KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not

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KARUNA

Zukunft f端r Kinder und Jugendliche


»KARUNA unterstützt junge Menschen bei ihren Bemühungen, ein Leben in Würde zu verwirklichen, ihre Persönlichkeit zu entfalten und damit aktiv an der Gemeinschaft teilzuhaben.« Hannelore Elsner Schirmherrin des KARUNA e. V.

Hannelore Elsner beim Besuch des KARUNA-DRUGSTOP-Mobils


Editorial Der neue Namenszusatz des gemeinnützigen Trägers KARUNA - Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e. V. verdeutlicht einmal mehr den Schwerpunkt der Arbeit unserer Hilfsorganisation: Perspektiven sollen nicht nur aufgezeigt, sondern Alternativen zu den Erfahrungen von Gewalt, Missbrauch und Drogenkonsum erfahrbar gemacht werden. Ein Netzwerk von Angeboten und Hilfeeinrichtungen hat das Ziel, die Mädchen und Jungen zu eigenverantwortlichem Handeln und einem selbstbewussten Leben zu führen. Ihre

Die Konzepte des KARUNA e. V. setzen dabei zunehmend

Kirsten Hager und Eric Moss,

auf Prävention und Frühhilfe, sparen aber auch ambu-

Vorstand des KARUNA e. V.

lante Hilfe und stationäre Therapie, Bildungs- und Arbeitsangebote nicht aus. Das vorliegende Heft stellt nur einen Ausschnitt aus der Arbeit unserer Organisation dar. Es soll in Text und Bild verdeutlichen, KARUNA hat sich verändert, hat auf gesellschaftliche Veränderungen adäquat und zeitgemäß reagiert. Wir haben uns weiterentwickelt und sind uns doch treu geblieben. Unverändert ist unser Engagement für die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft: die Kinder und Jugendlichen in diesem Land.

Gabriela Schützler und Jörg Richert Geschäftsführung des KARUNA e. V.

Auch Sie, liebe Leser können helfen! KARUNA e. V. Spendenkonto 3540607 bei der Bank für Sozialwirtschaft BLZ 100 205 00 Oder unterstützen Sie dauerhaft unsere Arbeit und werden auch Sie Fördermitglied.

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Hilfe sofort

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hristain Geurden steht am Anfang aller Hilfen. Er ist derjenige bei KARUNA, den die Jugendämter oder andere Institutionen

anrufen, der als erster von verzweifelten Eltern kontaktiert wird und an den die Drogenberatungsstellen verweisen. Es geht um Jugendliche, die nicht zur Schule gehen, keine Berufsausbildung haben, problemvoll Drogen konsumieren, bereits abhängig sind oder andere Probleme im Zusammenhang mit Suchtmitteln haben. Hier ist der KARUNA e. V. nun besser als bisher in der Lage, für jeden Jugendlichen einen individuellen „Fahrplan“ zu erstellen. Alle Beteiligten, wie Eltern, Jugendämter, die Betroffenen selbst und natürlich nicht zuletzt die Leiter der KARUNA-Einrichtungen werden einbezogen. So gelingt es, auf die Jugendlichen zugeschnittene und mit den Arbeitspartnern abgestimmte Therapieverläufe zu organisieren. Hierbei kann das gesamte Angebotsspektrum des KARUNA e. V. von der Orientierungs- und Besinnungsphase über

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Christian Geurden im Gespr채ch



eine Entgiftung und Therapie bis hin zu Wohn- und Bildungsangeboten einbezogen werden. Dieser Hilfeverlauf ist nicht nur für die Kinder und Jugendlichen eine wirksame Chance, sondern auch eine Alternative zu dem eher schlecht kooperierenden Jugend- und Suchthilfesystem in Deutschland. Eine Besonderheit dabei ist, dass Christian Geurden mit seinem Projekt Personenbezogene Hilfen* oftmals direkt in die Elternhäuser geht. In Erweiterung der traditionellen Auffassung von aufsuchender Straßensozialarbeit erfordert dies viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl. Hierfür ist immer eine persönliche Einladung der Eltern Voraussetzung. Der so gewonnene Einblick in das unmittelbare Umfeld ist von unschätzbarem Wert für die Einschätzung der Situation des jeweiligen Mädchens oder Jungens. Viele Eltern und ihre Kinder haben damit erstmalig die Chance, einen realen Einstig in das Hilfesystem zu finden.

