Hausarzt 10/2021

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Hausarzt medizinisch

Und plötzlich dreht sich alles … Schwindel zählt neben Kopfschmerzen zu den häufigsten Symptomen im Bereich des Nervensystems

Univ.-Doz. Dr. Christian Eggers vom Kepler Universitätsklinikum beantwortet im Gespräch mit dem HAUSARZT häufige Fragen in der Praxis. HAUSARZT: Schwindel ist nicht gleich Schwindel. Was können Gründe dafür sein? Doz. EGGERS: Schwindel kann zahlreiche Ursachen haben und Formen zeigen. Er ist ein Symptom und nicht bei jedem Menschen gleich. Schwindel ist in vielen Fällen harmlos, etwa der periphere Lagerungsschwindel. Allerdings ist dieser sehr unangenehm und kann unmittelbar große Ängste auslösen. Er tritt meist in der Früh beim Umdrehen oder Aufrichten im Bett auf und verursacht sehr häufig Übelkeit und Erbrechen. Er hält in seiner Heftigkeit nur kurz an. Vielen Patienten kommt es jedoch so vor, als ob ihnen den ganzen Tag schwindelig wäre. Wird die Diagnose nicht rechtzeitig gestellt, entwickeln die Patienten Angst – und daraus entwickelt sich ein psychologisch aufrechterhaltener Schwindel bei objektiv gut erhaltenem Gleichgewicht. Das kann im Extremfall so weit gehen, dass sich der Patient nicht mehr aus dem Haus traut. Bei der Neuritis vestibularis tritt ein tagelang anhaltender Drehschwindel auf, der mit Übelkeit einhergehen kann. Der Morbus Menière wiederum äußert sich nicht nur durch

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Oktober 2021

Schwindel kann auch ein Symptom von schweren Erkrankungen sein …? Natürlich. Schwindel tritt oft bei Erkrankungen des Gehirns auf. Die wichtigste ist der Schlaganfall, an welchen bei jedem akut einsetzenden Schwindel gedacht werden muss. Außerdem kommt Schwindel bei Tumoren und Entzündungen vor, u. a. bei Multipler Sklerose oder bestimmten Missbildungen. Ebenso bei HNO-Erkrankungen wie etwa einer Ohrenentzündung oder einer Perilymphfistel. Auch ein Morbus Parkinson kann Schwindel erzeugen, da er zu einer Störung des autonomen Nervensystems mit niedrigem Blutdruck im Stehen führt. Vorsicht ist bei der Halswirbelsäule geboten, die oft für den Schwindel verantwortlich gemacht wird. Dies beruht vermutlich darauf, dass Röntgenuntersuchungen der HWS – außer bei sehr jungen Menschen – fast immer ein Ergebnis bringen. Wirklich schuld ist sie jedoch fast nie. Auf keinen Fall unterschätzen sollte man aber die Nebenwirkung von bestimmten Medikamenten. Wie wird Schwindel vom Patienten empfunden bzw. wie beschreibt er ihn? Das kann durchaus unterschiedlich sein. Je nüchterner ein Patient ist, desto genauer kann er den Schwindel beschreiben, etwa dass er nur bei bestimmten Bewegungen oder nur in der Früh auftritt. Manche Patienten leiden unter einer somatisierten Depression, die quasi „im Körper“ erlebt wird, sodass körper-

liche Symptome im Vordergrund stehen. Wichtig ist es, auf jeden Fall gut zuzuhören. Die klinische Diagnostik ist ausschlaggebend, dazu bedarf es meist nicht vieler Apparate. Einfache Untersuchungen bringen oft schnelle und spezifische Ergebnisse. Eine Besonderheit des phobischen Schwindels bzw. des Schwindels bei somatisierter Depression ist, dass die Patienten zwar Schwindel empfinden, aber ihre Gleichgewichtsfunktion bei objektiver Testung ganz normal oder sogar besonders gut ist. Sie können z. B. problemlos mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen. Diese Patienten berichten nicht selten, dass das Tennisspielen und Fahrradfahren besser funktioniere als das normale Gehen, und auch, dass ihnen unter Alkoholeinfluss weniger schwindelig sei. Welche Fragen stellen Sie bei der Anamnese? Ich bitte den Patienten, die Situationen mit Schwindel minutiös und am besten wie eine Theaterszene zu beschreiben. Wichtig ist, wie oft, wie stark und bei welcher Gelegenheit er auftritt. Ob der Patient an Migräne bzw. Kopfschmerzen leidet oder Ohrsymptome hat, etwa einen Tinnitus oder ein Druckgefühl. Das wäre zum Beispiel ein Hinweis für Morbus Meniére. Auch das Doppeltsehen ist ein wichtiger Punkt, der auf eine Hirnstammstörung wie einen Schlaganfall oder eine Multiple Sklerose hinweisen kann. Die Frage nach Herzkrankheiten wie einer Rhythmusstörung oder nach Symptomen einer Aortenstenose rundet die Anamnese in Richtung kardiovaskulärer Ursachen ab. Das Interview führte Gabriella Mühlbauer.

Experte zum Thema: Univ.-Doz. Dr. Christian Eggers Kepler Universitätsklinikum, Neurologie, Linz

Foto: © Kepler Universitätsklinikum

Foto: © shutterstock.com/ Shlomit Koslowe

Schwindelattacken, sondern auch durch ein einseitiges Ohrgeräusch, durch Hörminderung und ein Druckgefühl. Der sogenannte phobische Schwankschwindel ist eine psychologisch-funktionelle Form, die auf einen organisch begründeten Schwindel folgen und psychologische Ursachen haben kann. Hier kann eine Psychotherapie helfen. Nicht zuletzt kann eine Migräne mit Schwindel und Augenbewegungsstörungen einhergehen (vestibuläre Migräne).


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