ART DECO JEWELLERY

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Der große Traum von einer neuen Welt

Kaum hatte der Jugendstil um 1900 seinen Höhepunkt erreicht, war man seiner auch schon wieder überdrüssig geworden. Die schwelgenden Formen des Art Nouveau hatten sich überlebt, der Wunsch nach Strenge und Sachlichkeit breitete sich aus und wurde von einem unermüdlichen Drang nach Neuem begleitet. Zu den Wegbereitern der aufkommenden stilistischen Tendenzen gehörten die Arts-and-Crafts-Bewegung in England, die Darmstädter Künstlerkolonie und die Wiener Werkstätte. In Österreich forderte der Architekt Adolf Loos 1908 in seinem Aufsatz Ornament und Verbrechen den Verzicht auf modische, schmückende Details, in Italien veröffentlichte der Schriftsteller Emilio F. T. Marinetti sein Manifest der futuristischen Dichtung, in dem er das Großstadtleben, die Geschwindigkeit und die Errungenschaften der Technik lobte. Die kubistische Malerei mit ihrem Reichtum an spitzwinkligen, kantigen, der Maschinenästhetik entlehnten Formen, wie auch die stark farbigen Bilder der Expressionisten beeinflussten die Entwerfer der angewandten Kunst. Wassily Kandinsky malte 1910 sein erstes ungegenständliches Aquarell, die nüchterne Einstellung zur rein geometrischen Form hatte ihre Wurzeln nicht zuletzt auch in dem von Kasimir Malewitsch 1915 begründeten Suprematismus. In der Architektur prägten die aus kubistischen Elementen bestehenden Häuser von Walter Gropius oder Le Corbusier den Wohnungsbau der 1920er Jahre. Mit der Gründung des Bauhauses in Weimar 1919 setzte Gropius wichtige Maßstäbe im Verständnis für eine funktionale, an der Geometrie orientierte Formensprache sowie neue Materialien wie Chrom, Glas oder Kunststoff, die in allen Bereichen des Lebens ihren Niederschlag fanden. Die weltweit politisch und wirtschaftlich instabile Lage begünstigte den Wunsch nach Zerstreuung. In Berlin huldigte man den Goldenen Zwanziger Jahren, Paris feierte les années folles, Stars von Theater und Film waren die wahren Idole. Die »neue Frau« – femme fatale und garçonne zugleich – verlangte nach kurzem Haar und bequemer Kleidung: Bubikopf, Hemdblusenkleider, Hosen und kräftig rot geschminkte Lippen gehörten zu ihrem Outfit, das auch nach passenden Accessoires verlangte. Kasimir Edschmid charakterisiert 1927 in seinem Roman »Die Neue Frau« das Frauenbild, das sicher nur auf einige wenige zutraf, mit den Worten: »Zehn Jahre vor dem Weltkrieg wären selbst die Lebemänner erbleicht, wenn man ihnen gesagt hätte, dass fünf Jahre nach Versailles die Frauen in Hosen mit ihren Skiern auf die Berge stiegen, allein reisten, ihre Autos chauffierten, im ›Excelsior‹ am Lido in Badeanzügen lunchten und bunte Perücken zum Abendkleid trugen, dessen Luxus nicht nur ihre Beine, sondern auch ihren Rücken frei ließ und sie mit zwischen Strumpf und Unterwäsche nackt gehaltenen Knien herrlicher herausstellt als die verwundete Nymphe des Kapitols«. Neben einer absolut reduzierten Formensprache lebte die Gestaltung von kleinen Hand- und Kosmetiktaschen, den vanities und minaudières, sowie der Schmuckstücke dieser Jahre von Einflüssen der verschiedensten Kulturen. Ägypten,

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28.08.2008 11:48:09 Uhr


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