*Das Projekt Personenbezogene Hilfen wird unterstützt durch die Aktion Mensch

In der KARUNA-EInrichtung KOMMA

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Von Farbfindern und Vielfarben

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ie Arbeit des KARUNA-Projekts DRUGSTOP ist facettenreicher geworden. Betritt man die Räumlichkeiten der Einrichtung bemerkt

man sofort die kreative Atmosphäre in den neu eingerichteten Werkstätten Farbfinder und Vielfarben. Konzentriert arbeiten Jugendliche an Nähmaschinen, schrauben an Fahrrädern, bedrucken T-Shirts oder bemalen Keramik. Mädchen und Jungen, die vor kurzem noch auf der Strasse gelebt oder keine Kontinuität und Geborgenheit in ihren Familien erlebt haben, sind hier täglich bei handwerklicher und künstlerischer Tätigkeit anzutreffen. Die Profilschärfung des DRUGSTOP-Konzepts war mit dem Umbau der Arbeits- und Sozialsysteme in diesem Land notwendig geworden. Mit der Durchsetzung der Hartz-IV-Gesetzgebung wurden in den Job-Centern zunehmend Jugendliche im Alter von 16 bis 21 Jahren auffällig, die vom Jugendhilfesystem nicht erreicht oder abgewiesen und auch von den Sozialämtern nicht mehr gefördert wurden. Die Mitarbeiter der ehemaligen Arbeitsämter sahen sich mit diesen Mädchen und Jungen überfordert. Die ursprünglich für dieses Alter vorgesehenen Maßnahmen von Berufsorientierung und Ausbildung kamen für jene Jugendlichen kaum in Frage. Diese Jugendlichen haben in ihrem Leben oft Gewalt erlebt, die sie nun mit ihrem Drogen- und Alkoholkonsum „vergessen“ machen wollen. Weitere daraus resultierende gesundheitliche Schädigungen, wie manifeste psychische Erkrankungen, machten deutlich, dass 8




anders geholfen werden muss. Das Job-Center Friedrichshain-Kreuzberg fand sich geradezu in einer Vorreiterrolle wieder, als die ersten Gespräche und praktischen Maßnahmen in der Zusammenarbeit mit dem KARUNA e.V. zustande kamen. Schon bald wurde klar, dass es Übergangsphasen geben muss, die es den Mädchen und Jungen unter sozial kompetenter Begleitung möglich machen, zur Ruhe zu kommen und sich von Stress, Druck und Versagensängsten zu entkoppeln. So entstand das Konzept der DRUGSTOP-Werkstätten in enger und sehr kollegialer Zusammenarbeit mit den Jobcentern. Den Mädchen und Jungen kreative Erfolge zu ermöglichen ist Schwerpunkt der Arbeit in den Werkstätten. Geübt wird auch, wie man sich in einem Team verhält, wie Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden - in einem alkohol- und drogenfreien Umfeld. Wenn man die ruhige und schöpferische Atmosphäre der DRUGSTOP-Werkstätten erlebt, wird klar, dass der Ansatz richtig ist. Dies haben auch weitere Jobcenter und Jugendämter Berlins erkannt. Das erwachte Interesse verschiedenster Bezirke hat dazu geführt, dass es demnächst einen Umzug in größere Räumlichkeiten geben wird. Angestrebt wird ein weiterer Ausbau des Konzeptes mit einem Netz verschiedenster handwerklicher und künstlerischer Werkstätten hin zu einer „Straßenkinder-Akademie“. Dieser Arbeitstitel, der vermeintlich Unvereinbares in sich trägt, deutet es unmissverständlich an: Wenn diese Kinder und Jugendlichen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entdecken und ihre Sucht- und Gesundheitsprobleme bewältigen, können sie zu sich selbst finden und eine eigene positive Identität entwickeln. Bildung ist dann realistische Zukunft. 11


