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Im Dialog mit subjektiven Stimmungsbildern

Auf den ersten Blick ist es eine etwas ungewöhnliche Kombination: zwei Sinfonien und ein Solokonzert der Klassik stehen einer Uraufführung gegenüber. Und doch bieten alle Stücke Ungewohntes, Überraschendes und musikalische Kontraste, die für Spannung sorgen. Klassik und Moderne schliessen sich keineswegs aus, schon gar nicht bei der Komponistin Iris Szeghy.

Das Programm ist mit Bedacht gewählt, der Spannungsreichtum kommt nicht von ungefähr, stand doch bereits vor Erteilung des Kompositionsauftrags fest, welche weiteren Werke gespielt würden. Präziser ausgedrückt, Iris Szeghy wurden für die Instrumentierung des zu schreibenden Stückes maximal zwei Oboen, zwei Hörner, Hammerklavier und Streichorchester angeboten. Diese Besetzung entspricht auch den übrigen Werken des Programms.

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Die erste Überraschung ist, dass Iris Szeghy allein auf ein Streichorchester setzt, als Vorlage hat sie ihr 2022 uraufgeführtes 3. Streichquartett gewählt. Dies mag erstaunlich wirken, da die Komponistin für ihre Komposition als Anregung sechs Gemälde von László Mednyánszky verwendet, einem Künstler, dessen Bilder durch Kontraste und eine besondere Farbigkeit auffallen. Hier könnten doch zusätzliche Instrumentalfarben gut passen.

Iris Szeghy stammt aus einer ungarischen Familie und wuchs in Prešov in der Ostslowakei auf, später studierte sie Komposition am Konservatorium in Košice und an der Hochschule für Musik in Bratislava. Das war noch im damaligen «Ostblock». Szeghy wehrt sich allerdings gegen diesen politischen Begriff, da es die gemeinsame musikalische Tradition verschleiert. Seit 2001 lebt sie als freischaffende Komponistin in Zürich und hat ein umfangreiches Œuvre geschaffen. Die Zeit der Totalität liegt lange hinter ihr.

Trotzdem gibt es Unterschiede: Szeghy wuchs zwar mit der gesamten Musikgeschichte inklusive des 20. Jahrhunderts und der damaligen westeuropäischen Avantgarde, welche postromantische Strömungen lange verwarf, auf. Die persönliche Auseinandersetzung damit fehlte ihr aber: «Der Westen und ich waren eine Einbahnstrasse – zu mir kam vieles, von mir heraus ging nichts weg.»

Musik steht bei Iris Szeghy nie nur für sich selbst, sie spricht jemanden an, Dialogpartner:innen sind neben dem Publikum oft Dichter:innen wie Klaus Merz oder Emily Dickinson, Maler wie Paul

Klee oder Musiker wie Mozart. Exemplarisch dafür steht der Zyklus «Ad Parnassum» für Streicher nach Bildern von Paul Klee (2005), in dem Witz und Ernst durch musikalisch verzerrte Zitate der Sarastro-Arie mit solchen der Königin der Nacht kontrastieren.

Iris Szeghy

Besetzung

Streichorchester

Entstehung 2022

Uraufführung

In diesen Kontext passt auch ihr neuestes Werk «Hommage à Mednyánszky» für Streichorchester. László Mednyánszky (1852-1919), der im Gebiet der heutigen Slowakei, damals Nordungarn lebte, ist für jede kulturinteressierte Person in Ost-Mitteleuropa ein Begriff. Seine Bilder wirken zwar naturalistisch, sind aber in Ausdruck und Farbigkeit versteckte Selbstbildnisse und subjektiv geprägte Stimmungsbilder. Dazu passt Szeghys Denkweise ideal: «Ich habe mich nicht von konkreten Farben eines Bildes inspirieren lassen, sondern von der Stimmung des Bildes und von dessen Sujet und was es in mir evoziert.»

Sechs Gemälde hat sie zu einem dramaturgisch stimmigen Plan zusammengestellt. Es sind die Schwerpunktthemen Landschaftsbilder, Mensch und Krieg, die sie an Mednyánszkys Schaffen interessieren und ihre Auswahl der Bilder widerspiegelt. Dynamische Kontraste, abrupte Abbrüche, Pausen, flirrende hohe Register oder Pizzicati sind prägende Elemente der gesamten Partitur. Und doch erhält jeder Satz seinen eigenen Charakter.

«Wald im Raureif» etwa mit dem dreifachen Piano zu Beginn und am Ende und den Quintolen im 3/4-tel, was zu einer verschleiernden, «klirrend kalten» Wirkung führt. Die «Tränke mit Raben» wird charakterisiert durch über Takte fast endlos gehaltene Noten mit langsamem Vibrato, sowie fallenden Glissandi, was eine schwerfällig dumpfe Stimmung evoziert.

