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MALEREI

Steen zieht eine solche Aufforderung zu Mässigung und Selbstbeherrschung schon im Bildvordergrund ins Lächerliche.

lerei, die für ihre sehr präzise und detailreiche Wiedergabe von Motiven bekannt ist. In Leiden legten damals Schiffe aus der ganzen Welt an, der Handel mit Stoffen und anderen Raritäten florierte. Die Künstler liessen sich durch die Vielfalt von exotischen Motiven, Farben und Strukturen inspirieren. Bürgertum als Auftraggeber Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts begann sich das dortige Bürgertum zunehmend für Kunstwerke zu interessieren. Der Westfälische Friede im Jahr 1648 und die dadurch gewonnene Unabhängigkeit vom spanischen Königshaus stärkten das Selbstbewusstsein in den Provinzen der nördlichen Niederlande. Nach zahlreichen Kriegen, bewaffneten Auseinandersetzungen zur See mit England und einer Zeit der wirtschaftlichen Instabilität besannen sich die Holländer auf Häuslichkeit und Bescheidenheit. Die Unabhängigkeit von der Krone rief das Bürgertum als neue Auftraggeber auf den Plan. Obwohl es den Wohlstand und die neue Freiheit nur vorsichtig genoss und sich an das Gebot der Mässigung hielt, umgab sich das Bürgertum gerne mit Kostbarkeiten und aussergewöhnlichen Raritäten. Für die Maler bedeutete dies eine steigende Nachfrage nach Kunstwerken. Neben Porträts und Seestücken waren auch Stillleben beliebt. Diese bilden in handwerklich hochwertiger Qualität zufällig drapierte alltägliche Gegenstände ab. Gemälde, die der heutigen Gattung des «Genre» zugeordnet werden, zeigten zumeist Kneipen- oder Bordellszenen. Meister des Genres Jan Steen widmete sich intensiv der Genremalerei und entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem wahren Meister seines Fachs, der zudem oft und gerne mit versteckten und humoristischen Elementen spielte. In seiner grossformatigen Arbeit «Wie gewonnen, so zerronnen» aus dem Jahre 1661, die wir als Beispiel heranziehen, verbindet er eine Interieurdarstellung mit Stillleben und Porträts zu einer lebendigen und aussagekräftigen Genreszene. Noch heute bewirken die Verschleierungen und Doppeldeutigkeiten grosses Vergnügen beim Entschlüsseln. Das Gemälde «Wie gewonnen, so zerronnen», das heute im Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdam zu betrachten ist, zeigt einen Lebemann, der eine Zwischenmahlzeit mit Austern in einem prunkvoll ausgestatteten Raum in Gesellschaft einer hübschen jungen Frau und einer lachenden Alten geniesst. Im Vordergrund sorgt ein Junge für den

