GWA ON 01 – Customized Agencies

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MENSCHEN, MARKETING UND KOMMUNIKATION NOVEMBER 2017


New Business

PR

INTERVIEW: MICHAEL HOPP — FOTOS: KAI-UWE GUNDLACH

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MIT

UND

MICHAEL TRAUTMANN

THOMAS STRERATH

THJNK, BOBBY & CARL

VORSTAND JUNG VON MATT AG

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Aber was muss man tun, um dazuzugehören? Ein sehr heftiges Streitgespräch über die Idee von CUSTOMIZED

AGENCIES,

die man cool finden kann – aber auch sehr uncool Ich probiere ein neues Modell lieber selbst aus, statt anderen Leuten zuzusehen und vielleicht eine Entwicklung zu verpassen. MICHAEL TRAUTMANN

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ICH MÖCHTE LIEBER RITTER IN EINER TAFELRUNDE SEIN, mit zehn Agenturen, die noch wissen, was ihre Existenzberechtigung ist. Und nicht Teil eines Sammelbeckens von Pseudo-Agenturen, die alles machen, auf jeder Hochzeit tanzen und jedem Buzzword hinterherlaufen müssen.

Michael Trautmann, Sie haben Bobby & Carl gegründet, ein Joint Venture von thjnk und Thyssenkrupp. Was kann eine Customized Agency, was eine freie Agentur nicht kann?

THOMAS STRERATH

Das klingt plausibel. Was kann man dem entgegenhalten?

MICHAEL TRAUTMANN Der

Startpunkt bei Thyssenkrupp war der dringende Wille nach Veränderung. Was Bobby & Carl kann, wird die Agentur in den nächsten Jahren zeigen, wir sind ja gerade erst ein Jahr am Start. Wir haben schon einmal gute Erfahrungen mit einer Customized Agency gemacht, die wir zusammen mit Leo Burnett gegründet haben, um exklusiv McDonald’s Deutschland bedienen zu können. Das funktioniert hervorragend, und das Team, das wir aufgebaut haben, arbeitet mit großer Leidenschaft für diesen einen Kunden. Bei thjnk ist mir aufgefallen, dass Kollegen, die exklusiv für einen Kunden arbeiten, oft länger in der Agentur bleiben als solche, die sich zwischen drei, vier, fünf Kunden zerreißen müssen. Das Audi-Team zum Beispiel besteht in seiner Grundstruktur schon sehr lange. Es gibt Kunden, die das sehr zu schätzen wissen und für Erfahrung und Tiefe dankbar sind. Bei Thyssenkrupp hat uns auch das Thema B2B gereizt. Wir sind ja keine klassische B2BAgentur, und nun bekommen wir die Chance, einen DAX-Konzern mit 600 Legal Entities und fünf großen Geschäftsbereichen auf seinem Weg zu begleiten und uns dabei selbst weiterzuentwickeln. Dazu kommt die Neugier, was dran ist an dem Thema Customized Agency, das gerade sehr gehypt wird. Ich probiere so etwas lieber selbst aus, statt anderen Leuten zuzusehen und vielleicht eine Entwicklung zu verpassen.

THOMAS STRERATH Eine ganze Menge. Es beginnt damit, dass Bobby & Carl nicht nur eine Customized Agency ist, sondern auch partly owned by the client. Das ist für mich so problematisch, dass ich mich frage, ob Bobby & Carl Mitglied im GWA werden könnte. Der GWA ist ja kein Spaßverein, sondern eine Interessensvertretung, die zu verteidigen hat, was uns Agenturen im Kern ausmacht. Was können wir besser als andere, wofür wollen wir Wertschätzung und bezahlt werden? Was macht uns so besonders, dass Werbung auf der ganzen Welt ein Outsourcing-Business ist? Der Grund ist der Unterschied in den Kulturen. Wir Agenturen können uns eine kreative Kultur erlauben, die auf Kundenseite oft keinen Sinn ergibt. Kunden sind beispielsweise furchtbar schlecht darin, eine gute eigene Idee liegen zu lassen. Gute Kreative dagegen schmeißen permanent gute Ideen weg, weil sie wissen, dass es noch bessere gibt. Auch deswegen ist dieser Trend von Co-Creation so furchtbar: Wenn die Kunden das wirklich könnten, bräuchten sie uns nicht. Aber so wird die Wertschöpfung der Agentur vom Kunden vereinnahmt und später die Vergütung dafür sogar noch in Zweifel gezogen, weil die Leistung nicht mehr der Agentur zuzurechnen ist. Sobald wir zudem unsere kreative Kultur in eine Einheit einbringen, die nur noch für einen einzigen Kunden arbeitet, machen wir uns zur Verlängerung von dessen Werkbank. Statt zu schützen, was nur wir leisten. Bei Bobby & Carl kommt dazu, dass Thyssenkrupp und thjnk zu gleichen Teilen Inhaber sind. Das bedeutet, dass der Kunde aus dem erzielten Profit die Hälfte wieder zurückbekommt – gewissermaßen eine 50-prozentige Rabattierung auf sein Investment.

