büchermenschen_3/2007

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Dem Glück auf der Spur Ingo Schulzes preisgekrönte Erzählkunst

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Interview

EINE GANZE REIHE namhafter Auszeich-

© Jim Rakete

nungen hat er mittlerweile bekommen und sein Wenderoman „Neue Leben“ wurde als „Weltliteratur“ gepriesen: Ingo Schulze, 1962 in Dresden geboren und mittlerweile in Berlin zuhause, gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart.

Lesezeichen

Ingo Schulze empfiehlt:

> Ihr literarisches Debüt gaben Sie vor 12 Jahren mit dem Erzählband „33 Augenblicke des Glücks“. Wie lautet Ihre gegenwärtige Definition von Glück? < Ich glaube nicht, dass man Glück inhaltlich beschreiben kann. Glück ist – wie alles – sehr relativ. Es besteht immer in einer Differenz. Die Verbesserung eines Zustandes oder einer Situation ist es, was als Glück empfunden wird. Deshalb ist Glück auch selten von Dauer. Wenn es doch länger anhält, dann sicher deshalb, weil man sich das Glück bewusst macht, sei es, dass man seine Lebensliebe gefunden hat, dass man in Frieden lebt, nicht krank ist, nicht hungert ... > Nicht nur einer glücklichen Fügung, sondern „außergewöhnlicher Qualifikation und großem Talent“ verdanken Sie Ihr Stipendium in der Villa Massimo. Was waren denn bisher Ihre interessantesten Eindrücke in Rom? < Es ist so viel, dass es mir schwer fällt, da eine Rangliste aufzustellen. Die

Geteilter Reichtum an Lebenserfahrung Silvia Bovenschen: „Älter werden“ Fischer, 17,90 €

Grandioses Portrait eines Büchersüchtigen Detlef Opitz: „Der Büchermörder“ Eichborn, 24,90 €

Lebenselixier Hoffnung: Ingo Schulze

ganze Stadt Rom beeindruckt mit ihrem Reichtum an Architektur und Kunst. Das Schönste ist vielleicht das Gefühl, dass ich gleich morgen oder in einer Woche oder in drei Monaten wieder früh morgens auf den Aventin gehen und über die Stadt blicken kann. Und nicht zu vergessen: Wir können ohne Druck genießen. > Die Villa Massimo bietet ideale Bedingungen für den Austausch unter Künstlern. Welche Gemeinsamkeiten stellen Sie dabei fest? < Man arbeitet sich an ähnlichen Fragen ab: Wie ist es heute noch möglich, eine Melodie zu schreiben, ein Bild zu malen, eine Geschichte zu erzählen? Ich lese oder höre Musik oder schaue mir ein Bild auch deshalb an, weil ich sonst mit bestimmten Erfahrungen allein bliebe. Der gemeinsame Bezugspunkt ist wohl, dass in der Kunst etwas sagbar wird, was sich nicht im Gespräch oder in einer Abhandlung ausdrücken lässt. Ein Gedicht, eine Sinfonie, eine Zeichnung ist immer komplexer – und enthält auch immer mehr, als deren Machern bewusst ist. > Ihr Erzählband „Handy“ wurde mit dem Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Welchen Stellenwert hat diese Würdigung für Sie? < Es geht schon ein Traum in Erfüllung, wenn man inmitten so vieler Bücherleute und Bücher und in dieser

Glashalle aufgerufen wird. Eine zusätzliche Freude und Ehre war es für mich, zusammen mit Swetlana Geyer und Saul Friedländer ausgezeichnet zu werden. Gefreut haben mich die vielen Gratulationen, besonders auch die von Kollegen. > Sie beschreiben unterschiedliche Aspekte des Titelthemas „Handy“. Ist das Mobiltelefon für Sie ein Symbol dafür, dass für uns in unserer modernen Welt manchmal alles viel zu schnell geht? < Technik ist immer Segen und Fluch zugleich. Das Handy kann mein Leben retten, es kann aber auch jede Intimität und Konzentration zerstören. Wir verändern uns als Menschen durch die Technik, wir sind schon und werden andere Wesen, als wir es noch vor hundert Jahren waren. > In einer Ihrer Geschichten entkommt ein Zirkusbär seinen Verfolgern, indem er sich kühn auf ein Fahrrad schwingt. Wie wichtig sind Ihnen Hoffnungsmomente in Ihren Geschichten? < Ohne Hoffnung, ohne eine Vorstellung von Zukunft könnte ich nicht leben. Sie gehört – wie auch der Augenblick des Glücks – zum Alltag, also auch zur Literatur. WENN DAS LEBEN sich unberechenbar gibt und zwischen Abschied und Aufbruch alles ungewiss erscheint, dann ist Ingo Schulze ganz in seinem Element. In seinem preisgekrönten Erzählband beweist er seinen siebten Sinn für die entscheidenden Augenblicke, in denen Kleinigkeiten ganze Welten aus den Angeln heben. Urplötzlich steht eine eingespielte Beziehung auf dem Prüfstand und eine verloren geglaubte Liebe findet einen neuen Anfang. Solche Schlüsselsituationen schildert Schulze atmosphärisch dicht, psychologisch subtil und Ingo Schulze: „Handy. mit feiner Ironie – eben 13 Geschichten in alter Manier“, einfach unvergleichlich. Berlin, 19,90 €

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