In Katernberg: Leben

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IN KATERNBERG:

LEBEN EIN STADTTEIL MACHT SICH AUF DEN WEG

STADT ESSEN


INHALTSVERZEICHNIS

Stadtteil von heute AUF DEN WEG MACHEN

Leute von morgen 04

ERSTE SCHRITTE TUN

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WAS PASSIEREN MUSS, DAMIT EIN STADTTEIL SICH AUS DEN FOLGEN EINES RADIKALEN STRUKTURWANDELS BEFREIT.

EIN QUIRLIG KUSCHELIGES MITEINANDER BIETET DIE AWOKITA IM SCHALTHAUS FÜR KINDER AUS VIELEN NATIONEN.

MITMACHEN

LERNEN LERNEN

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WIE EIN STADTTEIL ÜBER DIE JAHRE LERNT, DIE LÖSUNG SEINER PROBLEME SELBST IN DIE HAND ZU NEHMEN.

DIE HERBART-SCHULE STAND KURZ VOR DEM AUS. HEUTE IST SIE EIN MODELL FÜR GANZTAGSBETREUUNG.

GRÜNDEN

AUFFANGEN

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IN DER ALTEN LEHRWERKSTATT DER RUHRKOHLE AG SPIELT HEUTE EIN LEHRSTÜCK FÜR NEUE UNTERNEHMENSKULTUR.

IN DER CARL-MEYER-SCHULE ENTDECKEN KINDER IHRE INTELLIGENZ UND FINDEN NICHT NUR GEISTIGE NAHRUNG.

VERTRAUEN SICHERN

AUS’M QUARK KOMMEN

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AUS DER PERSÖNLICHEN INITIATIVE EINES BEAMTEN WURDE EINMODELL FÜR INTERKULTURELLE POLIZEIARBEIT IN NRW.

INS GRÜNE BAUEN

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EINE GROSSE CHANCE FÜR DEN STADTBEZIRK VI BESTEHT IN SEINEN FREIFLÄCHEN FÜR DAS WOHNEN IM GRÜNEN.

ALTES NEU BEWOHNEN

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DAS WOHNEN IN HISTORISCHEN ZECHENSIEDLUNGEN IST IDYLLISCH, DOCH MANCHMAL NICHT GANZ EINFACH.

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BOXEN, BREAKDANCE UND BODYBUILDING SIND NICHT NUR GUT FÜR DAS SELBSTBEWUSSTSEIN.


Kirchtum und Minarett

Kunstquartiere

KIRCHE IM DORF (ER-)HALTEN

SAMMELN

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BREITE MOBILISIERUNG BEWAHRTEN ESSENS GRÖSSTE EVANGELISCHE KIRCHE VOR DEM DROHENDEN VERFALL.

IM ÄLTESTEN SCHACHTGEBÄUDE AUF ZOLLVEREIN PFLEGT EIN KÜNSTLER ERINNERUNGSGUT AUS DER BERGBAUZEIT.

NEU BEGINNEN

TANZEN

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NACH BRAND BAUTE DIE MUSLIM-GEMEINDE MIT BREITEM RÜCKHALT EINE DER SCHÖNSTEN MOSCHEEN IM LAND.

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DIE INTERNATIONALE TANZSZENE TRIFFT SICH IN ESSEN AUF DEM WELTKULTURERBE: P.A.C.T. ZOLLVEREIN LÄDT EIN.

OFFEN DENKEN

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EINE RIESIGE BEGEHBARE SKULPTUR AUF DER KOKEREI ZOLLVEREIN VERLEIHT DER KREATIVITÄT FLÜGEL.

FÜHLEN

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DAS ERFAHRUNGSFELD IM MASCHINENHAUS LÄSST UNS DIE WELT DER EIGENEN SINNE ENTDECKEN

Weltkulturerbe nebenan

FORMEN

SPUREN SUCHEN

DASS DIE KUNST AUF ZOLLVEREIN NICHT NUR IN DEN KÖPFEN STATTFINDET, ZEIGT DIE ARKA-KULTURWERKSTATT.

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ZOLLVEREINER HALTEN DIE ERINNERUNG AN IHR EINST GRÖSSTES BERGWERK EUROPAS LEBENDIG.

ZUKUNFT PLANEN

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DAS WELTKULTURERBE ZOLLVEREIN NIMMT SEINE VERGANGENHEIT MIT IN DIE ZUKUNFT.

ZUKUNFT ZEIGEN

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EIN WELTZENTRUM DES DESIGNS ANZUSIEDELN, STELLT DIE MACHER VOR SPANNENDE HERAUSFORDERUNGEN.

QUARTIER MACHEN

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DURCH EINEN RÜHRIGEN BÜRGERVEREIN BEGÜNSTIGT, BLÜHT DAS ZARTE PFLÄNZCHEN DES FREMDENVERKEHRS.

Perspektiven ÜBER GRENZEN GEHEN ...

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EIN GANG AUF DIE „HIMMELSTREPPE” UND DIE FRAGE, WAS DENN DIE CHANCEN VON KATERNBERG SEIN KÖNNTEN, VERANLASSTEN DEN AUTOR DIESER BROSCHÜRE ZU EINER EINFACHEN UND PERSÖNLICHEN ANTWORT.

NETZWERKE FÖRDERN UND NUTZEN 48 MIT ERFAHRUNGSTRANSFER UND GEMEINSAMER KOMPETENZ ARBEITEN KOMMUNEN AN DER ENTWICKLUNG IHRER STADTTEILE MIT BESONDEREM ERNEUERUNGSBEDARF.

IMPRESSUM

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AUF DEN WEG MACHEN WAS NÖTIG IST, DAMIT EIN STADTTEIL SICH AUS DEN FOLGEN EINES RADIKALEN STRUKTURWANDELS BEFREIT, ERLÄUTERT KLAUS WERMKER, LEITER DES BÜROS FÜR STADTENTWICKLUNG.

MIT VEREINTEN KRÄFTEN Das Elend in Deutschland ist keine Frage des Geldes und die Armut keine Frage des Hungers, der schlechten Bekleidung oder fehlender Fernseher. Mit einer solchen These provozierte der „Stern” kurz vor Weihnachten 2004 und beschrieb fokushaft „Das wahre Elend.” Er fand es – stellvertretend für viele Ecken in Deutschland-Ost und West – im Ruhrgebiet. Der Autor Walter Wüllenweber hatte sich für eine harte Momentaufnahme aus dem deutschen Elend den Nordosten Essens, Katernberg und hier speziell einen mit vielen Problemen belasteten Bereich, die Siedlung am Meerkamp ausgesucht. Er beschrieb kurz vor dem Christfest Demotivierung und Bildungsferne, Lethargie und latente Agressionsbereitschaft; und es hätte eine düstere Story werden können, wenn ihm nicht ausgerechnet in diesem Stadtteil eine beachtliche Zahl von Menschen begegnet wäre, die engagiert und vielfach vernetzt daran arbeiten, die Dinge vor Ort in die richtige Richtung zu lenken.

Der Stern-Autor schließt nach sechs Seiten und der Schilderung von Projekten, die sich auch in dieser Broschüre finden, mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Bildung und dem Fazit: „Das Schicksal der Menschen im Meerkamp, der Unterschicht in Deutschland insgesamt, ist keine Frage von Mitleid und Barmherzigkeit. Es ist eine Überlebensfrage für die gesamte Gesellschaft. Keine Volkswirtschaft kann es sich auf Dauer leisten, mehr als zehn Prozent durchzufüttern. Die kulturelle Spaltung lässt sich nicht mit den Mitteln des Sozialstaates überwinden, nicht mit Almosen, nicht mit Sozialhilfe, nicht mit Geld.

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„Die Unterschicht braucht echte Investitionen in ihre Zukunft, Investitionen in die Köpfe der Menschen, nicht in den Bauch. Bildungsausgaben zahlen sich bereits in wenigen Jahren aus nachweislich. Aus guten Schülern werden gute Steuerzahler. Ein besseres Invest können Staaten nicht tätigen.” Der Leiter des dezernatsübergeifenden Essener Büros für Stadtentwicklung, Klaus Wermker, erläutert hierzu aus seiner Sicht die Grundlagen und Arbeitsprinzipien einer integrierten Kommunalpolitik: „Die Projekte und Programme sollten für breite Kreise der Bevölkerung von Nutzen sein, weil eine Bevorzugung von Problemgruppen zu weiterer Stigmatisierung führt. Projekte sind als ,Mehrzielprojekte’ zu planen. Sie sollten wennmöglich – gleichzeitig beschäftigungs- und infrastrukturpolitische Ziele verfolgen, – auf vorhandene personelle, räumliche, finanzielle wie auch institutionelle Ressourcen im Stadtteil zurückgreifen, – um privatwirtschaftliche Unterstützung (social sponsoring) werben, – auf sorgfältigen Analysen aufbauen, – der Probleme unter Einbeziehung der Bevölkerung annehmen.” Kann eine solche Arbeit von einer Stelle, z.B. im Sozialdezernat, oder in der Stadtplanung allein bewältigt werden? Wohl kaum: „Hilfreich kann die Unterstützung durch eine intermediäre Organisation sein. Sinnvoll ist auf jeden Fall der Einsatz von Moderatoren im Stadtteil. Zur Entwicklung und Umsetzung der Projekte sind lokale Partnerschaften zwischen Teilen der Verwaltung, den Bewohnerinnen und Bewohnern, Gewerbetreibenden, Vertretern von Organisationen usw. aufzubauen." Wermker fährt fort: „Die hier zitierten Arbeitsprinzipien sind nicht am Schreibtisch entstanden, sondern sie sind das Ergebnis von mehr als zehn Jahren analytischer Arbeit, von ebenso langer kommunaler Beschäftigungspolitik und Stadtteilentwicklung in Katernberg.”


Katernberg ist ein Stadtteil im Essener Stadtbezirk VI mit rund 23.000 Einwohner/-innen. Der Stadtbezirk VI ist, so wie er sich heute darstellt, durch die Kohlewirtschaft entstanden. Schon 1849 wurde hier der erste Schacht abgetäuft. 1986 wurde die Kohleförderung durch die Schließung der Zeche Zollverein XII eingestellt und. 1992 auch die Kokerei Zollverein nach rund 30jährigem Betrieb geschlossen. Allein diese beiden Einschnitte betrafen rund 3 000 Arbeitskräfte und lösten einen strukturellen Wandel aus, wie er am Ruhrgebiet an vielen Stellen stattfand und noch heute stattfindet. Die Folgen davon sind bis heute städtebaulich sichtbar: große brachliegende Flächen und eine Fülle von ungenutzten ehemaligen Betriebsanlagen. Sie sind nur zum Teil abgerissen, zum über-

der/-innen, der sich in einzelnen Straßen auf mehr als 60 % aus einer einzigen nicht-deutschen Bevölkerungsgruppe steigern kann. Ein hoher Anteil von jugendlichen Arbeitslosen zählt ebenfalls zu den Merkmalen dieses Gebiets. Vorübergehend war ein Beschäftigungs- und Qualifizierungsträger, der aus der Arbeit der ev. Kirchengemeinde in Katernberg entstand, der größte Arbeitgeber „Vor Ort" – zugleich auch der Name des Trägers. Die Stadt hat frühzeitig auf erste Krisenerscheinungen reagiert und 1993 ein Stadtteilprojekt begonnen – gemeinsam mit dem Institut für stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB) der Uni Essen-Duisburg (früher Universität Essen) und weiteren Partnern (z.B. Verbänden).

wiegenden Teil aber neu genutzt worden. In Katernberg gab die Erhaltung der Zeche und Kokerei Zollverein eine besonderes Augenmerk in Richtung auf Industriedenkmalpflege vor. Neben der Völklinger Hütte im Saarland ist Zollverein die einzige neuzeitliche Industrieanlage in Deutschland, die (seit 2001) als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt ist. Ungeachtet der erheblichen, auf Zollverein gerichteten Anstrengungen sind die sozialstrukturellen Folgen der Entwicklung kurz zu charakterisieren: Es finden sich kleinräumige Konzentrationen von Einkommensarmut, gemessen am Anteil von Sozialhilfeempfänger/-innen an der Bevölkerung, eine überdurchschnittliche Konzentration von Arbeitslosigkeit, ein überdurchschnittlicher Anteil von Auslän-

1993 kam Katernberg in das NRWProgramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf/Soziale Stadt”. Das Land und auch der Bund (seit 1999) bieten vorrangige Förderung für strukturschwache Stadtteile an, sofern dort integrierte Entwicklungskonzepte vorliegen, die das Land prüft und nach Billigung auch integriert fördert. Vor Ort wurde das erprobte Stadtteilprojekt seitdem auf neue Handlungsfelder und neue Akteure ausgedehnt. Übrigens haben sich die Sozialdaten in den letzten zehn Jahren nicht verschlechtert. Nicht nur die Bevölkerungszahl ist stabilisiert, sondern auch die Zahl der Sozialhilfebezieher/-innen hat sich leicht verringert. Einen Teil der vielen positiven Effekte der besonderen Förderung wird Ihnen dieses Heft näherbringen.

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KONTAKT STADT ESSEN BÜRO STADTENTWICKLUNG RATHAUS PORSCHEPLATZ 45121 ESSEN KONTAKT: MARGARETE MEYER TEL. 0201 / 88 - 88 710 E-MAIL: MARGARETE.MEYER @STADTENTWICKLUNG.ESSEN.DE


MITMACHEN

WIE DAS MITEINANDER VERSCHIEDENER KULTUREN ZUR PRAXIS IM ALLTAG WIRD UND EIN STADTTEIL LERNT, DIE LÖSUNG SEINER SCHWIERIGKEITEN SELBST ANZUGEHEN.

VON HOLZHAUS UND STADTTEILLADEN Schon Jahre bevor 1986 zuerst die Zeche und 1993 die Kokerei Zollverein stillgelegt wurden und dadurch die Lebensbedingungen eines ganzen Stadtteils über Nacht quasi aus den Fugen gerieten, bemühten sich engagierte Bürgerinnen und Bürger um die Gründung einer stadtteilorientierten Projektgruppe. Sie fand sich in einem von scharfen Gegensätzen gekennzeichneten Szenarium zusammen. Bedingt durch die damals noch mit voller Kraft betriebenen Industriegiganten waren in den 1970er Jahren noch viele Menschen aus den osteuropäischen Ländern, der Türkei oder Italien hierher gekommen. Allein in dem 6.000 Einwohner zählenden Katernberg-Beisen war der Anteil der türkisch-stämmigen Bewohner/-innen auf 20 % gestiegen. Wie auch in anderen Teilen und Siedlungen des Ruhrgebiets führte das verdichtete Zusammenleben von höchst unterschiedlichen Kulturen zu Spannungen und Konflikten. Dies war wesentlich der Auslöser dafür, die „Projektgruppe Katernberg“ ins Leben

zu rufen. Die Intentionen und Absichten, mit denen 1981 die Projektgruppe – initiiert von der Stadt und freien Trägern wie der AWO/Arbeiterwohlfahrt, der Diakonie und der Caritas – an den Start gegangen ist, wirken bis heute. In zahlreichen Aktivitäten, die vom Holzhaus Beisen und dem Stadtteilladen im Distelbeckhof ausgehen, finden die zunächst als politisch formulierten Erkenntnisse und Forderungen ihre tägliche konkrete Umsetzung: Nach einer vom Kommunalverband Ruhrgebiet/KVR getragenen Anlaufphase nahm die Projektgruppe ihre Arbeit mit der ersten Bewohnerversammlung im Herbst 1982 auf.

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Sie stellt seither für Bewohner des Stadtteils einen Ansprechpartner für Unterstützung dar – vor allem auch für die zahlreichen Menschen mit Migrationshintergrund am Ort. In einer ganz praktischen Weise geht es darum, dass Integration Wirklichkeit wird, indem Austausch und Begegnung täglich geübt werden. Wie in keinem anderen Essener Stadtteil gehört ein sich respektierendes Nebeneinander auch religiöser Bräuche und Traditionen heute zum Alltag. Den Jugendlichen stehen mehrere Jugendtreffs, Clubs, Sportstätten, und den älteren Mitbürger/-innen ein breites Kurs- und Beratungsangebot zur Verfügung. Damit das Nebeneinander jedoch zu einem friedlichen Miteinander wird, in dem die jeweilige Andersartigkeit der Kulturen und Traditionen respektiert und akzeptiert werden, sind ununterbrochenes Engagement aller Beteiligten erforderlich. Zu den zentralen Aufgaben der Projektgruppe gehört es daher zum einen, gemeinsam mit den hier lebenden Menschen Möglichkeiten zu finden, die zu einer aufgeschlossenen und aktiven Stadtteilöffentlichkeit beitragen. Und zum anderen die vor Ort tätigen Institutionen wie Schulen, Polizei, soziale Dienste und Kirchen für die spezifischen Schwierigkeiten zu sensibilisieren und sie in ihrem kontinuierlichen Anpassungsprozess an die jeweils aktuellen Situationen zu begleiten. Die Stadtteilprojekt Katernberg wird von einem vertraglich geregelten Kooperationsverbund getragen, dem die Stadt Essen, die Universität Duisburg-Essen mit dem Institut für stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB), der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die Evangelische Kirchengemeinde Katernberg angehören. Das Holzhaus Beisen und der Stadtteilladen Hanielstraße sind jeweils mit zwei Personen besetzt. Zusätzlich dient das Projekt der Qualifizierung von bis zu 15 Studierenden der Sozialarbeit, Diplom- oder Sozialpädagogik, die hier ein 18monatiges Praktikum leisten.


Seit 1993 haben sich die Aufgaben im Stadtteilprojekt durch die Einbeziehung in das Landesprogramm „Soziale Stadt/Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf” auf ganz Katernberg ausgedehnt. Organisiert wird die Arbeit nun durch das „Quartiermanagement". Das interdisziplinäre und Ressourcen bündelnde Konzept hat zum ZieI, die Lebensverhältnisse in benachteiligten Wohnvierteln zu stabilisieren und zu verbessern, und zwar unter möglichst breiter Beteiligung der ansässigen Einrichtungen wie Vereine, Verbände und lokale Wirtschaft sowie Geld vom Land NRW, dem Bund und der Europäischen Union. ISSAB und Stadt haben einen übergreifenden Ansatz entwickelt, der auf mehreren Ebenen arbeitet: Die erste ist die Verwaltung mit der Gebietsbeauftragten im Büro Stadtentwicklung, die wiederum die Stadtämter koordiniert. Die zweite Ebene ist die Moderation durch das ISSAB, das auch die sozialwissenschaftliche Annäherung an die Wirklichkeit und neue Themen des Stadtteils aufnimmt. Auf der dritten, der operativen Ebene sind schließlich der Stadtteilladen und das Holzhaus Beisen angesiedelt. Mitarbeiter/-innen des Jugendamtes und die Studierenden des ISSAB stehen den Bürger/-innen in sämtlichen sozialen Belangen beratend zur Seite, etwa bei Problemen mit Behörden, dem Bezug von Sozialhilfe, um Mietverträge und Nebenkostenabrechnungen oder aber bei Konflikten in der Familie oder Nachbarschaft. Über diese Beratungsleistungen hinaus regt die Projektgruppe Initiativen an, die etwa zur Gründung von Naturschutz- oder Sportgruppen sowie zu mehreren Geschichtskreisen geführt haben, deren größter und aktivster wohl die Geschichtswerkstatt Zollverein mit eigenen Räumlichkeiten auf dem ehemaligen Zentralschacht XII und einem umfangreichen Archivbestand ist (s.a. Seite 30). Und schließlich bieten beide Kontaktstellen ein breites Kurspro-gramm an, das von Alphabetisierungs- und Sprachkursen über

Kindergruppen, Mutter- und KindSchwimmen, Näh- und Malkursen oder Ausstellungen bis zur Hilfe in Konfliktlösung reicht, die übrigens meist hier lebende Migrant/-innen leiten. Das Ziel, das die unterschiedlichen Aktivitäten vereint, ist eine möglichst umfassende Teilnahme der Menschen wie der Institutionen an der Strukturveränderung ihres Stadtteils, der enge Austausch und die stetige Kooperation untereinander, die sich wie in einem Patchwork fortlaufend erneuern und anpassen müssen. Eine weitere elementare Forderung an die Arbeit ist außerdem, erläutert Michael Preis, wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISSAB und Koordinator der

Projektgruppe, „dass wir auch Themen aufnehmen, die nicht von der Stadt gesetzt und vorgegeben sind." Denn eine zentrale Bedingung für den Erfolg ist es, flexibel zu bleiben. Nur wenn die Institutionen durchlässig und offen gehalten wird, können die Beteiligten den jeweils aktuellen Anforderungen gerecht werden, neue Wege gehen und Lernprozesse in Gang bringen. So bilden sich an der Basis aus konkreten Problemstellungen auch Gruppen, die ihre ganz spezielle Thematik bearbeiten: Zum Beispiel seit 2005 eine Arbeitsgemeinschaft von Großeltern, die keinen Zugang zu ihren Enkeln haben, nachdem sich ihre Kinder getrennt haben und diese den Kontakt

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zu den Enkeln verweigern. Ein spezielles Problem, doch „aus dem Leben”. Mit der regelmäßigen „Konferenz für innovative Zusammenarbeit im Bezirk VI", wie die „KaternbergKonferenz” etwas sperrig genannt wird, haben die Werbegemeinschaften von Stoppenberg, Schonnebeck und Katernberg im Bezirk obendrein ein offenes Forum eingerichtet, um Themen der Bildungssituation, Drogenproblematik oder aber fehlende Parkplätze zu diskutieren. Auch hier gilt die Maxime: Die Lösung der Probleme zuerst im Stadtteil selbst suchen, sich an Stärken statt an Schwächen zu orientieren, selbst aktiv zu werden und – sich einzumischen!

