#sbsm Fallbsp Diskussionsarchiv

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Protest Arbeitnehmer Betriebsrat Mobilisierung Gegenöffentlichkeit Kampagnen WatchBlog Vernetzung

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UG02-Novelle ­Diskussionsarchiv

Transparentes Wissensmanagement mit gesellschaftlichem Mehrwert «Wenn Leute aufgerüttelt werden, das ist der Genuss.» Thomas Bernhard

Ein Blog, das sich ursprünglich an die Belegschaftsvertretungen in den österreichischen Universitäten richtet, wird in Zeiten permanenter Hochschulreformen zur Top-Informationsquelle für alle, die sich mit Universitätspolitik und Mitbestimmung beschäftigen. Wie so etwas funktionieren kann, soll im Weiteren exemplarisch erläutert werden. Die Hauptrolle dabei spielt das «UG2002-Novelle, Diskussionsarchiv» oder kurz UG02-Blog, dessen Gründer und treibende Kraft, Betriebsrat Karl Heimberger, zum Zeitpunkt des Starts des UG02-Blogs bereits das «MedUni Wien-Blog» betreibt. Dieses "Betriebsratsblog der Medizinischen Universität Wien" geht so wie das UG02-Blog weit darüber hinaus, nur ein Informationsportal für die Arbeitnehmer_innen einer Belegschaft zu sein und bietet Einblicke in Themen und Felder von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Es wird eine Nebenrolle in diesem Bericht spielen. Widerstand gegen den Ministerentwurf der Universitätsgesetz-Novelle Anfang 2008 legte der damalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) einen Gesetzesentwurf mit dem Titel «UG-Novelle zur Weiterentwicklung der Universitäten» vor, der auf breiten Widerstand stieß. Die Mehrheit der Betroffenen an den Universitäten sah darin alles andere als eine


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Weiterentwicklung im positiven Sinne, sondern vielmehr einen Rückschritt. Die Novelle würde die nach dem Universitätsgesetz 2002 (UG 2002) verbliebenen kargen Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung des Personals weiter beschneiden, war der Tenor der Stellungnahmen. Karl Heimberger denkt angeregt durch ein Gespräch mit dem damaligen Wissenschaftssprecher der SPÖ, Josef Broukal, an ein Blog als Diskussionsarchiv für die Betriebsräte und Belegschaften aller österreichischen Universitäten. Der SPÖ-Wissenschaftssprecher war in diesen Tagen mit der Ausarbeitung eines alternativen, auf die Vorstellungen des universitären Personals eingehenden Gesetzesentwurfs beschäftigt. So startete das «UG2002-Novelle, Diskussionsarchiv»-Blog im Frühsommer 2008 mit der Darstellung und Gegenüberstellung des Ministerialentwurfs mit dem alternativen Entwurf. Ziel und Umsetzung des UG02-Blogs Als Ziel des UG02-Blog wurde folgende Stellungnahme formuliert: «Einer Interessengemeinschaft von Mitgliedern und Vertreter_innen des wissenschaftlichen Personals und der externen Lektor_innen der österreichischen Universitäten soll hier eine Diskussions-Plattform zur Verfügung gestellt werden, um in Zukunft sinnvolle Novellierungen des UG 2002 zu ermöglichen. Es soll Beiträge, Meinungen und Kommentare unterschiedlicher Personen und Interessengruppen zur Novellierung des UG 2002 enthalten und übersichtlich versammeln. Das Blog hat in diesem Sinne keine parteipolitische Linie. Divergierende Meinungen sind möglich und gewünscht.» Die Überparteilichkeit wurde konsequent umgesetzt, obwohl Blog-Gründer und Betreiber Karl Heimberger, Mitglied des MedUni-Betriebsrates, dem Thema natürlich nicht meinungslos oder neutral gegenüberstand. Das UG02-Blog ist Teil einer Kampagne gegen die Vorstellungen des Ministers zur Novellierung des UG 2002, gegen die geplanten Inhalte und gegen die Art, in der diese Novelle möglichst rasch durchgedrückt werden soll. Trotzdem sind über den Blog auch "gegnerische" Stellungnahmen abrufbar. Gleich daneben sind die Stellungnahmen von Parteien, Institutionen, Interessenvertretungen usw. veröffentlicht – wesentlich leichter auffindbar als etwa auf den Websites von Parlament oder Ministerium. Ergänzt werden die juristischen Texte durch die Dokumentation aller relevanten Aussagen aus Regierungsprogrammen, parlamentarischen Enqueten und Nationalratssitzungen, durch die offenen Briefe oder Statements von Rektoraten, Wissenschaftssprecher_innen, Verbänden, Betriebsratskörperschaften und ab Oktober 2009 auch der #unibrennt-Protestbewegung . Ebenfalls umfassend dokumentiert sind die Medienberichte zum Thema, in Ausschnitten zitiert und zu den Quellen verlinkt. Im Lauf der mehr als zwei Jahre, die das Blog mittlerweile online ist, wurde es dadurch zum unverzichtbaren Archiv für alle, die im Nachhinein zum Thema Universitätsreform recherchieren (müssen), egal, ob das nun Studierende, Politiker_innen oder Journalist_innen sind. Diskussionsforum, Archiv und Kontrollinstanz Ganz so trocken und fachlich, wie das jetzt vielleicht scheinen mag, geht es aber nicht immer zu. Zwar führen Links zu all den erwähnten Dokumenten, viele davon im Blog herunterladbar, die Beiträge im Blog sind aber alle dem Medium entsprechend aufbereitet: kurz und leicht verständlich, auch für Menschen, die nicht täglich mit Universitätsbetrieb und -organisation beschäftigt sind. Auch für persönlich gefärbte Einschätzungen und Polemik ist Platz im Blog, etwa wenn kritisiert


