Zukunft der Tradition - Tradition der Zukunft

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Die Herausforderung der arabischen modernen Kunst Nada Shabout Es ist überaus beunruhigend, dass am Ende des ersten Jahrzehnts des einundzwanzigsten Jahrhunderts immer noch über die Modernität in der arabischen Kunst nachgedacht wird. Gewiss stellt heute niemand die Geschichtlichkeit der Moderne in der europäischen Kunst infrage, wenn auch einige Versuche unternommen werden, sie neu zu interpretieren. Der naheliegende, wenn auch keineswegs einfache Grund ist die vermutete Identität der Moderne. Das heißt, sie wird weithin als spezifisch moderne europäische Formulierung akzeptiert. Historisch ist eine solche Annahme richtig, da sich die Moderne im Dialog mit und als Antwort auf spezifische geschichtliche Bedingungen in Europa entwickelt hat. Theoretisch ist dies nicht der Fall: denn die Hypothesen, die sich mit diesen geschichtlichen Bedingungen auseinandersetzen, haben ein weit über Europa hinausreichendes Entstehungsfeld, und sie sind unauflösbar mit den politischen Umständen der Zeit verbunden. Bezeichnenderweise beschäftigen sich derzeit mehrere Forschungsvorhaben mit einer Reevaluation der Renaissance, die historisch als ein europäisches, in erster Linie italienisches Konzept verstanden wird. Endlich wird aufgezeigt, dass islamische Einflüsse und Beiträge die Renaissance auf entscheidende Weise ermöglicht haben. Vielleicht kommt die Moderne als nächstes! Es steht außer Frage, dass die Geschichte, wie wir allgemeinhin kennen, neu überdacht werden muss. Es ist demnach zwingend, auf das Format dieser Ausstellung hinzuweisen, da es mit Absicht die visuelle Produktion des Nahen Ostens von der islamischen über die moderne bis zur heutigen Zeit kontextualisiert. (Weil die verschiedenen 42 42

Bezeichnungen umstritten sind, ein Konsens nicht möglich ist und es an Alternativen mangelt, bezeichnet „Naher Osten“ hier die Länder der ehemaligen islamischen Welt.) Die Ausstellung versucht visuell etwas darzustellen, das bei der derzeitigen Feier des gegenwärtigen Augenblicks in der arabischen Kunst als losgelöstem Phänomen fehlt: ein Diskurs der Historizität und Kontinuität ist entweder nicht vorhanden, oder im besten Falle umstritten. Bei der heutigen Angst vor Def initionen, und einer Angst vor scheinbar festgelegten Identitäten, bleibt die Bezeichnung „arabisch“ als Bezeichnung für Kunst immer vage und wird manchmal abgelehnt. Ironischerweise stehen dieselben Künstler, die sich wegen seines Beigeschmacks von politischer, panarabischer Ideologie im Sinne des Nasserismus in Ägypten auf gewisser Ebene gegen diesen Ausdruck sträuben, seinem häufigen – und unrichtigsten – Gebrauch in Bezug auf ihre Arbeit und ihren ethnischen Hintergrund, wie er bei Journalisten und Kuratoren häufig vorkommt, recht ambivalent gegenüber. Ihre Position ist verständlich, denn der Begriff ist vertraut und behaglich, wenn er auch durch seine Generalisierung und seinen Universalismus eine Bedrohung für die postmoderne Situation darstellt. Die Ausstellung Zukunft der Tradition – Tradition der Zukunft kann also einen neuen Diskurs anstoßen, der entscheidende Momente in der visuellen Entwicklung der Region untersucht. Was die Moderne in der arabischen Welt anbetrifft, mag vieles infrage stehen, doch ihr Status als entscheidender geschichtlicher Augenblick steht zweifelsfrei fest. Zudem ermöglichen es weitere

Forschungsarbeiten in diesem Gebiet, dass stets neue relevante Stimmen moderner arabischer Künstler und Kunstvermittler einbezogen werden können, die ihr Verständnis von Moderne und von dem modernen Projekt zu einer bestimmten Zeit formulierten und artikulierten.

