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Servet Tazegül beginnt Trainerkarriere mit Medaille

Bronze in Tokio

Servet Tazegüle und Hakan Recber zeigen stolz die gewonnen Bronzemedaille

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SERVET TAZEGÜL BEGINNT SEINE TRAINERKARRIERE MIT EINER OLYMPISCHEN MEDAILLE

von Helena Stanek

So wie er 2008 als Sportler mit dem Gewinn einer Bronzemedaille in den olympischen Wettbewerb gestartet ist, beginnt das Ausnahmetalent aus Nürnberg auch seine Trainerlaufbahn für die türkische Nationalmannschaft mit einem olympischen Medaillengewinn. In Tazegüls alten Gewichtklasse – 68 kg gewinnt Hakan Recber in Tokio Bronze. Warum dies für den sympathischen Nürnberger, der nun mit seiner Familie in der Türkei lebt, besonders wichtig war und wie er den neuen Taekwondo-Stil im Vergleich zum Stil aus seiner aktiven Zeit einschätzt, verrät er uns im Interview.

DTU: In Sofia beim europäischen Qualifikationsturnier hast du mit deinem Sportler Hakan Recber in deiner alten Gewichtsklasse - 68 kg die Qualifikation für Tokio geschafft. Wie groß war der Druck in Sofia/Bulgarien?

Servet: Der Druck in Sofia war sehr groß. Zunächst musste ich zwei Sportler aussuchen, die auf der Qualifikation für die Türkei kämpfen durften. Als Sportler hat man damit nichts zu tun oder man macht sich keine Gedanken darüber. Als neuer und unerfahrener Trainer ist so eine Entscheidung nicht leicht. Ich habe mich immer gefragt, ob ich die richtigen Personen ausgewählt habe. Aber ich habe einen von zwei Sportlern in Sofia qualifiziert, darum denke ich, dass es die richtige Entscheidung war, diese Sportler zu nominieren. Besonders freut es mich auch, dass sich Hakan in meiner alten Gewichtsklasse - 68 kg qualifiziert hat. Nachdem ich meine Karriere beendet habe, musste ich viel Kritik einstecken. Viele Personen, auch aus der Politik, wollten, dass ich noch weitermache und in Tokio kämpfe. Darum habe ich mich über Hakans Ticket doppelt gefreut. Als Trainer ist man generell aufgeregter, aber die Sportler haben mir sehr vertraut und haben auf mich gehört. Es war ein schönes Gefühl wieder eine Medaille zu gewinnen. In Peking habe ich auch mit einer Bronzemedaille angefangen. Meine Trainerkarriere starte ich nun auch mit einer Bronzemedaille und ich hoffe, dass ich weiter machen kann und in Paris eine Goldmedaille mit einem Sportler erkämpfe.

DTU: Wie gehst du generell mit Druck um? Die Türkei ist ja sehr medaillenverwöhnt?

Servet: Die Türkei hat bisher bei allen Olympischen Spielen seit 2000 eine Medaille gewonnen. Der Druck und die Erwartungen sind hoch. Aber ich habe versucht, den Stress nicht so sehr an mich heranzulassen. Ich habe gesagt: Wenn es klappt, klappt es. – Wenn nicht, dann nicht. Man kann nichts ändern und kann dann nur nach vorne schauen, aus Fehlern lernen und dann auf das nächste Ziel konzentrieren. Das habe ich auch Hakan gesagt. Er ist noch jung und wenn es nicht in Tokio geklappt hätte, wird es in Paris 2024 klappen.

DTU: Du hast mir mal in einem Trainingslager gesagt: „Helli, Taekwondo ist doch total einfach. Kommt er mit dem vorderen Bein, machst du indirekt Doppel-Paltung. Kommt er mit dem hinteren Bein, drehst du Dwitt-Chagi oder Pande. War es in deiner aktiven Zeit wirklich so einfach? Was war dein Erfolgsrezept?

Servet: In meiner Zeit war Taekwondo natürlich nicht einfach. Aber ich habe das für mich trotzdem immer so gesehen. Für jeden Zug gibt es auch einen Konterzug. Und wenn man die Gegner analysiert, dann muss man eigentlich nur Reflexe, Kondition und Ausdauer trainieren. Das Training war hart, und ganz und gar nicht einfach. Aber wenn ich gut trainiert hatte und ich fit auf die Matte gegangen bin, waren die Vorkämpfe angenehm zu kämpfen. Halbfinal- und Finalkämpfe sind immer anstrengend.

