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#Kultur #Josefine Rieks

Josefine Rieks

HURRA, DER SERVER FÄHRT HOCH #Kultur — Die Idee des Internets ist gescheitert. In Josefine Rieks’ Roman »Serverland« ist es längst abgeschaltet, und die Jugend sehnt sich zurück nach dessen kommunistischem Potenzial. Britta Tekotte sprach mit Rieks über ihre »Alternativ­ weltgeschichte«. Foto: Alena Schmick

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ls ich Josefine Rieks das erste Mal persönlich traf – im King Georg in Köln vor ihrer Lesung, die ich moderierte –, war ich überrascht, wie sehr sie ihrem Pressefoto glich. Dieselbe nerdige große Brille, dieselbe coole alte Lederjacke, aber, anders als auf dem Foto, ein freundliches und offenes Lächeln. An dem Abend funktionierte zunächst die Technik nicht. Ein Defekt als performatives Unterfangen, könnte man denken, handelt »Serverland« doch von einer Welt, in der das Internet gescheitert und bereits vor Jahrzehnten per Referendum abgestellt worden ist. Die heutige Internet-Realität wirkt in »Serverland« gar wie verdrängt. Doch auf einmal graben ein paar junge Leute in der abgestellten Vergangenheit: Reiner, der sich technisch unvorstellbar gut auskennt, ein Nerd, der Laptops und Computerspiele aus »der guten alten Zeit« sammelt, wird eines Tages von einem alten Schulkollegen abgeholt. Der bringt ihn erst zu einer alten Serverhalle in der Nähe von Berlin, dann zu einer ehemaligen Serverhalle von Google in den Niederlanden. Dort partizipiert er – teils mitlaufend, teils mitorganisierend – an einer kollektivartigen Jugendbewegung, die mithilfe von gefundenen YouTube-Videos die Vergangenheit verklärt. »Serverland« bildet, in Josefine Rieks’ Worten, eine »Alternativweltgeschichte« ab. Zwei Songs, die Reiners Schulkollegen im Auto hören, stechen heraus: K.I.Zs »Hurra, die Welt geht unter« und Antilopen Gangs »Ikearegal«. Beide handeln von, grob gesprochen, gesellschaftskritischer Beschäftigung mit Utopie und dem Aufruf, kritisch zu denken, sich antirassistisch zu positionieren. In der Gegenwart des Romans sind sie schon retro. »Keine Man würde, sagt Jo- Redaktion. sefine Rieks, das HöKeine ren dieser Songs in einigen Jahrzehnten Hierarchie. vielleicht auch so be- Da kann man werten: »Das ist viel- sich befreit leicht, wie wenn man fühlen.« Pink Floyd entdeckt – nehmen wir mal an, nicht auf YouTube, sondern unter erschwerten Umständen irgendwo im alten Plattenschrank der Großeltern – und dann drauf abgeht und stolz ist, die alte gegenkulturelle Hippiemusik zu hören, und eben gar nicht mehr merkt, wie sehr Pink Floyd eigentlich nerven.« Die Jugendlichen in »Serverland« interpretieren die Zeit, in der es noch Internet gab, als etwas Kollektives, gar Kommunistisches, wie Josefine Rieks betont: »Keine Redaktion. Keine Hierarchie. Da kann man sich befreit fühlen. Das ist doch die Vorstellung der frühen Internetvisionäre.« Allerdings ist auch diese Interpretation samt ihrer Bewegung in »Serverland« zum Scheitern verurteilt. — Josefine Rieks »Serverland« (Hanser; 176 S.; € 18)


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