Gertrude Schatzdorfer

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INSTITUT FÜR MARKENENTWICKLUNG GRAZ

Studie „Was lernen Sie gerade?“

Im gespräch mit Gertrude Schatzdorfer, Schatzdorfer Gerätebau

13. Jänner 2010


Viele forschen nach ihm, sie hat es schon gefunden. Das Unternehmer-Gen. Gertrude Schatzdorfer hat gelernt sich als Kindergärtnerin und Frau in der männerdominierten Metallbranche zu behaupten, und konnte auf ihrem Weg die große Gemeinsamkeit der Erfolgreichen erkennen. Eine, die mutig genug war, um in der Krise voranzugehen, im Gespräch über Plastilin-Figuren, unwegsames Gelände und den größten Schreck der Unternehmer: allein voraus im Nebel des Entscheidungs-Waldes.

Johanna Ecker: Wie ist Ihre Definition vom Unternehmertum? Gertrude Schatzdorfer: „Unternehmer sein“ ist für mich einfach die Möglichkeit, die Realität selber gestalten zu können, aber auch zu müssen. Das ist ja nicht nur Spaß. Und wenn man das Wort zergliedert in „Unter“ und „nehmen“, steckt schon sehr viel drinnen in dieser Begrifflichkeit. Einmal in diesem „Nehmen“, man nimmt etwas in Anspruch. Du bist ja nie für dich selber Unternehmer, auch wenn du unternehmerisch bist, nimmst du Ressourcen. Und dann ist das Wort „Unter“ drinnen. Da klingt ein bisschen Unterordnung an, von mir selber, aber auch von diesem System. Das heißt, es ist ein Zusammenwirken von verschiedenen Personen in diesem Kontext. Unternehmertum hat für mich immer eine Wechselwirkung. Der eine tut etwas, und bei jemand anderem löst das etwas aus. Es ist Interaktion. Für mich hat Unternehmertum – ohne zu generalisieren – in sich eine gewisse Dynamik. Unternehmertum ist nichts Starres. Da bekennt man sich zur Weiterentwicklung. Da ist eine Verantwortlichkeit drinnen. Da will jemand etwas gestalten. Da will jemand etwas tragen und beitragen. JE: Was heißt für Sie „Realität selber gestalten können“? GS: Dass ich meine Wirklichkeit selber erschaffe, mein Leben, mein Handeln. Wenn ich irgendwo bin, dann zwingt mir das System irgendwas auf. Bin ich jetzt irgendwo in einem Büro, habe ich gewisse Rahmenbedingungen, denen ich unterliege. Wenn ich aber, wie es bei mir ist, Alleineigentümerin im Unternehmen bin, dann kann ich das so gestalten, wie ich will. Und wenn ich das Gefühl habe, wären meine Hallen rot, würden meine Mitarbeiter lustiger mitarbeiten, dann mache ich sie morgen rot. Nicht weil es in einem Lehrbuch steht, sondern weil mein Gefühl sagt, das ist gut, da fühlt man sich wohl. Ich bin ein Mensch, der sich gerne die Schuhe von jemandem anderen anzieht, um zu schauen, wie es dem anderen in der Situation geht. Auch als Unternehmerin, weil ich ja auch von meinen Mitarbeitern etwas fordern muss, was vielleicht nicht lustig ist. Wenn die Zeiten so wie jetzt schwieriger sind, versuche ich einfach trotzdem zumindest das Commitment