DTU: Und heute? Wie schwer ist es für dich, diesen neuen Stil zu akzeptieren und nun auch mit deinen Athleten zu trainieren?

Servet: Taekwondo hat sich sehr verändert. Man braucht heutzutage Kämpfer, die dünn und lang sind und die ein gutes Distanzgefühl haben. Früher hat man vielleicht nicht so viel Stabilisationstraining gemacht. Nur wenn man verletzt war. Aber heutzutage muss man viel mehr Kondition- und Athletiktraining machen. Das liegt daran, weil jeder das Gleiche macht. Und am Ende gewinnt derjenige, der die bessere Ausdauer hat. Ausdauer, Kraft und Kondition ist heutzutage echt sehr wichtig. Ich sage meinen Sportlern immer: „Taekwondo ist einfacher geworden, aber erfolgreich zu werden, ist schwieriger geworden, weil die ganze Welt mit dem gleichen System kämpft.“ Es gibt selten Sportler, die dominieren. Auf den Turnieren ist dann auch alles möglich und das sage ich auch meinen Sportlern. Auch die besten der Welt sind zu schlagen, wenn man an sich arbeitet.

DTU: Wenn man deine Liste an Erfolgen anguckt, gehörst du zu den herausragenden Sportlern in unserer Sportart. Das, was du auf der Fläche geleistet hast, hat viele Zuschauer, Trainer und Kampfrichter zum Staunen gebracht. Was war der schönste Moment in deiner Karriere?

Servet: Mein schönster Moment war natürlich die Olympia-Goldmedaille und die zwei WM-Goldmedaillen. Mein WM-Finalkampf 2011 war extrem schwer. Ich bin in dem Kampf noch mal zurückgekommen und habe am Ende doch noch Gold gewonnen, nachdem der Anfang vom Finale nicht gut lief. Das war ein ganz besonderes Glücksgefühl. Die Goldmedaille ein Jahr später (also 2012) in London musste kommen, da ich ja auch amtierender Weltmeister war. Nach Bronze in Peking musste für mich in London Gold kommen. Das sind die zwei Turniere, die mich sehr glücklich gemacht haben, weil ich mein Ziel erreicht habe. 2015 hatte ich keinen guten Start und ich war verletzt. Ich konnte die internationalen Turniere nicht so erfolgreich abschließen wie gewohnt. Darum hat keiner mit mir auf der WM gerechnet. Alle haben mir gesagt, dass ich auch mit dem Vorderbein kämpfen soll. Es würde nicht klappen, wenn ich meine Drehtechniken mache. Ich sollte mehr CutTechniken machen. Bei der WM wollte ich der Welt dann zeigen, dass es mit dem alten System immer noch klappt. Wenn man daran arbeitet und es immer wieder versucht, kann man auch mit dem alten System Gold gewinnen. Darum habe ich mich 2015 besonders über die Goldmedaille gefreut.

DTU: In Tokio haben wir erfahren, dass die Mutter von dem russischen Sportler Maksim Khrmatcov kurz vor den Spielen verstorben ist. Dir ging es in London ähnlich. Magst du darüber reden? Wenn ja: Was hat dieser Schicksalsschlag kurz vor den Spielen in dir bewirkt?

Servet: Nach dem Tod meiner Mutter ist es für mich schwer gewesen zu trainieren. Mir hat komplett die Motivation gefehlt, auf die Matte zu gehen und zu trainieren. Der Verband hat mich dann sehr unterstützt und sie haben für mich extra Trainingslager in Nürnberg organisiert, sodass ich bei meiner Familie bleiben konnte. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe meiner Mutter versprochen, dass ich die Goldmedaille holen werde. Sie hat immer an mich geglaubt. Und das war auch die Motivation für mich, mich zu 100 Prozent auf den Kampf zu konzentrieren. Für Maxim tut es mir sehr leid. Es ist wirklich nicht leicht und ich denke, ihm ging es genauso wie mir 2012. Auch er hat bestimmt seiner Mutter ein Versprechen gegeben und darum hat er Gold geholt.

DTU: Wer dich kennt, weiß, dass du ein sehr sympathischer und bodenständiger Mensch bist. Hat dir in Deutschland phasenweise die Anerkennung gefehlt?