KONTAKT STADTTEILLADEN HANIELSTRASSE 33 45327 ESSEN TEL. 0201 / 37 08 11 HOLZHAUS BEISEN GRUNDSTRASSE 2 45327 ESSEN TEL. 0201 / 30 47 59 ISSAB UNIVERSITÄT DBG.-ESSEN HOLZSTRASSE 7-9 45141 ESSEN TEL. 0201 / 43 76 417 BÜRO STADTENTWICKLUNG SIEHE SEITE 5


GRÜNDEN IN DER ALTEN LEHRWERKSTATT DER RUHRKOHLE AG SPIELT HEUTE EIN LEHRSTÜCK FÜR NEUE UNTERNEHMENSKULTUR: DAS TRIPLE Z

ZUKUNFT – ZENTRUM – ZOLLVEREIN Ein Gründerzentrum, das nur durch das Zusammenspiel vieler öffentlicher und privater Kräfte möglich geworden ist, wächst seit 1995 auf dem Gelände der ehemaligen zentralen Lehrwerkstatt der RAG/Ruhrkohle AG. Das ZukunftsZentrum Zollverein, kurz und dynamisch „TripleZ" getauft, ist ein Lehrstück für das Gelingen jener vielzitierten drei großen „P" des „private-publicpartnerships", ohne das sich im Strukturwandel wenig oder gar nichts bewegen kann. Das Ergebnis nach zehn Jahren seit den ersten Gesprächen kann sich sehen lassen: Mehr als 50 Firmen, zum guten Teil Existenzgründungen, haben sich inzwischen auf dem Gelände unweit der Stadtgrenze zu Gelsenkirchen niedergelassen. Rund 300 Arbeitsplätze verteilen sich auf Handwerks- und Fertigungsfirmen, Software- und Bürodienstleister. Die mit der Erschließung, der Sanierung und heute mit der Verwaltung des Geländes betraute Aktiengesellschaft ist ein inzwischen auf kräftigen eigenen Beinen stehendes „Baby" vieler

„Eltern", die sich nach Schließung der RAG-Lehrwerkstätten und dem Ende von Zeche und Kokerei im Rahmen des „Essener Konsens" zusammengeschlossen hatten. Nach dem Ende von Zeche und Kokerei Zollverein in den Jahren 1986 und 1993 war allen Beteiligten klar: Es war keine Großinvestition im produzierenden Gewerbe in Sicht und es würde keinen Ersatz für die beiden prägenden und beherrschenden Großbetriebe in einem Stück geben. Zollverein und seine über den Stadtbezirk VI verteilten Dependancen waren nicht durch ein Einkaufszentrum oder ein Autowerk zu ersetzen. Es war höchste Zeit zum Umdenken und zum Entwickeln neuer

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Wege, um wirtschaftliche Dynamik hierher zu bekommen. Zeit für neue Strategien und flexible, kleinteilige Lösungen. Vom Ein-Mann- bzw. Ein-Fraubetrieb im kleinen Büro bis zum – wörtlich verstanden – „Raum füllenden" Unternehmen wie dem in ganz Deutschland tätigen Messe- und Event-Ausstatter „Kalle Krause GmbH" spannt sich heute der Bogen des aus dieser Erkenntnis heraus gewagten Experiments: Klassische Steuerberatung, Tonstudio, Lehrmittelvertrieb, Ingenieurwesen, Consulting, produzierendes und künstlerisches Handwerk und vieles mehr bildet hier in einer sehr lebendigen Palette einen gesunden Branchen-Mix. Die stillgelegten Gebäude der ehemaligen Schachtanlage 4/5/11 der Zeche Zollverein - Lohnhalle, Pavillon, Waschkaue, Magazin, Hallen 6 bis 9 und ein Stellwerkhaus- wurden von 1997 bis 2002 mit Mitteln des Landes, der Stadt, der aktiven Arbeitsmarktpolitik und mit privatem Beteiligungskapital hergerichtet und für eine neue Nutzung fitgemacht. Es entstanden Gewerbeflächen, die sich in ihrer Ausstattung an die Bedürfnisse und Möglichkeiten von jungen Unternehmen anpassen. Nach den ersten drei Bauabschnitten sind heute insgesamt 10.000 m2 Gewerbefläche erschlossen und werden bewirtschaftet. Das Flächenangebot reicht vom kleinen Büro ab 30 m2 bis hin zu Fertigungs- und Lagerhallen von 200 m2 und mehr. Doch das Triple Z bietet für junge Firmen nicht nur Platz, der zu Einstiegspreisen kalkulierbar ist, sondern stellt auch Know-how bereit. Wesentliche Aufgabe des Zentrumsmanagements ist die Hilfe beim Aufbau der jungen Unternehmen und bei der Marktetablierung. Es agiert damit in enger Kooperation mit dem Gründungsnetzwerk Essen, lokalen und regionalen Initiativen. Vor Ort finden sich allgemeine Service- und Kommunikationsstrukturen wie Sekretariatsservice, Lohnbuchhaltung und Konferenztechnik, die auch die Vernetzung der Mieter untereinander fördern.


Im Aufsichtsrat des Triple Z, das sich die Rechtsform einer Aktiengesellschaft gegeben hat, sitzen Vertreter/-innen der lokalen Politik, der Sparkasse, des Berufsförderungszentrums, der Kreishandwerkerschaft und der Stadt Essen. Im Vorstand sind die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft EWG, das Essener Technologie- und Entwicklungszentrum (ETEC) und die Stadt Essen beteiligt. Triple Z will mehr sein als ein reines Gründerzentrum und lebt daher von vielfältiger Interaktion und gegenseitigem Austausch. Es erfährt eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit. Mehrfache Auszeichnungen als „BestPractice"-Beispiel auf nationaler und europäischer Ebene bestätigen dies ebenso wie ein lokaler Indikator, an dem sich der Erfolg des Zentrums able-

dass Nachfrage nach Räumlichkeiten ungebrochen weiterbesteht und die AG, mittlerweile im fünfmal in Folge, einen Überschuss erwirtschaftete. Die Auslastung des Zentrums liegt bei über 90 %, im Jahr 2003 wurden 1.200 m² neu vermietet, wobei ein großer Teil der Nachfrage durch Erweiterungsbedarf von Tiple-Z-Mieterfirmen begründet war. In der ersten Jahreshälfte 2004 haben acht neue Mieterfirmen ihre Räume bezogen. Die AG konnte so ihre Umsätze 2003 um 18 % steigern. Der erwirtschaftete Gewinn wird nach einstimmigem Konsens der Aktionärsversammlung nicht ausgeschüttet, sondern für die weitere Entwicklung des Zentrums eingesetzt. Nicht zuletzt strahlt der Erfolg auch mittelbar in den Stadtteil hinein. Einige Inhaber/-innen, leben inzwischen hier,

sen lässt. Am Projekt beteiligt sind neben den ebengenannten Institutionen eine nicht genau abschätzbare Zahl von mehreren Hundert Einzelpersonen, die die Publikumsaktien der TripleZ AG halten. 41.000 Inhaberaktien verteilen sich auf Verbände, Unternehmen, Personen des öffentlichen Lebens und Privatleuten. Diese Streuung sichert wirtschaftlich und auch mental eine breite Unterstützung des Projektes. Im Anschluss an die jährliche Hauptversammlung laden das Triple Z und seine Einzelfirmen regelmäßig der Tag der offenen Tür, einem in Katernberg sehr populären Veranstaltung, die Aktive aus dem Gründerzentrum mit Menschen aus dem Stadtteil zusammenbringt. Bei der Hauptversammlung 2004 berichteten Vorstand und Aufsichtsrat,

haben Wohneigentum erworben und bilden eine neue bürgerliche Schicht im ehemaligen Arbeiterviertel Katernberg. Die kurzen Wege in die Firma und das Preis-Leistungsverhältnis der sanierten oder neuen Immobilien in Grünlagen sind die Gründe, hier nicht nur ins Unternehmen, sondern auch privat zu investieren. Angesichts der Abwanderungsproblematik, die durch mehrfache Steuervorteile für Wohnen im Umland des Ruhrgebietes verschärft wird, wirkt sich ein solcher Trend mehrfach positiv vor Ort aus: wirtschaftlich, steuerlich und angesichts tausender eingesparter Pendler-Kilometer auch ökologisch. Im alten Stellwerk hat Triple-Z übrigens ein weltweit ausgeschriebenes Künstler/-innen-Stipendium eingerichtet, das zweimal jährlich einen neuen Kunst-Impuls in das Zentrum bringt.

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KONTAKT TRIPLE Z ZUKUNFTS-ZENTRUMZOLLVEREIN KATERNBERGER STR. 107 ZECHE ZOLLVEREIN SCHACHT 4 /11 45327 ESSEN TEL. 02 01 / 88 721 - 00 FAX 0201 / 88 721 - 18 WWW.TRIPLE-Z.DE INFO@TRIPLE-Z.DE


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AUS DER PERSÖNLICHEN INITIATIVE EINES BEAMTEN WURDE EIN ANERKANNTES MODELL FÜR INTERKULTURELLE POLIZEIARBEIT IN NRW.

POLIZEIARBEIT INTERKULTURELL Angst, so lautet eine Lebensweisheit, ist in allem ein schlechter Ratgeber: Angst in den eigenen vier Wänden, im öffentlichen Raum, Angst vor dem oder „den" Fremden. Es ist nicht nur in der Sozialwissenschaft erwiesen, dass die gefühlte Sicherheitswahrnehmung von der objektiven Situation häufig abweicht. Oft ist sie negativer als es den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. So sind Stadtteile in der Kriminalstatistik, aber auch in der täglichen Wahrnehmung der Polizei durchaus unauffällig, gelten dennoch als „sinistre" Ecke, als „schääl Sick" oder schlimmstenfalls gar als „No-Go-Area". Andere städtische Bereiche – speziell Innenstädte oder auch Einkaufszentren, Tourismusorte – scheinen uns sicherer, sind aber objektiv Kriminalitätsschwerpunkte mit einem zigfach höheren Risiko für den/die Einzelne(n), übel angegangen, bestohlen, belästigt zu werden - trotz der Lichter und allpräsenter Wachmänner. Die gefühlte Unsicherheit kann jedoch

auch in einem direkten Wohnumfeld, über die Straße, den Hof, den Hausflur hinweg entstehen. Durch Medienberichte hellhörig, aber nicht unbedingt klarer erkennend - können wir Dinge, die um uns herum passieren, durch eine angstgefärbte Brille filtern. Das kann uns möglicherweise auf falsche Fährten, oder auch in eine Angstlähmung führen, die uns dann erst recht zum potentiellen Opfer prädestiniert. Gegen solche Entwicklungen helfen drei Komponenten: Aufmerksamkeit, Kommunikation und eine pragmatische, lebensnahe Polizeiarbeit. Auch hierfür gibt der Stadtteil ein gutes und in seiner Vernetzungsfähigkeit und Lebensnähe wiederum „katernberg-typisches" Beispiel. Es begann mit dem – inzwischen in den Ruhestand gegangenen – Leiter der ansässigen Polizeiwache, der aus Neugier und dem Unbehagen, nicht richtig zu verstehen, damit begann, die Sprache eines bis dahin sprach-losen Teiles der Bevölkerung zu lernen.

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Er setzte mit seinem persönlichen Interesse, wenn auch zunächst ganz ungeplant, einen weit reichenden Prozess in Gang. Dieser gilt heute als Modell für integrierte Polizeiarbeit in NRW und darüber hinaus. Aus der Sicht des Praktikers hört sich das so an: „Man braucht Kenntnisse, um Situationen richtig einschätzen zu können. Wenn uns zum Beispiel jemand anruft, es würden sich in einem Wohnhaus schon zwei Tage lang ,verdächtig' viele Menschen treffen. Es wäre bestimmt keine Hochzeit, denn es spielt keine Musik und alles ist still. Dann ist das für uns viel eher ein Zeichen für einen Trauerfall in der Familie als irgendeine Verschwörung." Der „Transfer interkultureller Kompetenz" ist nun auch ein Fokusthema, mit dem die Essener Polizei in der Prävention aktiv an die Öffentlichkeit geht, etwa mit einem Video, das ab 2005 auf Veranstaltungen, in Schulen und anderen Gelegenheiten für das Thema sensibilisiert: „Miteinander der Kulturen – Polizei im Dialog”. Die Essener Polizei ist hier im Ganzen modellhaft, was auch ganz persönlich in der Auszeichnung des 1. Preises „chance. nrw" für die Essener Polizeimeisterin Gülizar Kurt Karacay im Jahre 2003 deutlich wurde. Ebenfalls preisgekrönt wurde 2004 das in Katernberg tätige JugendhilfeNetzwerk der AWO als ein Beispiel für gelungene Netzwerkbildung auch und vor allem in der Kriminalitätsprävention. Im engen Schulterschluss zwischen Behörden und Ämtern, der Polizei und dem Netzwerkbüro wird hier auf ganz aktuelle Probleme im Stadtteil direkt reagiert, bedingt auch durch die gute Zusammenarbeit der Sozialarbeiter mit den drei Bereichspolizisten. „Dabei die verschiedenen Interessenlagen und Aufträge nicht aus dem Blick zu verlieren, ist Grundvoraussetzung der Zusammenarbeit. Dies kann nur gelingen durch eine Kommunikation, die gegenseitige Vorurteile abzubauen hilft, und dies über Jahre," so Thomas Rüth, Chef des AWO-Stadtteilbüros.


Ein Arbeitsschwerpunkt des Jugendhilfe-Netzwerkes ist die Kooperation mit anderen Trägern, dem Jugendamt, der offenen Jugendarbeit, der Stadtteilarbeit, der Schulen und Kindergärten, aber auch der Austausch mit ehrenamtlich Tätigen und den Vereinen. Externe Institutionen wie Polizei, Bewährungshilfe, Jugend- und Familiengerichte gehören genauso zu den Ansprechpartnern wie politische Vertreter. Das Netzwerk fokussiert sich dabei auf den Bereich Jugendhilfe. Das bedeutet, Träger- und Angebotsvielfalt in diesem Bereich zu bündeln und zusammenzuführen. Das zentrale Gremium des Prozesses ist die Sozialraumkonferenz als „Runder Tisch der Jugendhilfe" für Katernberg und die umliegenden Wohnbereiche. Sie setzt sich aus 125 unterschiedlichen Personen/ Institutionen, die hier professionell tätig sind, zusammen und tagt bedarfsorientiert in der Aula der Gustav-Heinemann-Gesamtschule. Das Jugendhilfe-Netzwerk führt diese Praktiker zusammen, moderiert ihre Kommunikation mit der Absicht, ein abgestimmtes Handeln zu ermöglichen und sich wechselseitig Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Im Jahr finden sechs bis sieben SozialraumkonfeIm Vordergrund v.l.n.r.: Hodscha Ercan Aksu, NRW-Innenminister Behrens und Imam Tahir El Zein 2004 bei einer Pressekonferenz in der Katernberger Fatih-Moschee.

renzen mit einem Teilnehmerschnitt von 39 Personen/Institutionen statt. NRW-Innenminister Behrens bemerkte 2004 bei einer Rede in der Katernberger Fatih-Moschee: „ Das Geheimnis des Erfolgs ist zunächst einmal, dass alle die Integration wollen. In EssenKaternberg ziehen Moscheeverein, Polizei und andere Organisationen an einem Strang. Das JugendhilfeNetzwerk strebt seit 1997 dahin, die Jugendkriminalität zu stoppen oder noch besser: sie zu verhindern. Das Projekt ist erfolgreich, weil ganz wesentliche Dinge erfüllt sind, nämlich die gegenseitige Toleranz und Offenheit. Hodscha Ercan Aksu der türkischen Fatih-Moschee und Imam Tahir El Zein von der libanesischen Muslimgemeinde in Katernberg beweisen mit ihrem täglichen Engagement im Netzwerk, dass gegenseitiges Verständnis über religiöse Überzeugungen hinweg möglich ist. Gemeinsam mit engagierten Polizisten in Katernberg ist diesem Projekt gelungen, auch solchen Jugendlichen eine neue Perspektive für ihr Leben zu geben, deren kriminelle Karriere bereits vorgezeichnet schien. Auch das Jugendamt hat dazu beigetragen, dass die Türken und Libanesen hier Vertrauen zu den staatlichen Einrichtungen entwickeln." Imam Tahir El Zein setzte auf der selben Veranstaltung den Akzent: „Weil wir in diesem Land leben, müssen wir es als

,unser Land' begreifen. Und wenn wir es als unser Land sehen, müssen wir Schaden von ihm abwenden." El Zein hatte übrigens gemeinsam mit dem türkischen Hodscha in den Tagen nach dem Anschlag vom 11. September 2001 eine aktive öffentliche Zusammenarbeit und Kommunikation mit der Polizei initiiert und insofern die tiefe Verunsicherung sowohl in der ortsansässigen Muslimgemeinde wie bei den nicht-muslimischen Katernberger/innen entspannen können.

KONTAKT ARBEITERWOHLFAHRT / AWO KREISVERBAND ESSEN JUGENDHILFENETZWERK KATERNBERG MEYBUSCHHOF 46 45237 ESSEN TEL. 0201 / 217 603 - 21 WWW.AWO-ESSEN.DE /JUGENDHILFENETZWERK POLIZEI IN ESSEN KRIMINALITÄTSPRÄVENTION TEL. 0201 / 829 - 44 44 WWW.POLIZEI-ESSEN.DE

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INS GRÜNE BAUEN

EINE GROSSE RESERVE UND CHANCE FÜR DEN STADTBEZIRK VI BESTEHT IN DEN FREIFLÄCHEN FÜR DAS WOHNEN IM GRÜNEN.

PLUSPUNKTE: PLATZ UND GRÜN Eine Mischung aus Stolz und einer gewissen Genugtuung spielt immer dann mit, wenn bekennende Katernberger/-innen – oder Ruhrgebietler im Allgemeinen – ihren Besuch von Auswärts beim Spazierengehen zu einem Punkt mit Fernsicht über das nördliche Revier mitnehmen: Sei es eine Besteigung der vielen Halden, die durch die Initiativen im Rahmen der IBA-Emscherpark für die breite Öffentlichkeit erschlossen wurden und deren Landmarken die weite Landschaft akzentuieren, sei es der Blick von einem Förderturm oder von der Aussichtsplattform auf der Kokerei Zollverein. Die Reaktion der Zugereisten ist stets berechenbar die gleiche: „So viel Grün hier hätte ich nicht erwartet!” Die Landschaft entspricht – man kann nicht müde werden, es zu wiederholen – in keinem mehr den Klischees der grauen Kohle- und Stahlzeit. Es macht heute kaum mehr einen Unterschied, am Niederrhein oder im Münsterland oder hier ein familiengerechtes Siedlungshäuschen zu beziehen.

Einer der Hauptgründe für die Entscheidung, sich hier seine eigene Behausung zu bauen (oder eine solche zu kaufen), ist in der Tat, dass im Ruhrgebiet die vergleichsweise erschwingliche Möglichkeit gegeben ist, in städtischen oder stadtnahen Lagen „im Grünen” zu wohnen. Der durch die Bergbaugeschichte bedingte und oft bemängelte Umstand, das Ruhrgebiet hätte kein echtes Zentrum und sei ein Patchwork von Vororten, wirkt sich hier für den privaten Baugrundkauf von Vorteil aus.

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Katernberg ist hier, was seine Zukunftsfähigkeit angeht, im Vergleich zu anderen Stadtteilen im Strukturwandel außerordentlich gut positioniert: – Es gibt keine nennenswerten Bodenbelastungen, die in den Siedlungsgebieten des Stadtteils für den Wohnbau beseitigt werden müssten. – Es gibt ein großes regionales Interesse zur Entwicklung rund um den Standort Zollverein, dessen Masterplan im Westen der ehemaligen „weißen Seite” der Kokerei eine anspruchsvolle Wohnbebauung vorsieht. – Es grenzt zudem die fußläufig erreichbare Kanal- und Emscherzone an den Stadtteil. Letzterer Aspekt macht die in naher Zukunft noch anstehenden grundlegenden Veränderungen deutlich, die das Gesicht und die Lebensverhältnisse in der ganzen Region verändern werden: Noch vor einer Generation hätte die Erwähnung des Flüsschens Emscher eher Gelächter oder einen Brechreiz ausgelöst, als dass es für ein Positiv-

Argument im Eigenheimbau getaugt hätte. Auch zur Zeit ist noch Phantasie nötig, sich den Emscherfluss nicht als betonierte Kloake vorzustellen Jedoch werden am Fluss in den nächsten zehn Jahren geschätzte gigantische 4,4 Milliarden Euro (!) verbaut, um die Emscher zu renaturieren. Das bis heute oberirdisch abgeleitete Abwasser des Ruhrgebiets soll „im Untergrund” verschwinden. Der wiederhergestellte Fluss soll wieder durch eine renaturierte Auenlandschaft


fließen. Das ist beschlossene Sache und wie auch die anderen großen Bauprojekte, die in den Stadtteil hineinwirken, ein Ergebnis der Planungen und Veränderungen im Rahmen der IBAEmscherpark der 1990er Jahre. Das Projekt zwischen Quelle und Mündung des etwas über 80 km langen Flusses gilt übrigens als die größte Einzelbaustelle Europas des nächsten Jahrzehnts, wobei hier nicht etwas in die Natur hinein gebaut wird, sondern die Natur zurück geholt wird. Eine solche Zukunftsperspektive wertet nachhaltig den gesamten Essener Nordosten und Norden (incl. Karnap und Altenessen-Nord) in einer Dimension auf, die gerade im Wohnungs- und Eigenheimbau strukturverändernd wirken wird. Erfahrungen mit der Eigendynamik von schnell gebauten großen Komplexen im Sozialwohnungsbereich und das Wissen, dass man Flächen nur einmal bebauen kann und planerisch eben sehr sorgfältig vorgehen muss, haben in den Jahren seit 2000 zu einer sehr vorsichtigen Vergabe im Baurecht geführt. Im Jahre 2002 beschlossen der Essener Stadtplanungsausschuss ASP und die Bezirksvertretung VI auf Empfehlung des Büro Stadtentwicklung, trotz aller gewünschter Dynamik im Investitionsbereich einen Stop für Genehmigungen von weiteren sozial geförderten Wohnungen. Es galt, einen seit den 1990er Jahren deutlichen Trend der „Ghettoisierung” durch größere neue Wohnkomplexe zu stoppen bzw. nicht weiter zu fördern. Auch die Expert/-innen im Sozial- und Bildungsbereich hatten davor gewarnt, die Erfolge der langfristig angelegten und personell wie finanziell ausgelasteten Maßnahmen im Stadtteil nicht zu gefährden. Noch immer sind die Messzahlen von Sozialhilfe-Abhängigkeit, Arbeitslosigkeit, von Armut und Bildungsferne im Stadtteil höher als die in der übrigen Stadt. Weitere Belastungen finanzieller und personeller Art hätten die Kommune und die im Katernberger Netzwerk Agierenden überfordert.

Neue Siedlungen im Bezirk VI. (Stand 2004) Wohnwertpark Zollverein I Wohnwertpark Zollverein II Röckenstraße/Bonnkampstraße Beisenstraße Zollverein X Josef-Hoerenstraße/Bruchstraße Ramerskamp Ramerskamp II Graitengraben/Graitenweg Großwesterkamp/ Erlenkampsweg Waldsiedlung Zollverein Esternhovede/Tuttmannstraße Hangetal II/Theodor-Pyls-Straße

Siedlungen

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Einfamilienhäuser geplant

706

KONTAKT

davon fertig 2005

401

STADT ESSEN AMT FÜR STADTPLANUNG UND BAUORDNUNG

Geschosswohnbau geplant

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davon fertig 2005

25

davon in Bau 2005

0

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HIRSCHLANDPLATZ DEUTSCHLANDHAUS 45121 ESSEN TEL. 0201 / 88 - 6 15 30 E-MAIL: BRIGITTE,GRAEWE @AMT61.ESSEN.DE


ALTES NEU BEWOHNEN IM SCHATTEN DER FÖRDERTÜRME BAUTEN DIE ZECHENBARONE SCHLICHTE QUARTIERE FÜR DIE AUS BÄUERLICHEN REGIONEN EINGEWANDERTEN KUMPEL: EIN FAST LÄNDLICHES LEBEN ZWISCHEN KAPPES UND KARNICKELSTALL.

