
3 minute read
Die unsichtbare Welt
St.Gallen ist nicht nur eine Sternenstadt, in der Gallusstadt gibt es auch aussergewöhnlich viele Engelsdarstellungen. Doch was hat es mit Engeln auf sich? Thomas Reschke, katholischer Universitätsseelsorger, hat im Frühlingssemester eine öffentliche Vorlesungsreihe über die «Faszination Engel» gestaltet.
«Die Menschen in der Ostschweiz haben eine grosse Offenheit für dieses Thema», sagt Thomas Reschke, «Die Resonanz und die vielen persönlichen mündlichen und schriftlichen Rückmeldungen, die ich auf die Vortragsreihe erhalten habe, zeigen, dass Engel auch heute für viele sehr wichtig sind.»
Erlebter Glauben
An den Fassaden der Altstadthäuser oder in der Kathedrale – auch ausserhalb der Weihnachtszeit braucht man in St.Gallen nicht lange zu suchen, um eine Engelsdarstellung zu entdecken. Die einen lieben diese oft pittoresken Figuren, die anderen können gar nichts damit anfangen – zu niedlich, zu kitschig, zu konkret. «Ich kann durchaus verstehen, wenn man sich mit manchen Darstellungen schwertut. Auf jeden Fall sind sie Augenöffner für die unsichtbare Welt. Sie zeigen uns, dass es noch etwas Anderes gibt als unsere irdische, erfahrbare Welt.» Der Glaube an die Engel sei für die Menschen schon immer wichtig gewesen und sei auch das Verbindende mit dem Judentum und dem Islam, bei allen drei gibt es den Glauben an die himmlischen Wesen. «Doch in der katholischen Theologie haben sie ein Schattendasein geführt oder wurden sogar ausgeblendet, und das bis heute», hält Thomas Reschke fest, «Manche Theologen werteten es sogar als Geisterglauben ab. Dabei geht es bei den Engeln um etwas Zentrales des christlichen Glaubens: Engel stehen für den erfahrenen und erlebten Glauben.»

Thomas Reschke bei einem seiner Vorträge im Katharinensaal
Eine zentrale Rolle
In jedem Semester gestaltet Thomas Reschke im Katharinensaal eine öffentliche Vorlesungsreihe zu einem Thema. Bei der Ausschreibung zu «Faszination Engel» habe er gleich gemerkt, dass das Thema auf Resonanz stösst: «Ich wurde auch von Akademikern darauf angesprochen – und zwar positiv. Es fällt heute vielen leichter, über ihren Glauben an Engel zu sprechen als über Gott.» Für Thomas Reschke steckt im Glauben an die Engel oder die persönlichen «Schutzengeli» ein tröstender Gedanke: «Ich bin nicht allein.» Doch Theologie und die Kirche hätten sich in den letzten Jahrzehnten zu sehr mit der irdischen Welt beschäftigt. Dabei spielen sie bereits in der Bibel eine zentrale Rolle und werden dort sowohl im Alten wie im Neuen Testament mehrfach erwähnt. «Bei meiner Vortragsreihe wollte ich aufzeigen, dass die Engel uns mit der unsichtbaren Welt in Verbindung bringen. Wenn wir über Engel nachdenken, denken wir auch gleichzeitig über den Himmel nach.»
Boten Gottes
Dass Engel von Gott ablenken könnten, will Thomas Reschke nicht gelten lassen: «Selbstverständlich kann man es mit dem Engelsglauben auch übertreiben. Nach biblischem Verständnis ist der Engel nicht der, der alles für mich erledigt, während ich mich bequem zurücklehne.» Schon in der Bibel werden die Engel als Boten Gottes bezeichnet. Bemerkenswert findet Thomas Reschke auch, dass auch für die Reformatoren die geistigen Wesen zu ihrer Spiritualität gehörten. «Die reformierte Theologie wollte sich von der katholischen abgrenzen und deshalb verschwand das aus dem Fokus. Doch nicht lange und die Engel waren plötzlich in der Kirchenmusik ein Thema – ihre Bedeutung war einfach zu gross als dass es ohne sie ging.»
Thomas Reschke will in Zukunft öfter Vorlesungen zu spirituellen Themen mit einem regionalen Bezug anbieten. Aber als Nächstes geht es in den Süden: Im Herbstsemester steht eine Vorlesung über die Mystikerin und Kirchenlehrerin Katharina von Siena auf dem Programm. (ssi)