Intro #254

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#Pop #SXTN

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ch, Leute, haben wir nicht schon oft genug gehört, wer welche Mutter wie derbe ficken kann? Auch das Bragging darüber, wer den Größten hat, ist mittlerweile durchgelutscht. Aggro-technisch wäre durchaus mal Zeit für Neues. SXTN sind neu, weil sie zu den wenigen Frauen in der deutschen Rap-Szene gehören. Inhaltlich bleibt aber doch alles beim Alten, denn die beiden Rapperinnen stehen felsenfest in Berlins Atzen-Rap-Tradition und bieten daher ein Asozialisierungsprogramm erster Güte. Ihr Track »Die Fotzen sind wieder da«, gibt die Richtung vor: ein großes »Fuck you« mitten in die Fresse, Atzen-Style eben. Es ist nun weiß Gott nicht das erste Mal, dass sich Rapperinnen Fotze nennen. Auch wenn Nura und Juju in ihre Proll-Lyrics immer noch eine extra Schippe Aggression packen. Klar wollen SXTN provozieren – bleibt trotzdem die Frage, ob das am Ende alles nicht mehr als nur stumpfes Beleidigen ist. »Kommt auf den Kontext an, oder?«, fragt Juju zurück, zündet sich eine Kippe an und erklärt: »Wenn ich mich Fotze nenne, ist das genauso, als würde ein Rapper sagen: ›Ich bin ein Hurensohn.‹ Das heißt ja noch lange nicht, dass er nicht sauer ist, wenn ihn auf der Straße jemand so nennt. Vielleicht macht er das ja auch nur, um anderen den Wind aus den Segeln zu nehmen.« Im Battlerap werden Frauen von Männern klassischerweise degradiert. Gedisst werden sie dann, wenn Männer das Gefühl haben, dass Frauen sich wie sie benehmen. Mannsweib ist daher eine besonders beliebte Beleidigung in diesem herrlichen Kreislauf. Nura und Juju zeigen sich davon unbeeindruckt, denn sie wissen, was sie können. »Wir lassen uns nicht provozieren, das geht gar nicht«, sagt Nura. »Außerdem haben wir fast keine Hater mehr, sondern die wahrscheinlich krasseste Community, die ein Rapper überhaupt haben kann.« »Rap ist Männersache, Schlampe«, behauptet Kollegah im Stück »Gangsterarroganz«. SXTN nennen das ShowSexismus. »Wenn er das ernst meinen würde, hätte er uns ja wohl nicht gefragt, ob wir einen Song zusammen performen wollen«, klärt Nura auf. »Rap ist ja auch immer ein Stück Interpretationssache«, fasst Juju zusammen. Aber natürlich geht es auch darum, genauso hart zu sein wie die Jungs. »Wir wollen in dem Game mitmachen, mit anderen konkurrieren und zeigen, dass wir besser sind als sie.« Das klingt dann so: »Geh’ mit dir auf ein’n Sektempfang, ziehe mich wie ‘ne Lesbe an, kläre mir deine Bitches weg und rauch’ am Ende dein letztes Gramm.« Tja, da sieht er natürlich alt aus, der Kollege. Die EP »Asozialisierungsprogramm«, mit der Juju und Nura schon 2016 für Aufregung sorgten, kam mit der Kampfansage »Ich ficke deine Mutter ohne Schwanz« als Opener. Neben Letzterem und der folgenden, für