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in diesem Ausmaß zu erreichen bei dem Mitarbeiter, dass er sagt, naja so klass ist es nicht, aber das ist wirklich sinnvoll. Das unterscheidet mich auch von anderen. Wenn bei uns ein Kunde kommt, sagt er: „Frau Schatzdorfer, irgendwas ist bei euch anders.“ Das ist für mich das größte Kompliment, und das ist für mich der Beweis, dass ich da etwas Eigenes erschaffe. Beim Menschen sagt man vielleicht Aura, beim Unternehmen sagt man halt, ich weiß nicht … JE: Spirit? GS: Ja. Das ist irgendwas nicht Greifbares, sondern nur Spürbares. Vielleicht hat das auch mit Marke etwas zu tun. Für mich hat es auch zum Teil etwas mit Weiblichkeit zu tun. Wenn du Vorbild bist und wenn die Mitarbeiter wollen, dann ist das das gleiche wie im Kindergarten: Wenn die Kinder wollen, dann imitieren sie dich, und genauso ist es im Unternehmen. Wenn Mitarbeiter mit einem zufrieden sind und sehen, was die tut, ist gescheit, das führt zum Erfolg, und sie macht das einfach auch wertschätzend dann schaffst du auch Identifikation – ob das jetzt bewusst oder unbewusst passiert, ist egal. Das geht sogar soweit, dass Mitarbeiter ähnlich telefonieren wie du, auch wenn es ganz andere Typen sind. JE: Gibt es für Sie drei Eigenschaftswörter, die eine Unternehmerin, einen Unternehmer am besten charakterisieren? GS: Die richtigen Unternehmer? Ich kenne eine Handvoll, wenn überhaupt, von denen ich sage, das sind richtige Unternehmer. Das sind meine absoluten Vorbilder. Die sind auf alle Fälle alle Visionäre, denken also in Visionen. Sie sind sehr willensstark und sie erkennen Grenzen – die eigenen Grenzen und die Grenzen jener, mit denen sie zusammenarbeiten. Ob das jetzt Mitarbeiter sind, Lieferanten, Kunden. Ein richtig guter Unternehmer muss die Grenzen erkennen, auch seine eigenen, der muss wissen, wie weit darf ich noch gehen. Für jeden Unternehmer, speziell für den erfolgreichen, gibt es einen Bereich, den man sich wie einen Berggipfel vorstellen muss. Haben Sie einmal gesehen, wie Gerlinde Kaltenbrunner am 8.000er steht? Da können nicht zehn Leute oben stehen. Da ist der Platz sehr knapp, an dem man stehen kann, ohne herunterzufallen. Und genauso ist es für Unternehmer. Es gibt Bereiche beim Unternehmer-Sein, da stehst du absolut allein oben. JE: Was sind das für Bereiche? GS: Das ist im Erfolg und Misserfolg. In Entscheidungsfragen. Ich meine nicht solche, ob ich eine Lohnerhöhung gebe oder nicht, sondern essentielle Fragen in einem Unternehmen: Wie geht denn der Weg weiter? Was passiert? Eines muss einem schon bewusst sein: © IFMG

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Jede Entscheidung, die ein Unternehmer trifft – und ich spreche jetzt nicht als Manager, ich spreche als Unternehmer, als Eigentümerin – alles, was du entscheidest, und alles, was du tust, hat immer mit deinem eigenen Leben zu tun. Ich sage immer, die Entscheidungen, die ich im Unternehmen treffe, die muss ich alle selber aushalten. Jeder meiner Mitarbeiter kann morgen in der Früh sagen: „Uns freut es nicht mehr bei dir, wir gehen jetzt woanders hin arbeiten.“ Dann bin ich also keine Unternehmerin mehr, trotz meiner Eigenschaften, ich denke noch visionär und ich bin noch unternehmerisch und ich kenne noch meine Grenzen und was weiß ich und bin noch belastbar … Und ich muss mir auch bewusst sein, dass alles, was ich mache, letztendlich bei mir bleibt, die Entscheidung geht von mir nicht weg. Das macht oft einen ganz schönen Druck, egal ob im Erfolg oder Misserfolg. Der Druck wird nämlich auch nicht kleiner. JE: Jetzt muss ich nachfragen: Sie haben das Wort Entscheiden sehr oft gesagt. Was passiert, wenn man sich nicht entscheidet? GS: Das ist das Ärgste überhaupt. Nicht zu entscheiden, ist der größte Energieräuber, den es überhaupt gibt. In der Nicht-Entscheidung wird man aufgefressen. Wenn du nicht entscheidungsfreudig bist, kannst du überhaupt kein Unternehmer sein. Das ist der Tod jedes Unternehmens. JE: Was bedeutet für Sie willensstark? GS: Das ist eher entscheidungsstark. Sicher brauche ich einen Willen auch, aber es geht nicht nur um den Willen. Das Wort willensstark hat auch einen gewissen negativen Touch. Der sagt: Ich will das jetzt und das setze ich durch und aus. So ist das nicht. Man muss eine klare Entscheidung treffen. Muss wissen, wie es sein soll. JE: Woher wissen Sie denn, wie es sein soll? GS: Also ich behaupte einmal, wer ein richtiger Unternehmer ist, der hat einen Unternehmersinn. Es gibt wie einen 7. Sinn, einen Unternehmersinn. Du kannst viele Sachen lernen, du kannst in Schulen gehen. Und du kannst ganz viel lesen und viel reflektieren, und du kannst sicher bis zu einem gewissen Grad Führungsqualitäten und so weiter haben, aber der richtige Unternehmer hat ein Unternehmer-Gen. JE: Woher haben Sie dieses Gen? GS: Wenn ich das wüsste! Wahrscheinlich ist das eine Mischung von meinen Eltern. Ich war ja Kindergärtnerin und habe immer Tagebuch geschrieben über meine Kinder: Du bekommst Kinder im Kindergarten mit drei Jahren, die führen eine ganze Gruppe. Und