Vom Zeitgenössischen zum Modernen Das einundzwanzigste Jahrhundert sah einen neuen Hype zeitgenössischer Kunst aus der Region, die geopolitisch als Naher Osten bezeichnet wird. Weltpolitik und Wirtschaftslage sind zumindest teilweise für diese Anerkennung verantwortlich. Auch ist viel über die Auswirkungen des 11. Septembers 2001 als Wendepunkt für ein neu erwachtes Interesse an „Nahöstlichem“ theoretisiert worden. Ungeachtet der Ursachen war die „globale“ Feier des zeitgenössischen Kunstschaffens, wie sie etwa auf Kunstmessen (Dubai, Basel), in Auktionshäusern (Christie’s, Sotheby’s, Bonham) und Ausstellungen (Unveiled: New Art from the Middle East in der Saatchi Galerie u.v.m.) stattfand, nicht ohne Vorteile für die moderne Epoche der arabischen Welt. Im schlimmsten Falle hatte sie Wissenschaftler, die sich mit arabischer Kunst befassten, dazu bewogen, ihre Forschungsarbeit aus Furcht vor historischer Verfälschung zu intensivieren – wobei das Zeitgenössische als losgelöstes und neues Phänomen betrachtet wurde. Im besten Falle hatten diejenigen, die über die zeitgenössische Produktion schrieben, bald begriffen, dass sie, um das Interesse an dieser Produktion – die mehr sein will als nur ein flüchtiger Moment, der durch historische Bedingungen von Exil und Diaspora sowie durch die schiere Beharrlichkeit der Künstler zustande kam – aufrecht zu

erhalten, ihre Geschichte begreifen mussten. Was das Interesse (oder die Neugier) besonders reizt, ist die Tatsache, dass das Zeitgenössische rückhaltlos und im Geiste der Globalisierung gefeiert wird, während arabische moderne Kunst abgelehnt wird. Ohne die postmoderne Rhetorik der Inklusivität in „Momenten symbolischer Akzeptanz“, wie ich das nennen möchte, abzulehnen: zeitgenössische arabische Kunst wird in keiner Weise als gleichberechtigt anerkannt. Die Doktrin der postmodernen Feier von Verschiedenheit und Eigenarten hat nur zu einer to-lerierten Anerkennung eines weiter segregierten „Anderen“ geführt; Bindestrich-Identitäten, die vorgeblich für Mobilität und Grenzüberschreitung stehen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass das „Anderssein“ von Künstlern aus Nahost ständig betont wird („arabisch-amerikanisch“ – ein neuer Monolith – „iranisch-amerikanisch“ etc.), während dies bei Italoamerikanern oder Irischamerikanern sehr selten geschieht. Besonders interessant ist hier allerdings, dass zeitgenössische arabische Kunst aufgrund ihrer Identitätspolitik vollkommen anerkannt wird, moderne arabische Kunst dagegen gerade wegen ihrer Identitätspolitik abgelehnt wird. Andererseits wird von zeitgenössischer Kunst gefordert, ihre Politik zur Schau zu stellen, zu er-klären und zu kritisch zu behandeln, obschon ihre Verkomplizierungen durch die Künstler selbst im Diskurs weitgehend fehlen. Technologie (Fotografie, Video, Installation, neue Medien) wird nicht als „westlich“ hervorgehoben und demnach wird die Arbeit nicht als Imitation abgelehnt. Malerei dagegen wird noch immer als „westlich“ beurteilt und deshalb sowohl vom Westen als auch von Arabern als Replikat verschmäht. Die meisten zeitgenössischen arabischen Künstler, und ganz gewiss die weltweit berühmten unter ihnen, sind

