NOIR - Ausgabe 30: Essen

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LIFEST YLE

DAS BREZEL-EXPERIMENT

„Guten Appetit!“ – Wie oft haben wir uns den schon gewünscht, kurz bevor wir hungrig begannen, die Kartoffeln zu verdrücken? Zwei kleine Wörtchen, die verklingen, kaum haben wir den ersten Bissen getan. Dabei steckt in ihnen so viel mehr.

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er Wunsch, es möge dem Gegenüber gut schmecken gibt nämlich nicht nur den Startschuss zum Reinhauen, sondern zu einem sozialen Großereignis. Essen verbindet – das spürt jeder spätestens dann, wenn er zum ersten Mal mit dem Freund die vom Baum geklauten Kirschen verspeist. Paare kommen bei romantischen Diners zusammen, Familien an der Geburtstagstafel. Im Wort Mahlzeit steckt das Wort Zeit. Die Nahrungsaufnahme wird also zu einem fest vereinbarten Zeitpunkt des Zusammenkommens, einem Treffpunkt. Das Sauerkraut, das bei uns auf

den Teller kommt, verrät mehr über uns, als wir denken. Die Art der Nahrung oder ihr Fehlen sind Indikatoren für den Entwicklungstand, die Probleme oder schlicht die äußeren Faktoren einer Gesellschaft. In weit entwickelten, wohlhabenden Länder kommt mehr und Außergewöhnlicheres auf den Tisch, als in wirtschaftlich schwachen Ländern. Das Essen wird zum Spiegelbild einer Gesellschaft, deren Kultur und deren Werte. Und so definiert unsere eigene Esskultur auch ein Stück weit unsere eigene Identität und die anderer Kulturen. Bin ich für einen Engländer nur Sauerkraut und Schweinshaxe? Die

verschiedenen Esskulturen fallen Vorurteilen und Klischees zum Opfer – nicht immer zu Unrecht. Aber gibt es die „typisch deutsche“ Küche im Zeitalter weltweiter Kost von Döner bis Hamburger überhaupt noch? Und wie kommt sie im Ausland an? Saure Gurken als Abbild der Deutschen – können wir auf der Welt überhaupt beliebt sein? Die Italiener müssten da doch mit Pizza, Pasta und Amore einen klaren Vorteil haben … Ausgestattet mit Brezeln, Haribo Goldbären und sauren Gurken wollten wir in der Heidelberger Fußgängerzone wissen, wie es wirklich um unseren kulinarischen Ruf steht:

Zhang Lu und Gao Yihui, China Brezel und Haribos! Super! Wir hatten sowieso Hunger, da kommt das gerade recht. Wahrscheinlich haben wir uns das letzte halbe Jahr nur von Brezeln und Gummibärchen ernährt. Wir studieren hier nämlich ein Jahr an der Uni Heidelberg. Am Anfang unseres Auslandsjahres hatten wir den totalen (Ess-) Kulturschock: Eure Lebensmittel und vor Allem die Art, wie ihr sie 4

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zubereitet und esst, ist ganz anders als in China. Daheim zum Beispiel essen wir traditioneller Weise nur mit Stäbchen. Aber eure vielen Kartoffelgerichte mit Stäbchen essen? Das funktioniert nicht. Unser Reis ist eure Kartoffel: Es gibt sie immer und überall. Mittlerweile haben wir uns aber an die deutsche Küche gewöhnt. Unser Lieblingsgericht sind Schweinshaxen! Fotos: privat


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