Jewish Museum Berlin: JMB Journal Nr. 13

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Appeals to the Almighty “Jewish” Ceramics and the Fight against Demons, Cancer, and Intolerance Appelle an den Allmächtigen „Jüdische“ Keramik und der Kampf gegen Dämonen, Krebs und Intoleranz

Michal Friedlander

Das menschliche Bedürfnis nach Ritualen, um mit Ängsten und mit lebensbedrohlichen Situationen fertig zu werden, ist seit Urzeiten bekannt. Und besonders fasziniert der Wunsch, dabei auf physische Gegenstände zurückgreifen zu können. Solche Objekte dienen als greifbare Vermittler zwischen dem Menschen und dem „Anderen“ (unsichtbare Macht, Gottheit, Dämon etc., je nach Glaubensrichtung). Das Objekt bietet eine Oberfläche, auf der tiefste Ängste benennbar werden und über die man um Hilfe bitten kann. Schüssel und Teller als Gegenstände, die sich besonders gut mit Text oder Ornamentik verzieren lassen, werden seit dem Altertum für religiöse und abergläubische Riten verwendet. Aus der jüdischen Spätantike sind viele Keramikschalen erhalten, die eine Frau als mächtigen und bösen Dämon zeigen. Die von männlichen Schreibern verfassten Texte auf der Innenseite dieser Schalen umfassen Zaubersprüche, Verwünschungen und Fürbitten zum Schutz der Besitzer. Einen interessanten Kontrast dazu bilden Keramikgefäße mit Bitten um göttlichen Beistand, die heutzutage von jüdischen Frauen angefertigt werden. Wer oder was sind in solch zeitgenössisch-weiblichen Sichtweisen die Dämonen? Und rechnen wir diese Objekte dem Bereich des Aberglaubens oder dem der Religion zu – oder schlicht dem der Kunst? Im spätantiken und frühmittelalterlichen Mesopotamien war die Säuglingssterblichkeit einer der vielen Anlässe für furchteinflößende Unsicherheit, die auf unsichtbare, bedrohliche Kräfte zurückgeführt wurden. Und so bildete der Volksglaube magische Riten aus, um diese Mächte abzuwehren. Mehr als 1.500 sogenannte Zauberschalen aus dem 5. bis 8. Jahrhundert u. Z. sind im Gebiet des heutigen Irak und Iran gefunden worden. Sie entstammen verschiedenen kulturellen Zusammenhängen, sowohl aus jüdischen wie aus paganen Siedlungen. Diese Schalen sind also keine speziell „jüdischen“ Gegenstände; ihre Form und Gestaltung ging aus einem jahrhundertelangen Miteinander der Kulturen hervor. Viele der aus Lehm gebrannten Zauberschalen wurden unter den Böden ehemaliger Gebäude gefunden – umgedreht und in der Nähe von Türschwellen. Man kann davon ausgehen, dass sie dort als Fallen für böse Geister versteckt wurden. Die Texte im Inneren der Schalen sind in Spiralform geschrieben und haben zumeist den Zweck, Dämonen machtlos zu machen. Auf manchen Gefäßen finden sich auch einfache Zeichnungen, darunter immer wieder Darstellungen der Figur Lilit. Die Lilit-Geschichte ist ein alternativer jüdischer Schöpfungsmythos. Während Eva, gleichsam als Nachgedanke, aus Adams Rippe erschaffen wird, ist Lilit wie Adam aus der Erde selbst gemacht. In ihr fließen drei dämonische Frauenfiguren aus der mesopotamischen Sagenwelt zusammen – Lilītu, Ardat Lilī und Lamashtū. In der jüdischen Folklore erscheint Lilit als Zerstörerin:

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J M B JOURNAL

The human need for a ritual in an attempt to control, or at least cope with anxieties and life-threatening situations is known from ancient times. Particularly intriguing is the apparent human desire for a physical object in such circumstances. It acts as a tangible mediator between the person and the “Other” (invisible power, deity, demon, etc. depending on the given belief system). The object provides a surface on which one can name and give voice to one’s deepest fears, and through which one can request help. The round bowl or plate form is appealing as a surface for text or ornamentation and has been used in religious and superstitious rites since antiquity. Many ceramic bowls have survived from Jewish contexts in Late Antiquity, depicting a woman as a powerful and evil demon. Texts, written by male scribes, were inked onto the interior surface of the bowls, containing spells, curses and pleas for the owner’s protection. By contrast, it is interesting to consider ceramic vessels incorporating pleas for divine assistance that have been made in our own times, by Jewish women. Who, or what, are the demons of today from these female perspectives? Do we judge these new objects as belonging to the realms of superstition, religion, or perhaps art? Back in Mesopotamia, infant mortality was one of many situations of terrifying uncertainty, which were associated with intangible, dangerous forces. Not surprisingly, magical folk rites emerged in an attempt to keep them at bay. Over 1,500 so-called incantation or magic bowls, from around the 5th to 8th centuries CE, have been found in the region of modern Iraq and Iran. They have been discovered in different cultural contexts, including both Jewish and pagan sites. As such, they are not a uniquely “Jewish” object type, and owe their form and content to generations of cultural overlap and interplay. Many earthenware incantation bowls have been discovered face down in former buildings under the flooring, often near a threshold. It is believed that they were placed in particular spots to trap evil spirits and protect the home. The texts on the bowl interiors were written in a spiral and the content usually focused on rendering demons impotent. Crude figural line drawings are sometimes found on the vessels, including figures who are believed to represent Lilith.


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