Nr. 20 | Brückegeneration 5 | Oktober - November 2020

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Hellwig Valentin. Foto: Gerd Eggenberger

Der 10. Oktober im Spiegel eines Jahrhunderts

CARINTHIja 2020

Hellwig Valentin über den weiten Weg zu einem gemeinsamen Gedenken.

Als 1972 der Ortstafelsturm losbrach, war Hellwig Valentin (73) Pressesprecher des damaligen Landeshauptmannes Hans Sima. Später wurde er Leiter des Landespressedienstes, dann Chefredakteur der KTZ. 1998 habilitierte er in Zeitgeschichte. Ein Interview über die Feierlichkeiten zum Tag der Kärntner Volksabstimmung. Wie würden Sie als Geschichtsgelehrter und Zeitzeuge einem ausländischen Gast den Landesfeiertag erklären? Der 10. Oktober steht für die Volksabstimmung von 1920. Damals hat sich eine Mehrheit der Abstimmungsberechtigten in Südkärnten für den Verbleib in der Republik Österreich und gegen eine Angliederung an Jugoslawien entschieden. Was hat uns der 10. Oktober 1920 heute noch zu sagen? Es war eine Entscheidung für die demokratische Republik Österreich – mit allen sozialen und rechtsstaatlichen Errungenschaften – und gegen die südslawische Militärmonarchie. Die Entscheidung kam zustande, weil man das Gemeinsame über das Trennende gestellt hat. Eine Grenzziehung quer durch Kärnten hätte Familien und Freundschaften zerrissen. Jede zweite Stimme für Österreich stammte von Menschen mit slowenischer Umgangssprache. Es war kein Sieg des Deutschtums über das Slowenische. So wurde es aber lange verkauft. Vor der Abstimmung hat die provisorische Landesversammlung eine Erklärung abgegeben, dass seitens der Landespolitik alles getan werde, um eine gedeihliche Entwicklung der Volksgruppe zu garantieren. Nach der Volksabstimmung herr­

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DIE BRÜCKE Nr. 20 | Brückengeneration 5

schte ein anderer Ton. Slowen*innen wurden diskriminiert. Viele Lehrer und Pfarrer haben das Land verlassen. Es gab in den Zwanzigerjahren Aktionen, Menschen aus Deutschland in Kärnten anzusiedeln, um das gemischtsprachige Gebiet einzudeutschen. Die Gedenkveranstaltungen waren Siegesfeiern der Deutschnationalen. 1940, unter der Nazi-Herrschaft, wurde die Jubiläumsfeier abgesagt. Offiziell, um alle Kraft für den Endsieg einzusetzen. Tatsächlich fürchtete das zentralistische NS-Regime in Berlin regionalistischen Patriotismus. Und nach dem Krieg? 1946 gab es eine Kranzniederlegung. 1948 wurde wieder ein großes Fest gefeiert. Da gab es noch jugoslawische Gebietsansprüche, die man so zurückweisen wollte. Ab wann war diese Gefahr gebannt? Der Staatsvertrag von 1955 wurde auch von Jugoslawien unterzeichnet. Belgrad anerkannte damit die Karawankengrenze. Dennoch wurden die Umzüge immer größer. Bei runden Jubiläen kamen die Spitzen der Bundespolitik, um den tapferen Kärntnern zu danken. An diesen Umzügen nahmen immer um die 100.000 Menschen teil. Da wurde stundenlang durch Klagenfurt marschiert. Gab es Momente, bei denen Ihnen mulmig wurde? Bis in die 1970er-Jahre gingen die Umzüge ohne größere Probleme über die Bühne. Die slowenische Volksgruppe hat

eben nicht teilgenommen. 1970 zeigten sich Spannungen: Es gab zuvor einen Bombenanschlag auf ein Abwehrkämpferdenkmal, bei der Feier tauchten Transparente auf, in denen slowenische Gymnasien als „großes Gift“ bezeichnet wurden. Währenddessen haben junge Slowen*innen Ortstafeln mit den slowenischen Namen ergänzt. Das war ein Vorzeichen darauf, was 1972 geschah. Als Landeshauptmann Hans Sima und Kanzler Bruno Kreisky zweisprachige Ortstafeln aufstellen ließen, brach der Ortstafelsturm los. Kreisky knickte ein, Sima musste gehen. Wie hat sich das auf die späteren Jubiläumsfeiern ausgewirkt? 1980 und 1990 gab es keine großen Probleme. 1995 sprach mit Valentin Inzko erstmals ein Repräsentant der slowenischen Volksgruppe, mit sehr versöhnlichen Worten. 2000 Bernard Sadovnik. 2010 hatte sich alles weiter entspannt. Der damalige Landeshauptmann Gerhard Dörfler hat sich um eine Lösung der Ortstafelfrage bemüht, was 2011 gelungen ist. Und heute, hundert Jahre später? Ich denke, die Menschen haben erkannt, dass Zweisprachigkeit ein Wert ist, um den wir zu Recht beneidet werden. ● Wolfgang Rössler 40, aus Steindorf am Ossiacher See, lebt in Wien, ist Korrespondent der NZZ am Sonntag.


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