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es gibt Sechsjährige, die sind feig und introvertiert. Sicher muss man das Umfeld dann auch sehen, aber es ist ein gewisser Charakterzug, den einfach manche Leute haben. Und diese Leute können so begeistern. Die können anderen Menschen die Angst nehmen. Die können so viel Sicherheit geben in einem System. Da gibt es Leute, denen hört man mit offenem Mund zu, bei denen stellt man nichts in Frage. Was ich für mich auch noch entdeckt habe: Ich muss natürlich sehr viele Entscheidungen treffen, und immer, wenn ich eine Entscheidung nicht getroffen habe, weil es hin und her geworfen worden ist, dann kostet das ganz viel Energie, das frisst dich halb auf. Du wirst in der Nacht munter, und dann diskutierst du und du redest. JE: Ist das dann vorbei, wenn Sie die Entscheidung getroffen haben? GS: Das ist vorbei. Da fühlst du dich dann stark. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für jede Entscheidung einen richtigen Zeitpunkt gibt, und wenn der Zeitpunkt nicht da ist, kannst du nicht entscheiden. JE: Ich möchte noch einmal auf dieses Unternehmer-Gen zurückkommen. Warum sind Sie Unternehmerin geworden? GS: Unabhängig davon, dass ich die Firma jetzt von meinen Eltern übernommen habe – ich bin wie die Jungfrau zum Kind zu dieser Firma gekommen. Ich werde immer ein Mensch sein, der vorne steht. Ich habe einfach eine Vorstellung, wie etwas sein sollte. So war es im Kindergarten, ich wollte immer die Leitung haben. Ich habe eine ganz klare Vorstellung gehabt, wie der Kindergarten funktionieren muss, damit sich jeder wohlfühlt. Dem System, in dem ich bin, will ich meine Philosophie einhauchen, meine Realität, meine Wahrheit. Ich glaube aber nicht, allein das, was ich weiß, ist das Beste und das Maß aller Dinge, sondern ich lebe schon in der Überzeugung, ich glaube Konrad Adenauer hat das gesagt: „Was hindert mich daran, täglich klüger zu werden?“ Darum bin ich überzeugt, dass jeder Unternehmer die richtigen Mitarbeiter bekommt. Wenn du deine Mitarbeiter anschaust, und alles rund läuft, machst du deine Geschichte gut. Das ist wie in der Familie, die Kinder sind die Spiegelbilder – und im Unternehmen sind das die Mitarbeiter. Es ist alles im Leben eine Top-Down-Geschichte. JE: Was sind für Sie die Schattenseiten des Unternehmerseins? GS: Dass es eben immer wieder Bereiche gibt, in denen du wirklich einsam bist. Du bist immer einsam im Misserfolg. Der Erfolg gehört im Prinzip immer der Gruppe, du darfst ihn sozusagen nur stellvertretend in Empfang nehmen, aber der Misserfolg, der gehört dir wirklich allein. Und wie überall im Leben funktioniert das im Verhältnis 1 zu 5: Du hast © IFMG