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wird, dass Politiker ihre eigenen Veranstaltungen schwänzen: «11. April 2008: Parlamentarische ­Enquete zur UG-Novelle … ohne Ministerbeteiligung. Minister Hahn, pro forma Gastgeber der Enquete, befindet sich derweilen schon auf einer Parallelveranstaltung in Linz (leerer Sitz im Zentrum der ­Regierungsbank). Sein Interesse an den Meinungen, Kritikpunkten und Wünschen der Betroffenen scheint enden wollend zu sein.»

Watchblog

#glossar

Ein WatchBlog verdankt seine Existenz in der Regel dem Umstand, dass jemand befindet, einer Sache wird weniger Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Kontrolle gewidmet, als uns gut tut. Das WatchBlog, von Englisch «to watch», «aufpassen, beobachten», ist nicht nur die chronologisch fortlaufende Dokumentation der Beobachtungen. Es ist der sichtbare Ausdruck dafür, dass eine einzelne Person, Gruppe oder Organisation es für wert befindet, dass sie sich und wir uns mit dieser Sache auseinandersetzen, weil unsere anderen gesellschaftlichen Kontrollsysteme das nicht ausreichend tun. Das WatchBlog ist damit eine spezifische Form und auch eine der wichtigsten Spielformen des "Logbuchs im Web", es ist die Selbstorganisation der Kontrollfunktion, die als Ideal für das Mediensystem postuliert wird, von den Massenmedien aber kaum geleistet wird. Ein Watch-Web-Log beobachtet kritisch, es begleitet Entwicklungen laufend und dokumentiert, wie mächtige Unternehmen, Personengruppen oder Massenmedien agieren und operieren, was sie vorgeben zu wollen, und was sie wirklich praktisch tun. So dokumentiert beispielsweise das NPD-Blog die Umtriebe der NPD, rechtsextreme Aktivitäten, Verbindungen und Netzwerke. Frontexwatch hat ein Auge auf die europäische Grenzschutzagentur «Frontex», die Migrant_innen die Fluchtwege in Richtung der "Festung Europa" auf jede erdenkliche Weise unmöglich machen soll. Das BILDblog nennt sich selbst «Ein Watchblog für Deutsche Medien» und sammelt die von journalistischen Idealen weit abweichenden Falschmeldungen der Massenmedien, was im Kleineren und für Österreich auch das Medienwatchblog «Kobuk» leistet. Ein Blog muss nicht im engeren Sinn als WatchBlog firmieren, um die Funktion zu erfüllen. Bereits vor 1999 hieß eine der wichtigsten, heute nicht mehr existierenden Seiten im Netz «WTOwatch.org». Das  annalist -Blog widmete sich der außergewöhnlichen Situation, von den Behörden bespitzelt und unter Terrorverdacht gestellt zu werden. Das wissenschaftlich fundierte surveillance-studies-Blog dokumentiert Entwicklungen und Auswüchse der Überwachungstechnologien, das dROMa-Blog zeugt auch von der Verfolgung und Repression gegen Roma, das bedeutende Netzpolitik-Blog erfüllt WatchBlog-Funktion gegen Angriffe auf ein freies Netz und das Blog von Fefe widmet sich all diesen Aspekten auf seine eigentümliche Weise. Und schließlich ist es oft die Tätigkeit kritischer NGOs, die uns Logbücher besser zu kontrollierender Vorgänge anbietet, oder ist die Rubrik «Lügendetektor» des GreenPeaceMagazins etwa kein schönes WatchBlog-Beispiel?