The Challenge of Arab Modern Art Nada Shabout It is particularly troubling to be still contemplating modernism in Arab art at the end of the f irst decade of the twenty-f irst century. Clearly no one questions the historicity of modernism in European art today, albeit there are few attempts for new interpretations. The obvious, although far from simple, reason is the presumed identity of modernism. That is, it is largely accepted as a specif ically modern European formulation. Historically such assumption is correct insofar that modernism developed in dialogue and response to specif ic historical conditions taking place in Europe. Theoretically it is not, because conjectures proposed to deal with these historical conditions have a much wider sphere of origin than Europe and are inevitably connected to the politics of the time. Signif icantly, several research initiatives today are reevaluating the Renaissance, viewed historically as a European, particularly Italian, conceptualization. Islamic inf luences and contributions are f inally being highlighted as signif icant and instrumental in making the Renaissance possible. Perhaps modernism is next in line! There is no disputing the need to reevaluate history, as we generally know it. It is, thus, imperative to highlight this exhibition’s format as it intentionally contextualizes the visual production of the Middle East (fully acknowledging the contested available terminologies, the impossibility of consensus and the lack of alternatives, the Middle East here refers to countries of the previously Islamic world) from the Islamic through the modern to the contemporary time. It attempts visually what has been missing in the current celebration of the contemporary Arab art moment as a detached phenom-

enon; in general the discourse of historicity and continuity is either completely lacking or at best contested. Given today’s fear of def initions, as well as a fear of seemingly f ixed identities, the term “Arab” in its art remains vague and at times despised. Ironically, the same artists who want to resist it on some level because of its connotations of a political pan-Arab ideology as connected to Egypt’s Nasserisim, are quite ambivalent to its frequent, and mostly erroneous, use in connection to their work and ethnic background by journalist and curators. Their position is rather understandable as the term “Arab” is as familiar and comforting as it is threatening to the postmodern condition with its generality and universalism. The exhibition, The Future of Tradition – The Tradition of Future, thus, allows for instigating a new discourse to examine decisive moments in the visual development of the region. Undoubtedly while much is questioned about modernity in the Arab world, its status as a crucial moment in its history is not. Moreover, further scholarly research in the f ield is incessantly allowing for the inclusion of new pertinent voices of modern Arab artists and cultural agents as they formulated and articulated their understanding of modernism and the modern project at the time.

From the Contemporary to the Modern The twenty-f irst century brought a new hype about contemporary art from the region geopolitically designated as the Middle East. World politics and state of economy is in the least partly responsible for this recognition. Moreover, much has been theorized about the effects of 11 September 2001, as a turning point in the renewed

interest in all things “Middle Eastern.” Regardless of the reasons, the “global” celebration of the contemporary production, as exemplif ied in art fairs (Dubai, Basel), auction houses (Christie’s, Sotheby’s, Bonham) and exhibitions (Unveiled: New Art from the Middle East at the Saatchi Gallery, and many others) has not been without benef it to the modern period of the Arab world. At worst, it has frustrated scholars of Arab art into intensifying their research for fear of historical distortion – accepting the contemporary as a detached and new phenomenon. At best, those writing about the contemporary production soon realized that to sustain the interest in the production, which refuses to be a mere transient moment through historical circumstances of exile and diaspora, and sheer persistence of the artists, they actually need to understand its history. What is of particular interest (or curiosity) is that the contemporary is celebrated wholeheartedly and in the spirit of globalization, while Arab modern art is rejected. Not negating the postmodern rhetoric of inclusivity, in what I designate as moments of token acceptance, contemporary Arab art is not accepted as equal by any measures. The doctrine of the postmodern celebration of difference and particularities has only resulted in a tolerated recognition of a further segregated “other;” hyphenated identities, supposedly expressing mobility and the trespassing of borders. Nevertheless, the fact remains that the “otherness” of artists originating from the Middle East is continuously emphasized (ArabAmerican – a new monolith – Iranian-American, etc.) while very rarely of Italian-American,

