heilpädagogik aktuell, Nr. 18, Sommer 2016

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8 — Abschlussarbeit

heilpädagogik aktuell — Sommer 2016

Mit Zaubertricks lustvoll Sprache fördern Zaubern als gezielte Arbeit mit sprachauffälligen Kindern? Wie das geht, zeigen Ilona Spiess und Stefanie Zahner in ihrer Bachelorarbeit, und in 30 Videoclips. Prof. Wolfgang G. Braun

Das Zaubern ist eine Form zwischenmensch­ licher Kommunikation. Es lebt vom Aus­ tausch mit dem Publikum und lässt sich mit verschiedenen Therapieinhalten ver­ knüpfen. Die rituellen Elemente, das Ver­ stehen des Trickeffektes, die kindliche Neugier sowie die Aufmerksamkeit der Zu­ schauer wirken auf das Kind sehr motivie­ rend. Es ist daher naheliegend, Zaubern als ein didaktisches Mittel zur Förderung sprachlicher, motor­ischer, kognitiver und sozial-emotionaler Fähigkeiten einzusetzen, auch in der Sprachtherapie. Für die Fachkräf­ te ergeben sich dadurch neue Ansatz­ möglichkeiten, für die Lernenden – auf ­besondere Art – Entwicklungschancen. Auch für Ilona Spiess und Stefanie Zah­ ner waren solche Überlegungen leitend.­ Die beiden Logopädinnen haben eine Samm­ lung von Zaubertricks mit spezifischen Sprachförderzielen erstellt, als Anregung für die Praxis. Der Gedanke dazu entstand während ihrer Ausbildung an der Interkan­ tonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich, in Folge einer Lehrveranstaltung zum Thema «Zaubern in der Sprachthera­ pie». Zur Tat schritten die Fachfrauen in ihrer Bachelor­arbeit «Zauberhafte Sprachförder­ ung»: Sie sichteten, entwickelten und erprobten eine Reihe von Zaubertricks, die sich für sprachtherapeutische Zwecke eignen. Ganzheitliche Förderung Ihre Zusammenstellung umfasst 30 An­ leitungen aus den Bereichen «Phonetik/­ Phonologie» (Aussprache), «Semantik/­ Lexikon» (Wort- und Satzbedeutung) sowie «Phonologisches Bewusstsein» (Erkennen von Sprachbausteinen wie Silben oder An­ laute). «Durch die ganzheitlich-kreative ­Herangehensweise des Zauberns», ergänzen Spiess und Zahner, werden zudem «sprach­ liche Bereiche wie sozial-kommunikative oder grammatikalische Fertigkeiten mit angesprochen». Ihre Trick-Sammlung ­ kombi­niert die ressourcenorientierten, lust­ vollen Formen des Zauberns mit sprach­ strukturellen Zielsetzungen für Kinder von vier bis acht Jahren. Verwendung können die Zaubertricks bei Jungen und Mädchen in der Sprachtherapie finden, daneben in einer Sprachförderklasse, etwa im Rahmen eines Zauber-Projekts, oder durch Förder­lehr­ kräfte, die für ihre Förderklientel mit dem Thema Zaubern einen roten Faden legen wollen. Das Zaubern mit dem Fokus Sprach­ förderung kann aber auch im Kindergarten gezielt als Vorbereitung auf den Primarschul­ eintritt oder als Jahresabschlussthema mit Kindervorführung umgesetzt werden. Die Tricks und das Sprachmaterial können individuell ausgesucht werden, zugeschnitten auf die jeweilige Situation. Während der Durchführung des Kunststücks kann z. B. der Anteil an freier Rede variieren, gemäss dem Entwicklungsverlauf bzw. dem Lernstand des Kindes. Bezüglich Laut­ auswahl, Äusserungslänge, Parallelität von Sprechen und Handeln sowie Grammatik können die sprachliche und die inhaltliche Gestaltung der Tricks den Fähigkeiten der Lernenden angepasst werden. In den verschiedenen Umsetzungsschritten – Trick­ vorstellung, Erläuterung, Trickherstellung

Das «Zauberglas» – ein Trick aus dem Praxisbuch zur Sprachförderung.