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nötigen Nachschub an Wein, während im Hinterzimmer zwei Männer in ein Brettspiel vertieft sind. Den Titel erhielt das Gemälde durch eine Inschrift mit goldenen Lettern auf der steinernen Kaminumrandung: «So gewonne, so verteert». Auf Deutsch entspricht dies dem Sprichwort «Wie gewonnen, so zerronnen» und verweist auf die Unbeständigkeit des Glücks. Ein Gemälde über dem Kamin zeigt passend zur Inschrift die Glücksgöttin Fortuna. Als Aktfigur hält sie ein Segel in den Wind und bestimmt damit, ob die Schiffe auf See im Hintergrund sicher im Hafen ankommen oder bei Sturm gegen die Klippen geworfen werden. Für eine Seefahrernation wie Holland war es von immenser Bedeutung, dass das Glück dem Handel treu blieb. Dass Fortuna mit einem Fuss auf einem Würfel balanciert, ist als ein weiterer Verweis auf das Glücksspiel zu verstehen, dem im Hinterzimmer des Speisesaals nachgegangen wird. In anderen Darstellungen balanciert Fortuna auf einer Weltkugel. Diese kleine Änderung des Motivs war an den humanistisch gebildeten Betrachter gerichtet, der die Anspielung auf den stets ungewissen Ausgang von Glücksspielen verstand. Lust – Verführung – Mässigung Das Sujet, dessen sich Jan Steen hier bedient, hat bereits eine lange Tradition in der Druckgraphik: eine Bordellszene, die durch die Darstellung eines unehrenhaften Lebensstils vor selbigem warnen soll. Bereits in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts sind derlei Arbeiten bekannt – zum Beispiel von Lucas van Leyden (1498–1539). In Jan Steens Gemälde vergnügt sich bei helllichtem Tage ein Lebemann mit Wein und Unmengen an Austern in Gesellschaft einer jungen Schönheit und bietet so ein Beispiel für massloses Verhalten. Der Junge im Vordergrund füllt zudem aus einer gläsernen Flasche Branntwein in die Weinkanne, um die Wirkung der Trunkenheit noch zu verstärken. Steen zieht eine solche Aufforderung zu Mässigung und Selbstbeherrschung schon im Bildvordergrund ins Lächerliche: Er lässt den Jungen den Wein in der Kanne mit hochprozentigem Alkohol vermischen und sorgt damit dafür, dass der Herr am Tisch noch schneller betrunken wird. Bereits Pieter Brueghel d. Ä. benutzte die Figur des Wein umfüllenden Jungen in seiner «Bauernhochzeit» 1567/68. Üblicherweise ist ein junger Mann, mit einem Gefäss vor einer Festtafel stehend, aus Kunstwerken bekannt, die das biblische Wunder darstellen, in dem Jesus bei einer Hochzeitsfeier Wasser in Wein ver-

Lucas van Leyden, Tavernenszene, um 1518/1520. Holzschnitt, Französische Nationalbibliothek, Paris

reiches, bürgerliches Umfeld. Auch die junge Schönheit ist wie eine bürgerliche Gastgeberin gekleidet und trägt nicht, wie üblich, aufreizende, tief dekolletierte Kleider. Ihre Haare sind in einen Chignon gesteckt und mit Perlen geschmückt. Ihr Umhang entspricht der damaligen Mode einer mit Pelz besetzten Hausjacke. Auch ihre Mimik und Gestik lassen in ihr keine Prostituierte erkennen. Für die Bildaussage ist auch der Hund im Vordergrund von Bedeutung: Er steht für einen weiteren Frevel am bürgerlichen, gesitteten Leben, da er an einer Zitrusfrucht und den angerichteten Austern schnuppern kann, ohne dass er von den Delikatessen verscheucht würde. Jan Steen bedient sich bei diesem Gemälde also Sujetwahl mit bürgerlichen Anleihen Einen Bruch mit der Bildtradition gibt es allerdings nicht nur der bekannten Bildtraditionen in der doch: Das Interieur, in dem Steen seine Szene spielen Druckgraphik seit dem 16. Jahrhundert, sondern lässt, gleicht ganz und gar nicht den üblichen rustika- verbindet in dieser Genreszene auch Kunstgriffe der len Räumen von Kneipen, sondern spricht für ein unterschiedlichen Malerschulen der Niederlande.

wandelt. Durch Brueghel und Steen wurde diese Figur nicht nur in einen profanen Kontext gesetzt, sondern führt die ikonographische Bildtradition ad absurdum. Auch die Alte in Jan Steens Gemälde, die lächelnd Austern öffnet, ist als typische Kupplerin aus sogenannten «bordetjes», also Bordelldarstellungen, bekannt. Sie stellt mit ihrer sonnengegerbten Haut, dem spitzen Kinn und der krummen Nase das Gegenteil eines jungen schönen Mädchens dar. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Besucher des Hauses durch Aphrodisiaka und Alkohol den Animierungen der Mädchen hingeben.

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