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einen, der sich mit dir freut, aber fünf, die das einfach nicht im Positiven sehen, sondern es mit Neid oder Missgunst beobachten. Du brauchst schon manchmal eine dicke Haut. Dann ist es, so wie ich es empfinde, ein Unterschied, ob du Frau oder Mann bist. Ich habe gelernt, damit zu leben, in der Branche die „bunte Hündin“ zu sein und auch Vorteile für das Unternehmen herauszuholen. Und ich bin sicher ein Mensch mit einem gewissen Sendungsbewusstsein. Wenn du permanent das Gefühl und den Drang hast, du musst dich einbringen, du musst was sagen, musst was tun, dann kann das schon ein bisschen einen negativen Touch haben, weil du natürlich nie zu deiner inneren Ruhe kommst. Du hast ja auch eine Verantwortung für die Menschen. Das macht natürlich auch Druck. Wenn ich mir denke, dass ich jetzt im Kindergarten irgendeine Leitungsfunktion hätte, wobei ich wahrscheinlich Inspektorin geworden wäre. Ich habe es im Kindergarten auch stressig gehabt, ich habe mir gedacht, ich kann nie wieder mehr Stress haben. Aber das war kein Vergleich zu dem, was ich jetzt tue. Vielleicht glauben manche, Unternehmer zu sein ist so super, weil du nicht in die Arbeit gehen oder um 7 im Büro sein musst. Aber ich kann das nicht, das kann man nicht im eigenen Unternehmen, schon gar nicht in Zeiten wie diesen. Die Krise jetzt zwingt ganz viele Unternehmer an die Grenzen ihrer persönlichen Belastbarkeit. JE: Spüren Sie das auch? GS: Was in der Krise schon ganz wild war, ist dass du als Unternehmer erst einmal für dich selbst klären musst, was da passiert. Das ist wie nach einem Autounfall, dass du total geschockt bist und nicht weißt, was los ist. Wie in Zeitlupe läuft alles ab, und du merkst, du kannst gar nichts dagegen tun. Bis du dich deinem Schicksal ergibst und du sagst, okay, und du deine eigene Rolle wieder gefunden hast. Das war für mich das Schwierigste jetzt in dieser Phase. Bis ich dann gesagt habe: „Nein, nein, nein, Stopp, Mädchen, nicht du bist die Krise.“ Du glaubst, du hast die Krise, du kannst es nicht mehr, was ist da los? Die Zahlen passen nicht mehr, was tust du jetzt? Das ist wie Sand, der dir in den Fingern zerrinnt, das gibt es nicht, wo ist das? Das ist wie ein Stein, der dir wie Sand zerrinnt. Bis du dich dann wieder soweit gefasst hast, dass du sagst: Nein, nein, nicht ich. Da ist das, das kannst du nicht beeinflussen. Konzentriere dich auf deine eigene Leistung. Dann kommst du wieder ins Handeln. Zuerst bist nur am Reagieren, und dann kommst wieder ins Agieren. Das war ein ganz nebuloser Zustand, den habe ich überhaupt noch nie gehabt in meinem Leben.

