2002-09 Offener Brief zum BStU in Horch und Guck

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http://www.horch-und-guck.info/hug/archiv/2000-2003/heft-39/03920-bk-lpz/

Heft 39/2002 | schauplätze | Seite 66 - 67

Offener Brief des Bürgerkomitees Leipzig e.V. an die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen 9. September 2002 9. September 2002 Sehr geehrte Frau Birthler, die im Juli von Bundestag und Bundesrat verabschiedete 5. Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) leistete mit der Streichung von § 14 StUG einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der MfS-Akten. Die Präzisierung von § 32 StUG sorgte für Rechtssicherheit bei der Herausgabe von Informationen aus Stasi-Unterlagen. Im Rechtsstreit Ihrer Behörde mit Helmut Kohl sowie in der Diskussion zur StUG-Novellierung lernten wir Sie als engagierte Verfechterin eines weitgehenden Aktenzugangs für Forschung, Presse und politische Bildung kennen. Mit Ihrem Engagement setzten Sie den gesetzlichen Auftrag der Behörde, die Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS nicht nur zu gewährleisten, sondern vielmehr zu fördern, in die Praxis um. Der zehnte Jahrestag des StUG wäre ein angemessener Zeitpunkt gewesen, auch aus Nutzerperspektive Bilanz zu ziehen und sich mit Ihnen über Erfolge und Verbesserungsmöglichkeiten der Arbeit Ihrer Behörde auszutauschen. Die akute Gefahr für den Aktenzugang durch die Rechtsprechung ließ jedoch die alltäglichen Probleme der wissenschaftlichen und publizistischen Nutzer mit Ihrer Behörde zunächst in den Hintergrund treten. Wir wissen uns einig mit Ihnen im grundsätzlichen Anliegen zur öffentlichen Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur. Dieses Anliegen kann und sollte durch Änderungen in Struktur und Arbeitsabläufen Ihrer Behörde weiter befördert werden. Das bedeutet auch, daß die Behörde ihre Ressourcen nach außen darstellen und um „Kunden“ werben muß: Zeithistoriker, Publizisten, Journalisten und andere potentielle Nutzer sollten sich eingeladen fühlen. Eine derartige Kundenorientierung wäre nicht zuletzt auch zum Nutzen der Behördenmitarbeiter. Einerseits schlägt ihnen weniger Frustration entgegen. Andererseits kann die Behörde nur öffentlich gerechtfertigt werden, wenn sie in der Öffentlichkeit auch als nützlich wahrgenommen wird. Das geschieht nicht unwesentlich durch die der Öffentlichkeit vermittelten Ergebnisse der Zeitgeschichtsforschung sowie der publizistischen Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit. Wir bitten Sie daher, unsere folgenden Anliegen und Vorschläge in Erwägung zu ziehen und die Praxis Ihrer Behörde stärker den Bedürfnissen der Nutzer anzupassen. 1. Die Behörde muß kundenfreundlicher werden. Denkbar wäre die Einrichtung eines Empfangsbereiches, wo nicht nur die Publikationen der Behörde eingesehen bzw. erworben werden können, sondern wo kompetente Mitarbeiter potentielle Nutzer beraten oder an andere Ansprechpartner in Ihrem Hause vermitteln. Für die Vorbereitung von Forschungsprojekten und Anträgen an Förderinstitutionen ist es erforderlich, daß ihre Kunden bereits vor oder zum Zeitpunkt der Antragstellung über die für ihr Vorhaben zu erwartende Quellenlage so ausführlich wie möglich informiert werden. Potentielle Nutzer sollten im Internet sowie in einer Broschüre ausführlich und übersichtlich über die Möglichkeiten einer Recherche in den BStU-Archiven unterrichtet werden. Das Vorgehen der Behörde bei einer Archivrecherche sollte erklärt und die Rechte der Benutzer erläutert werden. Die Behördenstruktur muß für den Nutzer erkennbar sein und Arbeitsabläufe müssen transparent gestaltet werden. Kommunikation zwischen Nutzern und Behördenmitarbeitern sollte auf allen üblichen Wegen möglich sein, einschließlich Internet und e-mail. Schließlich sollte auch die anachronistische Erfassung und Speicherung von Besucherdaten durch Ihre Behörde beendet werden. 2. Für den Nutzer ist Ihre Behörde vor allem ein Archiv. Daher sind auch archivübliche Gepflogenheiten angebracht. Antragstellern auf Akteneinsicht ist möglichst frühzeitig Kontakt mit dem zuständigen Sachbearbeiter zu ermöglichen. Sie sollten nicht erst in eine unnötige Warteschleife geschickt werden. Die tatsächlich notwendige Wartezeit kann für eine kompetente Archivberatung und bei Bedarf ebenfalls eine thematische Beratung durch Wissenschaftler der Abteilung Bildung und Forschung genutzt werden. Die bisherige Trennung von Auskunftsbereich und dem eigentlichen Archiv mit den dabei zwangsläufig auftretenden Informationsverlusten hat sich nicht bewährt und sollte aufgehoben werden. 3. Ohne archivische Findmittel ist eine seriöse Recherche für den Nutzer nicht möglich. Diese Findmittel (Findbücher, Karteien, Datenbanken) müssen dem archivüblichen Standard entsprechen und ausbaufähig

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