Hiroshima, Nagasaki: Broschüre zum 70. Jahrestag

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Hiroshima

links: Hatsue Tominaga, Hiroshima, erblindete 1977 an den Spätfolgen des Atombombenabwurfs. rechts: Yoshiko Nishimoto war 18 Jahre alt, als die Bombe fiel. Sie verbrachte 14 Jahre im Krankenhaus und hatte 65 Operationen. Fotos: Ihetsu Morishita, September 1977.

Die Hibakusha Seit Jahrzehnten leiden die Überlebenden, die Hibakusha, wie sie auf japanisch genannt werden, an ihren Verletzungen, an Folgekrankheiten und seelischen Nöten. Viele Überlebende verfielen bei dem Anblick der Toten und der verwüsteten Stadt in eine teilnahmslose Haltung. Die meisten verloren an einem Tag ihre ganze Familie, andere mussten zusehen, wie ihre Eltern, Geschwister oder Kinder in den Wochen nach der Bombardierung qualvoll ihren schweren V­ erletzungen erlagen. Viele Überlebende wurden von Schuldgefühlen gequält, etwa, weil sie ihre Kinder nicht rechtzeitig vor dem Feuer aus den Trümmern befreien konnten. Später, bei der Gründung einer eigenen Familie, standen die Hi­ ba­ kusha tausend Ängste durch, fragten sich, ob ihre Kinder gesund zur Welt kommen würden oder ob sie selbst als Eltern an den Spätfolgen erkranken würden und sie ihre Kinder nicht versorgen könnten. Dazu kam die gesellschaftliche Ausgrenzung der Opfer – aufgrund von Arbeits­ lo­ sig­ keit, Krankheit, Behinderung und ihrem Sonderstatus als Hibakusha. Bis zum Friedensvertrag von San Francisco, der im April 1952 in Kraft trat, wurden von den USA Unter­ suchungen über die Leiden der Überlebenden reglementiert oder die Ergebnisse zensiert. Über Hiroshima und Nagasaki war eine Nachrichtensperre verhängt. Der Artikel 19 im

sogenannten Friedensvertrag schrieb ausdrücklich vor, dass Japan auf sämtliche Forderungen nach Reparationszahlungen für Kriegsschäden zu verzichten hat. Die USA wurden dadurch von etwaigen Verpflichtungen gegenüber den Hibakusha entbunden. Die Atombombenopfer und viele Bürgerinitiativen bemühen sich seitdem, staatliche Unterstützung zu erhalten. Ab 1954 wurde das »Problem« der Atombombenopfer endlich auf staatlicher Ebene diskutiert. Dem japanischen Parlament und der Regierung wurde eine Petition vorgelegt, in der gefordert wurde, die Behandlung von atombombenbedingten Erkrankungen aus Mitteln der Regierung zu bezahlen und ein Gesetz über Sozialhilfeleistungen für Atombombenopfer zu erlassen. 1956 wurden erstmals medizinische Aufwendungen für Atombom­ ben­ opfer als Aufgabe des japanischen Staates festgeschrieben. In Nagasaki fand im August 1956 eine dreitägige Konferenz gegen Atomund Wasserstoffbomben statt, bei der auch die Hilfeleistungen für die Opfer Thema waren. Bei einem weiteren Treffen der Atombombenopfer wurde der Verband der Organisationen der Atom- und Wasserstoffbombenopfer gegründet. Sie forderten die Entwicklung eines Gesetzes zur medizinischen Versorgung der Atombombenopfer. Dieses Gesetz, das dann auch verabschiedet wurde, legt fest, dass erstens Menschen, die zum

Zeitpunkt der Explosion bis zu 4 km vom Nullpunkt entfernt waren, zweitens Menschen, die kurz nach der Bombardierung nach Hiroshima und Nagasaki gekommen waren und drittens Menschen, die als Fötus verstrahlt worden waren, Atombomben­ opfer sind. Erbrachten die Opfer den Nachweis, zu einer der drei Gruppen zu gehören – was in vielen Fällen schwer zu bewerkstelligen war, weil sämtliche Angehörige und Habseligkeiten verloren waren – bekamen sie einen Ausweis, der ihnen die Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen ermöglichte. Bislang wurden 367.000 Menschen als Atombomben­ opfer anerkannt. Bedürftigen Überlebenden zahlt der japanische Staat heute je nach Schwere der Erkrankung 150–550 Euro im Monat. Eine Summe, die in Japan die Unterhaltskosten nicht deckt. Schätzungsweise haben 40.000 ko­­reanische Zwangsarbeiter die Atom­­­bomben überlebt, die meis­ten kehrten nach Korea zurück. Im ­Nor­ma­­lisierungsvertrag mit Japan (1965) verzichtete Südkorea auf alle Ansprüche, wodurch die koreanischen Atombombenopfer von Japan keine Reparationszahlungen bekamen. Der südkoreanische Staat hat für diese Menschen keine besonderen Vorkehrungen getroffen. Für die ge­ringere Zahl von chinesischen und an­deren asiatischen Atombombenop­ fern gelten gleiche Schwierigkeiten. 14


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