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JE: Was ist da passiert, an diesem Übergang? GS: Da haben ganz massive Ängste mitgespielt. Aber das sagt ja keiner. Du musst als Unternehmer ein guter Schauspieler sein, so gut, dass du dich selber überspielst. Ich kann nicht ins Unternehmen gehen und sagen: „Wisst ihr was, ich habe jetzt gerade eine Krise. Jetzt weiß ich nicht, ob das gescheit war, was wir getan haben. Jetzt muss ich noch einmal nachdenken. Momentan belastet es mich und ihr wisst eh, ich schlaf momentan auch schlecht.“ Glauben Sie, dann würden meine Leute meine Entscheidungen akzeptieren? Ich muss mich in der Früh jedes Mal sozusagen selber motivieren und mit Kampfesschrei ins Getöse stürzen. Damit ich das, was ich tue, auch wirklich selber glaube. Ich muss mir immer wieder in solchen Situationen meine Visionen schaffen und auch meinen Energiehaushalt und meinen Energielevel so hoch halten, dass immer ein Teil von meiner Energie für die anderen übrig ist. Als Unternehmer bist du wie eine Steckdose. Die anderen holen sich ständig Energie von dir. Dabei muss immer noch für einen selbst genug übrig bleiben, dass einem nicht die Luft ausgeht. Und das ist jetzt in der Krise ganz massiv. Aber der Vorteil an der Geschichte: Ich behaupte einmal für mich, wenn diese ganze Phase einmal Geschichte ist, dann bin ich eine 100 prozentige Unternehmerin. Dann bin ich mit allen Wassern gewaschen, dann habe ich alle Erfahrungen gemacht. Dann habe ich alles in meinem Rucksack drinnen, alles was in ein Verbandspackerl gehört, damit ich vom Berg abstürzen kann und immer alles mithabe zum Verarzten. Ich habe das Gefühl, ich kann alle Register ziehen. Ich war absolut erfolgsverwöhnt, das heißt nicht, dass ich an Krisen nicht gedacht hätte, aber du kannst in solchen Dimensionen gar nicht denken. JE: Sie haben dieses Bild vom Bergabsturz gezeichnet. Ist es das, was Sie erlebt haben? GS: Nein, eben nicht, Absturz habe ich keinen gehabt. Ich habe aber schon gewusst, dass ich da auf einem gefährlichen Terrain bin. Der Sturz wäre für mich zum Beispiel der Konkurs. Wo ich sage, jetzt packst du es nicht mehr, jetzt haut es dich herunter. Wenn mein Unternehmen in Konkurs ginge, wäre das für mich dieser Absturz. Bisher war immer so das Gefühl, du gehst einen schönen Weg hinauf, hast eine absolut super Kondition, und kommst jetzt in unwegsames Gelände. Du weißt aber, da oben ist das Ziel, da musst du hin. Und das da oben, dieses Ziel, das ist die Vision. Du musst an deine Kraft glauben, musst dich einschätzen können. Und ich muss mich immer wieder auch umdrehen und schauen, gehen die hinten nach, können die den Weg auch gehen, den ich einschlage. Es nützt nichts, wenn ich mir vorstelle, das gehen wir, und die anderen gehen nicht mit. Früher sind wir halt mit Karacho vorangekommen und jetzt ist der Weg einfach viel mühsamer geworden. Aber er zeigt nach oben und die Besten bleiben über, das ist wie in der Natur.

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JE: Wie lange hat dieser Übergang von Reaktion zu Aktion für Sie gedauert? Dieser Nebel? GS: Das habe ich mich jetzt auch einmal gefragt. Es hat schon ein paar Monate gedauert, mehr oder weniger. Jetzt habe ich schon eine absolute Klarheit, aber das war lange nicht so. Am Anfang glaubst du nicht, dass das so wild kommt. Es gibt ja Branchen, die hat es gar nicht erwischt, aber Metallindustrie und Maschinenbau und so hat es schon erwischt. Das war nämlich die Branche, die sich aufgerüstet hat. Alle pushen, pushen, pushen, pushen und investieren – und auf einmal zack, ist es da. Alles aus. JE: Wenn man es zusammenfasst, was wissen Sie heute, was Sie vor einem Jahr noch nicht gewusst haben? GS: Das Wichtigste ist mein Bauchgefühl. Ich habe schon gewusst, dass ich eines habe und dass es wichtig ist. Aber dass es so wichtig ist, war mir nicht bewusst. Das ist wieder ganz eine wichtige Erkenntnis, du musst wissen, was du selber willst und was du selber kannst. Du musst dich total selber kennen als Unternehmer. JE: Wenn ich die Fee wäre und Ihnen erschiene, welche Eigenschaft hätten Sie gerne von mir, die Ihnen jetzt gefehlt hat im letzten Jahr? Wo Sie auch sagen, die hätte ich gerne für die Zukunft? GS: In manchen Sachen mehr Klarheit. Und Mut. Sie müssen sich vorstellen: Du bist in einem System, wo nur du Frau bist und alles andere sind Männer. Dann triffst du irgendeine Entscheidung und sagst: „Mein Gefühl sagt mir das, ich weiß das einfach.“ Oder: „Meine Entscheidung ist“, aus welchem Grund auch immer, ganz egal, wie die Entscheidung zustandekommt. „Wir gehen dorthin, den Weg gehen wir.“ Und dann gibt es ein paar von den Männern, die sagen „Glaubst schon?“, „Nein, das weiß ich nicht.“ Und die anderen sagen: „Ja andererseits, wo sie hingegangen ist, der Weg hat immer noch gepasst. Aber so richtig greifbar ist es nicht.“ Und dein Bauchgefühl sagt dir aber, das ist richtig, das ist gut. Wenn du dann in dieser Situation schwammig wirst, weil du es jedem recht machen willst, oder sagst, naja gut, du brauchst schon das Commitment – in dem Moment, wo du so zaudern anfängst, wird die ganze Partie schwierig. In dieser Phase, das hat es mich auch gelehrt, brauchst du immer Mut, dich für einen Weg zu entscheiden. Du musst aushalten, was im Umfeld passiert und überzeugend wirken. Du brauchst Mut zu sagen, aus dem und dem Grund ist das wichtig, und musst Klarheit für dich haben, und das einfach auch fertig denken. Was, wenn ich erst frage, wie tun wir? Der eine glaubt so, der andere so. Dass man sich dann hinsetzt und ganz klar die Wege durchdenkt, bis klar ist, mein Weg ist der, darum muss ich dorthin, das ist oft sehr anstrengend.