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Wir bekommen es mit der Customized Agency mit Aufgaben und Themen zu tun, die klassische Werbeagenturen nicht machen, und erhalten Zugänge, die es bei anderen Kunden vielfach nicht gibt.

DEN PREIS, DASS ICH DAFÜR MEINEN PROFIT MIT DEM UNTERNEHMEN TEILE, BEZAHLE ICH GERN. MICHAEL TRAUTMANN

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angefangen haben, Corporate Publishing zu machen! Die Welt ist nicht mehr so einfach, wie sie es einmal war. Für mich verwischen die Grenzen komplett: Agenturen positionieren sich als Unternehmensberater um, arbeiten wie Verlage, versuchen sich als Welterklärer, und Verlage wollen jetzt Agenturen werden. Wie geht ein Verband damit um? Wann hört ein Verbandsmitglied auf, unseren Vorstellungen zu entsprechen?

TRAUTMANN Nicht besonders überraschend bin ich in allen diesen Punkten anderer Auffassung. Eine Anmerkung vorweg: Bei Thyssenkrupp geht es darum, eine Marke von innen heraus zu verändern. Was den Profit betrifft: Die Mitarbeiter bei Bobby & Carl kommen ja nicht nur von uns, auch Thyssenkrupp investiert Zeit, Geld und Manpower. Zum Zweiten wird diese Agentur in relativ kurzer Zeit deutlich größer sein, als wir es allein geschafft hätten. Wir bekommen es mit Aufgaben und Themen zu tun, die klassische Werbeagenturen nicht machen, und erhalten Zugänge, die es bei anderen Kunden vielfach nicht gibt. Den Preis, dass ich dafür meinen Profit mit dem Unternehmen teile, bezahle ich gern. Ich finde außerdem die These schwierig, dass Kreativität bei Kunden nicht so auftritt wie bei uns Agenturen. Kreativität ist nichts, was wir gepachtet haben. Ich habe Unternehmenskulturen kennengelernt, in denen sehr viel Kreativität möglich ist. Und ich glaube, dass aus der gemischten Kreativität von Agenturen und Kunden viel entstehen kann. Muss das immer in einer Customized Agency stattfinden? Das glaube ich nicht. Damit Agenturen so etwas machen, muss ein Kunde schon viel eigenes Commitment mitbringen. Andererseits klagen wir Agenturen immer wieder über das nachlassende Commitment auf Kundenseite. Auch deswegen ist eine Customized Agency für mich ein Kunden-Commitment, das ich nicht mehr oft sehe. Zusammen mit dem Board und Mitgliedern des Top-Managements arbeiten wir daran, ein neues Unternehmen aufzubauen. Generell glaube ich, dass immer mehr von unseren traditionellen Dienstleistungen auf Kundenseite passieren wird. Social Media ist für mich ein gutes Beispiel. Kunden wie Zalando oder AboutYou stellen sich verständlicherweise die Frage, warum sie mit einer Agentur arbeiten sollen, wenn sie auf Social Media Kampagnen im Minutentakt ändern müssen. Noch ein Wort zur Verbandsdiskussion. Was machen wir denn, wenn SinnerSchrader, die jetzt zu Accenture gehören, gern GWA-Mitglied werden möchten? Oder wenn Territory oder C3 kommen, also Leute aus dem Verlagswesen? Wir können uns doch nicht darüber beschweren, dass Verlage in unser Geschäft gehen, wenn vorher doch die Agenturen

STRERATH Damit wir uns nicht missverstehen: Ich möchte, dass jeder genau das Geschäft betreibt, das er will. Aber wir reden hier auf einer Plattform des GWA. Und da geht es nun mal darum, die Gemeinsamkeiten und Grundprobleme anzusprechen. Verband kommt von verbinden, und wenn die Mitglieder aber nichts mehr verbindet, weil die Mitgliederschaft völlig heterogen ist, kommt der Verband an die Grenze seiner Existenzberechtigung, weil jeder seine Interessen im Alleingang zu vertreten hat. TRAUTMANN Erklär mir bitte diese Grenze. Würdest du etwa Territory und C3 nicht in den GWA aufnehmen?