Monir Shahroudy Farmanfarmaian, Ohne Titel (Skulptur 1) | Untitled (Sculpture 1), 2008, Spiegel, rückseitig bemaltes Glas auf Gips und Holz | Mirror, reverse-glass painting on plaster on wood, 82 x 82 x 60 cm, courtesy of the Artist and The Third Line, Dubai.

noch immer im Westen ausgebildet worden, vor allem in den USA und Großbritannien. Dennoch werden sie als „globale“, „dazwischen stehende“, „in einem Grenzbereich angesiedelte“ Künstler akzeptiert und die Authentizität ihrer Arbeit wird nicht angezweifelt. Die Politik hat bei der Definition und Neudefinition von Form und bei der Zuschreibung von Bedeutung in der visuellen Produktion von arabischen Künstlern schon immer eine zentrale Rolle gespielt. Die Politik bildet demnach, trotz gewisser Spannungen zwischen ihnen, einen Kontinuitätsraum zwischen der modernen und der postmodernen arabischen Kunst. Kolonialismus und Unabhängigkeitskämpfe waren beliebte Themen, die die arabische Moderne einigten, gefolgt von dem Palästinaproblem und - dilemma, das realistischerweise seinen Einfluss immer behielt, wenn es auch zeitweise aus dem Mittelpunkt rückte, besonders als der libanesische Bürgerkrieg, der Irak-Iran-Krieg, die Golfkriege, die israelische Invasion im Libanon und die Invasion im Irak im Fokus des Weltinteresses standen und folglich auch im Fokus des Interesses zeitgenössischer arabischer Künstler. Beispiele interregionaler Arbeiten arabischer Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, die sich mit der Palästinafrage beschäftigen und sie als zentralen Faktor innerhalb ihrer arabische Identitätsbildung anführen, findet man in der gesamten Geschichte der arabischen Moderne. Die Idee einer kulturellen Einheitlichkeit innerhalb des Panarabismus bedeutete ein gemeinsames Interesse an allen regionalen Streitigkeiten und wurde demnach in der visuellen Kunst thematisiert. In einer Linie mit heute dominanten Ideologien, die das Konzept einer arabischen politischen Einheit ablehnen, haben zeitgenössische Künstler ihre Arbeit indes ebenfalls regionali-

siert. Also wird von palästinensischen Künstlern erwartet, dass sie sich mit palästinensischer Realität und palästinensischen Problemen befassen, von libanesischen Künstlern wird eine Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg und seinen Folgen erwartet, und irakische Künstler sollen auf die Unterdrückung durch das Baath-Regime und auf die US-Invasion eingehen. Die Politik war auch entscheidend für die Veränderung im Verhältnis der Künstler zu Technologie und Material. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts gab es spezifische Transformationen und Ablehnungen, die auf politischen Anschauungen und Ideologien basierten. Beispielsweise initiierte Ahmed Cherkaoui (1934-1967) in den 1950er-Jahren in Marokko, als man dort, nach der Erlangung der Unabhängigkeit, auf der Suche nach einer nationalen visuellen Identität war, eine Bewegung, die ihren Schwerpunkt auf die Erkundung historischer und lokaler Zeichen und Symbole legte. Diese Bewegung wurde noch weitergeführt, als Farid Belkahia als Direktor der École des Beaux Arts in Casablanca 1964 traditionelle Beispiele Alter Meister und Stillleben durch marokkanisches Kunsthandwerk ersetzte. Belkahia wechselte auch in seiner eigenen Arbeit das Material und malte nun mit Henna und anderen Naturfarben auf Leder. Eine ähnliche Wandlung ging mit dem palästinensischen Künstler Sliman Mansour während der ersten palästinensischen Intifada vor (Shabout 2007a, S. 51-53). Er boykottierte westliche und israelische Produkte und verwendete stattdessen Material, das ihn weiter mit seinem Land verband: Erde, Stroh, Kaffee und Henna; dies wiederum beeinflusste und veränderte, wie bei Cherkaoui und Belkahia, seinen künstlerischen Ausdruck. Modernität wird heute noch immer als überlegenes, westliches, historisches Konstrukt ver-


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