DAS LEBEN IN DEN KOLONIEN Trotz einiger Kriegszerstörungen im Umfeld von Zeche und Kokerei Zolverein, die - kaum vorstellbar - selbst nur wenig von Bomben getroffen waren, nimmt sich der Stadtbezirk VI aus heutiger Sicht fast wie ein Architekturmuseum in Sachen Siedlungsgeschichte aus. In der Tat finden wir auch heute noch in Katernberg, Schonnebeck und Stoppenberg Beispiele aus sämtlichen Entwicklungsstufen in der Siedlungsgeschichte seit Beginn der Industrialisierung: Vereinzelte Kötterhäuschen in Fachwerkbauweise als Reste der ländlichen Besiedlung und seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute - alle Formen des Hausbaus von den geklinkerten „Vierspännerhäusern” bis hin zu Exoten wie Stahlhäusern(!) aus den 1920er Jahren. Die Erhaltung und Sanierung von denkmalwerten Siedlungen ist neben Themen aus dem sozialen und wirtschaftsfördernden Bereich ein Schwerpunkt, um den sich das Stadtteilprojekt Katernberg zusammen mit Bewohner/innen, Grundstücksgesellschaften und

lokalen und regionalen Behörden bemüht. Wenn es um eine denkmalgerechte Erhaltung von Zeugnissen aus der Industrie-Epoche geht, betrifft das eben nicht nur Fabriken, Zechen und die Villen der „Industrie-Barone". Als sich in den späten 70er und 80er Jahren ein Bewusstsein entwickelte, dass in der sterbenden Industriekultur „Kohlenpott" überhaupt etwas Denkmalwertes steckte, fiel der Blick bald auch auf die Wohnstätten der ehemaligen Kumpel und Industriearbeiter des Ruhrgebiets. Die von den Zechenbetreibern meist in direkter Nachbarschaft zu den Pütts errichteten „Kolonien" waren nicht nur für die Region typisch, sondern gehören speziell zum

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Bergbau überhaupt. Die verarbeitenden und produzierenden Industrien des 19. Jahrhunderts bildeten sich in den Städten bzw. an ihren Rändern und wuchsen dort bis zur Größe der Kruppstadt im Westen von Essen (mit 233 ha doppelt so groß wie Essens alter Stadtkern). Die Industriearbeiter wohnten demzufolge in städtischer Wohnumgebung (u.a. in Frohnhausen, Altendorf, Holsterhausen), einer engen Blockbebauung oder in dichten Siedlungen, die sich gemeinsame Innenhöfe und Zugänge teilten. Ganz anders lagen die Dinge und die Wohnverhältnisse im Bergbau: Die Schächte wurden eben dort abgeteuft, wo es Kohle (oder anderswo Erz, Salz etc.) zum Abbau gab, auf dem „platten Land" zwischen den Städten. Es galt, in einer ländlich dünn besiedelten Umgebung nah bei den Schächten schnell Wohnraum zu schaffen, der einerseits kostengünstig für die Bauherren (Zechenbetreiber) und Nutzer war - die Mieten lagen um etwa ein Drittel unter den wenigen freien Vermietungen. Zum anderen war in der lange Zeit dürftigen Bezahlung und in der vielfach bäuerlichen Herkunft der zugewanderten Bergarbeiter von Anfang an ein Selbstversorgungs-Aspekt gegeben. So hatten alle Häuser in den Kolonien, die während der ersten Periode des Industrie-Bergbaus errichtet wurden, ein Stück Land und Stallungen für Kleinvieh direkt am Haus. Was sich heute als Idylle ausnimmt, den Charme und die Wohnqualität vieler historischer Siedlungen ausmacht - wie zum Beispiel in der Meerbruchstraße, war zur Zeit ihrer Entstehung Zubrot für einen kargen Lebensunterhalt. Doch es zeigte sich nicht nur ein wirtschaftlicher Nutzen in Form von selbstgezogenem Kappes und Kartoffeln, Stallhasen und Hühnern. Die Bergbaukolonien waren Heimat bildend und an die Unternehmen bindend. Ein Umstand, der nicht nur in vielen Lebenserinnerungen und Zeugnissen der Literatur belegt ist (s.u.), sondern auch aus alten Statistiken herauszulesen ist: Während etwa im Jahr 1900 auf


Zollverein 40 Prozent der Gesamtbelegschaft wechselte, waren es von den bei Zollverein beschäftigten Siedlungsbewohnern nur ganze fünf Prozent. (Quelle: Robert Hundt „Bergarbeiterwohnungen im Ruhrrevier", Dortmund 1902). Aus dem Ursprung im 19. Jahrhundert finden wir noch heute als älteste die „Kolonie III." (errichtet 1880-83) und den Hegemannshof (1860-90). Erstere mit Arbeiterhäusern an der Eisen- und der Schlägelstraße und besser ausgestatteten mehrstöckigen „Beamtenhäusern" (Steigerhäusern) längs der Ückendorfer Straße. Typische „Vierspännerhäuser" mit vier Wohnungen, die in einem kreuzförmigen Grundriss angeordnet sind, stehen längs der Meerbuschstraße als Teil des Hegemannshofs, zu denen auch die Bebauung am Bolsterbaum, dem Plänkerweg, Gerstekamp, der Viktoria- und der Zollvereinstraße gehören. Weitere Siedlungen aus dem 19. Jahrhundert und aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg sind an der Schalker Straße und im Ottekampshof zu finden, sowie an der Röckenstraße/Kraspothstraße, dem Stiftsdamenwald und an der Theobaldstraße. Aus den 20er und beginnenden 30er Jahren stammen die Häuser im Ocklenburgs Ried, im Viertel um den HeinrichLersch-Platz, am Drostenbusch sowie an der Vinzenz- und der Hetzlerstraße. Hier finden sich teils historisierende Verzierungen und Ornamente, teils reformorientierte Elemente der BauhausArchitektur und der „Neuen Sachlichkeit". In jedem Fall bedeutete dies für die Nutzer ein weitaus komfortableres Wohnen als unter den ärmlichen und oft wüsten hygienischen Bedingungen in den Häusern der ersten Kolonien, die mitunter erst in den 1950er Jahren an die Kanalisation angeschlossen wurden. Heute bietet sich ein weitgehend saniertes, doch bezogen auf die verschiedenen Erhaltungszustände sehr heterogenes Bild der Siedlungen: Während die Meerbuschstraße durch denkmalgerechte Sanierung in der 1990er

Jahren ein zwar modernisiertes, aber einheitliches Bild abgeben, sind z.B. die Häuser am Plänkerweg und Gertekamp durch vielerlei Anbauten, Verklinkerungen stark verändert worden. Darin zeigte sich in einer früher Phase der Privatisierung (vor 1985) ein „Wildwuchs" durch individuelle Gestaltung der Neueigentümer. Striktere Bestimmungen im Rahmen der Denkmalschutzes führten seit Mitte der 90er Jahre zu vielen Diskussionen, die die Untere Denkmalbehörde und das Büro Stadtentwicklung in Zusammenarbeit mit dem ISSAB moderierte und begleitete. Es galt, einer Vermarktung durch die Eigentümerseite (im Wesentlichen die Viterra AG/ehem. Veba-Immobilien) nicht im Weg zu stehen, und zugleich dem Denkmalsschutz und schließlich dem Willen der Neueigentümer (oft ehemalige Mieter der von ihnen bewohnten Häuser) gerecht zu werden: Farbwahl, einheitliche Baustoffe und Materialien, Dach und Fassadengestaltung etc. Ehemaligen Mietern musste vermittelt werden, dass Vorschriften, die einzeln zunächst als Gängelung empfunden werden könnten, sich durchaus auch im Sinne einer Werterhaltung und -steigerung auswirken. Zum anderen war darauf zu achten, dass bei umfassenden Sanierungen ganzer Siedlungen ebenfalls nicht der wiedererkennbare Charakter der historischen Substanz verloren ging: Etwa durch Flächenverdichtung in den Gärten. Fest steht nach einhelliger Meinung aller - ansonsten durchaus konträrer - Beteiligter, dass der Strukturwandel mit Denkmals-„Hypothek" ohne Moderation kaum als ein letztlich für alle Gewinn bringendes Unternehmen gelungen wäre. Lesenswert: A. Kotowski / D. Dahlmann (Hg.): Mit deutscher Brust und polnisch Knochen. Die polnischsprachige Bevölkerung im Ruhrgebiet (ISBN 3-89861-434-4) Hans Dieter Baroth: Streuselkuchen und Muckefuck Unsere Kindheit im Ruhrgebiet (ISBN 3-89861-232-5)

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KONTAKT STADT ESSEN UNTERE DENKMALBEHÖRDE FRAU BERKEMEIER TRENTELGASSE 2 45121 ESSEN TEL. 0201 / 88 - 6 18 07 STADT ESSEN BÜRO FÜR STADTENTWICKLUNG SIEHE SEITE 5.


ERSTE SCHRITTE TUN EIN QUIRLIGES KUSCHELIGES MITEINANDER BIETET DIE AWO-KITA IM ALTEN SCHALTHAUS BEISEN FÜR KINDER AUS VIELEN NATIONEN.

MORGENS BIS ABENDS KITA TOTAL Als es Mitte der 90er Jahre darum ging, Planungen für die neue Kindertagesstätte (KITA) der AWO im „Königreich Beisen”, einem kleineren Ortsteil zwischen Katernberg und Schnonnebeck zu entwickeln, gab es vor Ort und in den Gremien Vorbehalte und viele Fragen: Kann man ein altes, fast verfallenes Zechengebäude zu einer Tagesstätte für Kinder umbauen? Geht das entgegen aller landläufiger Vorstellungen – und vieler Vorschriften – auch anders als in ebenerdiger PavillonBauweise? Kann man in einem Kindergarten ein harmonisches und auch geregeltes Miteinander von immerhin 120 zwei- bis 14-jährigen Kindern mit mindestens sieben unterschiedlichen Sprachen erreichen und deren Eltern in die Arbeit mit einbeziehen? Wird man es über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg schaffen, dass (muslimische) Eltern ihre Sprösslinge ganztätig einer gemischten, nicht-staatlichen und nicht-konfessionellen Einrichtung und Organisation, der Arbeiterwohlfahrt, anvertrauen?

Die Antwort auf die vier Fragen ist nicht erst heute nach mehr als sieben Jahren Praxis viermal „Ja!” Wobei im alten Schalthaus Beisen die Faktoren einer mutigen Architektur, intelligenten Konzepten und persönlicher Umsetzung „mit Kuschelfaktor” zusammen kommen. Ausgelöst durch ein vom Land NRW aufgelegtes Förderprogramm zur Umnutzung denkmalwerter und stadtbildprägender Gebäude für Kindertageseinrichtungen (Förderquote 70 %) und des hohen Fehlbestandes an Kindertagesplätzen im Essener Norden, wurde hier die Möglichkeit einer sinnvollen Verwendung des alten Werksgebäudes als Tagesstätte gesehen.

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Die eigenwillige Architektur war 1998 im Jahrzehnt der Internationalen Bauausstellung IBA Emscherpark gewollt und en vogue. So ließen sich die Bedenken aus diversen Ecken neutralisieren, wie es vorher und möglicherweise auch nachher nicht so einfach gewesen wäre: Kleinkinder spielen auf (boden-) sanierter Zeche unter Kränen? Auf zwei Stockwerken? – Und ob! Die KITA im Schalthaus Beisen liegt auf der ehemaligen Schachtanlage Zollverein 3/7/10, deren Betrieb 1882 aufgenommen und etwa 100 Jahre später eingestellt wurde. Die denkmalgeschützten Gebäude Schalthaus, die benachbarte Fördermaschinenhalle und der Förderturm symbolisieren vor Ort die frühere besondere Stellung des Bergbaus in der Region. Doch erst nach Jahren von Leerstand und Verfall wurde für die Gebäude eine neue Nutzung gefunden. Die AWO weihte ihre interkulturelle Kindertagesstätte (Bauherrin: Stadt Essen/ Architekt: G. Willems) am 23.4.1998 ein. In das früher dreigeteilte Schalthaus (Maschinenhalle/ Werkstatt/Trafohalle) wurden seitlich zwei Einheiten für jeweils drei Kindergruppen errichtet. Die große Mittelhalle wird als Ganziahresspielfläche und Treffpunkt für Kinder und Eltern, für Feste und Veranstaltungen genutzt. Die Brücke symbolisiert die besondere Funktion der Kindertagesstätte als interkultureller Begegnungsort. Im Konzept der Betreiberin heißt es: „In Zukunft werden in unserer Gesellschaft Menschen unterschiedlicher Herkunft und kulturellen Hintergründen zusammenleben. Durch die Öffnung der Märkte wird die kulturelle Vielfalt weiter verstärkt. Für ein gutes Zurechtkommen ist in Zukunft die


Fähigkeit, andere Kulturen zu kennen, sich in fremden Kulturen sicher bewegen zu können und mindestens zwei Sprachen zu sprechen, von großer Bedeutung. Daher wird es immer wichtiger, die Grundlagen hierzu schon in der frühen Kindheit anzulegen. Diese Kompetenz zu erlangen, ist wichtiges Lernziel unserer Einrichtung. Wer von klein auf interkulturelles Zusammenleben kennen gelernt hat, wird es als Erwachsener nicht als bedrohlich, sondern als selbstverständlich und bereichernd erleben. Interkulturelles Leben bedeutet, die Kulturen so, wie sie uns begegnen, wertzuschätzen. Nach unserem Verständnis soll interkulturelle Erziehung deutsche und nichtdeutsche Kinder befähigen, mit Offenheit auf andere Lebenswelten zuzugehen, multikulturelle Situationen mit Vernunft und Toleranz zu leben, fremden Menschen aufgeschlossen und respektvoll zu begegnen.” Daraus hat sich für die KITA folgende Umsetzung ergeben: Man beschäftigt ein gemischt-nationales Team bis in die Leitungsfunktionen, pflegt größtmögliche Kooperation mit den Eltern und deren Einbindung in den Kindergartenalltag. Um die Arbeit transparent zu machen, ermöglichen und ermutigen die Erzieherinnen Eltern, am Gruppengeschehen teilzunehmen. ElternKind-Aktivitäten sind beispielsweise Bastel-, Spiel-, Grillnachmittage sowie Picknicks, um mit Eltern und Kindern gemeinsam den Tag zu erleben und Kontakte zu knüpfen. Es entstehen Freundschaften nicht nur zwischen den Kindern. Am Elternabend/ -nachmittag bekommen die Eltern wichtige Gruppeninformationen und Hausneuigkeiten, findet ein Austausch über das Gruppenleben und die Organisation der Gruppe statt. Die Eltern achten darauf, dass im Elternrat, der gewählten Vertretung aller Eltern, jeweils ein deutsches und ein Elternteil nicht-deutscher Herkunft ist. Im Rat der KITA sind neben ErzieherInnen und Elternrat auch Vertreter des Trägers präsent.

In Zusammenarbeit mit der RAA Essen wird nach holländischem Modell das „Rucksackprojekt” durchgeführt. Ziel ist es, den Kindern das Erlernen der zweiten Sprache (Deutsch) gemeinsam mit ihren Müttern und Vätern zu erleichtern und so für bessere Startbedingungen in der Grundschule und

allen folgenden Lebensabschnitten zu sorgen. Für die türkischen und libanesischen Mütter bietet das Projekt die Möglichkeit, ihre Kinder auch beim Festigen der eigenen Muttersprache zu unterstützen, was die Voraussetzung zum guten Erlernen einer Zweitsprache ist. Anregungen und Hilfen holen sich die Mütter bei ihrer Stadtteilmutter, einer Mutter aus der Kindertageseinrichtung. Gleichzeitig findet eine gezielte Förderung der deutschen Sprache durch die ErzieherInnen und zusätzlich durch eine Mitarbeiterin der RAA statt. Alle am Sprachlernprozess Beteiligten arbeiten eng zusammen, damit die Lerninhalte und Methoden gut miteinander abgestimmt sind und der Lernerfolg für die Kinder möglichst groß ist. Deutschkurse werden in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Essen veranstaltet. Der Kurs wird kombiniert mit einer Kinderbetreuung angeboten, sodass auch kleinere Geschwister mitgebracht werden können. Die Beisener Kindergartenkinder sehen es mit Stolz, dass ihre Mütter auch Deutsch lernen.

KONTAKT AWO-KINDERTAGESSTÄTTE IM SCHALTHAUS BEISEN AM HANDWERKERPARK 6 45309 ESSEN TEL. 0201 / 8 30 57 47 ÖFFNUNGSZEITEN: MO - FR 7.30 -17.00 UHR

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LERNEN LERNEN MIT NUR ZWÖLF ANMELDUNGEN IM SCHULJAHR STAND DIE SCHULE KURZ VOR DEM AUS. DANN WAGTE MAN DEN WECHSEL IM KONZEPT. HEUTE IST SIE EIN MODELL FÜR GANZTAGSLERNEN AN GRUNDSCHULEN.

HERBARTSCHULE: INTERNATIONAL 1999 stand sie kurz vor der Schließung, heute ist die Herbartschule ein herausragendes Beispiel für die gelungene Umstrukturierung einer klassischen städtischen Gemeinschaftsgrundschule in eine offene Ganztagsschule. Die Kinder werden hier heute auch nachmittags unterrichtet und betreut. Außerdem erhalten sie ein umfangreiches Förder- und Bildungsangebot, das verstärkt die musischen und künstlerischen Begabungen der Kinder fördert. Die Herbartschule beteiligt sich an "Mus-e", einem von der Yehudi Menuhin Stiftung initiierten multikulturellen Schulprojekt für Europa, das bildende Künstler, Musiker und Tänzer an ausgewählte Grundschulen schickt, damit sie mit Hilfe von Kreativität Gewalt und Rassismus vorzubeugen. In Tanz und Spiel treten vielerlei Barrieren in den Hintergrund, und so haben diejenigen Kinder, die sich aufgrund ihrer nicht-deutschen Herkunft und sprachlicher Schwierigkeiten nicht (so gut) in eine Gruppe einbinden können, hier ihre Erfolgserlebnisse.

Auf den Stundenplänen der Herbartschüler stehen außerdem mehr Bewegung als an anderen Grundschulen üblich, damit die Kinder frühzeitig auch für ihren Körper und Bewegungsapparat ein angemessenes Gefühl bekommen und auch über den Sport soziales Miteinander trainieren. Aufgrund des Migrationshintergrunds von mehr als 85% der Schüler wird an

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der Herbartschule schließlich zweisprachig deutsch und türkisch, alphabetisiert. Das festigt auch das Selbstbewusstsein etwa polnischer oder russischer Kinder, weil sie über die Vermittlung und den Kontrast zu einer zusätzlichen fremden Sprache ihre eigene, ebenfalls besondere Identität realisieren und sich direkt angesprochen fühlen. Die Herbartschule ist ein weiteres Katernberger Vorzeigeprojekt, das nur durch Engagement und Initiative der Beteiligten vor Ort, also der Schulleitung, Lehrer und Eltern zu dem werden konnte, was es heute ist: eine beliebte und lebendige, mit fast 150 Schülern jeweils zweizügig besetzte Grundschule, an der Kinder wie Eltern willkommen sind, mit Freude lernen, sich unterstützen, feiern und gemeinsam Projekte realisieren. Unter Regie von Angelika Sass-Leich, die 1993 erst als Lehrerin an die Schule kam und 2001 die Leitung übernahm, ist die Schule seit 1999 mit Unterstützung der Stadt Essen und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Schritt für Schritt in eine offene Ganztagsschule umgebildet worden. Dort, wo Kinder aus acht Nationen nun täglich außer Freitags bis 16 Uhr zusätzlich zum regulären Unterricht Angebote in Hausaufgabenhilfe, Spielund Lerngruppen, Sport oder musischen Fertigkeiten durch die externen Künstler und Theaterpädagogen in Anspruch nehmen können, finden sie einen Raum, in dem sie in ihrer Individualität gefördert und gestärkt werden und schließlich von klein auf in Toleranz und wechselseitigem Verständnis geübt werden. Um heute an diesem Punkt anzukommen, ist die Schule in den 1990er Jahre durch eine Krise gegangen, die beinahe zu ihrer Schließung geführt hätte. Dabei stand die seit 1915 bestehende konfessionslose Herbartschule mit nur noch zwölf Anmeldungen für die erste Klasse im Schuljahr 1999 kurz vor dem Aus. Da die städtische Grundschule für ihren hohen Anteil an Migrantenkindern bekannt war, schickten die deutschen Eltern seinerzeit ihre Kinder


lieber auf die direkt benachbarte katholische Bergschule, in der dieser Anteil geringer war. Bereits zu jener Zeit hatte für die Herbartschule die Forderung im Raum gestanden, auch nachmittags eine Betreuung anzubieten, um Kinder, etwa wenn die Eltern berufstätig waren, nicht sich selbst bzw. der eventuell kriminalisierenden "Straße" zu überlassen. Angesichts dieser Situation und der drohenden Schließung machte sich die Herbartschule in der Folgezeit daran, die Forderung in die Tat umzusetzen und so den Eltern neue Anreize zu bieten, ihre Kinder hier einzuschulen. Mit zunächst 24 Schülern und ersten Projekten wie Hausaufgabenbetreuung, Sprachförderung und Elternbildung begann eine zwei Jahre dauernde Entwicklungsphase, bis die neue Struktur der offenen Ganztagsschule mit ihren gefunden war. Und diese neue Struktur hat den Charakter, das Selbstverständnis und den Rang der Herbartschule grundlegend und positiv verändert. Die Eltern haben die Entwicklungen der Herbartschule schnell realisiert, die Zahl der Schüler stieg sofort von 100 auf 140. Der seither ungebrochen starke Zulauf kehrte das Verhältnis zur Bergschule schließlich um mit dem Ergebnis, dass diese nun voraussichtlich noch in diesem Jahr geschlossen wird. An der Herbartschule sind heute knapp 30 Mitarbeiter unterschiedlicher Profession und Qualifikation beschäftigt; neben 13 Lehrer/-innen sind darunter Erzieherinnen, eine Sozial- und eine Heilpädagogin, Honorarkräfte u.a. für die musischen Fächer. Es wird – und auch dies ist Modell – Islam-Unterricht in deutscher Sprache erteilt. Ebenfalls im Herbart-Ganztagsteam ist eine Küchenkraft, die rund zwanzig Kinder, die über Mittag nicht nach Hause gehen, mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Der mit über 70 % hohe Anteil der Kinder, die über Mittag zu Hause essen, ist gewollt und gewünscht. Ganztagsschule soll Kindern neue Räume aufmachen, aber nicht von den Eltern trennen – im Gegenteil.

Nicht zuletzt sind es die Eltern, die die Förderung und Forderung nach mehr Bildung ihrer Kinder engagiert mittragen und die Angebote, die die Herbartschule auch ihnen macht, rege wahrnehmen. Vom Elterncafé über Elternseminare, Sprachförderung oder Unterrichtshospitationen bis hin zu Klassenausflügen mit der ganzen Familie und gemeinsamen Feiern können sie am Engagement der Herbartschule aktiv teilhaben und etwa über das „Rucksackprojekt“ der RAA (“Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien/interkulturelles Büro”) selbst dazu lernen. Im Rahmen dieses "Sprachförder- und Elternbildungsprojekts" werden in den Klassen zunächst gut deutsch sprechende Mütter von Migrantenschülern gesucht, die dann vom RAA und dem Katholischen Bildungswerk geschult werden, um bilinguale Materialien zu erarbeiten, die die Eltern zu Hause mit ihren Kindern durchnehmen und üben können. Seitdem die Herbartschule Ganztagsschule ist, findet dieses Projekt jetzt vor Ort statt, wo nun nicht nur ihre Kinder lernen und spielen, sondern auch sie sich gegenseitig unterstützen können - zum Beispiel im Caféraum unter dem Dach, wo auch PC’s zur Verfügung stehen, wo für Kleinkinder extra eine Spieleecke eingerichtet ist und wo sich schließlich die Bibliothek befindet, in der sich die jungen Leser mit den spannendsten und tollsten Geschichten versorgen. Die von ehrenamtlichen, aber dennoch professionell vorgebildeten Betreuerinnen organisierte Leihbücherei erfreut

sich riesiger Beliebtheit und bildet spielerisch vielfältige Sprach- und Medienkompetenz heraus: Kinder pinnen Kurzkommentare zu ihren Lieblingsbüchern, treffen sich mit einer ehrenamtlichen “Lesepatin”, die regelmäßig nachmittags ihren Leseclub um sich schart. Bei besonderen Schul- oder Stadtteilfesten wird das von einem Norwegen-Fan gestiftetete “Lesezelt”, ein echt lappländsches Nomadenzelt, aufgebaut, das inzwischen auch von anderen Schulen nicht nur im Stadtteil nachgefragt wird. Ob solche gemeinsamen Anstrengungen, die für die Beteiligten Spaß, aber auch viele Extra-Stunden Arbeit bedeuten, Folgen zeigen? Da zitiert man an der Herbartschule gern und stolz eine Zahl aus dem vergangenen Jahr 2004: Da haben nämlich von 35 Viertklässler/-innen sieben den Übergang ins Gymnasium geschafft.