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Hier wird in zugespitzter Form sichtbar, wie das UG02-Blog neben Diskussionsforum und Archiv auch die bedeutende Funktion eines WatchBlogs #808 übernimmt. Weniger humorvoll, dafür in akribischer Detailarbeit äußert sich diese Kontrollfunktion bei eingehenden Vergleichen zwischen den verschiedenen Gesetzesentwürfen von Regierung und Opposition, zwischen Entwürfen und bestehender Rechtslage, aber auch – besonders entlarvend – zwischen den Plänen im Regierungsprogramm und dem schließlich eingebrachten Ministerentwurf. Von 18 Punkten, die das Regierungsprogramm vorgesehen hatte, fanden demnach zwölf überhaupt keine Berücksichtigung. Nützlich kann das UG-Blog auch für Menschen sein, denen die Universitätspolitik völlig egal ist, die aber an einem Praxisbeispiel verfolgen wollen, wie Politik funktioniert, denn hier ist der gesamte Prozess der Gesetzwerdung, der öffentlichen Diskussion usw. viel leichter nachzuvollziehen, als etwa auf www.parlinkom.gv.at. Die Archivfunktion macht es leicht, Politiker_innen mit ihren früheren Aussagen zu konfrontieren. Das UG02-Diskussionsarchiv ist ein schönes Praxisbeispiel politischer Bildung. Schneller, einfacher und übersichtlicher als Websites Die Entscheidung für ein Blog #010 war rasch gefällt: Mit Wordpress.com ist die Erstellung auch für ungeübte User leicht verständlich und die Wartung nicht anspruchsvoll. Dadurch kann im Falle eines personellen Wechsels im Betriebsrat sehr leicht jemand anderer das Blog weiterführen. Das tägliche Arbeitspensum darf allerdings nicht unterschätzt werden. Karl Heimberger erhält täglich aktuelle Presseaussendungen per E-Mail-Abo vom Presseagentur-Service, die gesichtet werden müssen. Dazu kommt die Recherche auf den Websites von Tageszeitungen und anderen Massenmedien. Thematisch passende Texte werden in das Blog genommen und verlinkt sowie meistens mit einer kurzen Einleitung oder einem Kommentar versehen. Je nach Nachrichtenlage kann der tägliche Aufwand schon auf ein bis zwei Stunden kommen. Natürlich stellt es schon einmal einen wesentlichen Erfolg dar, wenn dadurch ein Thema an die ­Öffentlichkeit kommt, wenn Diskussionen angezettelt werden. Besonders bemerkenswert ist es, wenn dann auf "herkömmliche" Medien eingewirkt wird, weil Journalist_innen, die sich sonst hauptsächlich an Ministeriumssprecher_innen wenden, auch auf andere Blickwinkel oder überhaupt auf weniger gefilterte zurückgreifen. Um diese Multiplikator_innen zu erreichen, ist einiges an ­Vorarbeit im Aufbau eines relevanten Blogs notwendig und Geschwindigkeit sehr wichtig. Aber es hat im Fall des UG02-Blogs funktioniert. Lässt sich der Erfolg messen? Der Erfolg eines Blogs lässt sich auch in Zugriffszahlen messen. UG02-Statistiken zeigen mehr als 53.000 Zugriffe, sehr viel bei einer ursprünglich angenommenen Zielgruppe von circa 250 Personen, nämlich den Betriebsrät_innen der Universitäten. Je stärker sich das politische Geschehen um die Universitäten zugespitzt hat, desto größer war das Interesse am UG02-Blog. Drei Zugriffsspitzen ragen heraus: Anfang Juni 2009, als Minister Hahn die Eckpunkte der Unigesetz-Novelle präsentiert hat. Mitte Juni 2009, als die Regierungsvorlage eingebracht wurde. Und schließlich während der Student_innenproteste im Oktober und November 2009, die unter anderem zur Besetzung des Audimax der Universität Wien geführt haben. In allen drei Fällen verdreifachten sich die sonst im Durchschnitt üblichen Zugriffsraten.


