Nachruf auf Manfred Hermann Schmid

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„Singen‘s aus der Quelle“. Zum Tode von Manfred Hermann Schmid Am 5. Oktober verstarb in Augsburg Manfred Hermann Schmid. Es stimmt unfassbar traurig, dass er ein langes, zähes und stets unbeugsam produktives Aufbäumen gegen seine Krankheit nun verloren hat, inmitten eines kaum nachvollziehbaren Höhepunktes seines gelehrten Schaffens. Allein drei Bücher hat er binnen eines Jahres vollendet: zur Prager Villa Bertramka und zu Mozarts Idomeneo (beides gemeinsam mit Milada Jonášová) sowie eine Monographie zu Beethovens Streichquartetten. Der Beethoven befindet sich noch im Druck bei Bärenreiter (Kassel); er ist, so eine Randbemerkung Schmids, „auf eine gewiss einseitige Weise vielleicht das Beste, was ich geschrieben habe und überhaupt schreiben konnte.“ Diese Eigenaussage steht immerhin vor einem wissenschaftlichen Lebenswerk, das sich historisch von der frühen Mehrstimmigkeit bis zu Wagner und Verdi erstreckt und systematisch von der Quellenphilologie und Notation über Organologie und Ikonographie, Werkanalyse und Biographik, Regional- und Rezeptionsforschung, bis zur Terminologie und Wissenschaftsgeschichte sowie Bereichen auch der Musikethnologie erstreckt. Geboren 1947 in Ottobeuren, wuchs Schmid in Augsburg auf, wo er nach seiner Emeritierung wieder lebte und nun auch starb. Er studierte zunächst Violine am Augsburger Konservatorium bei Rudolf Koeckert, sodann Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Salzburg, Freiburg im Breisgau und München. Gerhard Croll, Hans Heinrich Eggebrecht und zumal Thrasybulos G. Georgiades wurden hier zu prägenden Lehrern. 1975 wurde Schmid bei Georgiades als dessen letzter Doktorand mit der Arbeit Mozart und die Salzburger Tradition (zwei Bände, Tutzing 1976) promoviert. Zusammen mit dem bereits zuvor publizierten Katalog Die Musikaliensammlung der Erzabtei St. Peter in Salzburg (Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph und Michael Haydn, Salzburg 1970) war das Lebensthema Mozart damit früh vorgegeben. Als Assistent von Theodor Göllner erfolgte 1980 die Habilitation mit der systematischen Beleuchtung eines romantischen Topos: Musik als Abbild. Studien zum Werk von Weber, Schumann und Wagner (Tutzing 1981). Nach einer Zeit als Museumsleiter in München, Lehraufträgen in Augsburg und München sowie der Vertretung von Professuren in Tübingen und Bayreuth, erhielt Schmid 1986 den Ruf als Nachfolger von Georg von Dadelsen auf das Tübinger Ordinariat für Musikwissenschaft. Hier wirkte er mehr als ein Vierteljahrhundert lang und prägte eine Ära. Zum Oktober 2012 erfolgte der offiziell so genannte Ruhestand. Blickt man indes auf Schmids Ruhestandswirken, ergibt sich das Bild eines zweiten Gelehrtenlebens. In Lehraufträgen unterrichtete er an den Universitäten München und Wien. Als Vorsitzender der Akademie für Mozartforschung bei der Stiftung Mozarteum Salzburg initiierte er eine Fülle an Tagungen, Vorträgen und weiteren Veranstaltungen. Zugleich gab er – Jahr um Jahr und Band für Band – die von ihm 1991 begründeten international bestückte Reihe der Mozart Studien heraus, zunächst bei Hans Schneider (Tutzing), dann im Hollitzer-Verlag (Wien). An sein Tübinger Institut kehrte er auch im Ruhestand regelmäßig mit Vorträgen zurück (so etwa 2017 im repräsentativen Rahmen der Ringvorlesung „Musik und Kunstpraxis an Universitäten“ zum zweihundertsten Jubiläum der institutionalisierten Musikpflege an der Universität Tübingen, zugleich zu seinem siebzigsten Geburtstag, mit dem Aspekt „Die Rolle der Schrift“) und betreute weiterhin, erst zuletzt eingeschränkt durch seine Erkrankung, Doktorandinnen und Doktoranden. Noch zum Ausklang des diesjährigen Sommersemesters ließen sich im Vortrag zu Idomeneo – Schmid hatte hier schon wieder Neues über sein jüngst publiziertes Buch hinaus entdeckt – die Schärfe und der Ertrag seines analytischen Hineindenkens in Partituren, Texte und Kontexte bewundern. Via Zoom konnten dieser auch methodisch bereichernden Lehrstunde neben den Studierenden und dem aktuellen Institutskollegium noch einmal zahlreiche seiner ehemaligen Schülerinnen und Schüler folgen. Mit faszinierendem Blick auf die Details löste Schmid dabei auch seine Mahnung ein, hinter der Notwendigkeit des fachlich Übergreifenden die disziplinären Anliegen nicht zurücktreten zu lassen. Manfred Hermann Schmid war sich der eigenen wissenschaftlichen Prägungen stets bewusst. Geradezu emphatisch sah er sich in der Tradition der Münchener Georgiades-Schule, die für ihn mit seiner letzten Assistentin Ann-Katrin Zimmermann, jetzt Dramaturgin am Leipziger Gewandhaus und außerplanmäßige Professorin am Tübinger Institut, endete. Nicht weniger grundlegend blieben die Einflüsse, die von Schmid selbst als Lehrerpersönlichkeit ausgingen. Die Breite der Tätigkeiten seiner


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