KONTAKT HERBARTSCHULE GANZTAGSGEMEINSCHAFTSGRUNDSCHULE DER STADT ESSEN AUF DER REIHE 106 B 45327 ESSEN TEL. 0201 / 8 91 54 97 E-MAIL: 102453@ SCHULE.NRW.DE

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AUFFANGEN

DASS MAN BEIM REIBEKUCHENMACHEN AUCH ETWAS FÜRS LEBEN LERNT, ZEIGEN UNGEWÖHNLICHE PROJEKTE AN DER CARL-MEYER-SCHULE

KLUGHEIT KOMMT AUS DEM BAUCH Was denn eine ,Sonderschule’ sei, will der Besucher mit den vielen Fragen wissen, als er sich gerade mit einer Gruppe von Schulkindern das Mittagsessen geteilt hatte, und der - wie drei andere aus der Gruppe auch - ein Geschirrtuch in die Hand gedrückt bekam, um jetzt beim Abwasch zu helfen. „Eine Sonderschule ist eine Sonderschule, weil man hier was ganz Besonderes lernen kann," lautet die prompte und selbstbewusste Antwort aus der Runde. Wir spülen Geschirr im Klassenraum einer wirklich ganz besonderen Schule im Essener Norden. Wir haben gegessen, was wir vorher zusammen gekocht haben. Im Unterricht. Unsere Gruppe ist klein, kleiner als eine normale Klasse. Sie nennt sich „zweite Heimat", denn die Klasse, die die Kinder, die hier gerade ihr Geschirr abwaschen, sonst an der Schule besuchen, ist ihre „erste" Heimat. Eine Gruppe, in der gekocht, gegessen, gesprochen, gelernt und gespielt, vorgelesen, selbst geschrieben oder auch einfach ausgeruht wird. In

der so grundlegende Dinge geübt werden, das zwei, drei Leute nicht gleichzeitig sprechen können, wenn eine(r) den anderen verstehen will. Etwas Besonderes wie vieles an dieser besonderen Schule. Es entstand aus der Idee, diejenigen, die im Bereich „lernbehinderter" Kinder noch zusätzliche Aufmerksamkeit brauchen, also darüber hinaus als „erziehungsschwierig" einzuschätzen sind, nicht von anderen Kindern isoliert zu „beschulen". Die beiden bis vor einigen Jahren existierenden Schulen in Essen für erziehungsschwieriger Kinder waren bei einer sich verschärfenden Raum- und Personalsituation in den 1990er Jahren nicht mehr in der Lage, die steigende

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Zahl jener besonders betreuungsbedürftiger Kinder zu bewältigen. Statt noch weitere „Sonderschulen der Sonderschule" für Kinder mit schwerer Erziehungsproblematik einzurichten, entschied man nach einer intensiven Diskussion auf allen zuständigen fachlichen und politischen Ebenen, beide Kategorien an Schulen der „LBKategorie" wie der Carl-Meyer-Schule (CMS) gemeinsam lernen und wachsen zu lassen. Es entstand, angestoßen vom Kollegium und der Leitung der CMS, der „Essener ELB-Verbund", der in Folge von allen Sonderschulen in Essen getragen wurde und allen vielfach zu gute kam: Austausch von Erfahrungen und Informationen, bessere Integration und Förderung der „Schwierigen", nicht am anderen Ende der Stadt, sondern möglichst in der Nähe ihres Wohnquartiers. Es ermöglicht durch andere Verteilung der Budgets zusätzliche Mittel für jede Schule, um pädagogische und persönlichkeitsbildende Projekte von außen in die Schule zu holen und so die Schule insgesamt zu stärken. Für vieles braucht man Geld: Wenn sich intensivere pädagogische Betreuung in vielen Stunden Arbeit niederschlägt, so wirkt sich das auf die Planstellenaufteilung aus; wenn ein Kurs für Kung-Fu und Selbstverteidigung (für Jungen und Mädchen) eingerichtet wird, eine Klassenfahrt , auf der alle mitkommen sollen, so kostet das Geld. Auch wenn Meister wie der weit über Essen hinaus berühmte Kampfkunstund Meditationslehrer Edson Vlijt der dynamischen Überzeugungsgabe des Schulleiters Schiborr und des CMSKollegiums nicht widerstehen können und die Externen eher für Anerkennungshonorare denn wirklich für Bezahlung arbeiten - es kostet. Es gibt auch eine Homepage „www. carl-meyer-schule.de” und eine Schulzeitung, die „Carl-Meyer-HighschoolZeitung", welche mit Beiträgen, Aufsätzen, Gedichten und Berichten von Kleinen und Großen über das Jahr hinweg entsteht und bei der jede ein anderes Titelbild hat.


Es gibt unendlich viele Dinge, die man an der Carl-Meyer-Schule lernen kann. Viele passen in keinen Lehrplan und sind dabei in den Zeiten von kranken, hyperaktiven, weil von Chips und Cola fehlernährten Kindern umso wichtiger: Zum Beispiel das „Frühstücksprojekt". In beständig wechselnden Gruppen, in denen jedes Kind mal für die eine, mal für die andere Aufgabe drankommt, gibt es an dieser besonderen Sonderschule einen ganz besonderen „Service". Jeden Tag wird in allen Klassen abgefragt, wer von diesem oder jenen gelisteten Frühstücksangebot (Apfel, Brötchen, Yoghurt, Käse, Schinken) was genau haben will, und es wird notiert, eingekauft, geschnitten, geschmiert, verteilt, Geld gesammelt - von den Kindern. Das satt- und gesundmachende CMSExperiment entstand - wie so vieles in diesem besonderen Stadtteil - aus der Einsicht in ganz praktische Notwendigkeiten und der Bereitschaft zur Umsetzung von Erkenntnissen. Beispielsweise von so nahe liegenden wie der, dass hungrige Kinder schlecht lernen und dass sie mit leckerer gesunder (Frühstücks-)Nahrung besser bei der Sache sind. Das tägliche Frühstück oder Projekte wie das gemeinsam an der CMS entwickelte Kochbuch „Wir kochen zusammen - wir essen zusammen - wir leben zusammen" laufen so hervorragend, dass nicht nur alle an der Schule satt und gesünder und klüger werden.

Es hat zum Beispiel auch den „Spiegel"Autor Hans-Ulrich Grimm dazu veranlasst, der CMS ein eigenes (begeistertes) Kapitel in seinem ansonsten vernichtenden Buch „Die Ernährungslüge - wie die Ernährungsindustrie uns um den Verstand bringt" zu widmen. Durch das Projekt wird nicht nur der Bauch gefüllt. Es qualifiziert auch für das Leben - und auch hier ist die Sichtweise an der Schule eine lebenskluge: Man macht sich, so heißt es im Gespräch mit dem Kollegium, auch Vorstellungen darüber, welche weiteren Perspektiven am Ende einer 10-jährigen Sonderschulzeit zu erwarten sind. Die sind allgemein nicht rosig. Für viele wird sich ein Einstieg ins Berufsleben

am ehesten in ganz klassischen Dienstleistungsbranchen der Gastronomie, der Hotellerie oder im Kantinenwesen ergeben. Ist da von Nachteil, Mengen für viele ermitteln zu lernen, Einkauf abzurechnen, Möhren zu raspeln und zu wissen, warum man Hackfleisch noch am Einkaufstag verbraten muss? Es wäre zu wünschen, wenn die CMS gar nicht so besonders wäre, sondern ein Frühstücksprojekt auch in anderen Schulen etwas ganz Normales. Meint die Spülgruppe. – Noch Fragen? Lesenswert: Hans-Ulrich Grimm: Die Ernährungslüge – Wie uns die Lebensmittelindustrie um den Verstand bringt. (ISBN 3-426-27286-5)

KONTAKT CARL MEYER SCHULE SCHULE FÜR LERNBEHINDERTE UND ERZIEHUNGSHILFE BÜCHELSLOH 33 45327 ESSEN TEL. 0201 / 30 22 70 E-MAIL: CARL-MEYER-SCHULE @CNEWEB.DE WWW.CARL-MEYER-SCHULE.DE

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AUS’M QUARK KOMMEN BOXEN, BREAKDANCE UND BODYBUILDING SIND NICHT NUR GUT FÜR DAS SELBSTBEWUSSTSEIN. SIE VERMITTELN REGELN UND TRAINIEREN FÜRS LEBEN.

SPORT ALS INTEGRATIONS-MOTOR Die letzten olympischen Spiele in Athen waren deutschlandweit Beispiel für die Integrationskraft des Sportes. Kapitänin der Volleyballmannschaft war Angelina Grün, Spätaussiedlerin aus Tadschikistan. Die erste Medaille bei den Spielen überhaupt holte im Judo Julia Matijass, die ihrem Mann aus Russland nach Deutschland gefolgt war. Anna Dogonadze aus Georgien krönte ihre Karriere als Trampolinspringerin mit dem Olympiasieg. Im Boxen glänzten Vitali Tajbert, Spätaussiedler aus Kasachstan und Rahimov Rustamhodza aus Tadschikistan mit Edelmetall. Um im Stadtbezirk VI eine imaginäre Olympiade zu veranstalten, braucht man sich kaum über die Grenzen der drei Stadtteile hinaus zu bewegen, und man wird dennoch eine olympiareife Nationalitäten-Vielfalt zusammen bekommen. Katernberg, Stoppenberg und Schonnebeck sind die Stadtteile mit dem breitesten Spektrum an Herkunfts-Nationalitäten, von individuellen „Heimaten".

152 verschiedene Länder sind von den heute hier Lebenden selbst vor wenigen Jahren oder aber von deren Eltern- oder Großelterngeneration verlassen, und durch die Lebenssituation hier ersetzt worden. Die Gründe, hierher gekommen zu sein, sind so vielfältig wie die Sprachen und Lebensge-

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schichten. Für die einen war es die Aussicht oder Hoffnung auf ein besser ausgestattetes Leben, die sie bzw. die Eltern hierher brachte. Für die anderen war es Flucht aus einem Krieg. Für wieder andere war es die Anwerbung des Vaters oder Großvaters vor vierzig Jahren auf einen Arbeitsplatz, den es heute nicht mehr gibt. Das Konfliktpotential unter den Gruppen ist beachtlich und wird gestärkt durch völlig unterschiedliche Lebenserfahrungen und daraus folgende Feindbilder. Um Menschen mit ihren Verschiedenheiten und damit verbundenen Vorbehalten zusammen zu bringen, funktioniert auch in Katernberg ein Mittel, das kein anderes ist als im Londoner Brixton oder den Vorstädten von Marseille: der Sport. Gerade wenn sich Langeweile mit Perspektivlosigkeit mischt und sich dies mit eine frühmännlichen Portion Machismo kombiniert, ist Sport das Feld, an dem Kraftablassen im Rahmen von gemeinsam akzeptierten Regeln kontrolliert möglich ist. Wer sich an einem von drei Nachmittagen in der Woche in die ESPOSporthalle an der Gelsenkirchener begibt, hat die Möglichkeit, dort eventuell einem künftigen Champion oder Olympiasieger zu begegnen. Die Chancen dafür stehen aus sportlichem Blickwinkel gesehen nicht schlecht : Immerhin werden die ca. 30 jungen Männer, die unter der Projektregie des Essener Sportbundes ESPO und des Boxring Karnap/Dellwig e.V. boxen und seilspringen, tänzeln und schwitzen, von kompetenter Seite trainiert und betreut. Viktor Ginkel ist ehemaliger Box-Nationaltrainer von Kasachstan. Er versteht sein pädagogisches und sportliches „Handwerk" und hat schon einige seiner Schützlinge zu Medaillenruhm bei Deutschen Meisterschaften geführt. Ginkel kam als Spätaussiedler nach Essen und wurde vom Sportbund für das Projekt engagiert, das heute als gelungenes Beispiel für das Bundesprogramm „Integration durch Sport" steht. Der Verein hatte sich im Jahr 2000 gegründet und bietet


Kindern und Jugendlichen seitdem 3 x wöchentlich Boxen als kriminalpräventive Maßnahme an. Unter den Boxenden finden sich Jugendliche deutscher, polnischer, russischer Herkunft, aus der Türkei, Afghanistan, dem Libanon kurz aus dem gesamten Spektrum, das ungeformt ein kaum einschätzbares Moment von Rivalität, Abgrenzung bis zur Gewalt mit sich bringen könnte. Sie trainieren und lernen sportliches Einmaleins, Aggression zu kanalisieren, sich in eine Mannschaft zu integrieren und Regeln zu akzeptieren, ohne dadurch zum Verlierer zu werden, sondern zu gewinnen. Wer junge Leute gegeneinander boxen lässt, tut etwas für den Frieden in der Gesellschaft. So lautet die Erkenntnis, die sich auch in Katernberg bestätigt. In dem Modell der Doppelträgerschaft bearbeitet der Boxring Karnap/Dellwig e.V. den sportlich-organisatorischen Bereich. Der Verein organisiert die Teilnahme an Turnieren und Meisterschaften, ist für die sportlichen Leistungen zuständig und ist „Chef" des Trainers. Der ESPO steht hinter den pädagogischen Belangen und besorgte gemeinsam mit dem Stadtteilladen Hanielstraße die Einbindung in das Förderprogramm des BMI. Ähnlich bestärkt treten Nach Training und Ausbildung die Mädchen - und auch Jungs - z.B. der „Unique Girls" und anderer gemischter Dance-Groups auf, die aus dem Bezirk VI kommen und im Jugendtreff Stoppenberg unter der Ägide von Sabrina Große-Bremer trainieren. Auch sie sind schon zu diversen Pokal- und auch Casting-Erfolgen gekommen. Die 23jährige Tanzpädagogik-Studentin begann in einem privat geführten Katernberger Fitness-Studio und ist heute viel beschäftigte als Talentscout und Dance-Coach. Selbst noch jung an Jahren, begegnet sie einem als mütterlich-resolute Frau, die ihre Schützlinge im Alter zwischen zehn und zwanzig Jahren nicht nur körperlich und rhythmisch fitmacht, sondern ihnen auch in Workshops und einer Talentagentur den Weg ins Show-Biz ebnet.

Andere Aktivitäten des vom BMI unterstützten Programms „Integration durch Sport” im Stadtbezirk sind die offenen Sportangebote „Gymnastik für alle” der DJK Katernberg mit zwei Trainerinnen aus der ehem. UdSSR. Auch zweimal wöchentlich trainieren im Jugendhaus Neuhof der evangelischen Kirche Jugendliche in einer gemischten multinationalen Gruppe. Hier nicht extra beschrieben ist, weil schon ewig verankert, die Sportart mit dem Integrationsfaktor schlechthin: Der Fußball! Seit Kuzorras Tagen und früher ist er der Motor für sportliche Karrieren und sozialen Aufstieg. Doch wer will denn schon (bildlich gesprochen) „Bälle nach Schalke” tragen?

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KONTAKT ESPO / ESSENER SPORTBUND STEELER STR. 38 45127 ESSEN TEL. 0201 / 81 46 - 0 E-MAIL: INFO@ESPO-ESSEN.DE JUGENDAMT - SOZIALE DIENSTE STATTEILLADEN IGOR WENZEL TEL. 0201 / 370 811 E-MAIL: PGKATERNBERG@ WEB.DE UNIQUE GIRLS PROJECT C/O SABRINA GROSSE-BREMER E-MAIL: INFO@ SABRINAS-TALENTAGENTUR.DE


DIE KIRCHE IM DORF (ER-)HALTEN ENGAGEMENT UND BREITE MOBILISIERUNG BEWAHRTEN ESSENS GRÖSSTE EVANGELISCHE KIRCHE VOR DEM DROHENDEN VERFALL.

RETTUNG AM KATERNBERGER MARKT „Unsere Gemeinde macht die Hinwendung Gottes zu den Menschen in Katernberg erfahrbar," lautet eine der zentralen Botschaften, mit denen die Evangelische Kirchengemeinde ihren christlichen, aber auch zugleich an alle im Stadtteil Lebenden gerichteten Auftrag beschreibt. Und dass diese Botschaft die tägliche Praxis wie selbstverständlich widerspiegelt, dass sie genau so gemeint ist und umgesetzt wird, erleben nicht nur die Katernberger. Wenn das evangelische Gemeindezentrum etwa zu Marktzeiten dreimal wöchentlich ins „Marktcafé” einlädt und dort kein Sitzplatz frei bleibt, liegt das daran, dass Leute sogar aus Bochum hierher kommen, dass auch die türkischen Frauen aus der Nachbarschaft hier Stammplätze haben und auch daran, dass jeder jeden kennt. Die Menschen - egal, welcher Nation und Konfession - fühlen sich wohl und willkommen, und das hat Gründe: Einer der wichtigsten ist die offene, umgängliche und direkte Art, die die Mitarbeiter der Evangelischen Kirchen-

gemeinde, allen voran ihren Pfarrer Leich, kennzeichnen. Den sozialen wie seelischen Frieden der Menschen im Blick, kümmern sie sich täglich aufs Neue zupackend um Wohl und Wehe im Stadtteil, haben ein offenes Ohr nicht nur in Notfällen. Es hat jedoch auch schon Zeiten gegeben, in denen die Gemeinde selbst eine tiefe Krise erlebte und der existentiellen Hilfe bedurfte. Mitte der 1990er

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Jahre nämlich, als sie vor eine schwere Entscheidung gestellt wurde: Im Zuge der Glockenwartung wurde festgestellt, dass nicht nur der stählerne Glockenstuhl vom Rost angefressen und der goldene Hahn auf der Turmspitze instabil geworden waren. Es zeigte sich, dass die Substanz sowohl des Turms wie auch der Kirche selbst in einem katastrophalen Zustand waren. Die Schäden durch Witterung, Feuchtigkeit und Bewuchs stellten eine Gefahr nicht nur für das Gebäude, sondern für die Menschen dar, was eine dringende Sanierung der ganzen Kirche aus dem Jahr 1901 erforderlich machten. Und da die immensen Kosten, die auf die Gemeinde zukamen - inzwischen rund 2 Mio. EUR -, jenseits aller Möglichkeiten und Vorstellungen lagen, schien es spontan nur eine Lösung zu geben: die Kirche abreißen und Eigentumswohnungen an die Stelle setzen! Mit einer solchen zwar provokanten, aber aus der Not heraus nicht unrealistischen Überlegung löste das Presbyterium einen Aufschrei aus, der durch die ganze Stadt hallte und nicht nur Katernberger zum Protest aufrief. Noch undenkbarer als die aufwändige Wiederherstellung schien der Abriss.


In dieser unlösbaren Situation wurden die Katernberger plötzlich aktiv: sie realisierten den Ernst der Lage und begannen, um den Erhalt ihres Wahrzeichens zu kämpfen. An vorderster Front war es der SPDRatsherr Werner Dieker, der sich ab Juni `99 als Koordinator für die Sanierung zur Verfügung stellte und dem es seither auf nimmer müde Art immer wieder gelungen ist, neue Sponsoren zu finden bzw. die bereits beteiligten Sponsoren immer wieder neu zu gewinnen. Wie die Gemeinde klarstellt, sind in die Renovierung seit Beginn keine Kirchensteuermittel, sondern ausschließlich Spenden, Sponsorengelder und Mittel aus der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Städtebauförderung geflossen. Dass Gelder aus letzterem Topf in eine Kirchenrenovierung fließen, ist ungewöhnlich, erklärt sich aber durch die öffentliche, bürgerschaftliche Funktion des Gebäudes. Die Kirche am Markt ist nicht nur zu Gottesdiensten der Protestanten geöffnet, sondern auch Konzertkirche und Veranstaltungsraum im Bezirk VI. Bei Großveranstaltungen wie der Reformationsfeier der Landeskirche 2004 reichte allerdings auch diese Kirche – mit ca. 1.400 Plätzen übrigens die größte in Essen – nicht aus. „Unter den aktuellen Bedingungen", erzählt Mitarbeiter Dirk Treptow, „können wir hier nur arbeiten, weil uns so viele engagierte und patente Leute unterstützen und ehrenamtlich tätig sind". Treptow ist für die baulichen Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. In der seit Jahren andauernden Sanierung der Kirche ist er es, der am besten Bescheid weiß über die Details der verschiedenen Bauabschnitte, die zahlreichen Schäden und schließlich die Kosten, die sich im Laufe der Zeit ständig veränderten, weil das über hundert Jahre alte Gemäuer und Gebälk immer wieder neue, nicht vorhergesehene Schwierigkeiten und abenteuerliche „Altersschwächen" offenbarte, etwa den Meter hoch aufgetürmten Taubenkot über dem Chor.

Dessen Entfernung war vor allem deshalb so aufwendig und teuer, weil eigens im Altarbereich ein Gerüst eingebaut werden musste, um die Sicherheit der auf der Decke arbeitenden Handwerker zu garantieren. Denn im Vorfeld ließ sich nicht ermitteln, ob die Decke tragfähig ist oder nicht. Treptows Tätigkeitsbereich umfasst jedoch weit mehr: weil ihn hier alle kennen und er mit den Leuten gut kann, kommen sie oft „einfach so vorbei“, fragen um Rat oder schildern Konflikte mit bestimmten Jugendlichen. Und so wie etwa ein 84-jähriger rüstiger Rentner täglich seine Runde über den Friedhof dreht, dort nach dem Rechten sieht und anschließend berichtet, ob ein Baum zu weit ins benachbarte Grundstück wächst oder die Wege verunreinigt sind, engagieren sich viele Katernberger , in dem sie hinstatt weggucken und mit- statt übereinander reden. So wie das Leben unter den schwierigen Bedingungen die Katernberger/innen offenbar umso enger zusammen schweißt und sich ein direktes und ehrliches Zusammenleben entwickeln konnte, ist das wohl weit und breit ohne Gleichen. Anders wäre es kaum möglich, dass immer wieder Spender und Sponsoren mobilisiert werden können, um die knapp 2 Mio. EUR teure Sanierung von Jahr zu Jahr mit neuen hohen Beträgen zu finanzieren. Neben den vielen Spenden aus der Bürgerschaft engagieren sich die Viterra AG, die Sparkasse und die Stadtwerke. Dort, wo es jeden Donnerstag auch einen Mittagstisch gibt und sich Konfirmanden, Bastelgruppen oder Beerdigungsgesellschaften versammeln, ist das Gemeindehaus jedoch nicht mehr so ausgelastet, wie es einmal war, als die Gemeinde hier noch mit zwei Pfarrstellen besetzt war und im Rahmen ihrer Jugendarbeit viele Jugendliche im Haus hatte. Ideen, das zentral gelegene Zentrum neu zu strukturieren und zu beleben, gibt es bereits. Doch die sind noch nicht spruchreif, schließlich hat die Ev. Kirchengemeinde mit der Sanierung

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ihrer Kirche im wahrsten Sinne noch eine andere Baustelle. Und die bedarf auch in Zukunft der Unterstützung von allen Seiten - nicht zuletzt von „oben”, denn ohne Gottes Hilfe geht hier schließlich gar nichts, wie die jüngste Vergangenheit zeigte.