Kunstfreunde für Straßenkinder

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or gut 10 Jahren, als gerade ihr erstes Kind geboren wurde, erfuhren Gabriele und Joachim von Ribbentrop von der Situation

der Straßenkinder in Berlin. Ohne lange zu überlegen beschlossen sie, diesen Kindern und Jugendlichen direkt zu helfen und ihr Projekt Streetkids ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit den Galeristen Gerd Harry Lybke von der Galerie Eigen + Art und Ben und Hannes Kuckei von der Galerie Kuckei + Kuckei organisierten sie daraufhin Jahr für Jahr ein Kunstevent zugunsten der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Zusammen mit den Galeristen wählen Gabriele und Joachim von Ribbentrop Künstler aus, die Kunstwerke eigens für diese Veranstaltung schaffen und verkaufen. Der Erlös kommt den KARUNAHilfsprogrammen zugute, wie zuletzt beim Ausbau des DRUGSTOP-Mobils. Mit diesem Kleinbus versorgen die Mitarbeiter Straßenkinder in Berlin u. a. mit Essen und Trinken. Mitfinanziert wurden in den letzten Jahren auch die Kreativwerkstatt Vielfarben und die Ausstattung der Cleanklasse, eine KARUNA-Einrichtung zum Nachholen von Schulabschlüssen.

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Das DRUGSTOP-Mobil des KARUNA e. V.


Mit Hilfe der Familie von Ribbentrop ausgestattet: die KARUNA-Einrichtung CLEANKLASSE


Das Gesamtkonzept von KARUNA sei sehr schlüssig, meint Gabriele von Ribbentrop. Sowohl die medizinische und therapeutische Hilfe als auch den Ausbau der Präventionsarbeit findet die ausgebildete Ärztin sehr sinnvoll. Gemeinsam mit KARUNA entstand dabei die Idee, einen Nothilfefond für Kinder, Jugendliche und Familien zu gründen. Unter Nutzung des Engagements und der Kontakte der Familie von Ribbentrop und ihrer Freunde wäre es damit möglich, Spenden zu sammeln und somit in dringenden Fällen sofort zu helfen. Immer wieder kommt es vor, dass Eltern das Schulgeld für einen Platz in unserer integrativen Grundschule nicht aufbringen können oder Jugendämter nicht in der Lage sind, therapeutische Unterbringungen zu finanzieren. In diesen Situationen kann der Soforthilfefond schnell und unbürokratisch Hilfe leisten.

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KARUNA macht Schule

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mil ist Detektiv, wie der Name schon sagt. Darüber hinaus ist er einer der ersten Schüler der neuen Integrativen Montessori-

Grundschule-Pankow des KARUNA e. V. Emil geht in den Unterrichtspausen gern auf Entdeckungsreise durch die Flure des frisch sanierten roten Backsteinbaus und ist wie viele andere seiner Mitschüler auch häufig im Kindercafé STERNENWIESE auf dem Hof der Schule anzutreffen. Hier „managen“ Kinder und Eltern den Café-Betrieb derzeit noch gemeinsam, stehen hinter dem Tresen und verkaufen Kuchen, Kekse und andere Leckereien. Die Schüler lernen auf diesem Weg praktisch und aktiv den Umgang mit Mengen und Zahlen. In Zukunft sollen dann die Eltern die Gäste sein. Dieses Beispiel ist exemplarisch für das Bildungskonzept Maria Montessoris, dem KARUNA mit der Einrichtung seiner Schule folgt: Es geht vom Grundvertrauen in die Kinder aus. Denn Kinder sind keine passiven, rezeptiven Wesen, die im 45-Minutentakt mit vorsortiertem Wissen gefüllt werden wollen. Sie sind Persönlichkeiten mit großer Eigenaktivität und Konzentrationsfähigkeit, die eine kaum zu bändigende Lernbereitschaft besitzen, die es zu unterstützen und zu fördern gilt. Maria Montessori sprach vor nunmehr 100 Jahren vom inneren Bauplan über den jedes Kind verfügt. Es gibt Perioden mit einer besonderen Empfänglichkeit, also Sensibilität für bestimmte Lernvorgänge und Umwelteinflüsse. Diese sensiblen Lernphasen sind optimal für ganz bestimmte Funktionen, die Umwelt zu beherrschen und 16