Frauen immer noch unüblich umfangreichen Fick-dichLiturgie gab es zwei herausstechende Tracks: Nuras Song »Schwarz«, in dem sie aus Markus’ »Ich will Spaß, ich will Spaß« ein böses »Ich bin schwarz, ist kein Spaß« macht, und »HassFrau« mit Alice-Schwarzer-Hook, ein Song, der verstörend unkritisch Sexismus im Rap behandelt. Auf »Leben am Limit« behalten SXTN den ausgestreckten Mittelfinger und sind bereit, verbal weiterhin alles und jeden zu ficken, bemühen aber vor allem altbekannte Bilder. Wie die Geschichte vom Vorstadtjungen, der einen Fick aufs Gesetz gibt und es zum leuchtenden Stern an der Skyline der Großstadtgangster bringt. Leben am Limit bedeutet bei SXTN: Kiffen und Partymachen ist geil, Schule scheiße. Gemixt werden die Raps mit elektronischen Beats, Trap-Elementen und Auto-Tune. Vorbilder im HipHop gibt es für die Band trotz der Nähe zu Atzen-Style Frauenarzt nicht. Nura hat »früher nicht mal Was der Digger in Rap gehört«. Juju, im bekanntesten Problem- Hamburg ist, ist der Atze in Berlin. Der Ausdruck bezirk Berlins aufgewachsen, ist in dem Be- bedeutet so viel wie großer reich schon eher sozialisiert. Nach der Schule Bruder. Der kleine Bruder versuchte sie sich bei Neuköllner Freunden am von Atze ist im Berliner Slang übrigens Keule. Die Mikro. Dort wurden die üblichen Verdächtigen bekanntesten Atzen des gehört: Bushido, dessen Aggro-Kollegen, Kool Rap sind Frauenarzt und Savas. »Wir haben dann irgendwann gemerkt, Manny Marc. Wer erinnert sich noch an die Horden dass diese Art von Rap einfach unser Style ist.« besoffener Neon-GitterbrilIm Video zu »Er will Sex« posiert Juju in Bad- lenträger, die immer wieder Girl-Riri-Manier mit dickem Pelzmantel am deren Party-Mantra »Hey, was geht ab, wir feiern die Pool und macht Hurensöhne heiß, die sie doch ganze Nacht« vor sich her niemals kriegen werden. Die erniedrigendste lallten? Allzweckwaffe im Damen-Battle: Sexentzug. Für ihren Mut, sich der sexistischen Rhetorik Alice-Schwarzerihrer männlichen Kollegen zu bedienen, wer- Hook den die Damen gefeiert. Mit »Ich bin zu für 2007 verlas Alice Schwardich, weil du ‘ne Hure bist« klingen SXTN zwar zer in einer Talkshow den Text des zu Recht indizierhart gegen stumpfe Zeilen wie »Hass Frau, ten Songs »Du nichts ich du nichts, ich Mann, fick mich und halt dein Mann« von Pornorapper Maul« von King Orgasmus One, aber glückli- King Orgasmus One. SXTN benutzten Schwarzers cherweise auch noch verhältnismäßig harmlos. Stimme als Hook für ihren Nura und Juju scheißen ohnehin auf theoreti- Song »Hass Frau«. Ein sche Fragen wie die, ob man als Emanzipation Stück, das SXTN »aus der Sicht eines frauenfeindlifeiern sollte, dass degradierende Inhalte end- chen Mannes geschrieben lich auch mal von Frauen kommen. »Was wir haben«. Die sexistische machen, ist auch manchmal sexistisch, wenn Message bleibt trotz der weiblichen Interpretation man ins Detail geht. Aber wir haben da eben eindeutig; was SXTN mit Spaß dran«, so Juju. »Wir machen uns nicht dem Song genau sagen über jede Kleinigkeit Gedanken, sollte man wollen, ist unklar. Das lassen die Mädels lieber offen. auch nicht, wenn man Kunst machen will. Leute werfen uns ja auch Männerfeindlichkeit vor – das ist doch total hängen geblieben.« Zu ernst dürfe man das alles nicht nehmen. Die abwertenden Texte der Kollegen seien nicht schlimm, Orgi als Typ total okay. Was sagen denn die Mamas über ihre Mädels, die den Deutschrap so genüsslich in den Arsch ficken? Nuras Geschwister und die Mutter sind »alle total stolz«. Jujus Mutter war skeptischer. »Am Anfang meinte sie: ›Nee, was soll das?‹ Sie hört ja keinen Rap. Aber dann hab ich es ihr erklärt, und sie hat es verstanden.« Den Neuköllner Schulhof werden SXTN in jedem Fall erobern. Vielleicht ist sogar noch mehr drin, denn wer braucht schon Neues, wenn Althergebrachtes so gut funktioniert? Oder, in den Worten von SXTN: »Heute ficken wir die Szene, alle anderen sind egal. Wir sind asozial und geil, ihr seid nur asozial.« — SXTN »Leben am Limit« (JINX / Chapter ONE / Universal) — Auf Tour vom 04. bis 29.10.

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