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Gesundheit und Gesellschaft

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Die unsichtbare Hand im Teppichboden 30 Jahre AMATOM: Auch dieses Thema wurde im amatom in der Vergangenheit schon öfter diskutiert. So z.B. 2002 in der Ausgabe Nr. 15: „Abschied von der Solidarität – her mit den Profiten“ von Tobias Weismüller, den wir aus Platzmangel hier leider nicht noch einmal abdrucken können. Er steht aber auf unserem Blog: amatomblog.wordpress.com Wenn in den Stationen für Privatpatient*innen und in sogenannten Hotelkliniken Teppichboden verlegt wird und neue Flachbildschirme angeschraubt werden, dann wird Geld, das für Gesundheitsversorgung vorgesehen war, für eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Kliniken ausgegeben. Wenn Aktionär*innen von börsen­ notierten Klinikkonzernen Dividenden ausgeschüttet bekommen, dann wird das Gesundheitssystem zur Erweiterung persönlichen Reichtums benutzt. Wenn Ärzt*innen und Pfleger*innen zu wenig Zeit für die sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen der Medizin, haben, dann auch, weil sich das nicht abrechnen lässt. 124. Hauptversammlung des Marburger Bund 2013: „Wir Ärztinnen und Ärzte werden zunehmend als Produktionsmittel instrumentalisiert und können unseren eigentlichen Auftrag am Patienten nicht mehr angemessen erfüllen. Dies führt zunehmend zu ethischen Konflikten, die kurative, helfende Medizin wird immer weiter marginalisiert.“ Und wenn Menschen und ihre Krankheiten unter ökonomischen Gesichtspunkten als ein Mittel zum Zweck betrachtet werden, wenn Gesundheitsleistungen als Waren angeboten werden, dann hat das schwerwiegende Auswirkungen auf unsere Arbeit, unsere Gesundheit und unser gesellschaft­ liches Zusammenleben. Je mehr ich in den klinischen Alltag hinein­wachse, desto mehr offenbaren sich mir Probleme und Widersprüche unserer Arbeit unter den jetzigen Verhältnissen. Einige unserer Kolleg*innen haben sie schon dazu gebracht, die klinische Arbeit frustriert

aufzugeben, gar nicht erst zu beginnen oder in einem Zustand der inneren Kündigung resigniert weiter zu machen. Jürgen Lichey, Wolfgang Schilling und Günther Jonitz im Deutschen Ärzteblatt 16. Juni 2017: „Die Verwandlung der Krankenhäuser in kostenorientierte, betriebswirtschaftliche Unternehmen ist eine Fehlentwicklung ­historischen Ausmaßes.“ In unserer IPPNW-Studierendengruppe haben wir uns gefragt, wie die Ökonomisierung oder Kommerzialisierung vonstatten­ geht, wie die Finanzierung des Gesundheitssystems funktioniert, welches Ausmaß Privatisierungen angenommen haben und was die Folgen einer solchen Umgestaltung sind. Über die letzten zwei Jahre habe ich mich intensiv, unter anderem durch die Arbeit im Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, in das Gesundheitssystem und die ökonomischen Grundlagen eingelesen, Veranstaltungen besucht und Menschen zugehört, die in politischer Ökonomie und Gesundheitspolitik erfahren sind. Ich möchte teilen, was ich gelernt habe, weil ich glaube, dass wir uns mangels politischer und ökonomischer Wissensvermittlung in unserem universitären Curriculum selbst bilden und austauschen müssen, um uns konstruktiv kritisch äußern zu können.

Freie Märkte und Waren Die Reformen des deutschen Gesundheitssystems der letzten Jahrzehnte reihen sich ein in die marktradikalen oder neoliberalen Umgestaltungen, die weltweit Gesellschaften verändern und sich auf ­ immer mehr Lebensbereiche ausbreiten1. Ich verwende das Wort Neoliberalismus hier, um eine ökonomische und politische Ideologie zu beschreiben, die durch Privatisierungen,

Deregulierung, Rückbau sozialer Sicherungssysteme und Austerität, also Sparmaßnahmen, gekennzeichnet ist 2. Hinzu kommen soziale und ethische Normen, wie die Betonung der individuellen Leistungsbereitschaft und unternehmerischer Freiheit als Antrieb gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritts, die Akzeptanz sozialer Ungleichheit als ein notwendiges Übel und ein allgemeines Misstrauen gegenüber staatlicher Steuerung. Es wird damit tendenziell eine Gesellschaft gefördert, die geprägt ist von individualisiertem, marktwirtschaftlichem und entpolitisiertem Denken und Handeln. Solidarische und demokratische Argumentationen und Gestaltungsmöglichkeiten hingegen verlieren an Wert. Dazu wird die marktwirtschaftliche Logik von Konkurrenz und Warenaustausch auf zuvor nicht-kapitalistische Bereiche gesellschaftlichen Lebens ausgeweitet. Um staatlich, kommunal oder kollektiv organisierte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens für private Investitionen und Profit zu öffnen, wird soziale Infrastruktur abgebaut und öffentliche Daseinsvorsorge privatisiert. Dazu zählen die Wasser- und Stromversorgung, Straßen, öffentlicher Verkehr, Schulen, Grenzsicherung, Gefängnisse, die Versorgung geflüchteter Menschen sowie Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen. Durch diese Erweiterung des Marktes werden Dinge und Handlungen als Waren umdefiniert, soziale Verhältnisse zunehmend individualisiert und wir Bürger*innen, Patient*innen und Gesundheitsarbeiter*innen finden uns Felix Ahls felix.ahls@posteo.de, wieder als Kund*innen, Praktisches Jahr Verkäufer*innen und Kon- in Duisburg sument*innen.

Gesundheit und Krankheit werden zu Waren Konkret wurde in Deutschland seit den 1980er Jahren die Krankenhausfinanzierung vom Selbstkostendeckungsprinzip zu einer wettbewerbsorientierten und leistungsbezogenen Finanzierung umgestaltet.


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