Das Motiv des Kindercafés STERNENWIESE


sich mit ihr auseinander zu setzen. So lernen Kinder Lesen, Verben beugen, Rechnen etc. fast von „allein“, durch Beobachtung und dem eigenen Forscherdrang sowie dem Willen nach Nachahmung. Dies geschieht in einem demokratischen Erziehungsstil, innerhalb dessen die Kinder befähigt werden, sich gegenseitig zuzuhören und die Kompetenz zu erlangen, Probleme in ihrer Lerngruppe anzusprechen und gemeinsam nach Lösungswegen zu suchen. Schon die untersten Jahrgänge können selbständige Entscheidungen treffen und Verantwortung für ihr Lernpensum und ihre Mitschüler übernehmen. Die Idee, mit KARUNA eine Schule zu gründen reifte nach mehreren Jahren erfolgloser Versuche, moderne Präventionsansätze in vorhandene Schulstrukturen zu integrieren. Die pragmatische Umsetzung des Gedankens, Prävention und Integration von Beginn an zum Bestandteil eines realen Schulbetriebs zu machen, konnte nur mit einem eigenen Projekt gelingen. Die hier gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse sollen künftig in weitere Vorhaben des KARUNA e. V. im Bildungsbereich einfließen. Denn darüber sind wir uns bei KARUNA einig, effektive Präventionsarbeit mit allen Facetten, einschließlich Frühintervention und sozialer Integration ist nur über die Institution Schule möglich. Erfolgreiche Sozialarbeit im Kinder und Jugendbereich anderer europäischer Staaten beweist, dass eine enge Anbindung an die traditionellen Bildungsträger unumgänglich ist. Allerdings ist es dringend geboten, umzudenken und bereit zu sein, eingefahrene Wege zu verlassen.

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Spannend: Der KARUNA-Präventionsparcours Volle Pulle Leben - auch ohne Alkohol!

Parcours Champions

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pannung liegt über den Räumen des KARUNA PR|EVENTS-Zentrums in der Frank­furter Allee. Rund 250 Berliner Schülerin-

nen und Schüler sehen mit wachsender Aufregung der Verkündung der diesjährigen CHAMPION AWARDS des Tabakpräventionsparcours „Rauchst du noch oder lebst du schon“ entgegen. Als Moderator Alexander Troppa endlich die ersten Preisträger bekannt gibt, entlädt sich die gespannte Erwartung im Saal in Jubel, Applaus und gelegentlichem Füßestampfen. Voller Stolz nehmen die Repräsentanten der jeweiligen Gewinnerklassen die begehrten Trophäen entgegen und präsentieren unter lautstarkem Beifall - aber auch gelegentlichen Buhrufen der Konkurrenz - die AWARDS und die Urkunden mit den Fotos der Siegergruppen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung… Mit diesen Faktoren - dem Setzen auf Spaß, Aktivität und spielerischen Ehrgeiz - hat KARUNA in den letzten zwei Jahren im Suchtpräventionsbereich den Durchbruch erreicht. Rund 40.000 Schüler der Klassenstufen 5 bis 10 durchlaufen jedes Jahr die beiden Mitmachparcours „Volle Pulle Leben - auch ohne Alkohol“ und „Rauchst du noch oder lebst du schon“. Die Arbeit des jungen KARUNA PR|EVENTS-Teams um Projektleiter Holger Hönck hat es erstmals ermöglicht, dem Thema Suchtprävention ein neues interessantes Image zu geben. Das Konzept 20



An der Parcours-Station DRUNKBUSTER


baut auf persönliche Ansprache und Wettstreit der Kinder und Jugendlichen. Für die Parcours-Besucher steht der virtuelle Wettbewerb im Vordergrund. Die Punktzahlen der einzelnen Wissensstationen sind heiß umkämpft. Gleichzeitig aber werden fast unmerklich Wissenslücken z. B. über das Gefahrenpotential von Alkoholabhängigkeit oder Schadstoffen im Tabakrauch geschlossen. Schüler und Lehrer begrüßen ausdrücklich die Einheit von Entertainment und Lerneffekt. Erfreulicherweise ist zu beobachten, dass oft nach dem ersten Besuch gleich ein zweiter Termin verabredet wird. Zusammen mit dem in der Entwicklung befindlichen dritten Mitmachparcours zum Thema Gesunde Ernährung und Bewegung will KARUNA zukünftig erreichen, dass Berliner Schulklassen alle 3 Parcours durchlaufen und sich somit dem Feld der Prävention als Gesamtthema widmen.