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New Business halte, die nicht ausreichend Kontakte und Reichweite erzielen. 20 Prozent aller weltweiten Werbeausgaben landen bei Facebook und Google, und zwar über Advertising. Das bedeutet: Contents, die erstellt wurden, um Werbung zu ersetzen, werden jetzt beworben. Merken wir eigentlich, was für ein Irrsinn das ist? Welche Chancen sind eigentlich mit dem Modell der Customized Agency verbunden? Was bedeutet es für Kundennähe? Für Kreativität? Oder für die Möglichkeit, sich tief in ein Thema einzuarbeiten, was unter Umständen bei B2B von hoher Bedeutung ist? TRAUTMANN Fangen wir mit dem Thema Kreativität an. Die These von Thomas, falls ich sie richtig verstehe, lautet: Zu viel Nähe tut nicht gut. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass in gemischten Teams in kürzerer Zeit eine größere Vielfalt von Ideen entstehen kann. Natürlich will ich nicht in gemischten Gruppen texten, aber wir glauben, dass man mit solchen Prozessen häufig weiter kommen kann als mit einem Texter und einem Art Director, die sich zum Nachdenken ausklinken und nach zwei Wochen etwas hinlegen, das oft gut, aber eben auch nicht immer gut genug ist. Wir sehen vielfältigere Möglichkeiten, zu guten Ideen zu kommen. Gemischte Teams mit Agenturmitarbeitern, Kunden und externen Experten sind eine Möglichkeit. Thomas sagt: Co-Creation ist etwas ganz Schlimmes. Ich sage: Für bestimmte Themen ist das etwas ganz Tolles. Wenn man nicht nur eine Werbekampagne mit einem Werbespot, drei Plakaten und zehn Anzeigen, sondern einen Prozess für einen Kunden kreiert, was Agenturen ja heute auch machen, dann ist es hilfreich, wenn Leute dabei sind, die an diesem Prozess beteiligt sind. Ich glaube, der Vorteil von Customized Agencies ist die Kundennähe. Ich komme viel tiefer, viel dichter an Themen ran, auch an Themen, die sonst nicht an eine Agentur gegeben werden. Ich lerne so viel mehr über Kunden, was ich auch in anderen Konstellationen nutzen kann.

FURCHTBAREN

Es gibt den der Co-Creation. Wenn die Kunden das wirklich könnten, bräuchten sie uns nicht.

TREND

THOMAS STRERATH

STRERATH Nein, natürlich nicht. Für mich sind das keine Erfolgsgeschichten von Agenturen, sondern Ausgliederungsgeschichten von Verlagen. Burda und Gruner"+"Jahr haben ihre Krisen – das Wegbrechen von Anzeigengeschäft und Auflage durch die Digitalisierung – bewältigt, indem sie den nächsten schwächelnden Geschäftszweig Corporate Publishing in den boomenden Trend Content Marketing überführt haben. Die Kernkompetenz von C3 oder Territory sind Redaktionen, die vorher bei Burda oder bei Gruner"+"Jahr angestellt waren und immer noch redaktionellen journalistischen Inhalt herstellen und auf Plattformen stellen. Für mich sind das nicht zwingend Konkurrenten und damit auch nicht Interessenverbündete von thjnk oder Jung von Matt. Was ist der Job von Agenturen? Für mich besteht er darin, die Marke unserer Kunden zu differenzieren, also einen Geschäftsvorteil für sie zu erzeugen und diesen täglich entlang der Customer Journeys zu kapitalisieren. Content Marketing hingegen ist der Versuch, Medialeistung durch Inhalte zu ersetzen. Viele große Plattformen werden derzeit aber wieder heruntergefahren, weil das Prinzip nicht aufgeht – es gibt einfach zu viele In-

