in münchen Ausgabe 08/2016

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Redaktion_0816_Redaktionsseiten 11.04.2016 19:51 Seite 13

THEATER

Wie sich die Wut ihren Weg bahnt Schauerliches aus den vereinsamten Großstädten. Und zum Glück auch tröstlicher Wohlklang „Kings“, das beim Radikal Jung-Festival eingeladen war, hält Abdel-Maksoud in ihrem neuen Stück, das sie selbst geschrieben und für die Bühne inszeniert hat, erneut einer Angstgesellschaft in der Krise den satirischen Zerrspiegel vor. Und erzählt ganz nebenbei von einer sehr unwahrscheinlichen Freundschaft. (Volkstheater, ab 20.4.) Einfach mal Anschluss finden möchte auch der traurige Held aus Kim Nobles bitterböser You are not aloneComedy-Revue. Er stalkt den Kassierer im Supermarkt und bringt ihn mit eigenwilligen „Zeichen“ (Kondomen, Tampons und Schwangerschaftstests auf dem Kassenband) in Verlegenheit. Außerdem protokolliert er minutiös die sexuellen Aktivitäten seiner Nachbarn Aufmarsch der Selbstgerechten: VER(N)EINT und ruft Telefonnummern an, die Fernfahrer an den Wänden von Autobahntoiletten hinterlassen haben. Das GroßManchmal gibt es einfach nicht wirklich selbst der antike Held Herakles verprojekt dabei: sinnstiftende Beziehunüberzeugende Alternativen. „Entweder schafft sich Luft, der – von der Göttin gen aufbauen. Wie man weiß, ist das ich bringe mich um, oder du mich, oder Hera verwirrt – in blutigem Furor seine schwierig. Herauskommt – als englischwir trennen uns, oder wir machen so gesamte Familie auslöschte. (Kammerweiter“, sagt sich Katarina, deren lang- spiele, ab 16.4.) jährige Beziehung zu Frank verharmMit journalistischem Scharfblick tritt lost gesprochen etwas „erstarrt“ wirkt. dagegen Regisseurin Anna Möhrle in An diesem Abend, dem Abend der ihrer brisanten Collage an die aus den Dämonen, ist es besonders unerträgFugen geratene Gesellschaft heran. lich. Der Ehemann kommt ohne EinkäuVer(N)eint besucht brennende Asylfe nach Hause, dafür aber mit einem bewerberheime, stellt sich als schockierBeutel, in dem sich die Urne mit der te Augenzeugen zu rechtsextremen geAsche seiner Mutter befindet. Am waltgeladenen Übergriffen dazu und nächsten Morgen soll sie beigesetzt beobachtet, wie große wütende Menwerden. Franks Bruder, der eigentlich schenmassen gegen die Vielfalt im Lanzur Beerdigung kommen sollte, taucht de auf die Straße ziehen. Ist es wirklich nicht auf. Der Horror, schon wieder ei- erträglich, dass so viel Hass alltäglich nen sinnentleerten Abend in der ge- wird? Möhrle legt im Rahmen der „Inmeinsamen Nobelwohnung zu verbrin- vasion“, bei der die derzeit heimatlose gen, ist erdrückend. Also lädt Katarina Studiobühne der Theaterwissenschaft kurzentschlossen das Nachbarehepaar München die Pasinger Fabrik besetzt, ein. Es entspinnt sich ein Abend, der die Tiefenschichten des Alltagsrassismus von Hass, Trauer, Sehnsucht, Unterwer- frei. (Pasinger Fabrik, 26. und 27.4.) fungsritualen, Zerstörung und VernichWurstbrote werfende Wutbürger tungskämpfen zwischen Mann und Frau geprägt ist. Nichts Stilles, nichts Gemüt- toben auch durch das schrille Roadmovie von Nora Abdel-Maksoud. Politiker liches also. (Volkstheater, ab 17.4.) leben ihren Rechtsdrall aus, WohnungsWüst geht es erwartungsgemäß suchende resignieren, Omis fischen auch im Wut-Stück von Elfriede Jelinek Pfandflaschen aus dem Müll, Journaliszu. Die sprachgewaltige Nobelpreisträ- ten erhitzen sich. Und alles wartet auf gerin aus Österreich hat sich damit ihre eine Art Erlöser. Könnte der junge soneigene Empörung über die Anschläge nengebräunte Rock’n’Roll-Ritter derjein Paris von der Seele geschrieben, als nige sein, auf den alle gewartete haacht Redaktionsmitglieder des Satire- ben? Sie nannten ihn Tico, eine Urmagazins „Charlie Hebdo“ ermordet aufführung, stellt einen jugendlichen und in einem Supermarkt für koschere Robin Hood ins Zentrum, der zusamLebensmittel zwei Polizisten und vier men mit dem Schnorrer Lefty, der eiKundinnen ums Leben kamen. Aber na- gentlich noch auf die Rückkehr seines türlich kann es hier nicht nur um die unbekannten Vaters wartet, einfach Wut der Attentäter und das Erschre- mal ausbricht. Es entspinnt sich eine cken über fanatisierte Islamisten ge- atemlose Jagd – ausgehend von dem hen. Auch „aufrechte“, „erwachte“ Eu- unmenschlichen Kaff Moers, das man ropäer brüllen über die Bühne. Und einfach hinter sich lassen muss. Nach

sprachiges Gastspiel –ein gnadenloser Akt der Selbstentblößung und ein bissiger Kommentar auf unsere von Überwachung und Datenängsten geprägte Gegenwart. (Kammerspiele, 15./16.4.) Deutlich heiterer, aber nicht weniger albern dürfte der Fux gewinnt 3/3-Abend ablaufen. Die Fux-Truppe (Stephan Dorn, Falk Rößler und Nele Stuhler) hat sich dafür akribisch vorbereitet. Die vergangenen zwei Monate über nahm das Trio sein Glück selbst in die Hand. Gemeinsam löste man Kreuzworträtsel, rubbelte Lose frei, nahm an Fernsehquizshows teil, unterwanderte Kindermalwettbewerbe, warf Dosen und setzte auf Pferde. Nun ist der spannende Höhepunkt gekommen: Sie treten mit ihren gewonnenen Preisen auf die Bühne. Nur was sie erspielt haben, dürfen sie auch verwenden. Werden sie überhaupt Kleidung tragen? Und wer fährt im Mercedes SLK vor? Gut möglich, dass sich die Gruppenmitglieder auch schon längst aus dem karg dotier-

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