Redaktion_0615_Redaktionsseiten 16.03.2015 21:45 Seite 11
KINO
weit erfolgreiche Band aus Hannover auf der Welt zu finden sind. Der heute in Würde abtreten und zog, für die Ab- 68-jährige Experte Charles McCombie schiedstour „Farewell“, noch einmal sucht seit Jahrzehnten danach, lange an die Orte ihrer größten Erfolge. Katja für die Schweiz und weitere Auftragvon Garnier („Abgeschminkt“, „Bandits“) hat die Musiker um Sänger Klaus Meine, die Gitarristen Rudolf Schenker und Matthias Jabs für ihre Dokumentation The Scorpions – Forever And A Day wunschgemäß begleitet. Auftritte in Bangkok, Paris oder Los Angeles, allerlei Interviews, allerlei Material aus den Archiven. Muss ja nicht gleich ein Meisterwerk wie „Metallica – Some Kind Of Monster“ werden, aber genügend Stoff Irgendwas strahlt immer: für eine weniger konvenDIE REISE ZUM SICHERSTEN ORT DER ERDE tionelle Arbeit hätt‘ es schon gegeben. (Ab 26.3.) Atommüll. Sind grad‘ so um die 350.000 Tonnen. Die kommen ja bald in ein paar sichere Endlager, wo sie unbeschadet ein paar 100.000 Jahre vor sich hin strahlen können. Blöd bloß, dass diese Art von Endlagern nirgends
geber. Für seine völlig unaufgeregte (aber extrem aufregende) Dokumentation Die Reise zum sichersten Ort der Erde hat der Schweizer Regisseur Edgar Hagen seinen Protagonisten durch die ganze Welt begleitet. In
denen Niels mit Strafen überziehen ... Phie Ambos erbauliche TV-Dokumentation Viel Gutes erwartet uns feiert, mit schönen Bildern und esoterischer Musik des Städters Traum vom Rote Khmer. Ottara Leben auf dem Land. Kem war 1965 aus KamboEinmal rund ums Schwarze Meer. dscha in die DDR geflüchtet. Baute sich hier ein neu- Kaiser Augustus verbannte den römies Leben auf. Über seine schen Dichter Ovid ins heutige ConVergangenheit jedoch stanza, der schrieb da seine „Tristia“ schwieg er. Erst als er im genannten Klagelieder. Daher bezieht Sterben lag, bat er darum, die für einen der letzten Sendeplätze in der alten Heimat bestat- auf ARTE entstandene Dokumentation tet zu werden. Seine Toch- Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee ter Marina Kem begibt sich ihren Titel. Aber, keine Angst, da Stain ihrer sehr persönlichen nislaw Mucha Regie führt („Absolut Dokumentation Bonne Warhola“, „Die Wahrheit über DracuNuit Papa auf Spurensu- la“, „Die Mitte“) bei dieser fast 10.000 Kilometer langen Autoreise, der gar che. (Ab 26.3.) nicht anders kann, als skurrile GestalNachhaltig. Landwirt ten und absurde Momente zuhauf Niels Stokholm ist 79, führt zu sammeln, fällt dieses schon 2013 seinen Hof, zur Zufrieden- gedrehte Werk hinreichend unterhalheit seiner Tiere und seiner tend und tragi-komisch aus. Ukraine, Kunden nach seiner ganz eigenen, an- Russland, Abchasien, Georgien, Türkei, throposophischen Façon. Das geht, im Bulgarien, Rumänien ... die Menschen durchbürokratisierten EU-Agrarien, wo schlagen sich so durch, räsonieren über auch der Bio-Landwirt 1001 Regeln zu ihre Lage, träumen von längst verbeachten hat, gar nicht. Es tauchen In- gangenen oder den kommenden besspektoren auf, die dem naturverbun- seren Zeiten. China sind gerade weitere 18 Meiler im Bau. Es gibt keine Lösung. Es muss aber eine geben. Gier, Dummheit, Hybris ... überall.