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STRERATH Ich habe überhaupt kein Problem damit, als zu kundennah bezeichnet zu werden. Frag einmal bei mir in der Agentur nach, dann wirst du hören: Der ist eigentlich nie da, der ist immer nur beim Kunden. Aber ich möchte eine Arbeitsteilung haben. Mir selbst fielen ja Argumente für Customized Agencies ein. Zum Beispiel, dass wir in einer Zeit leben, die unfassbar schnell für die Kunden ist und in der Dinge in Echtzeit passieren müssen. Aber nach 27 Jahren im Geschäft fallen mir auch auf Kundenseite Veränderungen auf. Die Vorbereitung von Briefings ist deutlich schlechter geworden, vielleicht auch, weil die Welt komplexer geworden ist. Früher wussten Kunden sehr genau, was sie wollten. Es ging um eine Weihnachtskampagne oder um die Produkteinführungskampagne des A6, man wurde auf Meetings eingeladen, bei denen die Positionierung und weiß der Teufel was noch alles präsentiert wurden, und danach war dein Job klar. Das scheint Kunden heute nicht mehr so leichtzufallen, weswegen der Übergabepunkt nicht so hart sein kann, sondern oszillierender wird. Da machen erste Ideen-Schmieden etc. durchaus Sinn. Nur darf das nicht dazu führen, dass Briefings in Co-Creation-Sessions verlagert werden. Die Arbeitsteilung muss klar sein. Deswegen bestehe ich auf diesen Kern: Die Agentur ist für das Thema Kreativität da, und zwar für Kommunikation und Markendifferenzierung. Das kann alles Mögliche sein, eine Serviceleistung, ein Gebäude, Kommunikation im Raum. Ein AD und ein Texter werden in der heutigen Zeit nicht mehr ausreichen. Und für die großen Fragen – wie muss denn der Sale Store aussehen, wie müsste die Tarifstruktur sein – reichen Teams, wie man sie früher in Agenturen hatte, nicht mehr aus. Man muss also in der Zusammenarbeit offener werden. Aber ist das schon Co-Creation? Und geht das nur mit einer Customized Agency? Du weißt doch selbst, wie diese Trends funktionieren. Da kommen diese kleinen Agenturen auf, erst die Social-Agenturen, dann die Content-Agenturen, die Influencer-Agenturen, die Snapchat-Agenturen und so weiter. Die sind dann Hype, treten mit strubbeligen Haaren auf Konferenzen auf, sitzen nah an einem Vorstand und schreiben freche Kolumnen, dass die Werbung wieder mal am Ende ist. Du bist doch lange genug dabei, um zu wissen: Diese New Kids on the Block werden später aus Effizienz- und Integrationsgründen wieder Teil des Ganzen und damit meist im größeren Teil eingegliedert. Das sind

Randerscheinungen und nicht der Kern, der Kern ist Kreativität. Sobald wir nicht mehr sie, sondern Dienstleistungsprozesse ins Zentrum stellen, werden wir in der Tat überflüssig. Ich jedenfalls möchte lieber Ritter in einer Tafelrunde sein, mit zehn Agenturen, die noch wissen, was ihre Existenzberechtigung ist. Und nicht Teil eines Sammelbeckens von Pseudo-Agenturen, die alles machen, auf jeder Hochzeit tanzen und jedem Buzzword hinterherlaufen müssen. Wir müssen mehr sein als eine bloße Wirtschaftsvereinigung von Leuten, die irgendwie im Bereich kommerzielle Kommunikation tätig sind. So vergessen wir aus meiner Sicht den Kern. Und wenn wir diesen Kern nicht mehr ins Zentrum stellen, dürfen wir nicht mehr erwarten, dass andere es tun. TRAUTMANN So sehr wie sich unsere Industrie in den

letzten Jahren verändert hat, so sehr sehe ich das auch für die Zukunft, und daher probiere ich neue Wege aus. Aber was du schützen willst, ist auch mir ein Anliegen. Ich halte es nach wie vor für wichtig, dass Ideen angemessen bezahlt und nicht nur nach Preislisten und Stunden abgerechnet werden. Das ist ein Kampf, den wir vielleicht nicht gewinnen werden, aber sobald wir aufhören zu kämpfen, verlieren wir ihn. Also glaube ich, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Was wir mit Bobby & Carl vorhaben, ist keine Fabrik, die Content am Laufband erstellt, sondern eine Agentur, die im B2BBereich Kommunikation zu erzielen versucht, die wir vielleicht heute eher im B2C-Bereich sehen. Also ist da ein hoher kreativer Anspruch. Und wir wollen auch mal in Cannes einen Löwen gewinnen. Ja, das ist der Anspruch, weil das immer noch ein Maßstab ist, der funktioniert. Und daran müssen wir uns messen lassen.

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