KONTAKT EVANGELISCHE KIRCHENGEMEINDE ESSEN-KATERNBERG GEMEINDEAMT KATERNBERGER STRASSE 25 45327 ESSEN TEL. 0201 / 300 433


NEU BEGINNEN NACHDEM IHR BETHAUS 1995 NIEDERGEBRANNT WURDE, FAND SICH FÜR DIE MUSLIMISCH-TÜRKISCHE GEMEINDE IN KATERNBERG EIN BREITER RÜCKHALT IN DER STADT. DARAUS ENTSTAND MIT DER FATIH-MOSCHEE EINE DER SCHÖNSTEN IM LAND.

DIE FATIH-MOSCHEE Es hätte schlimm ausgehen können. In Katernberg waren in den Neunziger Jahren viele Voraussetzungen für eine Abkapselung von religiösen und kulturellen Gruppen in der Bevölkerung gegeben, durch die der Stadtteil in eine konfliktgeladene und geradezu gefährliche Richtung hätte abrutschen können: Hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, hoher Flüchtlingsanteil, geringes Einkommens- und Bildungsniveau. Es wuchsen über Jahre in einzelnen Straßenzügen geschlossene Wohnbereiche von Menschen, die aus langjährigen Bürgerkriegsverhältnissen wie z.B. im Libanon nach Deutschland gekommen sind. Sie wohnten dicht neben anderen, die etwa als Russlanddeutsche - mit hohen Erwartungen an einen „goldenen Westen" nach Deutschland kamen und sich nun in einer „Fremde unter Fremden" wiederfanden. Eine Serie rechter ausländerfeindlicher Gewalt zündelte in jener Zeit durch Deutschland. Sie war zunächst vermeintlich auf die neuen Bundesländern

beschränkt, doch sehr bald waren die Folgen von Anschlägen auch im Westen zu beklagen oder – wie in Solingen mit dem Tod von fünf Mädchen und jungen Frauen der Familie Genç 1993 – zu betrauern. 1995 brannten nach einem Anschlag auch die Vereins- und Gebetsträume des türkischen Moschee-Vereins aus, der seit 1981 im Stadtteil bestand und

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in einem Wohn- und Geschäftshaus an der Katernberger Straße ansässig war. Menschen kamen hier nicht zu Schaden, doch war das Gebäude nicht mehr zu retten. Der psychologische und politische Schaden hätte in eine Radikalisierung der beiden örtlichen Muslimgemeinden, der türkischen und der libanesischen, doch es wurde zum Ausgangspunkt einer eines beispielhaften Konsensprojekts: Gestützt von einer breiten politischen Öffentlichkeit und einem schnellem Angebot der Ruhrkohle AG konnte der Moscheeverein seine Aktivitäten in einem Ausweichquartier fortführen. Durch Vermittlung der Stadtverwaltung und der örtlichen Politik konnte der Verein schließlich ein Grundstück der VEBA AG an der Schalker Straße erwerben. Mit Unterstützung des Dachverbandes der Türkischen Moscheen DITIP wurde 1997 das Grundstück gekauft und mit erheblicher Eigenleistung der Mitglieder vom 02.11.1997 an eines der prächtigsten und größten muslimischen Gotteshäuser in Deutschland errichtet. Der Trägerverein der Fatih-Moschee hat etwa 350 eingetragene Mitglieder. Jedoch ist die tatsächliche Zahl der Gemeindeangehörigen wesentlich höher, da je Familie meist nur ein Mitglied in den Verein eingetragen ist. Die Älteren sind hauptsächlich im Zuge des Anwerbeabkommens mit der Türkei von 1961 nach Deutschland gekommen und leben seit mehr als dreißig Jahren im Stadtteil Katernberg, die Jungen sind meist in Deutschland geboren. Der Verein versteht sich nicht allein als religiöse Einrichtung, sondern auch als soziales Zentrum. Bereits in der Satzung sind sowohl die sozialen Aufgaben wie auch die Integrationsfunktion festgeschrieben worden. Das Gemeindezentrum ist für viele eine Anlaufstelle in alltäglichen und persönlichen Fragen. Hier finden sich auf einer großen Tafel aktuelle Informationen und Bekanntmachungen, z.B. des Türkischen Konsulates. Es werden Deutsch- und PC-Kurse angeboten,


man liest Veranstaltungshinweise oder Mitteilungen über wichtige Entwicklungen in Passangelegenheiten. Bei Bedarf kann man beim Verein Adressen von Ämtern und Fachdiensten erfahren oder es wird dazu der persönlichen Kontakt hergestellt. Auch wird direkte Hilfe im Rahmen der Möglichkeiten geleistet wie die Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen, Behördengängen oder die Moderation bei Familienkonflikten. Ebenso gehören regelmäßige Besuche bei Insassen der Justizvollzugsanstalten in Essen und Gelsenkirchen dazu. Der Jugendbereich ist in die Gemeindearbeit integriert, verwaltet sich aber durch einen eigenen Vorstand selbst. Priorität hat zur Zeit der Sport, die Jungen sind mit drei Fußballmannschaften im Verein „Fatih Spor" in den Essener Vereinssport eingebunden. In absehbarerer Zeit soll die Vereinsarbeit noch um andere Sportarten erweitert werden und der Jugendbereich insgesamt verstärkt auch Mädchen mit ihren Interessen berücksichtigen. Sechs Tage in der Woche ist der Frauentreff geöffnet. Er bietet die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch, zum lockeren Gespräch, Handarbeiten oder Kochen, zur Information und auch zur Begegnung mit Frauen aus anderen Gruppen. Jeden Dienstagmorgen wird

zum Frühstück eingeladen und häufig reicht der Platz nicht aus. Die Seniorenarbeit befindet sich im Aufbau. Dadurch, da immer mehr Ältere auch für den Lebensabend hier In Deutschland bleiben, steigt die Nachfrage nach Freizeitmöglichkeiten und auch nach Informationen zu Lebensfragen im Alter. In einer an alle Besucher des Zentrums verteilten Broschüre kann man Sätze lesen, mit denen die Katernberger Muslime auf eindeutige Distanz zu allen fundamentalistischen Tendenzen gehen und in dem Sie zum Dialog auf der Grundlage von gegenseitigen Respekt einladen: „Unsere Moschee ist ein offenes Zentrum. Wir wollen die Verständigung und den Dialog mit der direkten Nachbarschaft und den Menschen im Stadtteil. Wir wollen das Gespräch mit Schülern und Erwachsen aus allen Institutionen und Organisationen. Deshalb gehört die Förderung der Begegnung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und die Nachbarschaftspflege zu unserer alltäglichen Arbeit. Bei uns können Sie sich über die Religion des Islam informieren, die Räumlichkeiten der Moschee besuchen, an einem Gebet teilnehmen, ein persönliches Gespräch führen oder den Tag der offenen Tür nutzen, zu dem wir regelmäßig einmal

im Jahr am 3. Oktober einladen." Die Offenheit der türkischen Muslime, die als angeworbene Arbeiter vor Jahrzehnten ins Ruhrgebiet kamen und deren Ältere noch auf den Zechen arbeiteten, konnte auch an die libanesisch-muslimische Gemeinde und deren Imam weitergegeben werden. Wie das daraus entstandene Netzwerk zum Modell für die Landes-Innenpolitik wurde, lesen Sie im Kapitel „Vertrauen sichern".

KONTAKT TÜRKISCHER MOSCHEEVEREIN ESSEN-KATERNBERG E.V. SCHALKER STRASSE 23 45327 ESSEN TEL. 0201 / 37 54 14 E-MAIL: FATIHCAMII@WEB.DE

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SPUREN SUCHEN „ZOLLVEREINER“ UND GESCHICHTSWERKSTATT HALTEN DIE ERINNERUNG AN DAS EINST GRÖSSTE BERGWERK EUROPAS LEBENDIG.

„WIE WAR DAS DAMALS?“ Das ist wohl eine der am häufigsten gestellten Fragen, die die ehemaligen „Zollvereiner" immer wieder zu beantworten haben. Und sie ist eine der spannendsten. Denn darüber, was Bergleute auf dem europaweit leistungsstärksten und mit der damals modernsten Technik ausgestatteten Steinkohlebergwerk erlebten, können sie viele Stunden lang erzählen: wie sie das gigantische Räderwerk am Laufen hielten und unter Ohren betäubendem Lärm Schwerstarbeit leisteten. Drei dieser Ehemaligen tun das noch heute regelmäßig gemeinsam mit 20 Kollegen und auch 11 Kolleginnen auf den täglich angebotenen Führungen der Stiftung Zollverein. Das Interesse wächst von Jahr zu Jahr und zählt derzeit etwa 5.200 Besucher pro Monat. Besonders in der „Steigerführung mit Püttgeschichten bei Wein und Bier", die von einem der „Original-Zollvereiner" geleitet wird und die nur eine von rund 20 Themenführungen über das weitläufige Welterbe ist, erfährt der Besucher über die Grundinforma-

tionen zur Geschichte, Technik und Architektur hinaus Spannendes aus dem oft gefährlichen Arbeitsalltag von einst. Wenn die Gruppe dann im Anschluss an den zweistündigen Rundgang durch die Übertageanlagen bei Wein und Bier im Besucherzentrum zusammen sitzt und sich mit dem Klassiker „Glückauf der Steiger kommt" eingesungen hat, wissen die Gästeführer nicht nur vom schwersten Grubenunglück der Anlage, einer Schlagwetterexplosion 1941 zu berichten. Auch manches Skurrile kommt zu Tage, etwa Geschichten vom „Leben in der Schieflage": Da es im Umfeld der Zechen und Abbaubetriebe immer wieder zu Bergsenkungen kam, rutschten

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mitunter ganze Siedlungen in die Schräge. Die Familien mussten sich zunächst selbst behelfen, denn bis sich die Zechenbetriebe um die Schäden kümmerten, konnten Jahre vergehen. Damit die Suppe also trotzdem auf dem Teller blieb, sägten sie nicht nur Tischbeine ab, sondern mussten zum Teil ihr ganzes Inventar neu ausrichten. Während die Führungen die greifbaren Zeugnisse der schwerindustriellen Vergangenheit lebendig halten und Erinnerung authentisch an den Originalschauplätzen wie der Lesebandhalle und Sieberei weitergeben, wird ihr „Gedächtnis" im Archiv der Zeche Zollverein verwahrt. Der Öffentlichkeit weniger zugänglich und bekannt ist, dass hier Bestände in einem Umfang von 300 Regalmetern lagern. Hierzu gehören sämtliche noch erhaltene Betriebsakten aus den zecheneigenen Registraturen sowie die aus dem inzwischen aufgelösten Zentralarchiv der RAG. Außerdem verwaltet hier der ehrenamtliche Geschichtskreis und Verein „Zeche Zollverein e.V." eine beachtliche Sammlung von historischen Fotografien und nicht-bergbaulichen Dokumenten. Sie dokumentieren über die Entwicklung Zollvereins seit den Anfängen 1847 hinaus auch das noch lange Zeit dörflich geprägte Leben in Katernberg, Stoppenberg und Schonnebeck. Immerhin war Stoppenberg bis 1929 selbständige Bürgermeisterei und eine der größten Landgemeinden Preussens. Zollverein übrigens liegt, wie jeder selbstbewusste Stoppenberger weiß, auf Stoppenberger und auf Katernberger Grund. Schon drei Jahre nach der Stilllegung der letzten Essener Zeche Zollverein XII, gründeten ehemalige Zollvereiner sowie interessierte Laien und Historiker 1986 die „Geschichtswerkstatt Zollverein" mit dem Ziel, „die Erinnerung an das vormals größte Steinkohlenbergwerk der Welt und seine herausragende Bedeutung für das Ruhrgebiet auch in Zukunft lebendig zu halten”. Die Mitglieder dieses Kreises riefen 1997 schließlich den Verein „Zeche Zollverein e.V. - Verein zur Förderung


der Geschichte des Bergwerks" ins Leben. Sie treffen sich seitdem einmal in der Woche, um Ausstellungen und Publikationen vorzubereiten oder die zahlreichen Anfragen nach historischem Bildmaterial oder nach Informationen zu Technik und Architektur zu beantworten. Um den bedeutsamen Archivbestand auch fachgerecht und dauerhaft für die Nachwelt zu erhalten, war eine Vollzeitkraft nötig, die sich zunächst um die Sicherung der Akten und Pläne zu kümmern hatte. Mit Hilfe des Stadteilprojekts „Soziale Stadt" konnte der Verein von August 2001 bis zum März 2004 einen Archivar beschäftigen, um diese Archivalien zu reinigen und vor Umwelteinflüssen geschützt aufzubereiten. Sie wurden obendrein in ein Datenbank-Programm übertragen, das internettauglich ist und die Daten so als Quelle für Institutionen, Unternehmen, Wissenschaft, Studium und interessierte Bürger verfügbar macht. Das auf fünf Jahre angelegte Projekt musste jedoch bereits nach drei Jahren eingestellt werden, weil die Agentur für Arbeit ihren Anteil neben den Zuschüssen vom Stadtteilprojekt, Spenden und Eigenmitteln des Vereins nicht mehr finanzieren konnte. Seither sucht der Verein nach neuen Möglichkeiten, dennoch mit der Arbeit fortzufahren. Zwar wurde in den drei Jahren der „Bestand DA" (Dienstanweisungen, Bergverordnungen, Verwaltungsvorschriften etc.) vollständig erschlossen: 750 Akten sind verzeichnet, ca. 75 Meter Akten komplett bear-

beitet, umgelagert und in die Datenbank integriert worden. Doch es warten noch immer 200 Meter auf ihre Aufarbeitung. Die Zeit drängt, denn die historisch einmaligen Unterlagen drohen zu zerfallen und für immer unlesbar zu werden. Die Erinnerung an die besondere Geschichte der Region repräsentiert Zollverein geradezu sinnbildlich. Dies ist nach Ansicht von Wissenschaftlern und des Geschichtskreises jedoch nicht nur in Bezug auf die Vergangenheit von Interesse. Es gilt auch im gegenwärtigen Strukturwandel und in der zukünftigen Bestimmung als Design- und Innovationsstandort. So muss das Wissen um die Geschichte in Führungen aus quasi erster Hand weiter gegeben werden. Zugleich müssen auch ihre Dokumente gesichert werden, damit nachlesbar und anschaulich bleibt, wo die Region ihre Wurzeln hat. Da der originäre Denkmalspfad „Weg der Kohle" wegen des Umbaus zu RuhrMuseum vorübergehend nicht mehr begehbar ist, hat die Stiftung Zollverein die Ausstellung „Was macht die Kohle in der Wäsche?" eingerichtet, die Mitte März 2005 eröffnet wurde. In der authentisch erhaltenen Halle 8 bekommen die Besucher nun Einblicke in die spektakulären Arbeitsabläufe von einst und erfahren in eindrücklichen Multimediashows, Filmen, durch Fotos und anhand originalen Inventars, wie die Kohle im Herzstück der modernsten Zeche Europas vom Gestein getrennt, klassiert und sortiert wurde.

Lesenswert: Vom Leben mit der Kohle. Zur Geschichte der Stadtteile Katernberg, Schonnebeck und Stoppenberg. Hrsg.: Geschichtswerkstatt Zeche Zollverein e.V. ISBN/ISSN: 3-89861-125-6

KONTAKT GESCHICHTSKREIS „ZECHE ZOLLVEREIN E.V.“ TREFFPUNKT JEDEN DONNERSTAG ZWISCHEN 10 UND 12 UHR IM ARCHIV HALLE 2. TEL. 0201 / 289 56 43 ÖFFNUNGSZEITEN DES BESUCHERZENTRUMS TEL. 0201 / 8 30 3636 TÄGLICH VON 10 BIS 17 UHR, VOM 01.04 BIS 31.10 TÄGLICH VON 10 BIS 19 UHR.

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ZUKUNFT PLANEN DAS WELTKULTURERBE ZOLLVEREIN NIMMT SEINE VERGANGENHEIT MIT IN DIE ZUKUNFT. IN DER EHEM. KOHLENWÄSCHE SOLL EIN EINZIGARTIGES MUSEUM ENTSTEHEN UND EINE DESIGN-SCHAU IN DIE ZUKUNFT ZEIGEN.

DER BLICK NACH VORNE Die Zukunft lässt sich zwar nicht vorhersehen, doch können wir trotzdem eine Vorstellung von morgen und übermorgen entwickeln und unsere Träume in Bildern und Modellen simulieren. Nach den Plänen der EntwicklungsGesellschaft Zollverein EGZ sieht Zollverein im Jahr 2010 dann etwa so aus: Das Weltkulturerbe ist zeitgleich ein dynamischer, kulturell und designorientierter Gewerbepark, ein von vielen Faktoren belebtes Industriedenkmal und – wie alle rund um den DoppelFörderturm neuerdings hoffen dürfen – das internationale Besucherzentrum der Europäischen Kulturhaupstadt, die in jenem Jahr 2010 “Essen für das Ruhrgebiet” heißt. Das Areal ist von verschiedenen Seiten zu Fuß, mit Auto, Bus oder Bahn zugänglich, es gibt einen von “Katernberg-Süd” in “S-Bahnhof Zollverein” umbenannten und renovierten Haltepunkt im S-Bahnnetz, eine großzügige Straßenhaltestelle mit eigenem Bahnsteig (schon fertig) und eine ebenso großzügige Zufahrt und Parkplätze.

In einem großen Park laden Plätze und Bänke zum Verweilen ein. Etwa wenn man soeben die Geschichte des Ruhrgebiets im RuhrMuseum, möglicherweise gar als weltexklusives Erlebnis die Ebene der “Zweiten Stadt” in tausend Meter Tiefe auf der Sohle 14 der ehemaligen Hightech-Zeche erfahren hat und man vor dem Besuch der künstlerischen Inszenierungen und des Designparks auf der Kokerei noch im Grünen verschnaufen will. Das Gelände pulsiert. Wie in einer Metropole begegnet man zahlreichen Besuchern aus allen Nationen, oft in Gruppen mit Gästeführer, Geschäftsleuten, die hier Termine haben oder auf dem Weg in ihr Büro sind.

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An der Gelsenkirchener Straße erstrahlt ein riesiger weißer Betonwürfel in Eleganz und Leichtigkeit. Dort, wo sich im Inneren Designer, Existenzgründer oder Führungskräfte in der "Zollverein School for Management and Design" bilden und mit Zukunftsfragen beschäftigen, genießen Touristen und die staunenden Architekturinteressierten Kaffee und Speisen im Foyer oder auf der Piazza davor - mit Blick auf die historischen Fördergerüste von Schacht XII und 1/2/8. Weil es auf dem weitläufigen Welterbe so vieles zu entdecken gibt und zum Erkunden ein mehrtägiger Aufenthalt unbedingt angeraten ist, sollte man sich außerdem eine Übernachtung samt Wellnessangebot in dem zum Hotel umgebauten Kühlturm der Kokerei nicht entgehen lassen. Noch ist von all dem bis auf mehrere Baustellen mit verheißungsvollen Schildern wenig zu sehen. In ihren Präsentationen wecken die Visionen der Entwicklungs-Gesellschaft (EGZ) jedoch große Erwartungen. Die EGZ wurde im Mai 2001 von der Stadt Essen und der Projekt Ruhr GmbH gegründet, um im Anschluss an die erste Sanierungsphase nach der Stilllegung 1986 und der Unterschutzstellung von Zollverein XII eine zweite für die Standortentwicklung einzuleiten. Ihr Ziel ist es, das Weltkulturerbe zu einem international ausstrahlenden Wirtschafts- und Kulturstandort mit Schwerpunkt Design auszubauen. Zollverein soll zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor im Ruhrgebiet werden, wo sich Unternehmen ansiedeln und neue Arbeitsplätze schaffen. Hand in Hand mit der ökonomischen Belebung sollen auch Tourismus und Kulturwirtschaft vorangebracht werden. Das Areal mit seinen beiden Zechen, der Kokerei und der sie umgebenden Landschaft wurde zwar schon in den vergangenen Jahren zum Ausflugs- und Reiseziel von mehreren Millionen Besuchern. Und auch in den Medien ist Zollverein als Ankerpunkt der "Route der Industriekultur" bereits zum Sinnbild für die Chancen eines


Strukturwandels im Ruhrgebiet avanciert. Trotzdem gilt es, langfristig Bekanntheit und Besucherzahlen zu steigern, damit das Welterbe auch international als einmalige designorientierte und architektonisch herausragende Denkmallandschaft wahrgenommen wird. Für die zweite große Bau- und Investitionsphase haben der renommierte niederländische Architekt Rem Koolhaas und sein Büro O.M.A. (Office for Metropolitan Architecture) einen Masterplan mit vier aufeinander abgestimmten Projekten entwickelt: RuhrMuseum, Design School, Design Weltausstellung ENTRY und zwei DesignGewerbeparks. Für die Umsetzung des Gesamtkonzepts, das den Kern der Denkmallandschaft unangetastet und neue Bauvorhaben am Rand eines festgelegten Gürtels ansiedeln lässt, ist die EGZ in den kommenden Jahren verantwortlich. Die Kosten werden vorwiegend vom Europäischen Strukturfonds für regionale Entwicklung getragen, außerdem beteiligen sich das Land NRW und die Stadt Essen. Zum Publikumsmagneten wird sicherlich das RuhrMuseum - selbst für diejenigen, die schon mit Zollverein und dem Revier bestens vertraut sind. Zentral in das Herz des Industriedenkmals, die Kohlenwäsche, implantiert, soll die natur- und kulturgeschichtliche Entwicklung der Region so eindringlich dargestellt werden, wie sie noch in keinem Museum zu finden war. Dass die Präsentation der Vergangenheit und Gegenwart des Ruhrgebiets mit Schwerpunkt auf den vergangenen 200 Jahren gerade hier realisiert werden soll, erscheint geradezu sinnfällig: Zollverein steht beispielhaft für die Ruhrgebietsgeschichte, also für die radikale Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen sowie für die der Menschen, welche den automatisierten und rationalisierten Funktionsbetrieben der Industrie unterworfen waren. Zugleich steht Zollverein heute ebenso exemplarisch für die neue Identität der Region, die den Aufbruch in eine

grundlegend neue Rolle wagt. Wie dieses Sparten übergreifende Projekt aussehen wird, kann sich besser vorstellen, wer die Ende der 1990er Jahre die vielbesuchte Ausstellung "Sonne, Mond und Sterne" auf der Kokerei Zollverein gesehen hat. Ähnlich wie dort die Geschichte der Energie erzählt wurde, soll auch die Natur- und Kulturgeschichte im RuhrMuseum zu einem Erlebnis für alle Sinne werden. Und wie schon für jene Schau, die mit ihrer populären Inszenierung wissenschaftlicher Fakten und Hintergründe begeisterte, zeichnet für das Konzept des RuhrMuseums Professor Ulrich Borsdorf, der Leiter des Ruhrlandmuseums in Essen, verantwortlich. In seiner umfassenden Rolle und der Verbindung mit dem neuen Besucherzentrum sowie dem Denkmalpfad "Weg der Kohle" soll das RuhrMuseum zugleich zum "Eingangsportal" für das Ruhrgebiet werden. Und in der Tat lässt sich das Ruhrgebiet von der Kohlenwäsche aus in vielen Facetten erfahren. Neben den auch für Wechselausstellungen genutzten Ausstellungsflächen des RuhrMuseums wird der in sieben Ebenen unterteilte Komplex auch ein neues In formationsund Besucherzentrum für das gesamte Ruhrgebiet beherbergen. Eine publikumsoffene Dachterrasse mit Café und Veranstaltungsraum ist geplant, von der man in etwa 40 Metern Höhe einen einmaligen Blick auf das Ruhrgebiet haben wird. Für zusätzliche Attraktion sorgt schließlich die weithin sichtbare gläserne Gangway an der Rückseite des Gebäudes, die die Besucher auf das Dach und damit zum Eingang des Museums bringt. Zollverein XII, wo selbst keine Bergleute einfuhren, sondern nur die abgebaute Kohle ans Licht kam, war über Tage zu Betriebszeiten ein fast menschenleerer Ort. Speziell im damals noch rußgeschwängerten Ruhrpott-Schmuddelnebel muss dort oft eine gespenstische Szenerie geherrscht haben. Wenn nun die großen Pläne greifen, werden bald die Menschen die Maschinenwelt endgültig in Besitz nehmen. Glückauf!

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KONTAKT ENTWICKLUNGSGESELLSCHAFT ZOLLVEREIN MBH (EGZ) GELSENKIRCHENER STR. 181 45309 ESSEN TEL. 0201 / 85 43 - 0 WWW.ZOLLVEREIN.DE INFO@EGZ-ESSEN.DE


ZUKUNFT ZEIGEN AN DIE SPITZE MIT DER GUTEN FORM - DER EHRGEIZ, IN KATERNBERG EIN WELTZENTRUM DES DESIGNS ANZUSIEDELN, STELLT DIE PLANER UND MACHER VOR GROSSE UND SPANNENDE HERAUSFORDERUNGEN.

ALLES REINE FORMSACHE Im Spätsommer 2006 soll die vom Essener Architekturbüro Böll und Krabel entkernte und restaurierte Kohlenwäsche der Zeche Zollverein mit der Design-Weltausstellung ENTRY eröffnet werden. Was die Kasseler Documenta für das aktuelle Kunstgeschehen, soll hier die ebenfalls dür einen Rhythmus von fünf Jahren projektierte ENTRY für das zeitgenössische Design und anverwandte Wissenschaften werden: die Präsentation der in Technik, Funktion und Ästhetik innovativsten und überzeugendsten Objekte des Weltmarkts. 101 Tage lang soll dieses Weltforum für Design und Architektur neben dem internationalen Fachpublikum vor allem auch die breite Öffentlichkeit anziehen. Die erste ENTRY steht unter dem Generalthema „Natürlichkeit und Künstlichkeit" und wird verschiedene, von internationalen Kuratoren konzipierte Schwerpunkte thematisieren. Weil die geplante Ausstellungsfläche von ca. 10.000 m2 größer sein wird, als RuhrMuseum und Kohlenwäsche mit

5.500 m2 bereit stellen können, sollen und das ist Bestandteil der Schau eigens dafür temporäre Bauten entstehen. Auch Architekten werden also gefragt sein, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und für die Dauer dieser 101 Tage überdachte Räume zu entwerfen, die alles sein dürfen – nur nicht langweilig. So waren beispielsweise schon Pläne zu sehen, auf denen der gigantische Koloss der Kohlenwäsche ein leichtes Flügelkleidchen zu tragen schien. Tatsächlich „Petticoat" genannt, umrankten das dominierende Monument röckchenartige Ausstülpungen, die wie Pilzgewächse aussahen.

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Auch die ENTRY als der zweite Baustein des Masterplans soll das Potential verstärken, das die verschiedenen DesignAgenturen, Medienbüros und das weltweit agierende Design Zentrum NRW auf Zollverein XII seit Jahren pflanzen und kultivieren, nämlich das Welterbe zu einem international unverwechselbaren Standort für Design und Wirtschaft zu machen. Wenn nun wirklich 2006, wie optimistisch prognostiziert, 500.000 Besucher zur ENTRY kommen und wenn nur die Hälfte -, wäre dies für Zollverein und die Stadt ein kaum zu überschätzender Erfolg, der obendrein die Ziele Tourismus- und Imageförderung erfüllen würde. Der Weg zur Schau der guten Form ist allerdings ein steiniger: Nicht nur, dass hier ein Industriegebäude mit der wohl dreckigst-denkbaren Funktion Kohlenwäsche in eine stylische Design-Location verwandelt werden soll, das darüber hinaus noch das neue Ruhrmuseum und die Besucherzentrum des angestrebten Kulturhauptstadtjahres 2010 beherbergen wird. Der Umbau nach Planung des hollandischen Architekten Rem Kohlhaas, der auch für den Masterplan des Zollvereingeländes verantwortlich zeichnet, geht unter der örtlichen Regie des Architekturbüros Böll so zügig und reibungsarm seinen Gang, wie man es bei einer so schwierigen ungewöhnlichen Sanierung nur erwarten kann. Die Geschichte der inhaltlichen und personellen Form- und Kuratoren-/ Leitungs-Findung der ENTRY geriet jedoch zur (fast) „unendlichen Geschichte“. Sie zu erzählen, würde den Rahmen dieses Heftes weit sprengen. Doch dafür steht das dritte Projekt, die „Zollverein School of Management and Design GmbH", in den Startlöchern. Die neue, privatwirtschaftlich geführte Bildungsstätte für bis zu 200 Studenten richtet sich zum einen an Manager und Führungskräfte großer Unternehmen, die sich in Design und Gestaltung schulen lassen, und auf der anderen Seite an junge Designer oder Existenzgründer, die sich in Management und Betriebsführung weiterbil-


den möchten. Hintergrund ist, dass die Bedeutung von Designfragen in allen Bereichen des täglichen Lebens und der Wirtschaft derart zugenommen hat, dass neue und umfassendere Formen der Vermittlung und des Austauschs gefragt sind. So bemüht sich der Initiator und inzwischen Geschäftsführer der „Zollverein School", Prof. Dr.-Ing. Ralph Bruder, seit Jahren unermüdlich darum, das Bewusstsein für diesen neuen Markt und seinen Bedarf zu schärfen. Die Schule wird außerdem in die Forschung und Wissenschaft investieren, z.B. indem sie begabte Absolventen aus Kunst und Design während ihrer Promotion unterstützt. Sie will sogenannte „kreative Arbeitsplätze“ innerhalb der Schule einrichten, wo konkret neue Produkte entwickelt, erforscht und produziert werden sollen. Den bereits im Juli 2002 ausgelobten internationalen Wettbewerb für den Neubau der „Zollverein School", die pünktlich zur ENTRY im Sommer 2006 fertig gestellt sein soll, hat das japanische Architekturbüro SANAA gewonnen. Wie eingangs erwähnt, haben Kuzuyo Sejima und Ryue Nishizawa einen spektakulären Betonwürfel in den Maßen 35 mal 35 und mal 34 Metern in der Höhe entworfen, der direkt an der Einfahrt zu Schacht 1/2/8 an die Gelsenkirchener Straße anschließen und aufgrund seiner Ausmaße weithin sichtbar sein wird. Trotzdem aber - und das ist das Besondere - wird er nicht monumental, sondern offen und leicht wirken, was etwa durch seine unregelmäßig, scheinbar wahllos auf die Fassade geworfenen Fenster hervorgerufen wird. Für den Zuschlag an SANAA war mit entscheidend, dass sich ihr Entwurf in die Strenge und Klarheit der historisch bedeutenden Zollverein-Architektur von Schupp und Kremmer einfügt. Die beiden Japaner folgen jener Sachlichkeit der roten Baukuben und übersetzen sie zugleich mit Einfallsreichtum in unsere Gegenwart.

Seit über 70 Jahren, also direkt mit seiner Inbetriebnahme 1932, gilt Zollverein XII als Mekka für Architekten und Ingenieure aus aller Welt. Die Erweiterung um zeitgenössische Architektur von Spitzenklasse wird dieser Tradition noch eins drauf setzen und sie wird mit dazu beitragen, Zollvereins Anziehungskraft zu erhöhen. Dies jedoch nicht nur für das internationale Publikum, sondern auch für die umliegende Bevölkerung. Gerade für die Katernberger, Stoppenberger und Schonnebecker, die ja stets mit und von Zollverein gelebt haben, wird es entscheidend sein, dass sie stolz sein können auf das „alte Kraftwerk" in ihrer Nachbarschaft. Die anfangs durchaus gemischten Gefühle könnten sich in Staunen und Selbstbewusstsein darüber verwandeln, dass sie schon immer eine besondere Geschichte in einem noch immer besonderen Umfeld (gehabt) haben. Zu guter Letzt das vierte Projekt, die beiden Design-Gewerbeparks: Von Beginn an waren diese Gewerbeflächen ausschlaggebend für die Konzeption und Umsetzung des Masterplans, weil sie die zentralen Forderungen nach der Schaffung von Arbeitsplätzen garantieren und den Standort so auf ein wirtschaftlich sicheres Fundament stellen sollen. Die vorgesehenen Areale sind zum einen ein Gelände auf der sogenannten „weißen“ Seite der Kokerei. Während sich hier bereits etablierte und größere Unternehmen ansiedeln sollen, ist das zweite Areal, das „Creative Village", für junge Kreative gedacht, die auf 30.000 Quadratmetern hinter Schacht 1/2/8, also unweit der „Zollverein School", in neuen Gebäuden sesshaft werden sollen. Firmen aus den Branchen Design, Architektur, Werbung, Messebau und Kommunikation sollen vom Angebot und der Ausstrahlung des Standorts profitieren, ihn umgekehrt aber auch befruchten und am Leben halten. Für das „Creative Village", dessen Planungen Vorrang haben, gibt es bereits erste Anwärter. Wenn diese

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dann in drei bis vier Jahren auf Zollverein zu Hause sind, also wenn der Betrieb der Design School bereits voll in Gang ist und das Welterbe nach der ersten ENTRY in der Szene zum neuen und wichtigen „Umschlagplatz" geworden ist, dann hat die Zukunft aus den eingangs geschilderten Präsentationen tatsächlich begonnen. Doch diese Zukunft braucht Zeit, wenn sie nicht von der Gegenwart überholt werden will. Noch grüßen die Bauschilder.

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QUARTIER MACHEN

DURCH GEWALTIGE KULISSE, BESTECHENDE ZUKUNFTSAUSSICHTEN UND EINEN RÜHRIGEN BÜRGERVEREIN BEGÜNSTIGT, BLÜHT HEUTE RUND UM DAS WELTKULTURERBE DAS ZARTE PFLÄNZCHEN DES FREMDENVERKEHRS.

TOURISMUS UNTER ZECHENTÜRMEN Hätte man dem Ruhrgebiet im Allgemeinen und dem Essen Norden im Besonderen vor vierzig oder fünfzig Jahren eine touristische Perspektive vorausgesagt, oder gar eine Zukunft als Hotelstandort, so wäre dies wohl für baren Unsinn gehalten worden oder für einen (bitteren?) Scherz. Katernberg lag im Kokereimief, der wahlweise das Aroma von nassen Waschlappen oder faulen Eiern in die verrußten Quartiere trug. Speziell bei Windstille in den sogenannten Inversionswetterlagen, wenn die Luft scheinbar dickflüssig schwer über dem Revier waberte, war das Klima alles andere als touristisch. Es war die Zeit, in der Smog im Ruhrgebiet noch zum Hintergrund eines vielbeachteten Fernsehdramas gleichen Namens taugte. Die Kumpel und Kokereiarbeiter malochten und träumten von Stränden, Wanderwegen und von sauberer Luft anderswo, nur nicht hier. Kinder wurden auch noch in den Zeiten des Wirtschaftswunders aufs Land verschickt, um ihre Rachitis und ihren

Pseudo-Krupp-Husten zu behandeln: Auf Ameland, Borkum und im Taunus unterhielt die Stadt Essen eigens Heime für die Arbeiterkinder aus dem Essener Norden. Und heute? Der Mief und Smog sind seit Jahren verflogen. Nach außen hielten sich die Kohlenpott-Klischees trotz ausdauernder public relation durch die Essener Touristiker der EMG (Essener Marketing Gesellschaft im Besitz der Stadt) und der regionalen RTG (Ruhrtourismus GmbH des Regionalverbandes Ruhrgebiet RVR). Doch viele Faktoren haben auch die Katerberger/-innen ein neues Selbstbewusstsein entwickeln lassen: Die Erhaltung des Komplexes Zollverein als

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Denkmal der Industriegeschichte, seine Anerkennung als Weltkulturerbe und die „IBA-Emscherpark", die als Internationale Bauausstellung in den 90er dem Ruhrgebiet insgesamt neue Blickrichtung gab, wirkten vor Ort ebenso wie die Hoffnung auf neue Ehren als Kulturhauptstadt Europas 2010. Als zur Zeit der IBA die ersten Busse auf dem Gelände von Zeche und Kokerei parkten, reifte bei einigen der hier Ansässigen der zunächst zaghafte Gedanke, man könnte doch auch eine ganz spezielle und ortstypische Art von Unterkunft und von Speisekultur anbieten. Es galt also, am Ort als Alternative zum gehobenen, aber standardisierten Stil eines „Maritim"-Hotels in Gelsenkirchen oder zum nüchternen Vertreterhotel ein eher „knuffiges" Fremdenzimmer-Angebot zum Anfassen zu entwickeln. Ferien nicht auf dem Bauernhof, sondern in der historischen 100jährigen Zechenkolonie: Entdeckungsreise und Aufenthalt im mit Liebe renovierten „Vierspänner"-Haus, einem jener typischen Backsteinziegelhäuschen, die früher vier Bergmannsfamilien eine bescheidene Wohnung gegeben hatten. Mit einem kleinen ländlichen Drumherum von Garten, Taubenschlag und Ziegenstall waren die Zechensiedlungen Schauplatz jenes ganz eigenen, fast dörflichen Miteinanders. Das kann heute in der Rückschau als ebenso „typisch" empfunden werden wie eine Almhütte oder ein strohgedecktes Fischerhaus. Auch jene standen im Ursprung nicht für ReisendenKomfort, sondern für beengtes Wohnen in ebenso bescheidenen bis ärmlichen Verhältnissen. Fischernetz, Melkschemel und Grubenlampe sind heute nicht mehr Werkzeuge und Symbole der Plackerei, sondern Ankerpunkte von Erinnerung. Aus den Überlegungen zum „anderen" ortsbezogenen Tourismus ging 1997 der kleine, aber rührige Bürger-Verein der „Zollverein-Touristik" hervor, der zunächst in einem Stoppenberger Ladenlokal seinen Sitz hatte und 2004 in die frühere Mischanlage der Zoll-


verein-Kokerei umzog. Dort ist der Shop der engagierten Touristiker aus Leidenschaft Tür an Tür mit dem Besucher-Cafe der Kokerei untergebracht. Er dient Interessierten als Anlaufstelle für Führungen, dem Verkauf von ruhr-nostalgischen Souvenirs, die fast ausschließlich im Essener Norden hergestellt werden und ein Stück Unverwechselbarkeit aus der Pütt-Zeit vermitteln: „PottLappen", Postkarten mit Motiven aus historischer Zeit, als die selbstständige schnell wachsende Bürgermeisterei Stoppenberg die größte Landgemeinde Preussens war. Lokalkolorit vermitteln auch die urigen karierten Kohlesäckchen und Grubenhandtücher. Außerdem findet man Jahres-Bildkalender der ortsansässigen Geschichtskreise, ruhrgebietsspezifische Literatur, Fahrradkarten und Tickets für die Führungen über die Schachtanlagen, die Kokerei und durch die umliegenden Bergmannsiedlungen, zu Fuß und auf dem Fahrrad. Auswärtige Übernachtungsgäste haben durch den Tourismusverein eine stetig erweiterte Wahl von Privatquartieren, einer Pension und einem Hotel an der Stoppenberger Straße. Der Verein ist zudem mit seinen mehrfach ausgezeichneten ehrenamtlichen Aktivitäten eine Brücke zwischen Zollverein und den Stadtteilen. Wie auch der Geschichtsverein Katernberg gibt die Zollverein-Touristik mit viel Engagement und schmalen Budget einen Zugang mit „Herz" auf das Thema Zollverein, in dem sich Vergangenheit und Zukunft, Denkmalpflege und Regionalentwicklung, Ministerkarosse und Klappfahrrad begegnen. Weitaus raumgreifender und futuristisch nahmen sich demgegenüber Pläne für ein Projekt aus, das zwei Kühltürme der „weißen” (Chemie-)Seite der Kokerei Zollverein in ein LuxusHotel verwandeln sollte. Die ästhetisch bestechende Vision der Essener Architekten Koschany und Zimmer (KZA) in Zusammenarbeit mit dem Investor „Deutsches Siedlingswerk AG” zielte auf eine Fünf-Sterne-Herberge, die jedoch aus Rentabilitäts-Aspekten

KONTAKT ZOLLVEREIN TOURISTIK KOKEREI ZOLLVEREIN ARENDAHLS WIESE 45141 ESSEN TEL. 0201 / 860 59 - 40 E-MAIL INFO@ZOLLVEREINTOURISTIK.DE WWW.ZOLLVEREIN-TOURISTIK.DE ÖFFNUNGSZEITEN: MO - MI 9.00-16.00 UHR DO 9.00-18.00 UHR FR 9.00-14.00 UHR INFOPUNKT DER KOKEREI ZOLLVEREIN TEL. 0201 / 830 12 - 75 nicht den endgültigen Zuschlag erhielt – zumindest in der Version „First Class”. Ausbauvarianten im populäreren und für den „normal sterblichen“ Gast bezahlbaren Dreisterne-Bereich wurden daraufhin geprüft und scheinen trotz abgespeckter Ausstattung realistischer.

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IM ÄLTESTEN SCHACHTGEBÄUDE DES HISTORISCHEN ZOLLVEREIN-KOMPLEXES PFLEGT DER KÜNSTLER THOMAS ROTHER AUTHENTISCHES ERINNERUNGSGUT AUS DER BERGBAUZEIT.

BERGBAUERBE ALS LEBENSELIXIER „Im Kunstschacht ist der heilige Geist von Zollverein zu Hause", sagt Christa Rother, und sie muss es wissen. Denn kaum jemand hat wohl eine derart innige Beziehung zu dem backsteinernen Gemäuer des Weltkulturerbes und seiner wechselvollen Geschichte wie sie und ihr Mann, der Künstler und Schriftsteller Thomas Rother. Seit ein paar Jahren verbringen sie nicht mehr nur die Sommermonate hier, sondern sind komplett in ihren Kunstschacht auf Zollverein 1/2/8 eingezogen und können wie wahrscheinlich nur wenige nun behaupten, in einem (Industrie-) Denkmal zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Wer das Welterbe besucht und nicht im Kunstschacht war, wird nichts von Zollverein verstanden haben, sagen sie. Und wenn man wirklich von einer Art Seele Zollvereins sprechen will, so würde sie hier in der Tat jeden Winkel erfüllen und ganz vortrefflich zur Entfaltung kommen. Der Kunstschacht steht ohne Zweifel in Kontrast zu dem, was der nur 200 Meter entfernte ehe-

malige Zentralschacht der Anlage, Zollverein XII, ausstrahlt. Spricht man von eben dort seit jeher nur in Superlativen - die damals modernste, leistungsstärkste und noch immer schönste Zeche Europas, die heute neu definiert ist mit Hochkultur von internationalem Format in den strengen edlen Baukuben -, so hat der Kunstschacht schon rein geschichtlich eine andere „Bodenhaftung".

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Das Gebäude stammt von 1903, zählt zu den ältesten erhaltenen Montanbauten im nördlichen Revier und beherbergte einst eine Raum füllende Dampfmaschine, die das Räderwerk der zwischen 1849 und 1930 fördernden Gründerschachtanlage antrieb. Die Maschine existiert heute nicht mehr. Zurück gelassen aber hat sie die wie in einen Dornröschenschlaf versunkene, von wildem Wein umrankte, rostrote Halle mit meterhohen Rundbogenfenstern, die einfach stehen geblieben ist und mit ihr scheinbar auch die Zeit. Zusammen mit einem üppig sprießenden Garten, in dem die Objekte Rothers im Eisen-Skulpturen-Park ihr UnWesen treiben, sind es 6.500 Quadratmeter, die der Künstler ab 1990 zunächst als Atelier, Werkstatt und Ausstellungsraum mietete und seit 1997 sein Eigen nennt. Hier kultiviert er seine Leidenschaft, die Bergbaugeschichte authentisch zu bewahren und lebendig zu halten. Im Kunstschacht, einem „heimlichen“ Bergbaumuseum, ist nichts clean und gestylt wie nebenan. Alles ist möglichst im Original belassen, überhaupt hat längst jede Ecke und bald jeder Zentimeter seine Bestimmung: An einem quer durch den Raum gespannten Drahtseil hängen alte Sägen, eine schwere Kohlenschippe und Pickel; auf den Werkbänken liegen ordentlich aufgereiht Hämmer in allen Größen, Schrauben, Nieten, Schlüssel oder Gießzangen. Die Wände sind voller historischer Fotos, Stadt- und Grubenfeldpläne, eigenen Zeichnungen, Bildern und wieder Werkzeugen, Metallschildern und Grubenlampen. Dazwischen begegnet man immer wieder einer der insgesamt 48 BarbaraFiguren aus Rothers beachtlicher Sammlung. Die Heilige Barbara, die früher in keinem Bergwerk und Bergmannshaushalt fehlen durfte, war die Schutzpatronin der Bergleute. Wie ein Besessener sammelt und hortet Rother all diese Hinterlassenschaften, die er entweder aus sich im Auflösen befindlichen Vorstandsetagen abstaubte, wie den Kronleuchter aus dem ehemaligen


Haus der Ruhrkohle und den mehrere Tonnen (!) schweren runden Tisch von Siemens, oder Dinge, die ihm Leute aus den umliegenden Stadtteilen bringen. Noch immer kommt ab und zu jemand vorbei und stellt ihm etwas vor die Tür. Bevor es ihre Kinder oder Enkel irgendwann wegwerfen, weil sie der ganze Bergmanns-Hausstand aus Helmen, abgewetztem Arschleder, Grubenlampen oder kitschigen Tusche-Zeichnungen vom heldenhaften Arbeiter nicht mehr interessiert, da er zu lange zu alltäglich war, gehen sie damit zu Rother. Längst hat sich herumgesprochen, dass die Erinnerungstücke dort in guten Händen sind, dass der Künstler, Sammler und „Museumsdirektor" ihre Geschichte und Geschichten schätzt und ihnen in seinem Reich eine sichere Bleibe bietet. Das Sammeln und Bewahren hat sich ohne konkreten Vorsatz „von selbst" entwickelt. Denn Thomas Rother ist ja vor allem Künstler und Bildhauer und diesbezüglich kein Unbekannter. Manchem Konzernfoyer hat er ebenso Profil gegeben wie städtischen Plätzen oder Skulpturenparks. Meist sind es großfor-

matige Objekte aus Holz, Stahl oder alten Maschinenteilen, die Rother im Kunstschacht herstellt, hier in der eigenen Schmiede zusammenschweißt, nagelt, schnitzt oder malt. Geprägt durch äußere Witterungsverhältnisse ist in jüngerer Zeit eine ganze Werkreihe von Maschinenbildern unter dem Titel „Nachrichten aus der Kohlenwäsche" entstanden. Zum Teil riesige, alte Zahnräder, Schrauben oder andere Stahlteile hatte der Künstler auf Leinwände gelegt und abgewartet, bis diese ihre Spuren hinterlassen haben. Ob grünlich bemoost, vom Rost gebräunt oder gerötet, schließlich vom Kohlenstaub „angeschwärzt" - die großen Leinwände, die er zum Teil nur minimal nachbearbeitet hat, sind beeindruckend. Die Negativspuren jener teils viele Zentner wiegenden Stahlscheiben wirken von solcher Leichtigkeit, dass sie vollkommen vom Prozess ihrer Entstehung losgelöst erscheinen. Dass aber Bergbau samt Kunstschacht nicht nur zum Rother kamen, sondern umgekehrt er auch zu ihnen, hat noch einen anderen Grund: Schon immer

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hatte er eine Affinität zum Bergbau und dem besonderen Ethos der Bergleute, für die Treue, Kameradschaft und Zusammenhalt absolut waren. Vielleicht weil er, der aus Frankfurt an der Oder stammt, selbst als Arbeiter, nämlich als Maurer begann und sich so sein Studium im Westen finanzierte. Wer also, wenn nicht er, könnte als Bewahrer und kreativer Ver-Arbeiter der Geschichte geeigneter sein, dem „heiligen Geist von Zollverein" Unterschlupf zu bieten?

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TANZEN DIE INTERNATIONALE TANZSZENE TRIFFT SICH IN ESSEN AUF DEM WELTKULTURERBE ZOLLVEREIN. EINE EHEMALIGE WASCHKAUE IST PLATTFORM FÜR LERNEN, ENTWICKELN UND ZEIGEN.

DAS CHOREOGRAPHISCHE ZENTRUM Wo sich unter der Dusche nach ihrer Schwerarbeit einst bis zu 2.000 Bergleute wieder in Menschen verwandelten, wird heute erneut geschwitzt. Die ehemalige, 1907 fertig gestellte Waschkaue auf dem Zollverein Schacht 1/2/8, in der die Arbeiter aller Zollverein-Anlagen ihre Bergmannskluft auszogen und sich nach der Schicht vom schwarzen Ruß befreiten, beherbergt nun ein internationales Zentrum für Darstellende Kunst mit dem Schwerpunkt Tanz unter dem Namen P.A.C.T. Zollverein (Performing Arts / Choreographisches Zentrum NRW / Tanzlandschaft Ruhr). In dem Ende der 1990er Jahre behutsam umgebauten und restaurierten Gebäudekomplex, der im Kontrast zur gigantischen Maschine Zollverein der sicherlich menschlichste Bereich für die Bergleute war, herrscht nun ein lebhaftes, buntes Treiben: Tagsüber sind es Tänzer/-innen und Künstler/-innen, die in den Studios und Proberäumen für ihre neuen Stücke nach Themen und Bewegungen suchen.

Abends sind es Kulturinteressierte, die verschiedene Veranstaltungen besuchen. „Wir wollen Künstlern und Publikum gleichermaßen die Gelegenheit bieten, sich mit aktuellen Entwicklungen im Tanz zu beschäftigen", erläutert Stefan Hilterhaus, der künstlerische Leiter, das Programm des Hauses. P.A.C.T. Zollverein, 2002 aus dem Choreographischen Zentrum NRW und der Tanzlandschaft Ruhr hervorgegangen, bietet Studierenden wie Profis aus Tanz, Tanztheater, Performance und Neue Medien ein umfangreiches Angebot und eine weithin einzigartige Plattform für ihre Kunst. Im Mittelpunkt steht die Qualifizierung junger

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Kreativer, die hier die Möglichkeit haben, sich weiterzubilden, bei Produktionen internationaler Choreographen mitzuwirken sowie ihre eigenen Stücke zu realisieren. Zudem können sie ein Netzwerk aus Kontakten in aller Welt nutzen. Auch vor diesem Hintergrund schließt die heutige Bespielung der Waschkaue an die Geschichte und Tradition des Bergwerks an: War schon früher die Belegschaft mit Arbeitern aus Griechenland, Italien, Polen oder der Türkei ein buntes multikulturelles Gemenge, so ist heute die Kooperation mit internationalen Ensembles, Theatern und Produktionspartnern ein wichtiger Baustein der Arbeit. Und nicht nur die Tänzer/-innen kommen aus Süd- oder Nordamerika, den Beneluxländern, Afrika oder Japan. Auch das Publikum ist heterogener als in anderen Kultursparten. Wer hier zum Beispiel ein Festival oder eine Tanzmesse erlebt hat, wird fast mehr ausländische als deutsche Stimmen vernommen haben. Der Startschuss für die Entwicklung und Förderung dieser besonderen Institution fiel offiziell im Juli 2000: Das Choreographische Zentrum NRW, als Institution des Landes mit dem Aufbau einer einzigartigen Infrastruktur für Tanz und kulturelle Begegnung betraut, öffnete die Pforten des modern restaurierten Gebäudes, das auch technisch bestens ausgestattet ist. Neben Gastspielen wurden die ersten Produktionen vorgestellt, das Trainings- und Qualifizierungsprogramm begann, und es fand der erste internationale Hochschulaustausch statt. Das neue Zentrum bietet seitdem nicht nur Probebühnen und Aufführungsstätten an, sondern gibt Künstlern aus der Region und Gastensembles aus der ganzen Welt technische, organisatorische und administrative Unterstützung. In Zusammen mit der Tanzlandschaft Ruhr, die 1998 als Projekt der Kultur Ruhr GmbH ins Leben gerufen wurde, ergibt die heutige Struktur von P.A.C.T. Zollverein eine kongeniale Verbindung. Denn durch die


Bündelung der Unterstützung konnte sich P.A.C.T. Zollverein auf Schacht 1/2/8 zu einem unverwechselbaren und in seinem Angebot erstklassigen Zentrum für zeitgenössischen Tanz etablieren. Es herrscht reger Betrieb in den Proberäumen, Studios oder der kleinen Gastronomie, die zum Ausruhen auf alten gemütlichen Sofas vor den weißen Kachelwänden einlädt. Zum alle zwei Jahre veranstalteten „internationalen tanzaustausch ruhr" werden Studierende und Lehrende von internationalen Ausbildungszentren verschie-

London, Sidi Larbi Cherkaoui aus Belgien und Susanne Linke aus Deutschland zu Gast. Schließlich machte das Festival „Tanztheater – 3 Wochen mit Pina Bausch" im Jahr 2004 das Zentrum P.A.C.T. Zollverein zum Mekka des zeitgenössischen Tanzes. Unter der künstlerischen Leitung der „Grande Dame" des Tanztheaters in Deutschland, Pina Bausch, traten Kompanien aus Israel, Frankreich, Korea, Belgien und Kasachstan auf und begeisterten das zahlreich strömende Publikum.

dener Länder eingeladen, um mehrere Tage lang zusammenzuarbeiten. Folkwangschüler verbessern sich im Profitraining und sammeln neue Eindrücke, Lehrende finden in der dreimonatigen „Residenz" neben Probemöglichkeit und Produktionsberatung in der Erarbeitung ihrer Projekte. Das vielfältige Angebot von P.A.C.T. Zollverein stößt auf breite Resonanz und zieht Künstler aus dem In- und Ausland nach Essen. 2004 arbeiteten u.a. die ehemaligen Tänzer/-innen des Frankfurter Balletts Christal Pite aus Vancouver und Richard Siegal aus Frankfurt im Rahmen einer Residenz bei P.A.C.T.. Ebenso Rodolpho Leoni aus Wuppertal und Claudia Lichtblau aus Essen. Es waren viele bedeutende Choreographen wie Wayne McGregor aus

Ihrer Aufgabe, die ehemalige Waschkaue auf Schacht 1/2/8 zum Knotenpunkt und Begegnungsort der regionalen wie internationalen Tanzszene zu entwickeln und dadurch auch das Image des Weltkulturerbes Zollverein als Kulturstandort mit internationaler Ausstrahlung zu festigen, wird das Team von P.A.C.T. Zollverein also mehr als gerecht. Das Zentrum wird von einem gemeinnüztigen Verein getragen und durch eine Betriebs-GmbH bewirtschaftet. Es vereinigt vorher parallel betriebene Tanz-Institutionen und -Projekte des Landes (z.B. die „Tanzlandschaft Ruhr“ der Kultur Ruhr GmbH) und wird gefördert durch eine institutionelle Förderung durch des Landes NordrheinWestfalen.

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KONTAKT P.A.C.T. ZOLLVEREIN CHOREOGRAPHISCHES ZENTRUM NRW BULLMANNAUE 20 D 45327 ESSEN TEL. 0201 / 289 47 00 WWW.PACT-ZOLLVEREIN.DE INFO@ PACT-ZOLLVEREIN.DE


OFFEN DENKEN EINE RIESIGE BEGEHBARE SKULPTUR IM EHEMALIGEN SALZLAGER DER KOKEREI ZOLLVEREIN, VERLEIHT DER KREATIVITÄT FLÜGEL.

DER PALAST DER PROJEKTE Beeindruckt nahm das von weit her gereiste Publikum 2001 die „größte begehbare Schnecke der Welt" auf der Kokerei Zollverein in Empfang. Was leuchtend wie eine chinesische Laterne den Mittelpunkt der 1.500 m2 großen Salzlagerhalle auf dem Gelände der Kokerei einnimmt, ist aus halbtransparentem Tuch mit Holzleisten konstruiert und zählt zu den zentralen Werken

des russisch-amerikanischen Künstlers Ilya Kabakov: „Der Palast der Projekte". Zwischen 1995 und 1998 realisiert und aus über 60 Einzelwerken bestehend, war die Installation bereits in Madrid, Manchester und New York zu sehen, bevor sie ihre endgültige Adresse im Essener Norden bezog. Von Kabakov gemeinsam mit seiner Frau Emilia entwickelt, erscheint die schneckenförmig angelegte Rauminstallation als eine ebenso naiv wie weise erzählte Sammlung poetischer und utopischer Weltvorstellungen. Wer also den Weg über das weitläufige, noch immer etwas verlassen wirkende Areal der Kokerei Zollverein in das Salzlager gefunden hat, betritt im „Palast" einen Kosmos höchst origineller Vorschläge, wie man sich selbst und die Welt mit oft einfachsten Mitteln verbessern und verändern kann. Die Projekte sind wahlweise drei Themen zugeordnet: der Förderung der eigenen Kreativität, der Vervollkommnung des einzelnen Menschen und der Verbesserung der globalen

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Lebensbedingungen. Jeweils mit Tisch und Stuhl ausgestattet, kann der Besucher jedes auch in einem Text festgehaltene Projekt studieren und die Umsetzung in den Modellen in Ruhe betrachten. Utopie und augenzwinkernder Schalk spielen miteinander. Die Arbeit mit dem Titel „Das abhebende Zimmer" demonstriert etwa, wie man der Enge einer Wohnung entfliehen kann, gerade wenn man sich keinen Urlaub leisten und - wie Kabakov in der UdSSR - das Land nicht verlassen kann: Man säge ein Loch in die Mitte der Wohnung, und mit dem Blick in diesen Abgrund beginnt automatisch alles andere zu schweben. In einem anderen Werk rät der inzwischen west-erfahrene Kabakov Menschen, die ihr Schicksal ständig beklagen, sich für zwei Stunden als Bettler in eine Fußgängerzone begeben und sich dort der Gleichgültigkeit der Passanten auszusetzen. Bald nähme man so sein angestammtes „Schicksal" gerne auf sich. Kabakov, der 1933 in der Ukraine geboren wurde und seit Öffnung des Ostblocks in New York und Paris lebt, wurde in den 1970er Jahren zum Kopf des „Moskauer Konzeptualismus". Sein Atelier war das heimliche Zentrum der inoffiziellen Kunstszene. Der heute international gefeierte Künstler reflektiert die Lebenswelt der ehemaligen UdSSR und regt an, über die Kunst zu sich selbst zu finden und aktiv neue Erfahrungen zu machen.


Die alte Salzlagerhalle auf der sogenannten „weißen" Seite der Kokerei soll zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. So wünscht es sich die „Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur", die das Gelände der Kokerei Zollverein verwaltet, im begleitenden Katalog. Unterstützt vom Ministerium für Städtebau MSWKS und der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW hat sie den Palast nach Essen geholt. Inzwischen ist er mehr als nur ein begehbares Museumsstück. Der Grund dafür ist nicht durch die Stiftung oder ein Ministerium gegeben, sondern in der Initiative eines kreativen Privatmanns begründet. Weil das „Museum der Träume" eben keine Utopie bleiben soll, bemüht sich seit dem Frühjahr 2004 der Erfinder und IT-Entwickler Reinhard Wiesemann, als Pächter des Objekts darum, dass Besucher und Gäste an diesem besonderen Ort auch ihre eigene Kreativität entdecken. Wiesemann will an das Potential und die Inspiration Kabakovs anzuknüpfen und das Salzlager zu einem Ort für „offenes Denken" zu entwickeln. Er setzt also genau da an, wo Kabakovs Werk aufhört: „Was ich vorhabe, ist, Kabakovs theoretische Entwürfe in die Gegenwart zu verlängern, indem ich sie verwirkliche und ihnen Gestalt gebe." Konkret heißt das für ihn, nach Kabakovs drei Grundsätzen weiter zu arbeiten: Die eigene Kreativität stimulieren, sich selbst verändern und vervollkommnen und schließlich das Leben anderer Menschen verbessern. Wiesemann regt Projekte an, die dazu ermuntern sollen, selbst tätig zu werden. „Der Palast steht für das Feiern von Kreativ- und Tätigsein. Wir laden Menschen und Unternehmen ein, hier zu feiern und neue Projekte zu starten." Wiesemann vergleicht den Palast gar mit einer Kirche. Denn wie sie „ist der Palast ein Ort für Feiern, die z.B. wie eine Hochzeit oder ein Geburtstag oder ein Firmenjubiläum mit dem Beginn von etwas Neuem zu tun haben." Außerdem sei der Palast wie „kaum ein anderer Ort geeignet, mutige Men-

schen zu unterstützen und Zögernden Mut zu machen", wie auf der Homepage zu lesen ist. Und so heißt Wiesemann alle willkommen, sich neuen Impulsen zu öffnen und sich im Rahmen von Vorträgen, Workshops, Theaterstücken, Ausstellungen oder Lesungen auch selbst einzubringen. Der „Palast der Projekte" ist nur ein Baustein des vielseitigen Engagements von Reinhard Wiesemann. Bereits mit 18 studierte er Elektrotechnik und gründete seine erste noch heute bestehende Computerfirma. Er ist Begründer und Inhaber des „Linux-Hotels“ in der Villa Vogelsang, einem historischen Denkmal in Essen-Horst, und hat 2004

in der Essener Innenstadt das „Unperfekthaus" eröffnet. Dort haben 150 Kreative kostenloses Quartier bezogen, um „ihr Ding" zu machen: Künstler, Musiker, Physiker, Modellbauer, Schriftsteller, Programmierer ... Solche Initiativen mitten im Ruhrgebiet machen Mut. Wenn sich nun Menschen aufmachen sollten, angeregt durch den „Palast der Projekte" ihren Lebenstraum wirklich in die Tat umzusetzen, ginge auch für Kabakov ein Traum in Erfüllung. Bevor er Wiesemann kennenlernte, war der Künstler strikt dagegen, dass die Salzlagerhalle neben dem „Palast der Projekte" anderweitig genutzt wird. Jetzt, da auch Wiesemann den perfekten Ort für seine

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selbst lang gehegte Idee gefunden hat, freut sich auch Kabakov, dass Menschen seine Vorschläge tatsächlich aufnehmen und mit eigenen Ideen aktiv werden. Wer den Palast besucht, sollte Zeit zum Staunen mitbringen.

KONTAKT PALAST DER PROJEKTE KOKEREI ZOLLVEREIN ARENDAHLS WIESE TOR 3, 45141 ESSEN TEL. 0700 / 337 72 52 78 WWW.PROJEKTPALAST.DE INFO@PROJEKTPALAST.DE ÖFFNUNGSZEITEN TÄGLICH VON 12 BIS 20 UHR


FÜHLEN DAS ERFAHRUNGSFELD IM MASCHINENHAUS VON SCHACHT ZOLLVEREIN 3/7/10 LÄSST UNS DIE WELT DER EIGENEN SINNE NEU ENTDECKEN.

DAS ERBE DES HUGO KÜKELHAUS Heutzutage ist alles „sinnlich“, egal ob der Pizzabäcker seine belegten Teigscheiben zum sinnlichen Erlebnis frisiert oder der Autohändler die Testfahrt als sinnliches Vergnügen anpreist. Diese Versprechungen aber sind nicht einmal heiße Luft gegen im ursprünglichen Sinne sinnliche Erfahrungen, wie man sie etwa im „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne" auf Zollverein Schacht 3/7/10 machen kann. Etwa so, wie sich der Duft eines natürlich gereiften Apfels vom industriell synthetisierten Apfel-Aroma eines Shampoos unterscheidet und wir dies bemerken, wenn wir die Nase direkt an Original und Fälschung halten. Weit gefehlt, wer meint, das sei nur etwas für Kinder. Klar, die sind noch unbelastet und neugierig. Sie probieren einfach aus, was passiert, wenn sie ihren Kopf in den Summstein stecken, nackten Fußes über den Barfußpfad gehen, oder mit einer chinesischer Klangschale auf dem Bauch zu erleben, wie sich die Wellen des Klangs durch den Körper bewegen.

Doch wissen wir Erwachsenen, wie es sich anfühlt, mit Haut und Haaren zu hören? Wissen wir, dass wir gerade nicht von der Balancier-Scheibe fallen, wenn wir die Augen geschlossen haben, weil der Gleichgewichtssinn dann besser funktioniert? Oder dass sich die Erdanziehungskraft neutralisiert, wenn sich der von der Decke hängende 400 Kilostein bewegt und wir deshalb, wenn wir auf ihm hin und her schaukeln, das Gefühl haben, schwerelos zu sein wie ein Engel? All diese wirklich sinnlichen Erfahrungen, die uns ja ganz unmittelbar und hautnah be-treffen, sind uns heute tatsächlich fremder und ferner als beispielsweise die Funktion irgendeines

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komplexen Apparates. Genau aus dieser Erkenntnis, dass der moderne Mensch sinnlich verarmt sei, hat der vielseitige Menschenkundler, Philosoph, Mathematiker, Künstler und Schriftsteller Hugo Kükelhaus das „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne" in Form eines Parcours aus 60 Versuchsstationen entwickelt. Das, was seit 1996 in der denkmalgeschützte ehemalige Fördermaschinenhalle des Schachtes Zollverein 3/7/10 an der Grenze von Katernberg und Schonnebeck zu erleben ist, lehrt uns das Besondere im Alltäglichen und schult Vertrauen auf eigenes Wahrnehnen. Im Ursprung auf Goethes Farbenlehre und den Erkenntnissen Rudolf Steiners und der Pädagogik von Maria Montessori fußend, beeinflusste Kükelhaus eine ganze Erzieher/-innen-Generation. Kükelhaus hat sich Zeit seines Lebens damit beschäftigt, wodurch sich Phänomene des Klangs, des Lichts oder der Bewegung spielerisch erleben lassen, Seine Frage: „Wie kann der Mensch wieder leib-haftig werden, fähig zur bewussten Wahrnehmung seiner Organe, um mit sich selbst in Einklang zu kommen?" Ein Phänomen war Hugo Kükelhaus aber auch selbst. 1900 in Essen-Rüttenscheid geboren und aufgewachsen, lernte er zunächst Tischler und Zimmermann. Er studierte später Mathematik, Medizin, Philosophie und Soziologie, war schließlich Bildhauer, Schriftsteller und Grafiker und arbeitete als Berater für „organgerechtes Bauen" im Krankenhaus-, Heim- und Schulbau. Es heißt, Kükelhaus sei ein Träumer gewesen, weil er alles daran setzte, den Menschen wieder in Einklang mit seiner als „göttlich erkannten und anerkannten Natur" zu bringen. Angesichts seines beachtlichen Lebenswerks, das außer der praktischen Arbeit zahlreiche Bücher und theoretische Schriften zu seinen Forschungen enthält, muss Kükelhaus ein sehr wacher, vor allem tatkräftiger und engagierter Himmelsstürmer gewesen sein, der seine Vorstellungen und Träume durchaus zu


realisieren und vieles in Bewegung zu setzen wusste. Das Erfahrungsfeld, das Kükelhaus in Zusammenarbeit mit der Max-PlanckGesellschaft entwickelte, wurde der Öffentlichkeit erstmals im deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1967 in Montreal vorgestellt. Vierzehn Jahre später und drei Jahre vor seinem Tod gab der bereits 81-jährige Forscher seinen „Sinnen-Wandel" dann in die Obhut von Jürgen Binder, Rechtsanwalt und ehemaliger Mitarbeiter von Joseph Beuys, und dessen Frau Cornelia. Diese schickten das Erfahrungsfeld zunächst als eine Art Wanderzirkus mit 13 Wagen und vier Zelten rund 60 mal auf Tournee durch das In- und Ausland, bis es 1990 zu ersten Kontakten mit der IBA Emscherpark kam und im Zuge jener groß angelegten Renaturierung und Kultivierung des Ruhrgebiets die Idee entstand, das Erfahrungsfeld sesshaft werden zu lassen. Ihm in der ehemaligen Maschinenhalle von Zollverein 3/7/10, eine dauerhafte Bleibe einzurichten – obendrein in der Geburtsstadt des Begründers, schien geradezu sinn-fällig. Ende 1996 war es dann so weit: Der aus dem Jahr 1913 stammende dreiteilige Gebäudekomplex mit einem nun über drei Etagen eingerichteten Erkundungspfad für die Sinne feierte Eröffnung. Behutsam und denkmalgerecht umgebaut, sind mit begrüntem Dach, einer Sonnenkollektorenanlage und dem mit Strahlungswärme arbeitenden Temperiersystem aus Heizrohren sogar die ökologischen Prinzipien und Ansprüche zur Anwendung gekommen, die Kükelhaus einst an das Bauen stellte. Seitdem kann man auf eine verblüffend einfache und sehr eindrucksvolle Weise erfahren, „wie das Auge sieht, das Ohr hört, die Hand begreift, die Haut fühlt, das Hirn versteht, das Blut pulst, der Körper schwingt", im Sinne also, wie Kükelhaus es formulierte. Doch so außergewöhnlich, so ästhetisch, so aufwendig gemacht oder pädagogisch sinnvoll man das Erfahrungsfeld auch erleben mag und es für wichtig hält, dass die Einrichtung dau-

erhaft in Essen beheimatet ist, kämpft die Einrichtung am festen Standort mit dem großen Handikap vieler Museen, Stiftungen und Kunsteinrichtungen: Ist der Standort erst einmal bekannt und in den verschiedenen regionalen Zeitungen wie Rundfunkanstalten vorgestellt worden und medienmäßig „abgearbeitet”, ist es äußerst schwierig, immer wieder aufs Neue für öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen – zumal für eine Einrichtung, die nicht kommunal getragen oder unterstützt wird und die, um sich finanzieren zu können, auf viel Publikum angewiesen ist. Zu der in den letzten Jahren schwieriger gewordenen Situation kommt die etwas abgelegene Adresse hinzu. Besucher, die zuerst auf dem „Flaggschiff” Zollverein XII landen, müssen noch einen zusätzlichen Weg bewältigen, um ihren Sinnen am Handwerkerpark freien Lauf zu lassen.

Wer das Erfahrungsfeld jedoch erlebt und die vielen neuen Eindrücke an Duftbaum, Summstein, den gewaltigen Gongs, vor Spiegelkaleidoskopen, auf den Hängebrücken, an der Riechorgel oder in den Farb- und Lichträumen gesammelt hat, der bekommt eine Idee davon, was Kükelhaus mit „wieder leibhaftig werden" gemeint haben könnte: Eine tiefere Einsicht in die Zusammenhänge von Mensch und Natur in einer Weise erschließen, wie sie sich in keinem Buch und von keinem Vortrag vermitteln lässt. Wie sich das anfühlt, muss man erlebt haben. Überflüssig zu sagen, dass dieses Erlebnis den Namen eines wirklich „sinnlichen” verdient hat. Nur Fliegen ist schöner!

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KONTAKT ERFAHRUNGSFELD ZUR ENTFALTUNG DER SINNE ZOLLVEREIN SCHACHT 3/7/10 AM HANDWERKERPARK 8-10 45309 ESSEN TEL. 0201 / 30 10 30 E-MAIL: INFO@ ERFAHRUNGSFELD.DE WWW.ERFAHRUNGSFELD.DE ÖFFNUNGSZEITEN: MO - FR 9 - 18 UHR SO 11 - 18 UHR UND NACH VEREINBARUNG. SAMSTAGS GESCHLOSSEN


FORMEN DASS DIE KUNST AUF ZOLLVEREIN NICHT NUR IN DEN KÖPFEN STATTFINDET, SONDERN DIREKT ZUR TAT SCHREITET, ZEIGT DIE ARKA KULTURWERKSTATT SEIT MEHR ALS ZEHN JAHREN.

DIE ARKA KULTURWERKSTATT Lange, bevor Zollverein Weltkulturerbe wurde und die „Bauhütte Zeche Zollverein Schacht XII" die behutsame Sanierung der einzelnen Hallen Schritt für Schritt in die Wege leitete, lautete das Motto der neuen Nutzung „Kunst und Design auf Zollverein". Was sich uns heute längst als ein differenziertes Bild aus Agenturen, Design Zentrum und verschiedenen Kulturinstitutionen zeigt, hat sich über die Jahre langsam aufgebaut und immer wieder etwas verändert. In den ersten Jahren stand noch eindeutig die Kunst im Vordergrund. Mehrere Ateliers waren an Künstler vermietet, denen man wie dem Bildhauer Stefan Pietryga oft im Freien bei ihrer Arbeit zusehen konnte; die Hallen wurden mit Ausstellungen zeitgenössischer Kunst z.B. von der Städtischen Galerie des Museum Folkwang bespielt und es gab die Galerie „Zollverein Ausstellungen", die mit Schauen international bekannter Künstlerinnen und Künstler interessiertes Publikum auf das Industriedenkmal lockte.

Inzwischen hat die Zahl der Designbüros zugenommen, der Bildhauer lebt in Potsdam und wo die Galerie war, sind die lichten, großen Räume Bürozwecken angepasst worden und beherbergen aktuell die Entwicklungs-Gesellschaft Zollverein EGZ. Doch auch wenn sie bei all dem, womit Zollverein in den jüngsten Jahren in der Öffentlichkeit stand, nicht mehr allzu oft Erwähnung findet, gibt es sie noch, die Kunst auf Zollverein!

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Und zwar sehr rege und kontinuierlich in der ARKA Kulturwerkstatt. Die als „Verein für Bildung, Kunst und Kultur“ eingetragene Einrichtung hat alle Entwicklungen überdauert und schlicht ihr Programm fortgeführt, das sie bereits seit 1994 in den Erdgeschossräumen der Halle 12 verwirklicht. Der Name leitet sich von „Arche“ ab und entsprechend versteht sich die ARKA als Treffpunkt für Kunstinteressierte, der jedem offen steht, um sich selbst künstlerisch zu betätigen oder die Werke und Produktivität der ausgestellten Künstler zu verfolgen. Die „Arkaneser", wie sich die acht ehrenamtlich tätigen Mitglieder nennen, bieten Kurse, Workshops und Akademien an, organisieren jährlich mehrere Ausstellungen und sind mit ihrem Engagement nicht nur für den Essener Norden längst zu einer gut besuchten Institution geworden. Ihr Kursangebot umfasst von A wie Aquarellieren, Acrylmalerei oder Aktzeichnen, über Buchbinden, Collagetechnik, Fotografie, Mappenbau, Pappmaché bis zur Kalligrafie, Radierung oder Ölmalerei alles, was die bildende Kunst hergibt. So fördern die Künstler und Vereinsmitglieder seit Jahren auch die kulturelle Breitenarbeit des Bezirks, indem sie Weiterbildung in allen künstlerischen Disziplinen anbieten. Sie geben der Bevölkerung ein Forum, in welchem sie selbst auf Zollverein aktiv sein und sich künstlerisch austauschen kann.


Als sie die ARKA 1977 ins Leben riefen, waren ihre Begründer noch Kunststudenten an der Uni Essen. Heute arbeiten sie auch außerhalb ihrer Kulturwerkstatt meist als Lehrer oder sind freischaffend als Künstler tätig. Inzwischen lassen sich auf dem Welterbe jährlich gut 1.000 Kursteilnehmer in die verschiedenen künstlerischen Fertigkeiten wie Techniken einführen und lernen das Rüstzeug kennen, mit dem sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Eine ganze Reihe der Teilnehmer besucht die Kurse schon seit Jahren und hat hier auf Zollverein einen Ort gefunden, der sie in seiner besonderen Ausstrahlung inspiriert und in der Halle 12 zugleich eine Art Heimat gibt, in der sie ihren persönlichen Ausdruck finden. Dass ihr Angebot in der Öffentlichkeit so gut ankommt und die ARKA ganz klar auch von der Bedeutung des Standorts Zollverein profitiert, hat die Mitglieder längst dafür entschädigt, dass sich die anfänglichen Zusicherungen der Stadt nicht alle erfüllten. Zu Beginn war nämlich geplant, dass die ARKA zusätzlich eigene Atelierräume bekommt und eine Jugendkunstschule eingerichtet wird. Doch daraus wurde schon aus Platzgründen nichts. Die Halle 12, die nach wie vor vom Kulturbüro der Stadt Essen verwaltet wird, war und ist als Bürgerbegegnungsstätte konzipiert. Mit unterschiedlich großen Räumen, die temporär vermietet werden, steht

sie der Kulturszene oder den örtlichen Vereinen zur Verfügung, die hier feiern und Veranstaltungen durchführen können. Der rechte Flügel der sogenannten Kulturstraße im Erdgeschoss ist vermietet, etwa an die Galerie und Werkstatt SchmuckProdukt, so dass sich die anfänglichen Ideen und Wünsche der „Arkaneser" nicht realisieren ließen und sie ihrer eigenen künstlerischen Arbeit nun woanders nachgehen müssen. Kunstschule und eigene Ateliers wären auch finanziell schwierig zu tragen gewesen, denn die ARKA ist keine städtische Institution und muss sich selbst tragen. Da sie aber öffentliche kulturelle Breitenarbeit leistet und nicht nur für die Künstler des Stadtteils unverzichtbare Anlaufstelle geworden ist, muss sie keine Miete bezahlen. Für die Infrastruktur, die Deckung der Versand- und Druckkosten von Programmen und Einladungen, bekommt sie außerdem zusätzlich einen kleinen Etat. „Was uns im Unterschied zur VHS ausmacht", bringt Michael Siewert, ein langjähriger „Arkaneser" die positive Resonanz auf ihre Arbeit auf den Punkt, „sind die private Atmosphäre und Lässigkeit. Wir geben nicht nur Unterricht, sondern gehen auf die Teilnehmer persönlich ein". So wird der Einzelne individuell gefördert und bekommt die Gelegenheit, seine Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Ausstellungen der ARKA präsentieren nicht nur Werke von bereits bekannten Künstlern, sondern

wechseln sich immer wieder mit der Ausstellung der Kursteilnehmer/-innen ab, nicht zuletzt, um über das vielfältige Spektrum ihres Kursangebots zu informieren. Am Ende jedes Jahres findet schon traditionell die Jahresausstellung statt, in der die ARKA Künstlergruppe selbst ihre Arbeiten zeigt und in der Vorweihnachtszeit nochmals alle Freunde und Interessierten einlädt.

KONTAKT ARKA KULTURWERKSTATT ZECHE ZOLLVEREIN XII GELSENKIRCHENER STRASSE 181 45309 ESSEN TEL: 0201 / 30 61 40 E-MAIL: ARKA.ESSEN@ FREENET.DE WWW.ARKAKULTURWERKSTATT.DE

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ÜBER GRENZEN GEHEN EIN GANG AUF DIE „HIMMELSTREPPE” UND DIE FRAGE, WAS DENN DIE CHANCEN VON KATERNBERG SEIN KÖNNTEN, VERANLASSTEN DEN AUTOR DIESER BROSCHÜRE ZU EINER EINFACHEN UND PERSÖNLICHEN ANTWORT.

DIE WEITEN DES REVIERS Gesetzt den Fall, dem kleinen Dragan würde auf dem Schulhof der Herbartschule beim Spielen in der Pause der Ball über den Zaun fliegen und in der Grünanlage dahinter landen. Dann müsste seine Lehrerin zum Zurückholen des runden Sportgeräts - rein dienstrechtlich versteht sich - einen Reiseantrag ausfüllen. Der Ball läge, selbst wenn er nur gerade eben hinter den Zaun gekullert wäre, nicht nur auf

einem „fremden" Grundstück, in einem anderen Stadtteil, etwa in Schonnebeck statt in Katernberg. Es wäre weniger bemerkenswert als in diesem Fall, wo der Ball beim Überfliegen oder Überkullern nicht nur das Schulgelände hinter sich gelassen hat, sondern von Essen nach Gelsenkirchen geflogen ist und folglich in einer anderen Stadt landete. Der an manchen Stellen eingedrückte Schulzaun mar-

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kiert exakt die Grenze - und zwar nicht nur der beiden Städte, sondern weit mehr als das. Der Zaun trennt zugleich die Zuständigkeiten zweier Landschaftsverbände des künstlich zusammengefügten Bundes-Landes Nordrhein-Westfalen. Der Ball in unserem Bild überflog außerdem noch - ein Fest für Verwaltungsjuristen und Glossenschreiber- die Grenze zweier Regierungsbezirke, deren machtvolle Präsidenten in Düsseldorf und im fernen Münster sitzen. Der eine ist für Essen, der andere für Gelsenkirchen die übergeordnete Regionalbehörde. Sollte Dragans Schuss - rein theoretisch - so mächtig gewesen sein, dass der Ball ein paar Kilometer weiter auf Bochumer Grund gelandet wäre, hätte das sogar die Zuständigkeit des Regierungspräsidenten im sauerländischen Arnsberg berührt. Dort, wo sich die Regierungsbezirke geographisch mitten in der „Städtestadt Ruhrgebiet" berühren, sieht man nicht den Eiffelturm oder das Kolosseum, die Akropolis, sondern majestätisch von Ferne die „Himmelstreppe" auf der Haldenspitze der früheren Zeche Rheinelbe in Gelsenkirchen. Es macht zum einen die Eigenartigkeit, vielleicht den Charme und zugleich auch die ungemeinen Potentiale des „Reviers" aus, zugleich alle Gegebenheiten von großen Städten zu bieten - und dies nicht nur gemessen an der Zahl der Opernhäuser und der Bundesligaclubs.


Zum anderen aber besitzt es ein Kapital, das in anderen (Stadt-) Regionen teuer bezahlt werden muss, nämlich Platz. Zum anderen begünstigt gerade die „Vielheit" der Städte und der Stadtteile. Im Gegensatz zur gängigen Vorstellung, es bräuchte für die Entwicklung einer Region ein starkes Zentrum, macht es für die Zukunft gerade die Stärke des Ruhrgebiet aus, polyzentrisch aufgebaut zu sein. Schwache Netze – so sagt es der Philosoph Herrmann Lübbe – begünstigen und benötigen starke, beherrschende Zentren. Starke Netze jedoch brauchen diese Zentren nicht, sondern bedingen den intensiven Zusammenhalt und den Kraft- oder Informations-Transfer zwischen vielen Knoten. Dies belegt die Physik eines Fischernetzes ebenso wie das Internet und – als Beispiel für die Region der Zukunft – das Ruhrgebiet. Voraussetzung dafür, dass das Ruhrgebiet von diesen Stärken profitiert, ist allerdings, dass es seine Vernetzungs-

talente und Potentiale auch ausspielt. So wie es 2005 bei der Bewerbung um die Nominierung zur Kulturhauptstadt überzeugte, weil es vernetzt und authentisch auftrat. Und weil alle Theorie grau ist und der Kern aller Revierweisheit sagt: „Entscheidend is auf’m Platz”, haben gerade die aus der Praxis geborenen Kooperationen und Konzepte die besten Chancen – etwa die Kooperation des „Städtenetz Soziale Stadt” und hier konkret die nachbarliche Kommunikation von Essen und Gelsenkirchen. Vor Ort hat eben Katernberg wunderbare Chancen durch seine „vernetzte Vielheit” in einem jünger, bunter, aber nicht zwingend ärmer werdenden Ruhrgebiet von morgen: Mit einer Menge von hochmotivierten Akteurinnen und Akteuren, auch und gerade im pädagogischen Bereich, und vielen wachen, wissbegierigen Kindern. Insofern ist es kein Zufall, sondern zwingend, dass eine Magazingeschichte im „Stern” über „Das wahre

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Elend” und eine Broschüre für die Stadt Essen über die Chancen eines „Stadtteils mit besonderem Erneurungsbedarf” im Fazit zum gleichen Ergebnis kommen, wenn es um die Frage geht: „Was hilft und was wird gebraucht?” Die Antwort lautete im „Stern” kurz vor Weihnachten 2004 zehnfach (!) und sei deshalb hier nur einfach wiederholt: „Bildung!” „Bücher und Brötchen” statt „Pommes und Playstation”. Internet und Fernsehen machen bekanntlich die Schlauen schlauer und die Dummen dümmer. Wir haben es in der Hand, sie richtig zu nutzen. Sorgen wir also dafür, dass die Kinder – in Katernberg und überall auf der Welt – noch viel schlauer werden! Holger Krüssmann


NETZWERKE FÖRDERN UND NUTZEN

MIT ERFAHRUNGSTRANSFER UND GEMEINSAMER KOMPETENZ ARBEITEN KOMMUNEN IN NRW AN DER ENTWICKLUNG IHRER STADTTEILE MIT BESONDEREM ERNEUERUNGSBEDARF.

STADTTEILENTWICKLUNG FÜR NORDRHEIN-WESTFALEN Das Städtenetz Soziale Stadt NRW (vormals „Städte-Netzwerk für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf”) ist ein von Stadtteilkoordinatoren initiierter freiwilliger Zusammenschluss der Kommunen, die sich am Landesprogramm „Soziale Stadt NRW” beteiligen oder noch in der Planungsphase sind. Die Initiative zur Gründung entstand 1994 aufgrund einer Reihe von praktischen Fragen in den Städten, die sich mit der Umsetzung integrierter Handlungsprogramme auf der Arbeitsebene ergaben. Das Netzwerk bietet in regelmäßigen Treffen große Informationsdichte und den „kurzen Draht" zu allen, die an ähnlichen Fragen arbeiten. Die Themen sind – Bürgerbeteiligung und -aktivierung, – Herstellung lokaler Öffentlichkeit, – Einbindung der Institutionen in den Stadtteil, – Förderung der lokalen Ökonomie, Schule, Jugend, Kultur und interkulturellem Zusammenleben, – Organisation, Finanzierung, Manage-

ment und Nachhaltigkeit von Stadtteilprojekten und vieles mehr. Letztlich geht es darum, durch das Netzwerk die Suche nach Lösungen für Einzelne zu vereinfachen. Als neue Aufgabe ist hinzu gekommen, die Arbeit in den Stadtteilen durch systematische Analysen, Zielfindung und Evaluation zu professionalisieren, etwa durch Projektbörsen, Infotransfers, Veröffentlichungen und die Durchführung bzw. Beauftragung zu gemeinsamen Vorhaben, wie z.B. Beratungsleistungen zu Förderprogrammen und das Training für angehende Moderatoren u.ä. Mit dem Netzwerk soll das Thema „Integrierte Stadtteilentwicklung / Soziale Stadt" öffentlich gemacht werden, nicht zuletzt, um eine aktive Unterstützung aus der Politik zu erhalten. Hierbei nimmt das Städtenetz die Funktion des Problemanzeigers und Mediatiors wahr. Neben den im Städtenetz verbundenen Städten sind Institutionen aus der Wissenschaft, der Beratung sowie interme-

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diäre Einrichtungen eingebunden. Ebenso ist als bundesweit tätige Einrichtung das Deutsche Institut für Urbanistik DIFU beteiligt. Das Städtenetz ist angebunden an den Städtetag NRW. Mit dem Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW besteht eine enge, teilweise vertraglich gebundene Zusammenarbeit. Ebenso steht das Netzwerk in regelmäßigem Kontakt zu den Landesministerien, speziell dem federführenden Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport MSWKS sowie zu den Bezirksregierungen in NRW. Eine im April 2003 zwischen dem MSWKS und dem Städtenetz Soziale Stadt NRW geschlossene Kooperationsvereinbarung bildet die Basis der Zusammenarbeit, um verstärkt und gemeinsam mit weiteren Bündnispartnern die Entwicklung belasteter Stadtteile zu gestalten. Ein Beirat aus Vertretern der Städte regelt die grundsätzlichen Fragen der Zusammenarbeit, der Mittelverwen-


AACHEN (OST) AHLEN (SÜD-OST) BERGHEIM (SÜD-WEST) BONN (DRANSDORF) BOTTROP (BOY-WELHEIM, LEHMKUHLE-EBEL) DETMOLD (HERBERHAUSEN) DINSLAKEN (LOHBERG) DÜREN (SÜD-OST) DÜSSELDORF (FLINGERNOBERBILK) DUISBURG (BRUCKHAUSEN HOCHFELD, MARXLOH) ESSEN (ALTENDORF, KATERNBERG) GELSENKIRCHEN (BISMARCK, SCHALKE-NORD, SÜDOST) GLADBECK (BUTENDORF) HAGEN (ALTENHAGEN, VORHALLE) HAMM (WESTEN) HERNE (BICKERN-UNSER FRITZ, HORSTHAUSEN) KREFELD (SÜD) MONHEIM (BERLINER VIERTEL) OBERHAUSEN (LIRICH, KNAPPENVIERTEL) RATINGEN (WEST) RECKLINGHAUSEN (SÜD) REMSCHEID (ROSENHÜGEL) SIEGEN (FISCHBACHERBERG) SOLINGEN (FUHR) WUPPERTAL (OSTERSBAUM). dung und des Arbeitsprogramms. Zwei Sprecher, Klaus Wermker, Leiter Büro Stadtentwicklung der Stadt Essen, und Michael von der Mühlen, Stadtdirektor Gelsenkirchen, vertreten das Netzwerk nach außen. Auf der Arbeitsebene existieren: – die reguläre, einmal pro Monat stattfindende Netzwerksitzung mit durchschnittlich ca. 25-30 Teilnehmern aus allen Stadtteilen und kooperierenden Fachinstituten mit jeweils einem aktuellen Fachinput sowie Raum für aktuelle Informationen und Fragen, – diverse Arbeitsgruppen (wie z.B. zur Arbeitsmarktpolitik in der Stadtteilerneuerung, Verwendungsnachweis/ Controlling, Raumorientierung). – Je nach Bedarf werden z.B. zur Vorbereitung gemeinsamer Veranstaltungen Vorbereitungsgruppen, auch mit dem Land NRW, eingesetzt. – Aktuelle Informationen zu Fördermodalitäten, Wettbewerben, politischen Planungen werden laufend von der Geschäftsstelle recherchiert und per Mail an die Mitglieder versandt.

Die Geschäftsstelle des Netzwerks hat ihren Sitz in Essen und ist dort beim Büro Stadtentwicklung angesiedelt, wobei die Stadt Essen die Infrastruktur der Geschäftsstelle sowie die nebenamtlich eingesetzte Geschäftsführung stellt. Seit 1999 wurde die Arbeit durch die Unterzeichnung von Kooperationsvereinbarungen, die mit der Zahlung von Mitgliedsbeiträgen verbunden ist, verstetigt. Mit der Förderzusage konnte die Arbeit um gemeinsam vertretene Projekte erweitert werden. Dies sind insbesondere die vier landesweiten Evaluationsvorhaben zum Stadtteilerneuerungs-Programm in den Jahren 200406, ferner die Entwicklung gemeinsamer Informationsplattformen und Präsentationen (Logo, Internetauftritt, Ausstellungen) Hinzu kommt die Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen, etwa 2005 die landesweite Veranstaltung B.E.S.T. „Bürger-Engagement im Stadtteil" mit Bürger- und Projektgruppen aus allen Stadtteilen.

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Städtenetz Soziale Stadt NRW

Darüber hinaus ist das Städtenetzwerk seit 2003 Auftraggeber für die Beratung des Landesprogramms „Initiative ergreifen" und des „Projektaufruf Ruhr: Initiative in Stadtteilen und Siedlungen".

KONTAKT PROJEKT SOZIALE STADT NRW GESCHÄFTSSTELLE IM BÜRO STADTENTWICKLUNG DER STADT ESSEN RATHAUS PORSCHEPLATZ 45121 ESSEN TEL. 0201 / 88 - 88 730 E-MAIL: STAEDTENETZ@ STADTENTWICKLUNG.ESSEN.DE WWW.SOZIALE-STADT.NRW.DE


Impressum HERAUSGEBER STADT ESSEN BÜRO STADTENTWICKLUNG RATHAUS PORSCHEPLATZ 45121 ESSEN TEL. 0201 / 88 - 88 710 E-MAIL: INFO@ STADTENTWICKLUNG.ESSEN.DE TITEL, KONZEPT, REDAKTION HOLGER KRÜSSMANN WWW.HOLGERKRUESSMANN.DE TEXTE H. KRÜSSMANN, KIRSTEN MÜLLER GESTALTUNG, LAYOUT STEPHAN SCHWEINHEIM WWW.GRAFIK-RAUM.DE FOTOS H. KRÜSSMANN (70) STEFAN MARIA ROTHER (2) NORBERT ZINGEL (1) KZA ARCHITEKTEN (2) SANAA ARCHITKTEN (1) ARCHIV EVGL. KIRCHE ESSEN KATERNBERG (3) STIFTUNG ZOLLVEREIN (1) ARKA-KULTURWERKSTATT (3) PHOTOCASE (3) KALLE KRAUSE (2) P.A.C.T.-ZOLLVEREIN (3) GROSSE-BREMER (2) CARL-MEYER-SCHULE (1) XOX DRUCK DRUCKEREI GIESEN, RHEINBERG WWW.FLYINGDACKEL.DE 4/2005




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