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Selbst organisierte Kampagne, Selbst organisierte Evaluation 1. Blogaufrufe: Die sicht- und messbare Zugriffserhöhung im UG02-Diskussionsarchiv während der Kampagne; dann stieg das Interesse wieder, als es um die Leistungsvereinbarungen ging und schließlich die Studierendenproteste losgingen.  2. Zu Beginn des Jahres 2010 wurde – auch im Blog selbst – die Frage gestellt, wie es mit dem Diskussionsarchiv weitergehen soll.  3. Während eines Gesellschaftspolitischen Diskussionforums (GEDIFO) präsentierte der das Diskussionsarchiv betreibende Betriebsrat seine Bilanz, was die Kampagne für eine sinnvolle und breit tragbare UG-Novelle gebracht hat.

Auch nach Hinweisen und Verlinkungen in den Medien stiegen die Zugriffszahlen in die Höhe. Wichtig ist es aber, sich auch zwischen solchen Kampagnen-Höhepunkten durch regelmäßige Blog-Einträge in Erinnerung zu halten, das erleichtert die Mobilisierung, wenn es aktuelle politische Ereignisse erfordern. Zwei Evaluationsversuche der Relevanz des UG-Blogs hat der Blog­ betreiber durchgeführt, um den Impakt seiner Arbeit besser bemessen zu können. Zum einen war der zeitliche Zusammenhang von hoher Blogzugriffszahl mit eigenen Kampagnenhöhepunkten deutlich (Interventionstätigkeit der Betriebsräte bei politisch Verantwortlichen; Gesetzesentwurfsänderungen). Zum anderen startete der Blogbetreiber Anfang 2010 nach eineinhalb Jahren Laufzeit des Blogs eine Umfrage unter den Leser_innen: «Was tun mit dem UG02-Blog?» Das Ergebnis fiel sowohl bei der Abstimmung im Blog als auch im Angesicht vieler daraufhin eingehender E-Mails eindeutig aus. Die überwältigende Mehrheit stimmte für die Option: «Weitermachen, konditionslos. Die Politiker_innen sollen wissen, was Expert_innen von dieser Uni-Politik halten!» Was waren Kampagnenziele, was wurde umgesetzt? Der größte anzunehmende Erfolg wäre natürlich die komplette Umsetzung der politischen Ziele, also etwa Rücknahme des Gesetzes oder Sicherstellung und Ausbau der Mitbestimmungsrechte, die Gleichstellung des Mittelbaus, also der Assistent_innen und anderer wissenschaftlicher Mitarbeiter_innen mit den Professoren (und den wenigen Professorinnen). Wir leben in einer Demokratie. Alles ist da selten zu erreichen. Doch wenn man sich anschaut, wie viele Ziele der Blogbetreiber_innen umgesetzt wurden, kommt da schon eine sehr beachtliche Quote heraus. Von zwölf gesetzten Kampagnenzielen #100 wurden hier sieben erreicht und die entsprechenden Punkte gingen als Änderungen in den ursprünglichen Gesetzesentwurf ein. Unter diesen Punkten ist etwa das Stimmrecht der Betriebsräte im Unirat, eine Ausweitung der Professor_innen-Kurie und auch, dass der knapp zuvor abgeschlossene Uni-Kollektivvertrag nicht unterlaufen werden darf sowie die geänderte Zusammensetzung des Uni-Senats, das Ende des 51-Prozent-Diktats der zahlenmäßig kleinen Professor_innen-Kurie. Unerfüllt blieben im Juni 2009 hingegen Forderungen nach einer direkten Wahl der Rektoren durch "Uni-Versammlungen" oder jene nach Verhinderung der parteipolitischen Besetzung der Uni-Räte.


