Intro #165

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≥ aussehen wie das musikalische Gegenstück zu Gilbert & George. Doch obwohl sich die Sparks wie eine ins Absurde gekehrte Electropop-Variante von Queen anhören und die Verstiegenheit von Freddy Mercury noch durch unzählige Vaudeville- und Operetten-Elemente toppen, erschöpfen sie sich nicht in Witzigkeit. Das haben sie mit Ween gemeinsam: Sie beherrschen die große Kunst, humorvoll zu sein, ohne humorig zu werden. Mit ihrer eigenwilligen Form von Glam, die manchmal so hyper-artifiziell wie frühe Devo und manchmal so theatralisch wie ELO klingt, verstehen es die Sparks bis heute, Pop als Spektakel aufzuführen, ohne den Spektakel-Charakter zu kaschieren. Die ganze, seit mehreren Jahrzehnten geführte Debatte um Rock-Authentizität, IndieSentimentalität und »Echtheit« von Musik prallt an keiner Band so sehr ab wie an den Sparks, bei denen alles voll und ganz im Inszenatorischen aufgeht. Mit den Sparks kann man sich nicht identifizieren – und das ist auch gut so. Nicht einmal mit jener Person aus dem Song »Lighten Up, Morrisey«, die darunter leidet, dass die Freundin mit ihr nicht mehr essen gehen möchte. Als großer Morrisey-Fan (»Meat Is Murder«) erträgt sie es nicht, wenn ihr Freund im Restaurant ein Steak bestellt. Dass die Sparks über so etwas scheinbar Nebensächliches Lieder schreiben, im nächsten Song dann aber gleich einen umfassenden Abgesang auf die Epoche des Mittelalters anstimmen, macht ihre Größe aus: Wo sowieso alles Inszenierung, Stil und Spiel ist, spielt es keine Rolle, ob man über Gott, das Universum oder den eigenen Stuhlgang singt. Martin Büsser

Sten The Essence Dial / Kompakt Sten ist Peter M. Kersten in konkret. Mit diesem Pseudonym verzückt der Hamburger Produzent nicht so sehr die Traumtänzer wie mit seinem anderen, bislang bekannteren Alias Lawrence, sondern hat damit umso genauer den realen Dancefloor im Blick. Und offensichtlich kann es immer noch konkreter werden, zugleich aber auch weiter, ausladender. Dial-Platten hatten bisher zwar keinen einheitlichen Label-Sound, verbreiteten aber doch immer eine Stimmung, die man sofort zuordnen konnte – diese gewisse Unschärfe und Melancholie. Das scheint sich gerade ein wenig zu ändern. Mit seinem zweiten Sten-Album hat sich Peter M. Kersten deutlich der House-Vision von Efdemin, Carsten Jost und Pigon angenähert. Der spezielle Dial’sche Nebelschleier hängt bei »The Essence« noch über der Szenerie sich rastlos bewegender, schwitzender Körper, doch er lichtet sich zusehends. In ihren Strukturen sind die Tracks

sehr simpel und überschaubar. Sie geben sich traditionsbewusst – so besingen etwa Querflöten die Erinnerungen an Bobby Konders’ »Poem«. In den einzelnen Details und auch in ihrem Gesamtsound ist diese Musik aber ungemein raumgreifend. Deepness ist ein hohles Wort, überstrapaziert und abgenudelt. Sten jedoch braucht es gar nicht: Seine House Music dehnt sich in der Horizontalen. So weit, dass man ihr Ende gar nicht hören kann. Arno Raffeiner

The Streets Everything Is Borrowed Warner Zur letzten Platte war noch in aller Munde, Mike Skinner würde quasi bei den Beatles einheiraten. Mit anderen Worten: Er war Lover von Ringo Starrs Tochter, oder doch Enkelin? Ja, genau, die Enkelin, na, Hauptsache direkte Blutlinie. Ihr fand sich auf dem letzten Album »Hardest Way To Make An Easy Living« ein Song gewidmet. Was wurde aus dieser Liaison denn bloß? Aber erst mal weiter im Text: Zudem kommt seit der first appearance der Streets in der Weltpresse kein Artikel aus ohne den Verweis, wie drogenaffin der Künstler sich selbst inszeniere (in Interviews wie den Songtexten). Trotz dieses boulevardtauglichen Backgrounds wird Skinner von der PaparazziPress nicht durch die Straßen Londons gehetzt, sonst wüsste man doch auch mehr über den Verbleib der B-Promi-Geliebten. Diese Ambivalenz ist es aber wohl auch, die Mike Skinner so überzeugend macht. Auf der einen Seite Slang sprechender, scheißcooler Ecstasy-Fan und auf der anderen dann aber doch nicht wirklich passed out und willenlos. Stattdessen eigenes Label, eigene Signings, schön Karriere. Und vor allem immer wieder gute Platten. Auch »Everything Is Borrowed«, die vierte, gewinnt dem nur vermeintlich limitierten Genre des Rap-orientated Tough-Guy-Grime neue Facetten ab. Duktus (also die große Schnauze) wie gehabt, aber die Songs öffnen sich mitunter echtem Pop oder auch konsequent durchgezogeneren HipHop-Passagen. Ach ja, und der Anteil der wirklich gesungenen Parts nimmt noch mal erheblich zu. Prägnanz als Pop. Und gepennt wird woanders. Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wo die Enkelin von Ringo Starr wohnt. Vielleicht braucht sie jemanden, der ihr im Haushalt zur Hand geht. Linus Volkmann

Astrid Swan Spartan Picnic Pyramid / Cargo / VÖ 10.10. »Ist das Vicky Leandros?« fragt der Pförtner, als er Astrid Swan auf dem Cover angesichtig wird. Bitte? ≥


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