Besonders berührend das Bild «Weihnachten der Kriegsgefangenen» mit seinem ostinaten Klopfmotiv und dem harmonisch wie rhythmisch verzerrten Weihnachtslied «Stille Nacht». Eine Ruhepause nach solcher Emotionalität gestattet uns die Komponistin allerdings nicht, denn nun folgt der «Sterbende». Wie ein stotternder Motor agieren die Streicher, ausschliesslich leise in Pizzicato, die Pausen werden immer länger, bis zuletzt das Solo-Cello im letzten Herzschlag ins Nichts verlöscht. Szeghy fordert ihre Zuhörerschaft stets auf ihre ganz eigene, fast unbarmherzige Art in überraschender Weise heraus.

Für Überraschungen sorgen auch die übrigen Werke, die Kristian Bezuidenhout leitet, ein Musiker, der sich als Fachmann für historische Tasteninstrumente einen Namen gemacht hat. Tatsächlich wird er die Werke Johann Christian Bachs und Wolfgang Amadeus Mozarts von einem Hammerflügel mit Wiener Mechanik der Mozartzeit aus leiten. Das Instrument wurde 2003 von Christoph Kern in Anlehnung an Anton Weber & Sohn nachgebaut, umfasst einen Tonumfang von 5 ½ Oktaven und ist mit zwei Kniehebeln ausgestattet.

Die programmierten Werke erlauben einen Einblick in die Aufführungspraxis jener Zeit, wie sie heute nur noch selten gespielt wird. Die Sinfonien und das Geigenkonzert sind in naher zeitlicher Folge entstanden. 1765 komponierte der Bach-Sohn in London die Sinfonie in G-Dur op. 3, Nr. 6. Der «Londoner» Bach, wie er auch genannt wird, war 1762 an den englischen Hof berufen worden. Über 90 Sinfonien hat er in London komponiert und dabei einen untrüglichen Instinkt für klassische Formen und Melodienreichtum entwickelt. Die aus der Frühzeit seines Wirkens stammende G-Dur-Sinfonie steht noch am Übergang vom barocken Concerto grosso zur Klassik, wovon der als Continuo eingesetzte Hammerflügel zeugt. Zudem lässt das Thema des Rondo-Finales das Vorbild des in London tätigen Händel unschwer erkennen.

Besetzung

2 Oboen, 2 Hörner, Streicher,

Entstehung

1765

Dauer

Ca. 10’

Konzert für Violine und Orchester Nr. 4 in D-Dur, KV 218

Besetzung

2 Oboen, 1 Fagott, 2 Hörner, Streicher, Hammerklavier

Entstehung

1775

Dauer Ca. 25’

Sinfonie Nr. 29 in A-Dur, KV 201

Besetzung

2 Oboen, 1 Fagott, 2 Hörner, Streicher, Hammerklavier

Entstehung

1774

Dauer Ca. 30’

Ein Jahr zuvor hatte der 8-jährige Mozart mit seinem Vater London besucht und dort Bach und dessen Musik kennengelernt. Der unverkennbare Bach-Stil mit seinem Melodiereichtum wirkte beim Wunderkind mächtig nach, seine Vorliebe für Kantabilität geht darauf zurück. Davon zeugen auch die innerhalb von zwei Jahren entstandene Sinfonie in A-Dur (KV 201) und das Violinkonzert Nr. 4 in D-Dur (KV 218).

Das Violinkonzert Nr. 4 ist auf Oktober 1775 datiert. Es mag erstaunen, dass Mozart, der mit Klavierkonzerten diese Gattung als Pianist wie als Komponist zur klassischen Hochblüte brachte, in seinen jungen Jahren die Violine gleichermassen brillant spielte. Vater Leopold Mozart, der eine der bedeutendsten Violinschulen des 18. Jahrhunderts geschrieben hat, liess seinen Sohn gleichzeitig beide Instrumente erlernen.

Umso reizvoller ist es, dass Kristian Bezuidenhout das Violinkonzert am Hammerflügel klanglich bereichert. In diesem eher selten gespielten Werk wird gerade die Nähe zu Bach spürbar. Im ganzen Stück ist weniger spieltechnische Brillanz gefragt, als liedhafte Melodik. Schon im ersten Satz nimmt eine frei fliessende Melodie des Soloinstruments bedeutenden Raum ein, was für das Andante cantabile sowieso gilt. Und selbst im virtuos-tänzerischen Rondo-Finale darf ein melodiöser C-Teil nicht fehlen, das «Strassburger»-Lied. Die ein Jahr vor dem Violinkonzert entstandene Sinfonie in A-Dur (KV 201) gehört zu einer Trias, welche Mozarts Jugendwerke aus dieser Gattung souverän abschliesst. Heiter und gelöst ist ihr Grundcharakter, und doch zeugt sie von grosser Reife im Umgang mit der Form. Überragend ist die Farbigkeit der Musik, obwohl neben den Streichern lediglich zwei Hörner und Oboen vorgeschrieben sind. Zu diesem Effekt führt im ersten Satz die Verteilung der Melodie wie im Streichquartett auf alle Streichinstrumente, im Andante die sordinierten, den Klang weich zeichnenden Streicher, im neu eingefügten Menuett der Gegensatz zwischen Zierlichkeit und Forte-Ausbrüchen und im Finalsatz die an der Mannheimer Schule orientierten Orchester-Crescendi. Und das zarte, resonanzarme und klare Hammerklavier bereichert zusätzlich das musikalische Geschehen.

Verena Naegele

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