sowie Üben und Präsentieren der Tricks – wird sprachlicher Input intensiv angeboten bzw. sprachlicher Output evoziert. Es bedarf etwa für das Beherrschen eines Tricks meist einiger Übung und Wiederholung. So kön­ nen sprachfördernde Aspekte motivierend re­petiert werden. Die Förderung des Selbst­ bewusstseins, der Feinmotorik oder des kognitiven Bereiches, welche durch das ­Zaubern ebenfalls mitstimuliert werden, sind traditionell fakultative Elemente einer Sprachtherapie. Bei der pädagogisch-therapeutischen Arbeit mittels Zaubern stehen keine Defizite im Vordergrund. Besonders bei misserfolgs­ geprägten Kindern führt die positive Selbst­ darstellung beim Aufführen eines Zauber­ tricks zu einer Stärkung des Selbstvertrauens. Verbunden mit dieser positiven sozioemotionalen Entwicklung werden die An­gesprochenen in der Kommunikation selbstsicherer und nehmen vermehrt Sprechanlässe wahr. Einsatz in allen Therapiephasen Zaubern ist in verschiedenen Phasen einer Sprachtherapie als didaktisches Mittel anwendbar: Es kann zu Beginn als Weg zum Beziehungsaufbau, zum Kennenlernen und zur Vermittlung erster Erfolgserlebnisse genutzt werden. Während des therapeutischen Prozesses ermöglicht es durch seinen hohen Anreiz hochfre­ quentes, lustvolles Repetieren. Am Ende einer Therapie kommt schliesslich eine Zaubervorstellung in Frage, oder es bieten

sich Transfermöglichkeiten an, z. B. die Tricks in der Schulklasse vor­zuzeigen. Um das Zaubern im Kontext der Sprach­ förderung weiter publik zu machen, diente die Bachelorarbeit von Spiess und Zahner als Grundlage für ein Praxisbuch. Darin werden das Konzept und die Ausführung der Tricks schrittweise beschrieben und grafisch illust­ riert. Ein typisches Problem von Zauberlite­ ratur kam dennoch zum Vorschein: die Ver­ mittlung der Tricks vor allem in Schriftform. Aus einem Text lässt sich die Trickrealisation

Praxisbuch Ilona Spiess und Stefanie Zahner absolvierten ihr Logopädiestudium an der HfH von 2010 bis 2013. Zusammen mit dem Begleiter und Initiator ihrer Abschlussarbeit, Prof. Wolfgang G. Braun, gingen sie anschliessend deren Veröffentlichung an: Das gemeinsame Praxisbuch «Zaubern in Sprachtherapie und Sprachförderung» ist Anfang 2016 im Verlag Schubi Lernmedien AG (Schaffhausen) erschienen. Die Besonderheit des Praxisbuchs ist eine DVD mit allen Trickpräsentationen und den dazugehörenden Erläuterungen. Weitere Informationen, inklusive Beispielvideo, sind verfügbar unter: www.schubi.com.

Reto Schürch (Foto)

in vielen Fällen zu wenig erschliessen, trotz Illustrationen. Um eine bessere Verständlich­ keit zu erreichen, galt es daher einen neuen Weg zu finden. So lag die Idee nahe, die 30 sprachtherapeutischen Zaubertricks nicht nur zu beschreiben, sondern auch in Bild und Ton zu demonstrieren: Für jeden Trick wur­ de ein hochwertiger Videoclip produziert. Die Arbeit daran fand an der HfH in den Räumen der Therapie-Lehr-Praxis statt, in intensiver Zusammenarbeit mit dem Digital Learning Center unter Leitung von Reto Schürch. Die Clips folgen jeweils dem gleichen Aufbau und sind musikalisch untermalt. Nach der Nennung des Tricks wird in einem Standbild das benötigte Material gezeigt. Danach folgt aus der Perspektive des Zuschauers die Trickdemonstration, welche zusätzlich mit einem Off-Kommentar erläu­ tert wird. Ein Standbild mit dem Titel «Gewusst wie» markiert jeweils den Über­ gang zur folgenden Videosequenz, die das Trick­geheimnis lüftet und eine Anleitung zur Durchführung des Kunststücks bietet. Die Clips haben eine Dauer von drei bis ma­ ximal fünf Minuten. Durch die audiovisuelle Aufbereitung sind die Tricks und ihre Geheimnisse problemlos nachzuvoll­ ziehen. Diese Form der Präsentation ist auf dem (Zauber-) Buchmarkt ein echtes Novum. Prof. Wolfgang G. Braun ist Logopäde und Dozent im Departement Pädagogischtherapeutische Berufe. Er bietet u.a. sprachtherapeutische Zauberkurse an.


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