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GESTERN
MEIN SONG UND SEINE GESCHICHTE
FISCHMOB »BONANZARAD« Zwei Alben lang galten Fischmob Mitte der 90er als dezent verrückte Innovatoren einer aufkeimenden deutschen HipHop-Szene. Eines ihrer Glanzstücke: »Bonanzarad«, eine Single, die auch 20 Jahre später auf jeder WG-Party eine gute Figur macht. Fischmob-Gründungsmitglied Sven Mikolajewicz a.k.a. Sven Franzisko alias Der schreckliche Sven erinnert sich an eine Zeit, in der es alles andere als üblich war, einen deutschen HipHop-Song über Fahrräder zu schreiben.
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Als Kind hatte ich kein Bonanzarad. Nur die richtig coolen Typen hatten das. In unserer Straße war das nur einer – und der war selbstverständlich der ungekrönte König des Bolzplatzes, wenn er mit seinem fellbezogenen Bananensattel und dem Fuchsschwanz hinten dran vorgefahren ist. Selbstverständlich war der Typ auch der Erste, der eine Freundin hatte und echtes Geld verdiente, weil er nach der Schule Einkaufswagen bei Kaisers zusammengeschoben hat. Viel mehr konnte man eigentlich nicht erreichen. Das Lied ist als Beitrag für eine Split-Single mit der befreundeten Oldenburger Punkrock-Band NoNotNow entstanden. Die Kollegen hatten einen Song über den Ford Thunderbird beigesteuert, wir fanden es aber ein bisschen profan, unsererseits als Rapper einem dicken Auto zu huldigen, und haben uns stattdessen das einzige Fahrrad mit vergleichbarem Coolness-Faktor vorgenommen – das passte erheblich besser in unser Universum. Fischmob bestand zu Beginn ja nur aus Koze und mir, dementsprechend waren die Entscheidungsfindungsprozesse noch ange-
nehm kurz. Anfang der 1990er gab es natürlich noch keinen Hipster-Hype, und deswegen war es für die damaligen Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich, über Fahrräder zu rappen, statt auf dicke Hose zu machen. Die Fans fanden das cool, weil viele ähnlich sozialisiert waren und ähnliche Kindheitserlebnisse hatten. Unser Vorstadt-Mittelschicht-Background war eben nicht von Drogen, Sex und Gewalt geprägt, sondern von Panini-Klebebildern, Wassereis und Langeweile. Dementsprechend hat das Bonanzarad eine deutlich wichtigere Rolle in unseren Kindheitsträumen gespielt als beispielsweise dicke Autos. Damit konnten sich dann irgendwie erstaunlich viele Leute identifizieren. Ich werde heute noch erstaunlich oft auf das Lied angesprochen. Und es ist mir immer noch ein Rätsel, wie man zu diesem Stück tanzen kann. Ich habe es übrigens nach wie vor nicht geschafft, in den Olymp der Coolness vorzudringen. Ich fahre im Moment ein total langweiliges und ziemlich altes Crossbike.« Aufgezeichnet von: Bastian Küllenberg — SCHNUFFEL DAS TOTAL SÜSSE EICHHÖRNCHEN »SANS COMIC« (EXPERTENMUSIK) — DJ KOZE »REINCARNATIONS PART 2« (PAMPA / ROUGH TRADE)
Fischmob »Bonanzarad« Cosmic DJ, Der schreckliche Sven, Stachy und Koze sind die coolsten Boys auf der ganzen Welt. Morgens ess’ ich Cornflakes und abends ess’ ich Brot Und wenn ich lang genug gelebt hab’, dann sterb’ ich und bin tot Tja, so ist das mit dem Leben, gar nix hält für immer Nur die Frage: Nach dem Tod – wird es da besser oder schlimmer Müßig ist es, darüber nachzudenken Die Zeit, die man dafür investiert, die kann man sich auch schenken Darum denkt nich’ an das Jenseits und die ganzen Sachen dann Es gibt so viele schöne Dinge, die man jetzt schon machen kann Ich zum Beispiel, ich spare grad Für ’n dritten Rückspiegel am Bonanzarad Dazu ‘ne Rolle gelb-schwarzes Lenkerband Seit Wochen sammel’ ich dafür schon den Flaschenpfand Das technische Niveau unserer Zivilisation Findet in der Schaltung auf der Mittelstange Manifestation Und genau aus diesem Grunde ist mein ganzer Stolz Eine neue Schaltkonsole aus Sandelholz Ich hab’ vier Gänge und ‘n Leerlauf Das bedingt, dass sich der Fußgänger die Haare rauft Denn die Fußgängerzone, das ist mein Revier Und für jeden Überfahrenen gibt’s ’ne Kerbe zur Zier …