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JE: Ich möchte noch einmal zurückkommen zu dieser Angst, die Sie vorher beschrieben haben. Von der Almwiese kommst du auf dieses unwegsames Gelände, und auf einmal wird es schwierig. Und du weißt, wenn du jetzt anfängst zu zögern, dann kommt keiner mehr hinten nach. Ist das das gleiche Muster, das Sie jetzt anwenden für diese Entscheidungen, wo Sie sagen, wenn ich jetzt zu wackeln anfange, dann ist es aus? GS: Ja. Du wirst weit klarer, du denkst deine Entscheidungen eher zu Ende. So wie es jetzt ist, musst du dir einfach der Wirkung, der Auswirkung der Entscheidung klar sein. Du musst das fertig denken, es jedenfalls versuchen. JE: Aber das hat man ja vorher auch müssen, oder? GS: Der Unterschied ist so extrem. Und darum musst du jetzt natürlich ganz andere Entscheidungen treffen, jetzt bedenkst du anderes: Was wäre, wenn das wegbricht oder das oder das, Dinge, mit denen du nie gerechnet hast. Du hast nur Best-case-Szenarien erlebt, du hast zwar an Worst-case gedacht, aber du hast gesagt, das ist so unrealistisch. Diese Krise in dem Ausmaß, das hat sich einfach keiner erdenken können. Du hast einen Businessplan gemacht und du bist jedes Jahr zweistellig gewachsen, jenseits der 20 Prozent, was machst du da als Worst-Case? 5 Prozent Wachstum? Aber nicht 30-40 Prozent Minus-Wachstum. Für die Wirtschaft ist das sicher schlimm, aber für die Menschheit nicht. JE: Warum trennen Sie das? GS: Wirtschaft ist immer monetär besetzt, da geht’s immer nur um Geld. Das Leben ist aber nicht das Geld. Wenn ich einmal sterbe, erinnert sich niemand daran, wie viel ich investiert habe oder welche Umsätze ich in meinen besten Zeiten geschrieben habe. Das ist doch überhaupt nicht relevant. Und wenn ich am Tag, jeden Tag 20 Stunden arbeite, dann würde das keiner sagen. Die würden sagen, aber ganz schön deppert war sie. Überbleiben tut das von mir als Mensch, was man mit mir als Mensch verbindet. Meine Kinder werden mich nicht daran messen, wie viel ich ihnen vererbe, sondern wie ich ihnen Mutter war. Ob ich da war, wenn sie geschrien haben. Und wenn sie ein Problem gehabt haben, ob ich an der Lösung zumindest interessiert war oder zu ihr beigetragen habe. Und ob sie die Liebe und Zärtlichkeit bekommen haben, die sie einfach für ihr Leben brauchen, damit sie selber glücklich leben können.

