3 minute read

«Viele niederschwellige Angebote»

Wie beurteilen die Sozialen Dienste der Stadt St.Gallen die diakonischen Angebote der Kirchen? Wie wichtig sind diese für die Stadt? Ein Interview mit Christoph Hostettler, Abteilungsleiter Sozialhilfe der Stadt St.Gallen.

Wie wichtig sind die kirchlichen Sozialdienste für die Stadt St.Gallen?

Advertisement

Christoph Hostettler: In der breiten Öffentlichkeit ist viel zu wenig bekannt, wie viel die kirchlichen Sozialdienste leisten. Sie sind grosse Player. Nicht auszudenken, wenn es diese Angebote nicht gäbe. Wir bekommen mit, dass für manche Klientinnen und Klienten die Hemmschwelle kleiner ist, bei der Kirche Hilfe zu suchen. Es ist weniger schambehaftet. Gerade Migrantinnen und Migranten wenden sich oft nicht an die Sozialen Dienste der Stadt St.Gallen. Sie befürchten, dass sich ein SozialhilfeGesuch negativ auf ihren Aufenthaltsstatus auswirkt. Sowohl die Reformierte wie die Katholische Kirche verfügen über ein starkes Netz, mit dem sie Menschen in Not auf vielfältige Weise unterstützen. Die kirchliche Sozialarbeit leistet nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern engagiert sich auch sehr stark in der Beratung und Begleitung. Sowohl für Einzelpersonen als auch für Familien gibt es viele niederschwellige Angebote.

An welche denken Sie?

Spontan fallen mir zum Beispiel die Angebote der Offenen Kirche oder «FrauenLachen» ein, das Frauen im Lachenquartier Begegnungen ermöglicht. Viele unserer Klientinnen und Klienten leiden an der sozialen Isolation, in die sie durch die Arbeitslosigkeit geraten sind. Wir machen Betroffene auf die Angebote der Kirchen aufmerksam – sie ermöglichen Gemeinschaftserfahrungen, befreien von der Einsamkeit oder helfen auch bei der Integration. Eine der Stärken der kirchlichen Sozialdienste ist sicher auch, dass man sich dort für die Menschen Zeit nimmt. Bei Bedarf macht der Sozialarbeiter auch mal einen Spaziergang mit einem Klienten. Die Herausforderung unserer Mitarbeitenden ist, jeweils den Überblick zu haben, welches Angebot für welche Person aufgrund ihrer Lebenssituation geeignet ist.

Wie arbeiten die kirchlichen und städtischen Sozialdienste zusammen?

Wir tauschen uns bei einem jährlichen Treffen mit den Beratungsstellen auf dem Platz St.Gallen aus. Auch die kirchlichen Sozialdienste sind hier immer vertreten. Das ist ein wichtiger Anlass. Ansonsten gibt es keine institutionelle Zusammenarbeit. Im Alltag arbeiten wir vor allem fallbezogen zusammen: Wir überlegen gemeinsam, wie wir einen Klienten optimal unterstützen können oder wie die Kirche Leistungen finanziert, die nicht über die Sozialhilfe bezahlt werden können. Ich erlebe die Zusammenarbeit als konstruktiv. Die kirchlichen Sozialdienste haben wie wir einen breiten, umfassenden Ansatz – und unterscheiden sich von Institutionen mit einem themenbezogenen Angebot wie zum Beispiel Sucht oder Erziehung. Dies ist eine wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit. Wo ich noch Potenzial für die Zukunft sehe: Vielleicht könnten wir den Austausch auch auf struktureller Ebene ausbauen, damit die Erfahrungen und Wahrnehmungen der kirchlichen Sozialdienste, die wie gesagt sehr nah «dran» sind, gezielter einfliessen können.

Prallen aber nicht auch mal verschiedene Ansichten aufeinander?

Zum Beispiel wenn sich kirchliche Sozialarbeiter anwaltschaftlich für ihre Klienten einsetzen? Die kirchlichen Sozialarbeiter sind oft Brückenbauer zwischen Klienten und uns. Sie klären für sie ab, wo sie welche Unterstützung beantragen können. Auch bei den kirchlichen Sozialdiensten arbeiten Profis. Wie wir verfügen auch diese über eine professionelle Ausbildung im sozialen Bereich. Wir begegnen uns also auf Augenhöhe. Wenn sie mal kritisch nachfragen, geschieht das auf eine sehr lösungsorientierte Weise. Es kann sein, dass man nicht gleicher Meinung ist, aber Konflikte sind mir keine bekannt.

Wie hat sich die Coronapandemie auf die Zahl der Sozialhilfebeziehenden in der Stadt St.Gallen ausgewirkt?

Zu Beginn der Pandemie rechneten wir mit einer grossen Zunahme und haben uns deshalb darauf vorbereitet. Doch die grosse Zunahme ist ausgeblieben – in St.Gallen, aber auch in den anderen Schweizer Städten und Regionen. Das liegt vor allem an den Unterstützungsmassnahmen durch den Bund. Diese konnten offensichtlich Schlimmeres verhindern. Doch keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie sich die Situation entwickelt. Es hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab, wie schnell sich der Arbeitsmarkt erholt.

In den Medien waren in den letzten Monaten Bilder aus Genf oder Zürich zu sehen: Menschen, die bei Essenausgaben Schlange stehen…

In Städten mit vielen Arbeitsplätzen in den Tourismus und Gastronomiesektoren hinterliess die Coronapandemie viel gravierendere Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Zudem gibt es in Städten wie Genf viel mehr SansPapiers. Die Situation in St.Gallen ist anders. Zudem sind bei uns Hilfsangebote wie «Tischlein deck dich» oder die Caritas etabliert. Die Coronahilfe des Kantons, die in der Stadt über die AHVZweigstelle beantragt werden kann, ist ein weiteres Sicherungselement für Menschen in bescheidener finanzieller Situation. (ssi)

This article is from: