IN MÜNCHEN 08/2022 - Stadtleben, Kultur und Programm von 1.08. bis 31.08.2022

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Redaktion_0822 25.07.2022 14:58 Seite 38

Musik

Angespielt JOCHEN DISTELMEYER Gefühlte Wahrheiten Die sogenannte Hamburger Schule? Undenkbar ohne den gebürtigen Bielefelder Jochen Distelmeyer. Er und seine Blumfeld sorgten damals, nach dem Ausverkauf der NDW, zusammen mit Tocotronic, Bernd Begemann und Die Sterne für frischen Wind in der deutschsprachigen (Indie-)Rock- und Popmusik. Ich erinnere mich noch heute sehr gerne daran, und bin ausnahmsweise auch mal ein klein wenig stolz, dass ich zusammen mit einem Freund, mit dem ich eine Hobby-Konzertagentur hatte, Blumfeld damals mit ihrem Debütalbum „Ich-Maschine“ in die Kulturstation nach Oberföhring holen konnte. Ausverkauft, eh klar. Und Distelmeyer und Kollegen, schliefen seinerzeit privat bei einem Bekannten von uns. Schön war’s! Und: Schön isses, denn der Pop-Connoisseur Distelmeyer hat mit „Gefühlte Wahrheiten“ ein weiteres wunderschönes Stück deutsche Popmusik geschaffen. Geht gleich fantastisch los, mit dem schwer emotionalen, sich genial steigernden „Komm (So nah wie du kannst)“ inklusive lärmigem Gitarrenexzess im Finale. Danach wird’s poppiger und man kann auch schon wieder Distelmeyers Faible für Bands wie Prefab Sprout, oder ja, auch die Münchner Freiheit erkennen. „Nur der Mond“ ist dann eine poetische Lagerfeuer-Akustik-Ballade, die, wer mag, mit seinem leichten Blues-Flavour, auch als Reminiszenz an den unvergessenen Heiner Pudelko hören kann. Auch „Gone Girl“, das den englischsprachigen Block eröffnet, kommt eher gemächlich (und akustisch) daher und erinnert genauso wie „Roads Of Regnet“ an die US-Singer/Songwriter-Tradition eines Ryan Adams meinetwegen. Countryesk und schunkelig dagegen „The Reason“, für mich der schwächste Song des Albums. „Manchmal“ dagegen ist so brutal ehr-

lich, aufwühlend und vereinnahmend, das einem fast die Spucke wegbleibt und ein Klos im Hals schwillt, denn: „Manchmal hab ich noch Hoffnung, manchmal fehlt mir der Mut. Manchmal bin ich gefangen zwischen Trauer und Wut ...“ Den Abschluss macht dann das überaus versöhnliche, geradewegs bezaubernde, ebenso melancholische wie jede und jeden mit einbeziehende „Ich sing für dich“. Vielleicht ja mal eine (mutige) Idee für den nächsten ESC, zwar kaum zu erwarten in einem Land, das seit Jahren mit qualitativ gar nicht so schlechten, dennoch aber meist recht belanglosen Songs den letzten Platz für sich beansprucht. Wie auch immer, ich fänd’s super… denn Distelmeyer ist es ernst, wenn er singt: „Ich sing für dich wenn du so willst, vom Ende der Gewalt. Ich sing von Anmut und Geborgenheit, auch wenn es komisch klingt. Wenn ich so davon sing, ist alles was ich sing, für dich gemeint.“

THE BURNING HELL Garbage Island Ja, super Titel. Die ganze Welt eine Insel voller Müll: Plastik, Hundescheiße, Elektroschrott, höchstwahrscheinlich auch große Teile der Menschheit ... egal, sucht euch was raus. Dabei geht’s gleich sehr treffend mit „No Peace“ los, das gut und gerne auch von Bill Callahans Smog oder The Go-Betweens stammen könnte. Fünf Jahre nach dem gelungenen „Revival Beach“ kehrt das kanadische Antifolk-Konglomerat um Bandleader Mathias Korn endlich hörenswert zurück. Etwa mit der XTC-Hommage „Nigel The Gannet“ oder dem zwischen 60s-psychedelisch und 70s-punkig aufrockenden „Birdwatching“, das entfernt an R.E.M.s „It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)“ erinnert. Exzellent auch der sonnentrunkene CalypsoFolk von „Dirty Microphones“ und das riff-rockige „Empty World“, das sich hörbar an Devo oder den B52s orientiert. Die minimale Akustik-Ballade „Minor Characters“ weiß ebenso zu verzaubern wie der lässige Spaghetti-Western-Country von „All I Need“. Es