Servet: In Deutschland hat mir die Anerkennung nicht gefehlt. Ich wurde vom Bürgermeister eingeladen und habe mich ins Ehrenbuch der Stadt eingetragen. Alle Trainer aus Deutschland haben sich mit mir mitgefreut. Natürlich ist Taekwondo in Deutschland nicht so populär wie in der Türkei. Aber ich war in Deutschland immer zufrieden.

Europameister 2016 - Servet Tazegül mit Tochter Esmira und dem Präsident des Türkischen Verbandes Metin Sahin. Hochzeit von Servet und Melda - Helena war Trauzeugin des Taekwondo-Paares.

DTU: In der Türkei ist ein Stadion nach dir benannt. Doch was ist für dich die größte Anerkennung deiner Leistungen gewesen? Gibt es etwas, was dir nach einem Erfolg besonders viel bedeutet hat?

Servet: Es macht mich natürlich stolz, dass ein Stadion nach mir benannt wurde. Wenn man meinen Namen in Google Maps eingibt, kommt auch die Adresse vom Stadion. Es ist eine der größten Sporthallen der Türkei. Alle Einwohner dieser Stadt kennen mich und wissen, wer ich bin. Die größte Anerkennung ist dies für mich persönlich allerdings nicht. Die schönste Anerkennung ist für mich, zuhause geschätzt zu werden: Von der Familie empfangen zu werden und von denjenigen, die mich wie eine Familie unterstützen. Das sind die Personen, die immer bei mir stehen und mich nicht alleine lassen.

DTU: Seit längerem lebst du nun mit deiner Familie in der Türkei und trainierst dort die Herren-Nationalmannschaft. Wie kam es dazu, dass ihr in die Türkei gezogen seid und fehlt dir etwas, was du in Deutschland hattest?

Servet: 2019 habe ich ein Angebot vom Präsidenten und damaligen Trainer Ali Sahin bekommen. Ali war damals für die Damen und für die Herren zuständig und er meinte zu mir: „Servet ich brauche deine Unterstützung. Die Herren brauchen jemanden, der sich um sie kümmert. Ich schaffe es nicht, da ich mich um die Damen kümmern muss. Es gibt talentierte Herren im Team. Wenn du dich darum kümmerst, kann aus ihnen etwas werden.“ Wir haben uns unterhalten und ich habe ihm gesagt, dass ich mit meiner Frau sprechen muss, ob ich das Angebot annehmen kann. Denn ein Grund, weshalb ich meine Karriere beendet habe, war, dass ich nicht mehr so oft von meiner Familie getrennt sein wollte. Ich habe mit Melda gesprochen und sie hat mich unterstützt, dieses Angebot anzunehmen. Wir haben Taekwondo sehr viel zu verdanken und darum war sie der Meinung, es wäre nun an der Zeit, dem Sport etwas zurückzugeben. Darum sind wir in die Türkei gezogen. Im Moment läuft alles wunderschön, wir sind glücklich hier. Uns fehlt natürlich der Rest der Familie, der noch in Deutschland ist, aber ansonsten vermisse ich nichts.

DTU: Wie hast du diese Olympischen Spiele erlebt, die mittlerweile deine vierten sind?

Servet: Meine mittlerweile vierten Olympischen Spiele waren das jetzt in Tokio, aber sie sind nicht zu vergleichen mit den anderen. Es war wegen der Pandemie viel anstrengender und stressiger. Das Volk hatte Angst, dass die Sportler den Virus mitbringen. Beim Essen musste man immer sehr lange warten. Jeden Tag einen Corona-Test zu machen, ihn frühzeitig abzuholen und ihn rechtzeitig wegzubringen, war stressig. Aber es war natürlich ein schönes Gefühl, dabei zu sein. Nach den Spielen 2016 in Rio habe ich nicht daran gedacht, noch einmal bei Olympischen Spielen teilnehmen zu können. Als Zuschauer ja, aber nicht so wie jetzt. Noch einmal im Olympischen Dorf zu wohnen, hatte ich mir nicht mehr vorstellen können. Aber das Schicksal hat es so gewollt. Es war ein wunderschönes Gefühl bei der Eröffnungsfeier ins Stadion einzulaufen – auch als Trainer. Natürlich gehört nicht mehr mir die Show, sondern den Athleten. Da musste ich mich erst dran gewöhnen, aber ich war glücklich, dabei gewesen zu sein.

