Foto: Lopata/AkdÄ
GEFRAGT
6 Fragen an … Wolf-Dieter Ludwig
Chefarzt der Klinik für Krebsmedizin in Berlin-Buch und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
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Professor Ludwig, sind Medikamente in Deutschland zu teuer? Ja, die Preise für Medikamente in Deutschland sind häufig zu teuer. Patentgeschützte Arzneimittel sind dabei die Hauptursache der jährlich steigenden Ausgaben für die gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Im Jahr 2015 sind die Ausgaben erneut gegenüber dem Vorjahr mit mehr als 4 % überdurchschnittlich auf knapp 37 Mrd. Euro gestiegen. Dabei sind Arzneimittel für die Behandlung von Krebserkrankungen die mit Abstand umsatzstärkte Indikationsgruppe. Die höchsten Kosten verursachen neue Wirkstoffe wie monoklonale Antikörper und Proteinkinaseinhibitoren.
Im Vergleich mit anderen Ländern sind die Arzneimittelkosten in Deutschland im ersten Jahr nach Zulassung immer noch unverhältnismäßig hoch. Warum? Richtig ist, dass die Preise für neue Arzneimittel in Deutschland deutlich über dem europäischen Niveau liegen. Deutschland ist der größte Arzneimittelmarkt in Europa. Daher sind die hier erzielten Preise wichtig für die sog. externe Preisreferenzierung, dem wichtigsten Mechanismus für die Festlegung von Arzneimittelpreisen in Europa. Da die pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland im ersten Jahr nach Markteinführung den Preis für Medikamente frei bestimmen können, sollte für Arzneimittel ohne Zusatznutzen der verhandelte Erstattungsbetrag nicht erst ein Jahr nach Markteinführung, sondern rückwirkend gelten. Dann müssten die Pharmaunternehmen die zu viel gezahlten Erlöse zurückerstatten.
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Sie kritisieren, dass viele Arzneimittel nutzlos seien. Gibt es keine Fortschritte, z.B. bei der Behandlung von Krebs? Es gibt unbestritten große Fortschritte im Verständnis der molekulargenetischen Grundlagen der Krebserkrankungen, die auch zur Entwicklung neuer, gezielt einsetzbarer medikamentöser Therapien geführt haben. Gleichzeitig sind jedoch erhebliche Mängel in der Forschung und Entwicklung neuer onkologischer Wirkstoffe deutlich geworden. Hierzu zählen beispielsweise beschleunigte Zulassungsverfahren für die Mehrzahl der neuen Krebsmedikamente, die dazu führen, dass zum Zeitpunkt der Zulassung unsere Kenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit noch unzureichend sind. Außerdem lässt sich der patientenrelevante Nutzen der neuen Medikamente häufig erst Jahre nach Zulassung endgültig beurteilen.
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Wie frei sind ÄrztInnen vom Einfluss der Pharmaindustrie? ÄrztInnen werden heute mit vielfältigen Marketingstrategien der Pharmaindustrie konfrontiert. Hierzu zählen u.a.: verzerrte Darstellung von Ergebnissen klinischer, meist von der Pharmaindustrie gesponserter Studien zu Arzneimitteln in Fachzeitschriften sowie ebenfalls gesponserte Fortbildungsveranstaltungen, auf denen das Nutzen-Risiko-Verhältnis von neuen Arzneimitteln häufig interessengeleitet dargestellt wird. Deshalb hat die AkdÄ auch im Januar klare Regeln für die Durchführungen ihrer Fortbildungsveranstaltungen aufgestellt: 1. Keine direkte oder indirekte Finanzierung der Veranstaltungen durch die Pharmaindustrie. 2. Berücksichtigt werden nur Referenten, die seit mindestens zwei Jahren keine finanziellen Interessenkonflikte haben.
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Seit sechs Jahren dürfen die Hersteller die Preise für ältere Arzneimittel nicht mehr erhöhen, neue Medikamente werden auf ihren Nutzen überprüft. Reicht das aus, um die Arzneimittelkosten zu senken? Die 2011 eingeführte frühe Nutzenbewertung im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes ist zweifelsfrei ein wichtiger Schritt, um einen am Zusatznutzen orientierten Preis für neue Medikamente festzulegen. Die Erfahrungen der letzten 5 Jahre zeigen allerdings, dass die bisher erzielten Einsparungen bei den Patentarzneimitteln insgesamt nur etwa 1,4 Mrd. Euro betragen und damit deutlich unter den avisierten 2,1 Mrd. Euro jährlich liegen. Die hohen Preise für neue Arzneimittel werden weder durch die Kosten für Forschung und Entwicklung oder Herstellung neuer Arzneimittel, noch durch den gerade bei Krebsmedikamenten meist geringen Nutzen begründet.
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Was muss die Politik Ihres Erachtens tun? Ziel muss weiterhin sein, frühzeitig nach Markteinführung neuer Arzneimittel unabhängige Informationen zu deren Nutzen zu erhalten und angemessene Erstattungsbeträge festzulegen. Die angepeilten Einsparungen werden mittelfristig allerdings nur durch eine nutzenbasierte Preisbildung erreicht werden. Vermieden werden müssen falsche ökonomische Anreize für Pharmaunternehmen, die vor allem in der Onkologie zur Entwicklung einer Vielzahl von sehr teuren Arzneimitteln ohne neuen Wirkmechanismus und meist mit unklarem Zusatznutzen geführt haben.
Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig wird am 14. Oktober 2016 mit dem Vortrag Leitlinien für ÄrztInnen – Wer leitet wen wohin? auf dem IPPNW-Kongress „Medizin und Gewissen“ in Nürnberg zu Gast sein. Mehr Informationen unter: www.medizinundgewissen.de 34