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Nicht erreicht wurde die Abschaffung der Kurien-Universität und die Vermehrung der Mitbestimmungsmöglichkeiten mittels Verwirklichung des Faculty-Universität-Modells. Manche Kampagnenziele sind weiter aufrecht. Im Sommer 2010 befand sich der Blog wieder mitten in einer Kampagne zur Abschaffung der Kurienuniversität und zur gesetzlichen Verankerung der Faculty-Universität. Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, im Gegensatz zu ihren Amtsvorgänger_innen keine Gegnerin dieses Modells, hat eine ganztägige Konferenz zur Faculty-Universität für Jänner 2011 anberaumt. Sie selbst hält dieses Universitätskonstrukt für ein Mittel zur Attraktivitätssteigerung von universitären Arbeitsplätzen und zur Förderung junger Forscher_innen. Karl, noch als Nationalratsabgeordnete, in einer Enquete im Jahr 2008: «Das ist deshalb sinnvoll, weil unser Kurienmodell in der heutigen Universität ausgedient hat. Es ist ein historisches Relikt, das ist heute ja schon mehrfach angesprochen worden, wir müssen also davon abgehen.» Und noch ein Diskussionsarchiv mit gesellschaftlichem Mehrwert Nicht an Betriebsräte aller verschiedenen Unis, sondern an das wissenschaftliche Personal der MedUni Wien richtet sich das andere, noch länger laufende Blog, das des Betriebsrats der MedUni. Die Existenz der MedUni Wien als eigene Universität ist eine direkte Folge der Universitätspolitik: Sie wurde mit 1. Jänner 2004 von der Universität Wien abgespalten. Ab 2015 soll eine gemeinsame Betriebsführung MedUni/AKH die Geschäfte übernehmen. Eines der bestimmenden Themen dieses Blogs also: «Diese eine Seite dient der Information über Fortschritt (oder Stillstand) der Gespräche ­zwischen Gemeinde, AKH, MedUni Wien und Ministerium über die zu planende gemeinsame Betriebs­ organisation und über die Betriebsratsvorschläge dazu.» Hier besteht eine Situation, in der Universitätsangehörige vom "Arbeitskräfteüberlasser" MedUni dem wichtigsten Krankenhaus Österreichs so zugeschoben werden, die für beide Institutionen und alle Beteiligten Nachteile bringt. Es kommt zu unerlaubten Querfinanzierungen des Krankenhauses durch die Uni. Es kam wiederholt zu gravierenden Arbeitszeitüberschreitungen. Für Lehre und Forschung fehlten die notwendigen Zeitbudgets. Arbeitsplätze an der MedUni Wien wurden in der Folge immer unattraktiver.

Die Betriebsratszeitung und der Einsatz von Karikaturen 1. Eine Karikatur zur alltäglichen 60- bis 70-Stunden-Woche der Lehrenden und Forschenden und im Krankenhaus Patient_innen behandelnden Universitätsangehörigen einer Medizinischen Universität.  2. Vierteljährlich erscheint die Mit-Bestimmung, die Betriebsratszeitung, hier auch mit einer Karikatur am Titelblatt. Im Blog des BR sind sowohl die einzelnen Beiträge als auch alle Ausgaben als herunterladbare PDF archiviert.  3. Eine durch Taktik, Hartnäckigkeit und Kampfmaßnahmen des Betriebsrats erzwungene Auf­stockung um 150 Stellen an der MedUni rettet nicht nur den universitären Betrieb, sondern auch das größte Krankenhaus Wiens. Das darf nicht ausgesprochen werden, daher wird es gezeichnet.