DTU: Bist du zufrieden mit dem Abschneiden deines Teams/deines Sportlers?

Servet: Ich bin glücklich über die Medaille, denn bei Olympia ist für mich jede Medaille eine Goldmedaille. Es ist extrem schwer, eine Medaille zu erkämpfen. Acht Gewichtsklassen gibt es eigentlich, bei Olympia sind es nur vier. Da verbinden sich die Gewichtsklassen miteinander. Mein Athlet kämpft normalerweise - 63 kg und hat sich in der - 68 kg-Klasse durchsetzen und sich eine Medaille ergattern können. Im Bronzekampf musste er gegen den amtierenden Vize-Europameister aus der Klasse - 74 kg kämpfen. Das sind 10 Kilogramm Gewichtsunterschied gewesen. Das war kein einfacher Kampf. Deswegen bin ich im Großen und Ganzen zufrie-

den. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren dabei. Natürlich setze ich mir Ziele. Ich möchte nicht nur mit einem Sportler teilnehmen, sondern am besten mit vieren, die sich über die Weltrangliste qualifizieren. Das ist mein Ziel: Mit vier Teilnehmern zu Olympia fahren und vier Medaillen holen.

DTU: Die Türkei beziehungsweise die türkischen Fans sind für ihre lautstarken Anfeuerungen bekannt. Hat euch dies in Tokio gefehlt? Wie ging dein Athlet damit um?

Servet: Natürlich feuern uns die Leute immer stark an. Für meinen Athleten fand ich es in Tokio sogar etwas besser, dass es so ruhig war. Er kommt schnell aus der Kontrolle und wenn er mich dann direkt hört und niemand außer mir etwas ruft, ist es leichter für ihn, mich zu verstehen. Und dann kann er das machen, was ich ihm sage. Ohne Publikum und ohne Anfeuern war es aber eben nicht 100 Prozent Olympia-Atmosphäre, sondern eben nur 50 Prozent. Vor acht- bis zehntausend Zuschauern zu kämpfen, ist ein ganz anderes Gefühl.

DTU: Was bedeutet dir Olympia?

Servet: Für mich bedeutet Olympia die Spitze für jeden Athleten. Allein dabei sein zu dürfen, ist ein großartiges Gefühl. Wenn man dabei ist, hat man schon bewiesen, dass man einer der Besten der Welt ist. Und wenn man dann auch noch eine Medaille erreicht, ist es das Schönste auf der Welt. Es ist wunderschön, dass alle Sportarten zusammentreffen und es eine Organisation gibt, in der man als Sportler erwähnt wird. Ohne Olympia würde unsere Sportart nirgendwo erwähnt. Darum ist es gut, dass Taekwondo bei Olympia dabei ist und auch bleibt.

Info Servet Tazegül:

Geboren am 26.09.1988 Verein: KSC Leopard Vereinstrainer: Nurettin Yilmaz Verheiratet mit Melda Tazegül (geb. Akcan) Zwei Kinder

Erfolge:

Olympische Spiele: Gold 2012 in London/Großbritannien Bronze 2008 in Peking/China

Weltmeisterschaft:

Gold 2011 in Gyeongju/Korea Gold 2015 in Chelyabinsk/Russland Bronze 2009 in Kopenhangen/Dänemark Gold 2004 (Jugend) in Suncheon/Korea

Europameisterschaft:

Gold 2008 in Rom/Italien Gold 2010 in St. Petersburg/Russland Gold 2012 in Manchester/Großbritannien Gold 2014 in Baku/Aserbaidschan Gold 2016 in Montreaux/Schweiz Gold 2005 (Jugend) in Baku/Aserbaidschan 5-facher Europameister. Unbesiegt bei Europameisterschaften seit 2010. 2-facher Weltmeister. Reiste jeweils als Weltmeister zu den Olympischen Spielen 2012 und 2016. 3-facher Olympiateilnehmer (2008,2012, 2016). 2-facher Olympiamedaillengewinner. Gold 2012 in London, Bronze 2008 in Peking.

Europameister 2010 - Servet Tazegül mit seinem Heimtrainer Nurretin Yilmaz und seiner Vereinskollegin, heutigen Ehefrau, Melda Akcan.

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