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Warum wir uns einmischen werden...

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arum wir uns zukünftig stärker in politische Zusammenhänge einmischen werden? Aus Effektivitätsgründen. Die von KARUNA ins Leben gerufenen Projekte und Einrichtungen sind mit

wachsenden Zahlen und zunehmend härteren Fällen von Problemen der Kinder und Jugendlichen konfrontiert. Wir glauben, dass es für unsere zukünftige Betreuungsarbeit eine Katalysatorwirkung haben wird, wenn wir uns mit den Ursachen von Fehlentwicklungen beschäftigen. Fast wöchentlich sind wir konfrontiert mit Fällen von Vernachlässigung, Verwahrlosung und psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. Die Statistik belegt, dass in Deutschland alle 4 Tage ein Kind getötet wird. Eine Häufung von Fällen, die Betroffenheit auslösen und die Frage aufwerfen: Wie konnte das passieren? Es gibt darauf keine einfachen Antworten. Aber klar ist auch: Ein wesentlicher Grund ist darin zu sehen, dass die Kinder- und Jugendproblematik seit den 90er Jahren das „Stiefkind“ einer jeden Haushaltsdebatte ist. Fast groteske Züge nimmt der Zustand der Jugendhilfe in Berlin an. Ein seit Jahren währender Reformprozess hin zu einer Sozialraumorientierung, die im Grundsatz völlig richtig ist, wurde benutzt um dem Jugendhilfesystem über 160 Millionen Euro zu entziehen. Das einst funktionierende System zur Hilfe von in Not geratenen Familien ist nahezu handlungsunfähig - knocked out! Dies ist keine dramatische Übertreibung. Praxis ist z. B., dass die aus dem Berliner Landeshaushalt zur Verfügung gestellten Mittel massiv zweckentfremdet werden. Statt ihrer vorgesehenen Verwendung werden Haushaltslöcher der Bezirke damit gestopft und gleichzeitig Mitarbeiterstellen der zuständigen Ämter gekürzt. Die mittlerweile hauchdünne Finanz- und Personaldecke von Jugendämtern hat nicht nur zur Folge, dass Mitarbeiter teilweise 100 bis 150 Familien betreuen müssen, sondern führt auch zu Verunsicherung und Verwirrung in den Sozialräumen sowie zur Schließung von Einrichtungen und Projekten. Politiker auf Bundesebene bringen Diskussionen um neue gesetzliche Regelungen ins Spiel, Kinderrechte sollen gar im Grundgesetz verankert werden. Wir sagen: Es gibt diese gesetzlichen Grundlagen bereits seit Jahrzehnten! Das Deutsche Kinder24



