergründen fragt, desto deutlicher wird: Es geht nicht nur um Drahnsdorf. Es geht um ein ganz grundsätzliches Problem, eine ganz fundamentale, infrastrukturelle Fehlentwicklung in Brandenburg, im ganzen Land! Die Vollversammlung am kommenden Tag machte ihrem Namen alle Ehre. Wir suchen nach den letzten verbleibenen Stühlen in unserm Haus. Es passen gar nicht alle in den Versammlungsraum, der immerhin 80qm groß ist. Das Dorf, das uns bisher oft menschenleer erschien, hat also doch noch Einwohner. Es ist ein schöner Abend und wir erfahren, wie sehr die Drahnsdorfer real und auch psychologisch auf den Erhalt des Haltepunktes angewiesen sind. Es gibt ältere Leute, die berichten, dass ihre Kinder und Enkelkinder über die Bahn zu ihnen kommen. Zu unserer Überraschung leben sogar Studenten in Drahnsdorf, welche die Bahnanbindung benötigen, um zur Humbold-Universität nach Berlin und zur Hochschule in Eberswalde zu kommen. Eine von den Studenten richtet noch am selben Abend eine Facebookseite ein. Dies bestätigt für uns den Trend, dass die Dörfer auch für junge Leute, sogar für Studenten wieder an Attraktivität gewinnen.

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Vollversammlung im alten Gutshof.

Lothar Treder Schmidt (Grüne) und Andreas Schulz (CDU) erläutern weshalb die Erhaltung des Bahnhofs wichtig ist.

Bereits zwei Tage nach Veröffentlichung der Facebookseite (facebook.com/pages/Pro-Bahnhof-Drahnsdorf/1411603272395745) gibt es dreihundert „Gefällt mir“ Einträge. Weniger als 24 Stunden nach der Aufforderung sich für ein Foto am Bahnhof zu versammeln, treffen sich viele Drahnsdorfer auf dem Bahnsteig ihres Bahnhofs.

Auch zunehmend mehr Berliner beginnen die Gegend rund um Drahnsdorf für sich zu entdecken. Im Oktober haben sie sich als »Freundeskreis Pro Bahnhof Drahnsdorf« auf dem Bahnhof eingefunden um ihre Solidarität zu bekunden.

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Das Bahnhofshaus: Verscherbelt zum Verschrotten ?

Durch den Verkauf von Fenstern, Türen und Dielen könnte der neue Eigentürmer bei Verschrottung den halben Kaufpreis wieder reinholen. Historische Bauelemente sind teuer und gefragt. Durch ein undichtes Dach ist Wasser eingetreten und hat die Dielung zerstört.

Das historisch wertvolle Bahnhofsgebäude ist vor einiger Zeit verkauft worden. Türen stehen offen. Das Verkaufsschild hängt noch an der Fassade. 15.000 Euro hatte ein Maklerbüro in der Mainmetropole dafür verlangt. Auskünfte über den neuen Besitzer werden vom Maklerbüro verweigert. Es ist anzunehmen, dass das Gebäude ohne Vorort-Besichtigung verhökert wurde. Wer diese Informationen zusammen betrachtet, spürt, dass dies so nicht laufen darf. Fragen tauchen auf: Kann der neue Eigentümer das Gebäude nun abreissen lassen? Wartet er auf bessere Zeiten oder auf einen teuren Rückkauf mit Steuergelden? Nämlich dann, wenn wir begriffen haben, das zentral gelegene Kulturgüter – die einmal eine wichtige soziale und kommunikative Funktion eingenommen hatten – nicht für ein paar Euro verscherbelt werden sollten.

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Freundliche Inbesitznahme des Bahnhofs, August 2013

Mit 50.000 Tausend Euro geht mehr als Tüten leeren.

50.000 Euro im Jahr für das Entleeren leerer Tüten? Der ausgegründeten Bahntocher Station & Service mag das gefallen. Doch dieser Betrag könnte auch reichen um das Gebäude wieder zu beleben. Etwa, indem man ihn engagierten jungen Architkten zu Verfügung stellt oder Hochschulen anschreibt, um mit Studenten alternative Nutzungskonzepte zu entwickeln. Da ich selber solche Projekte leite, in denen unterschiedliche Menschen und Methoden zusammenkommen, um kreativ und innovativ Probleme zu lösen, weiß ich, dass das möglich ist. Weshalb nicht auch die Menschen aus dem Dorf fragen? Und mit Interessierten aus Berlin zusammen bringen? Oder Patengemeinschaften für den Bahnhof gründen? Das Gebäude hat Potential, die Vergemeinschaftung von Menschen, die vielleicht nicht das Geld haben- aber dafür die Ideen- erzeugt noch mehr Potential.

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04. Was nun ist der eigentliche Grund für die drohende Stilllegung des Drahnsdorfer Bahnhofs? Der eigentliche Grund findet sich nicht in den Kurzmitteilungen der Presse. Ein etwas längerer Artikel der Morgenpost vom 15.07.2013 gibt Auskunft auf die Frage weshalb ausgerechnet bei zwölf der sechzig gefährdeten Bahnhöfe ein „konkreter Entscheidungsbedarf ” besteht: »im fokus stehen beim vbb insbesondere stationen, die an bahnstrecken liegen, die in den nächsten jahren ausgebaut werden sollen. in deren modernisierung müsse erheblich investiert werden.« Damit ist z.B. der sich seit zwanzig Jahren hinschleppendeAusbau der Strecke Berlin–Dresden gemeint. {Zu diesen Modernisierungskosten ist bezüglich Drahnsdorf Folgendes erwähnenswert: Ein Ausbau würde vorraussichtlich geringe Mehrkosten durch eine notwenige Unterführung verursachen. Denn der vom Bahnhof nur zwanzig Meter entfernte Bahnübergang für den Autoverkehr müsste bei Ausbau der Strecke sowieso einem Tunnel weichen. Dieser könnte sicher mit nur geringen Mehraufwand auch als Zugang der Fahrgäste zu den Bahngleisen genutzt werden}. Der Streckenausbau ist wahrscheinlich der eigentliche Grund: Oder anders formuliert: Weil die Bahn bei ihren ehrgeizigen und fragwürdigen Großbauprojekten – man denke dabei auch an Stuttgardt 21 – Kosten sparen will, sollen wieder einmal und im großen Umfang berechtigte Bürgerinteressen auf der Strecke bleiben. Und dabei ist Drahndorf kein Einzelfall, sondern eben symptomatisch für eine Verkehrspolitik und Verkehrsplanung, die für viele Bürger in diesem Land zunehmend fragwürdig geworden ist. Für kostspielige Prestige- und Leuchturmprojekte werden Milliarden investiert, aber das kulturelle Erbe, dass die kalten „Technobürokraten” der Bahn angetreten haben, ist dabei seit Jahrzehnten auf der Strecke geblieben. Bahnhöfe, die ebenso wie Kirchen oder Burgen erhaltenswerte kulturhistorische Zeugnisse sind, hat man verkommen lasssen. Sie werden immer noch für wenige tausend Euro an Spekulanten verscherbelt, die niemand kennt, die den Bahnhof zumeist selbst nicht kennen, weil sie heute immer häufiger im Ausland sitzen. Wenn man in der Bahngeschichte recherchiert oder auch nur die alten Postkarten betrachtet, dann läßt sich leicht nachvollziehen, das Bahnfahren einmal ein schönes Erlebnis war. Und oft sogar war der Weg das Ziel. Brandenburg hatte eine mal die höchste Bahnhofsdichte und Berliner sind um die Jahrhundertwende bis in die dreissiger Jahren gerne an Wochenenden aufs Land gefahren –weiter weg noch als dies heute üblich ist – weil sie damit etwas Positives verbunden haben und dazu gehörten auch die Bahnhöfe, die mit viel Aufwand von besonders fähigen Architekten errichtet worden waren und heute im Grunde fahrlässsig bis sträflich vernachlässigte Baudenkmäler sind. Wie konnte es soweit kommen?: 05. Der Fehler liegt im System. Es ist immer noch am meisten und am liebsten für sich selber da. Wenn nur ein Bruchteil der vielen Milliarden von Stuttgart 21 in Initiativen gesteckt worden wäre, um diese alten Kulturen wiederzubeleben oder Ideen rund um die Bahnhöfe zu fördern, dann sehe die regionale Infrastruktur in Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern heute anders aus. Wieviel kostet es heute Regionalbahnen mit Internet auszustatten? Wie kann man das Bahnfahren mit weit weniger Aufwand bequemer und angenehmer machen? In anderen Unternehmen haben sich neue Kulturen der Beteiligung, der Bedürf13


© Creative Commens Licence: Norbert Kaiser

Drahnsdorf ist überall. So auch in Gottleuba. Überall verkommen Bahnhöfe so lange bis sie abgerissen werden müssen. Und die anliegenden Gemeinden werden mit der Schließung der Haltestellen gleich mit abwickelt. So sieht der Bahnhof in Gottleuba heute aus. (linke Abbildung) © Scan von Norbert Kaiser (Quelle: Wikipedia, Bahnstrecke Pirna–Gottleuba)

nisorientierung, der Innovation anstelle eines „kurzsichtigen Kosteneinsparungs-Aktionismus” etabliert. Diese Unternehmen sind erfolgreich. Ihnen wird die Zukunft gehören! Bei der Bahn wird immer noch beim regionalen Zugverkehr am liebsten „weg-optimiert”, weil man keine Ideen hat und keine Ideen „von aussen” zuläßt. Das ist ein Desaster und bis jetzt findet von politischer Seite zuwenig Intervention gegenüber diesem deprimierenden Misstand statt. Es mag durchaus richtig sein, die Strecke von Berlin nach Dresden so auszubauen, dass die Fahrzeit nicht viel mehr als eine Stunde beträgt. Man wäre dann ja annähernd auf dem Stand, wie es schon vor etwa hundert Jahren war. Aber vor einhundert Jahren war es auch möglich in weniger als einer Stunde nach Drahnsdorf aufs Land zu fahren. Weshalb soll das heute nicht mehr möglich sein? Vielleicht ist dies auch das letzte Mal, dass sich die Drahnsdorfer an ihrem Bahnhof vesammelt haben und sich hier breiter Protest regt. Wenn diese für uns nicht nachvollziehbare und für die Region fatale Entscheidung dann doch gefällt werden sollte, wird der Ort möglicherweise wieder zurück in diese seltsam melancholische Verschlafenheit fallen, die auf Zugereiste etwas verstörend wirken kann. Heute können wir besser verstehen, warum dies hier so ist. (Cyrus Khazaeli) 14


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