NOIR - Ausgabe 26: Bilderbuchfamilie

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Reportage

Ein Leben mit dem Sonnenschein Im Gewöhnlichen liegt das Wunder: Josia wurde als Kind mit Down-Syndrom geboren. Doch seine Familie schenkt ihm ein Leben, das möglichst normal ist. Text: Corinna Vetter | Layout: Luca Leicht

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amilie Marquart ist eine ganz normale Familie. Die Eltern Uwe und Birgit leben mit ihren vier Kindern in einer idyllischen badischen Kleinstadt. Die zwei Töchter machen gerade ihr Abitur, der eine Sohn Johannes besucht die neunte Klasse der Realschule. Und dann wäre da noch Josia. Er ist der jüngste Sohn der Familie. Der Zehnjährige spielt für sein Leben gerne Fußball, sein Idol ist Manuel Neuer. Josia ist mit dem Down-Syndrom geboren. Das Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt, ist eine Genmutation, bei der das 21. Chromosom dreifach vorkommt. Dieses Extrachromosom wirkt sich unterschiedlich auf die Betroffenen aus: Die Behinderungen reichen von leichter kognitiver Einschränkung bis hin zu starker geistiger Behinderung. Häufige Symptome sind auch Organfehlbildungen, eingeschränkte Sensorik und Sprachbildung sowie eine schlechte Sehstärke. Josia ist schwach eingeschränkt, sein Leben unterscheidet sich nicht allzu sehr von dem anderer Kinder. Er besucht die dritte Klasse der Grundschule, spielt im Fußballverein und hat viele Freunde. »Ich habe seine Behinderung nie als anormal oder negativ erlebt«, sagt Josias Schwester Judith. »Erst als ich älter wurde, habe ich gemerkt, dass unsere Familie ein wenig anders ist als andere. Trotz Josias guter Entwicklung braucht er natürlich besondere Pflege, zum Beispiel tägliche Muskelübungen und halbjährliche Kuren. »Das fanden wir aber nicht schlimm – wenn unsere Eltern mit Josia in Kur waren, hatten wir sturmfrei«, sagt Judith. »Josia hat genauso Rechte und Pflichten wie die anderen Kinder«, sagt seine Mutter Birgit. »Er räumt die Spülmaschine aus und deckt auch den Tisch.« Eine Sonderbehandlung führt bei vielen Menschen mit Behinderung zu einer Sonderstel-

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NOIR Nr. 26 ( Juni 2 012)

lung in der Gesellschaft. Das wollen seine Eltern nicht. So besuchte Josia einen ganz normalen Kindergarten in seinem Heimatort und besucht nun eine integrative Grundschule. »Eine Sonderschule wäre nicht der richtige Platz für ihn«, sagt Birgit Marquart. Ihrer Meinung nach ist Integration und Verständnis alles. »Das gemeinsame Lernen und Leben ist das Wichtigste für Kinder mit DownSyndrom.« Weil Josia mit so vielen Menschen ohne Behinderung Umgang hat, kennt er keine Berührungsängste. Viele anderen Down-Syndrom-Kinder, die nur Sondereinrichtungen besuchen, haben den Umgang mit gesunden Kindern nie richtig gelernt und scheuen den sozialen Kontakt. Nicht so Josia. Seltsame Kommentare hat sich Familie Marquart über Josia selten anhören müssen. Ihr Umfeld ist sehr verständnisvoll und hat die Entscheidung der Eltern, ihr Kind nicht abzutreiben, nie in Frage gestellt. »Es ist so bewegend, weil er nicht weiß, wie besonders seine Situation ist«, sagt Birgit Marquart. Denn ein Kind mit Down-Syndrom aufzuziehen, wird von der Gesellschaft oft verpönt. »Mein Doktor hat mich sogar zu Hause angerufen und versucht, mich von einer Abtreibung zu überzeugen.« Doch ein Leben ohne Josia kann sich die ganze Familie heute nicht mehr vorstellen. »Er ist unser Sonnenschein.«


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