DER FILMTIPP
Jugendlieben, Jugendsünden und ein Kopfschuss „Das ewige Leben“ von Wolfgang Murnberger „Ich hab grad beruflich a bissl a genheit lauern ihm auf. „Heimat ist schlechte Phase“, windet sich der ehe- für jeden ein bisschen dings“, weiß malige Privatdetektiv Simon Brenner der Brenner bei seinem Rückzug in (Josef Hader) auf seinem harten Bü- die Steiermark. Offene Rechnungen rostuhl im Wiener Arbeitsamt. „Herr Brenner, Sie san ned krankenversichert, Sie san ned sozialversichert, Sie haben kein Bankkonto, das würde ich ned als schlechte berufliche Phase bezeichnen. Sie san a U-Boot“. Die Beamtin bringt es gnadenlos auf den Punkt. Tatsächlich steht der ewig sympathisch grantelnde Loser Kultkieberer Brenner ganz unten ... ziemlich abgebrannt am Abgrund. Zudem leidet der verkrachte Ex-Polizist unter infer- wollen beglichen werden. Er begegnalischen Kopfschmerzen. net alten Spezln und einem noch älResigniert kehrt der stoische Einzel- teren Gspusi. Seine einst der freien gänger nach Graz, in die verhasste Liebe frönende Maritschi klopft jetzt Heimatstadt seiner Jugend zurück. als Wirtin Schnitzel. Dort bietet ihm das Erbe seines Groß- Und irgendwann landet er mit einer vaters, ein abbruchreifes Einfamilien- Kugel im Kopf im Krankenhaus. Grünhaus, zumindest notdürftig Obdach. de für einen Selbstmordversuch gäbe Aber auch die Phantome der Vergan- es genug, doch nur der Brenner weiß,
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dass es ganz anders war. Nach und nach lüftet sich freilich der Nebel, der den Blick zurück blockiert. Nicht zuletzt den auf die Hoffnungen und Träume, die mit dem Freiheitsdrang der 70er Jahre verknüpft waren. Sepiagefärbte Rückblenden im Super-8-Stil zeigen, wie vier junge Männer, es sind Polizeischüler, da ihren eigenen „Summer of Love“ erleben. Nicht umsonst eiert auf Brenners ausgeleiertem Plattenteller der großartige Hit „When I Was Young“ von Eric Burdon. Kaum einer scheitert so heroisch und dabei so uneitel wie der Kult-Kieberer Brenner alias Josef Hader. In seinem vierten Kino-Abenteuer als trauriger Sturschädel erinnert der geniale Kabarettist mehr denn je in jeder Nuance an die Anti-Helden aus den großen Tragödien. Gleichzeitig steckt in seinem Brenner, dem Scheitern zur zweiten Natur geworden ist, noch der Revoluzzer von damals. Nie wirkt er glück-
licher, als wenn er mit dem alten hellblauen Puch-Moped seiner Jugendtage in Schlangenlinien durch das nächtliche Graz fährt. Dazu liefert Regisseur Wolfgang Murnberger klassisches Noir-Feeling mit somnambulen regennassen AsphaltBildern. Die verwegene Verfolgungsjagd im Finale auf den Grazer Schlossberg wirkt jetzt schon legendär. Und wenn Brenner mit seiner Puch knapp zwischen einem LKW und Tunnelwand entlang schrammt, werden Actioneinlagen geboten, die es beinahe mit James Bond aufnehmen können. Hinterfotziger Humor paart sich mit bizarrem Sprachwitz und einer ins Aberwitzig-Surreale hinein gesteigerten Handlung. Gekonnt mischt die komplexe Dramaturgie Vergangenheit und Gegenwart. Die unwiderstehlich fatalistische Melange aus Satire, Groteske und sympathisch melancholischem Österreich-Schmäh ist dem kreativen Dreigestirn Murnberger, Hader und Autor Wolf Haas wieder einmal bravourös gelungen. Luitgard Koch