und Jugendhilfegesetz (KJHG) hat weltweit Vorbildcharakter. Was hilft es aber, wenn es auf Grund von Haushaltslagen Gang und Gebe ist, diese Gesetze, gelinde gesagt, zu beugen. Jugendsamtsleiter und andere Verantwortungsträger kommen nicht umhin, Rundschreiben herauszugeben mit Wortlauten wie: „...Ab sofort keine Hilfen mehr an....!“ - „ ...Keine Hilfen über 100 Euro...! - „...Kleinstkinder aus Kinderheimen herausnehmen, sofort! ... in die Herkunftsfamilien umsetzen ... nur bei Fällen von akuter Kindswohlgefährdung an den Kindernotdienst verweisen...!“ usw. Hier werden Rechtsbrüche begangen und - da es keine Lobby für Kinder und Jugendarbeit gibt - auch nicht geahndet. An diesem Punkt wollen wir ansetzen. Mittels unserer Erfahrungen sowohl an sozialen Brennpunkten wie auch im Präventionsbereich gelingt es uns in der letzten Zeit zunehmend besser, mit politisch Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen und Kausalitäten klar zu machen. Diskussionen offenbaren elementare Dinge, die so manchem, der in die Tagespolitik involviert ist, erst jetzt klar werden: Präventionsarbeit, Frühintervention, Beziehungsarbeit sind Investitionen in die Zukunft. Andersherum gesehen: Nimmt man den Jugendlichen Jugendfreizeitheime, die Arbeitsgemeinschaften an den Schulen, die Probenräume ... wird man in 5 - 10 Jahren bitter dafür bezahlen. Zunehmende Jugendgewalt, Verwahrlosung, Drogen- und Alkoholmissbrauch sind an der Tagesordnung, die einzig relevante „Beziehungsarbeit“ wird dann von der Polizei geleistet. Für rechtspopulistische Parteien wie der DVU oder der NPD erleichtert ein solches kinder- und jugendpolitisches Desaster den Zugang zu den verunsicherten und zurückgelassenen Jugendlichen. Es mangelt uns nicht an Ideen, an Vorschlägen. KARUNA hat sich immer durch Unkonventionalität und Kreativität ausgezeichnet. Das und unsere Erfahrungen sind es, was wir stärker in die politische Diskussion mit einbringen werden. Wir sagen nicht pauschal: Gebt mehr Geld in die Kinder und Jugendarbeit... Wir sagen: Lasst uns überlegen, wie wir die Mittel sinnvoll und zweckgebunden einsetzen. Menschen und Berufsgruppen, die in diesem gesellschaftlichen Feld arbeiten, dürfen nicht zerrieben werden. Ein großer Teil der direkten Arbeit mit den Kindern, Jugendlichen und Familien sollte von NGOs qualifiziert geleistet werden. Die Mitarbeiter der Jugendämter sollten sich auf die Qualitätssicherung konzentrieren. Das System der Jugendhilfe kann wieder funktionieren wenn es Finanzierungssicherheit gibt. 26


»Punks and Dogs« - ein Gemeinschaftsprojekt des Job-Center Friedrichshain-Kreuzberg mit dem KARUNA e. V.


Auszüge aus einem Brief des KARUNA e. V. an den Bundespräsidenten Horst Köhler

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

mit großer Sorge um die strukturelle Krise der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland möchte ich mich an Sie wenden. Die schrecklichen Ereignisse der letzten Tage, Wochen und Monate, die sich in den Familien unseres Landes abspielen und die Kinder und Jugendliche auch mit ihrem Leben bezahlen müssen, sind auch Auswirkungen veralteter Strukturen der Jugendämter, der ernormen Verknappung finanzieller Mittel und einer sich etablierenden Mentalität in breiten Kreisen aller Hilfesysteme, dass vor allem Jugendliche ihre Chancen auf Integration selbst verwirkt hätten. Ihnen wird mit dem Hinweis auf ihr Alter keine oder nur unzureichende Hilfe gewährt… Das Jugendamt sieht sich nicht mehr in der Pflicht. Das ist nicht die Haltung der dort tätigen MitarbeiterInnen, sondern die Auswirkung eines vielschichtigen Drucks, der die SozialarbeiterInnen der Jugendämter gegen ihr Gewissen entscheiden lässt. Diese Handlungen sind nicht nur ein klarer Verstoß gegen unser Kinder und Jugendhilfegesetz, sondern gefährden letztendlich den sozialen Frieden und schwächen die Demokratie. Diese zurückgelassenen Mädchen und Jungen, oft psychisch erkrankt, suchtmittelabhängig und ohne Schulabschluß, können an der Entwicklung unserer Gesellschaft nicht teilhaben… Im Namen aller von uns betreuten Kindern, Jugendlichen und Familien, im Namen aller bei uns ehrenamtlich tätigen Bürger und unserer MitarbeiterInnen möchte ich Sie sehr herzlich bitten, das Thema des Umgangs mit - und der Fürsorge für - benachteiligte Kinder, Jugendliche und deren Familien in die Öffentlichkeit zu tragen um somit eine ethische, eine moralische Diskussion anzustoßen und zu verstärken. Sehr geehrter Herr Bundespräsident, darf ich sie einladen sich in Berlin eine unserer Jugendhilfeeinrichtungen anzusehen, um gemeinsam ins Gespräch zu kommen? Ihre Aufmerksamkeit wäre uns eine unschätzbare Hilfe und würde dazu beitragen, diese Kinder und Jugendlichen öffentlich wertzuschätzen. Haben Sie herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit, Ihr Jörg Richert

Mitgründer und Geschäftsführer des KARUNA - Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e. V.


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