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Da sowohl Hochschulpolitik als auch erst recht Gesundheitspolitik und die Bedingungen des größten österreichischen Krankenhauses aber Materien öffentlichen Interesses und nicht einfach nur betriebliche Interna sind, stellt das Blog des MedUni-Betriebsrats ebenfalls ein gesellschaftlich relevantes Watchblog und Archiv der Entwicklungen in diesem Sektor dar. Das alles läuft höchst transparent ab, da das Blog im Internet steht – und nicht lediglich in einem nur den Beschäftigten zugänglichen Intranet. Die breite Öffentlichkeit, für die das Blog so zugänglich ist, übt Druck auf den Betriebsrat und auch auf den Arbeitgeber aus, politisch korrekt zu bleiben. Und auch dieses Blog kann auf eine erfolgreiche Kampagne zurückblicken. Neben Infos über den Kollektivvertrag und die Verhandlungen, zu Gehaltsabschlüssen, Betriebsvereinbarungen, Arbeitszeit-Regelungen, Aktionsangeboten und Veranstaltungshinweisen dominiert eine Problematik im Blog: die Arbeitszeiten und die Folgen der häufigen Überschreitungen der gesetzlich erlaubten Arbeitszeiten bis hin zu Burn-out als ein viel betreffendes Phänomen. Viele Ärzte am AKH arbeiteten mehr als 72 Stunden pro Woche, ca. 14 Prozent sogar mehr als 100 Stunden pro Woche. Die Kampagne zur Vermeidung dieser damals üblichen Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzüberschreitungen verwendete das «MedUni Wien-Blog» als ein wichtiges Mittel zur Bewusstseinsbildung der Arbeitszeitproblematik, gemeinsam mit der Betriebsratszeitung, E-Mail-Aktionen, Betriebsversammlungen und persönlichen Interventionen des Betriebsrats bei Stellen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebs. Während dieser Kampagne wurden die höchsten Blogzugriffsraten mit 2.900 Aufrufen pro Monat verzeichnet. Die Kampagne mündete schließlich in der Schaffung von 150 neuen ärztlichen Stellen. Zusammenfassung Zwei Betriebsratsblogs, ihre wesentlichen Kampagnen-Höhepunkte und Watch-Funktionen werden vorgestellt. Bei der Arbeit am Blog geht es um die thematische und dokumentarische Unterstützung der innerbetrieblich und außerbetrieblich intervenierenden Betriebsrät_innen. Es gelingt in Blog-Evaluationsversuchen einen positiven Zusammenhang zu finden zwischen offline erzieltem Kampagnen-Effekt und der online Kampagnen-Begleitung. Vernetzung der Betriebsratskörperschaften derselben Branche mittels Gebrauch eines über­ betrieblichen Blogs (z. B. mit Admin- oder Autor_innen-Rechten für BR-Vorsitzende, …). Während der kampagnefreien Zeit ist die Präsenz des Blogs notwendig, um in Erinnerung zu bleiben und bei der nächsten Kampagne umso leichter mobilisieren zu können. Blog als Backing für alle aufbauen, die im Feld aktiv sind und für ihre Arbeit auf die Daten zurückgreifen müssen. Hartnäckigkeit und Zusammenarbeit der Interessengruppen, um nicht nur im Netz zu agieren, sondern über alle Kanäle und offline zu intervenieren. Keine politisch inkorrekten Blog-Artikel einbringen, ist Bedingung.


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Mit den Betriebsratsblogs nicht ins Intranet wechseln! – Bei der im Internet gegebenen öffentlichen Aufmerksamkeit sollte auch der Arbeitgeber in Wort und Tat politisch korrekt bleiben müssen. Hochschulen, Betriebsrat, Mitbestimmung, Johannes Hahn, Kollektivvertrag, Universitätsgesetz, Wissenschaftssprecher, Österreich, Arbeitszeiten, Professoren, Faculty, Kurienuniversität, Beatrix Karl, #unibrennt

Kommentare Josef Broukal sagt: Der Blog war für mich die beste Möglichkeit, innerhalb kürzester Zeit die Zielgruppe meines alternativen Gesetzesentwurfs für eine UG02-Novelle zu erreichen. Dieser richtete sich an den Mittelbau der Universitäten und junge Wissenschafter_innen, denen das UG02 die Mitbestimmung und Anerkennung genommen hatte. Karl Heimbergers Vermutung, dass die Blogleser_innen den Alternativentwurf selbst verbreiten und so bekannt machen würden, hat sich voll bewahrheitet. Die Vergleichbarkeit und Gegenüberstellung auf ug02.wordpress.com/ug-2002-entwurfe hat einiges bewirkt. Thomas Schmidinger sagt:

ig-elf.at

Blogs wie die beschriebenen tragen wesentlich dazu bei, der durch das UG 2002 entstandenen Intransparenz der universitären Strukturen gegenzusteuern. Breitere Öffentlichkeit erreichen sie aber erst, wenn sie von Journalist_innen zitiert werden. Dafür sind aber – und das zeigen ja auch die hier geschilderten Zugriffszahlen – politische Aktionsformen zentral. Ohne die Uniproteste hätten sich Tageszeitungen und ORF nie für die Situation an den Unis interessiert. Nur die Proteste der Studierenden, Forschenden und Lehrenden haben dieses Interesse hervorgerufen, ich hab damals einiges in den Zeitungen unterbringen können (bit.ly/schmidinger). Nun liegt es an uns, daraus auch längerfristige Organisationsformen zu stärken, wie die IG Externe Lektor_innen und Freie Wissenschafter_innen und aber auch Studierendengruppen. Dass Aktivist_ innen der IG und andere in den Protesten aktive Lehrende nun in den Betriebsrat der Uni Wien gewählt wurden, trägt sicher zur weiteren Transparenz bei, kann aber nicht genügen. soheyl 'soli' liwani sagt:

unibrennt.at

Im Zuge der Audimax-Besetzung wurde viel kampagnisiert und polemisiert. Für uns war der Gegner in erster Linie das Rektorat der Uni Wien und in zweiter Linie das Wissenschaftsministerium unter Johannes Hahn. Viele Lehrende und auch die Betriebsräte fast aller Unis haben sich den Protesten angeschlossen und mitgeholfen, die Gesprächsverweigerung des Ministers Hahn, der Politik und des Rektors Winckler in der Öffentlichkeit anzuprangern. Ich finde es wichtig, dass die Zustände an unseren Unis von allen unterschiedlichen Gruppen in allen möglichen Aspekten beschrieben wer-


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den. Und wer sich ein konsistentes Bild machen will, findet viel im Netz. Ich habe bei der bit.ly/ug02umfrage im Winter 2010 auch "unbedingt weitermachen" angeklickt und hoffe, dass das UG02-Diskussionsarchiv noch lange weiter dokumentiert! Kurt Grünewald sagt:

facebook.com/kurtgruenewald

Die Universitätsreform brachte eine Hierarchisierung und zunehmende Ökonomisierung der Universitäten. Teilhabe, Mitgestaltung und Identifizierung wurden durch den Ausschluss wesentlicher Player aus Entscheidungsprozessen erschwert. Statt teamorientierte Universitäten als Orte der kritischen Auseinandersetzung entstanden so kaum mehr hinterfragte autokratische Strukturen, und vordergründige Nützlichkeitserwägungen bestimmten zunehmend die Debatte. Eine gemeinsame Kurie der Hochschullehrer_innen macht ohne Reform der Entscheidungsstrukturen keinen Sinn. Studierende wie wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sind mehr als nur Produktionsmittel und ihre Fähigkeiten und ihr kreatives Potenzial gehörten genutzt. Nicht einigen Einzelnen verliehene Macht, sondern die besseren Argumente sollen die Zukunft der Universitäten bestimmen. Dazu aber sind die Mächtigen zu feig und zu ängstlich. solidarische Grüße, Kurt Grünewald Peter Schöffmann sagt:

metrobetriebsrat.info

Servus Karl, Glückwunsch zum Blog und Respekt vor deiner Arbeit und den Erfolgen. Weil's amal g'sagt g'hört! Kennengelernt haben wir uns ja, ist schon eine Zeit her, bei einem Blog-Seminar des VÖGB im Winter 2008. Erinnere mich noch, du hast mit dem klingenden Kurznamen "Betriebsrat des Wissenschaftlichen Personals der Medizinischen Universität Wien" das muw-betriebsrat.at-Blog angefangen. ;-) Und ich hab mit unserem BR-Blog der Metro Cash & Carry losgelegt. Jetzt stehen wir bereits bei 3 Jahren BR-Blog-Geschichte. Damit nicht ausgelastet, hast du also noch ein Diskussionsarchiv ug02.wordpress.com auf die Beine gestellt, nicht nur für das Personal der Universitäten, sondern ein WatchBlog zur Universitätsproblematik an sich. Wenn sich mit der Aktivität eines Blogs Arbeitsplätze schaffen lassen, wenn ein Blog Denkanstöße gibt und Richtungsänderungen bewirkt – dann, Freunde und Weggefährten, kann das was! über.morgen sagt:

uebermorgen.at

Inzwischen wurde schon einige Novellen zum UG2002 beschlossen und das Diskussionsarchiv ist noch immer die beste Adresse, wenn man detaillierte Informationen zu diesem Thema sucht. Vom Fachwissen von Betriebsrat Heimberger hat sich die über.morgen auch in einem Interview überzeugen können. Wir sprachen mit ihm über die Bildungspolitik der ÖVP und deren Auswirkungen auf die medizinische Versorgung der Stadt Wien, nachzulesen unter: bit.ly/heimberger. Die monatlich erscheinende Zeitung über.morgen ist selbst aus #unibrennt hervorgegangen und an der österreichischen Hochschulpolitik besonders interessiert. Das Diskussionsarchiv bleibt damit eine wertvolle Quelle für uns.


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