folgen das ebenso stimmungsvolle wie träumerische „Swan Boat“, das elektronische, maßgeblich von einer funky Triangel nach vorne gepeitschte „Bird Queen Of Garbage Island“, das düster-progressive „Speachlessness“ und zu guter Letzt auch noch die hinreißende Kinderlied-meets-Ukulele-Ballade – Nomen est Omen – „The End Of The End Of The World“. Jetzt hat man mal so einen kleinen Überblick, über die Vielseitigkeit und die ungebremste Spielfreude von Korn und seinen Begleitern, darunter etwa die bezaubernde Ariel Sharrat, die für gehobene Zweistimmigkeit in den Gesängen sorgt.

PAOLO NUTINI Last Night In The Bittersweet Ja leck: Acht Jahre hat Paolo Nutini nix mehr von sich hören lassen. Entschieden zu lang. Obwohl, vielleicht knallt sein neues Album deswegen gleich doppelt gut. Schon bei den ersten beiden Singles hat man erfreut die Ohren gespitzt. Zu genial gleich das, nun ja, irgendwo zwischen Krautrock, 60s-Psychedelia und The Strokes changierende „Lose It“. Es folgte die samtige, leicht rauchige, im Peak höchst emotional gesungene Soul-Ballade „Through The Echoes“. Bei „Shine A Light“ klingt Nutini nach einer Mischung aus bekifftem Bryan Adams und einem sanftmütig schlaftrunkenen Iggy Pop, begleitet von beseelt und introvertiert aufspielenden Pearl Jam. Zackig und agil gleichermaßen dann das minimalistische „Petrified In Love“, wo man Nutini irgendwo zwischen einem aufgedrehten Tom Petty, dem wavigen Elvis Costello und einem gleichmütigen Peter Doherty verorten möchte. Und dann noch das ebenso majestätische wie in sich ruhende und – dem Titel entsprechend – hypnotische „Acid Eyes“, wo man ein bisschen das Gefühl hat, als ob Cigarettes After Sex auf Speed die Weiten der auf Gitarren basierenden Disharmonie ausloten wollten. Puh, ein ganzer Haufen Namen, die da jetzt so rumschwirren. Und, es sind alles nur Assoziationen, die ich ganz spontan hatte,

OPTIMAL

40 Jahre Optimal Records Von 28. bis 30.7. feiert Optimal Records in der Kolosseumstraße 6 sein 40-jähriges Bestehen — „Wir dürfen feiern, wir wollen feiern. Am liebsten wäre uns 40 Mal. Denn 2022 ist unser 40-jähriges Jubiläum, wir haben Geburtstag, den 40. !“ Zu schön, diese pure, sprudelnde Energie und Ausnahmediesen schier ungebrostimme! chene Willen zu spüren, Riesentalent!: den die Optimalen an den MALVA Tag legen, wenn es darum geht den Leuten wohl auch noch die nächsten 40 Jahre die Ohren mit den feinsten Tunes zu polieren. Und auch der Idealismus und Optimismus von Peter „Upstart“ Wacha, Christos Davidopoulos und ihrem Team ist ungebrochen und so freuen sie sich nach zwei Jahren Zwangspause endlich wieder ein dreitägiges Sommerfest ankündigen zu 60

dürfen, bei dem neben 20% Discount auf alle Tonträger ein paar musikalische Gäste geladen sind, die es in sich haben: Am Do. 28.7. spielt das Münchner Dreamfolk-Duo Doe Bed. Gegründet bereits 2015 landete ihr Ohrwurm „Folks“ zuletzt doch tatsächlich in der Playlist der legendären US-Folker Bright Eyes und machte so seinen Weg um die Indie-Welt. „Voll Verdient!“, fand das beispielsweise BR 2-Zündfunker Ralf Summer. Selbiger gilt auch als Radio-Entdecker der gerade erst 20 Jahre gewordenen Münchner Indiepop-Chansonette Malva, die am Fr. 29.7. auftreten wird. Auch für sie hatte er von Beginn ihrer Karriere an, was ca. zwei Monate her ist, ein paar gute Worte übrig: „Ausnahmestimme! Riesentalent!“ entfuhr es ihm und schwupps war die damals noch 19-jährige Schwabingerin auch schon im Zündfunk gelandet. Last but not least – am Sa. 30.7. – der internationale Stargast des Minifestivals: Josephine Foster. Die aus Chicago stammende Singer/Songwriterin verzaubert die Zuhörenden mit ihrem immer leicht angeschrägten und sanft psychedelischen Electronica-Folk.


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