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JE: Ich bin noch einmal die Fee. Und schenke Ihnen drei Monate Auszeit. Was tun Sie? GS: Zuerst einmal schlafen. Das sind ganz banale Dinge. Die ersten drei Tage werde ich einmal nur daheim sitzen und realisieren dass ich jetzt drei Monate gar nichts zu tun habe. Und dann werde ich irgendwohin aufbrechen, am liebsten würde ich einen Rucksack nehmen und in Griechenland herumfahren, oder am Jakobsweg gehen. Ich würde gern irgendwo einfach gehen. JE: Was lernen Sie dabei? GS: Einfach die Ruhe spüren und mit mir selber sein. Ich würde mich gerne einmal so treiben lassen. Nicht getrieben sein, in dem Sinn, dass dich die Zeit lebt, sondern dass ich die Zeit lebe. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich am liebsten nur drei Tage in der Woche in die Firma fahren, würde voll reinpowern und die andere Zeit würde ich gerne für mich selber irgendwas anderes tun. Das ist auch meine persönliche Zielsetzung. JE: Wenn Sie Jakobsweg und Griechenland sagen, hat das viel mit Rückzug und Reflexion zu tun. Wo gibt es bei Ihnen in der Firma diese Räume der Reflexion darüber, was passiert? Wo macht man sich das bewusst? GS: Wir reflektieren in der Geschäftsführung und in der Führungsebene wöchentlich. Was ist? Was haben wir gut gemacht? Was steht an? Was müssen wir entscheiden? Wo sind wir noch schwammig? JE: Ich mache Sie für drei Minuten zur Unterrichtsministerin Österreichs. GS: Das ist zu kurz, aber ich würde sofort die Zulassungskriterien für Lehrer total verändern. Wir müssen uns bewusst sein, je kürzer der Mensch, von der Größe her, desto professioneller muss die Betreuung sein. Da sind wir wieder genau bei dem, was ich zuerst gesagt habe, ein Lehrer braucht so dieses Lehrer-Gen, der braucht so diese Menschlichkeit. Es geht nicht nur darum, dass der fachlich gut ist, sondern es ist nötig, dass der wirklich dieses Dienen in sich hat, sich der großen Verantwortung bewusst ist. Danach müssen die Leute ausgewählt werden. Es braucht ein Image für die Lehrer oder für die Pädagogen, das gilt genauso für Kindergärtner, die müssen sagen: „Mein Beruf ist der wichtigste überhaupt.“ Sie müssen sich vorstellen, jedes Kind ist wie ein Plastilin-Manderl oder ein Ton-Manderl. Irgendwann wird das fest, und darin alles, was wir ihm bis dahin sozusagen eingehaucht, oder eingeknetet haben.

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JE: Wenn Sie ein Unterrichtsfach einführen könnten, welches wäre es? GS: Wir müssen ein Bewusstsein für uns selber schaffen. Wenn ich Verantwortung für andere habe, muss ich für mich selber auch Verantwortung haben. Aber da muss ich zuerst wissen, was verantworte ich denn überhaupt? Wir haben eine Kultur bei uns: Wenn es einem schlecht geht, sagt man, tut’s was. Bringt’s mich ins Krankenhaus. Pflegt mich gesund. Sagt mir, welche Tabletten ich brauche, ohne dass ich mich selber irgendwie empfinde. Also wir entmündigen unsere Leute. Und das fängt mit den Kindern an. Da gehört für mich angesetzt. JE: Angenommen, wir hätten ein Vehikel, mit dem wir überall hinkämen und jeden treffen könnten. Mit wem würden Sie gerne reden? GS: Mit dem Dalai Lama würde ich gerne einmal reden. Dem Putin würde ich gerne einmal meine Meinung sagen. Mit der Mutter Teresa hätte ich gerne einmal geredet. Mit Obama, da möchte ich die Wirkung spüren, ob der wirklich so cool ist, oder ob man den nur so hochgejubelt hat. Wobei mich seine Frau mindestens so interessiert wie er. Mit meinem Opa würde ich wieder mal gerne reden. Aber der ist schon gestorben, das wird dann schwierig. Dem Opa hätte ich noch gerne ein paar Sachen gesagt. JE: Was haben der Dalai Lama und die Mutter Teresa gemeinsam? GS: Diese Menschlichkeit. Diese unendliche Güte und Gnade. Diese Ruhe in sich selbst. Was mich schon fasziniert ist diese Bescheidenheit, das habe ich nicht. Was mich an den Leuten so interessieren würde, ist die Wirkung auf mich. Es geht mir nicht so darum, was jemand sagt, sondern wie er es sagt. Die Umgebung würde ich gerne spüren. JE: Besten Dank für das spannende Gespräch.

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