Rodenhausen, Holzkohle

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HOL Z KO HLE

Vom schwarzen Gold zur Glut im Grill 1


1. Auflage: 2019 Diese Publikation ist in der Deutschen Nationalbibliografie verzeichnet. Mehr Informationen dazu finden Sie unter http://dnb.dnb.de Der Haupt-Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt. ISBN 978-3-258-60214-1 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2019 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Herausgeber:

Edizio – Büro für Buchprojekte, Meggen

Konzept Inhalt und Titelblatt:

Helmut W. Rodenhausen

Texte:

Helmut W. Rodenhausen

Grafisches Konzept, Gestaltung, Satz und Bildbearbeitung: Korrektorat: Litho/Druck/Bindung:

Simon Eugster, Luzern Korrektorium, Petra Meyer, Beromünster Koesel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Printed in Germany

www.haupt.ch


«Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.» Jean Jaurès

«Tradition heißt nicht, Asche zu bewachen, sondern die Glut anzufachen.» Benjamin Franklin

«Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.» Gustav Mahler

«Tradition ist Weiterreichen der Glut, nicht der kalten Asche.» Ricarda Huch

«Tradition heißt: Das Feuer hüten und nicht die Asche aufbewahren.» Johannes XXIII.

«Beim Stochern in der Asche wirst du nicht immer klüger, aber staubiger.» Helmut W. Rodenhausen / Seite 344


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Holzkohle als Kulturgut Wenn man unter Kultur eine irgendwie intelligente Art des Zusammenlebens und des Austauschs versteht, dann ist die Versammlung um eine Feuerstelle schon mal gut. Ob über eine neue Biersorte diskutiert wird oder über die Eröffnung eines neuen Kunstmuseums: Für ein gelungenes Barbecue spielt das Thema vorerst keine Rolle. Wichtig ist, wie die Grilladen brutzeln und wie die Stimmung der Gäste ist. Das war wohl bei unseren Urahnen in Zentralafrika vor über zwei Millionen Jahren genauso. Bis aber das erste Feuer brannte, weil es die Hominiden so wollten – und nicht weil der Blitz einschlug –, vergingen Jahrhunderte der Beobachtung und des Erprobens. Oft sind es die Zufälle, die der Zivilisation einen neuen Kick geben. Erstaunlich, wie oft die Holzkohle oder die Verkohlung von fossilem Material dabei eine Rolle spielte. Was die Vorfahren mit Birkenrinde entdeckten, den sie verkohlen ließen, war ein Universalkleber erster Güte: das Birkenpech.

001 Heute sehen Holzköhler nicht alle aus wie Holzköhler. Manche geben sich betont traditionell mit Reverenz an frühere Trachten. Andere betonen das Hier und Jetzt. Martin Koch aus Romoos ist HeavyMetal-Fan – unter anderem. Mehr über ihn und die Köhler am Napf ab Seite 61.

Was in den alten Höhlen an Wänden und Decken von Archäologen entdeckt wurde – die Höhlenzeichnungen – hat mit Holzkohle zu tun. Was beim Transport von Wasser, Wein, Bier in ersten Fässern für die Dichte und teilweise für «Keimfreiheit» sorgte, hat mit Holzkohle zu tun. Was bei der Glasherstellung die Pottasche bedeutete, hat mit Holzkohle zu tun. Was es nur wenige Jahrhunderte vor Drucklegung dieses Buches beim Buchdruck mit der Druckerschwärze auf sich hatte, lässt sich mit Holzkohle erklären. Ja, auch bei ganz eigenartigen Versuchen der Industrialisierung war Holzkohle beteiligt. Ein gewisser Heinrich Göbel, 1832 im Hannover’schen Ort Springe mit einem der schlechtesten Zeugnisse seines Jahrgangs von der Schule abgegangen, experimentierte später in den USA als einer der Ersten mit Elektrizität. Er wollte Licht nicht mehr mit Petroleumlampen, sondern mit helleren Glühlampen erzeugen. Seine Erfindung, die er allerdings nicht patentieren ließ, soll aus einer leeren Eau-de-Cologne-Flasche bestanden haben. Er erzeugte darin ein Vakuum und schloss einen Holzkohlefaden darin ein, verkohlt aus Bambusfaser. Später stritt er mit Edison um seine Erfindung. Richtig Licht ins Dunkel dieser Erfindung der Glühlampe konnte bis heute nicht gebracht werden. Der glühende Faden aber bleibt Tatsache.

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Holzkohle ist von der Entwicklung der Zivilisation ebenso wenig zu trennen wie glühende Fäden von der Erfindung der Glühlampe. Holzkohle benötigte man, um Eisen und andere Metalle zu schmieden, um Darmverstimmungen zu beheben und um Böden fruchtbarer zu machen. Ganz abgesehen davon, dass man damit heizen konnte. In zahlreichen zugigen Schlössern und Burgen standen Kohlebecken in den Räumen, so wie heute elektrische Heizstrahler oder Umluftöfchen in Altbauwohnungen. Bei all den vielen Anwendungen der Holzkohle bleibt es verwunderlich, wie sich die Einstellung dazu verändert hat. Wer heute Holzkohle sagt, denkt ans Grillen. Wer früher Holzkohle sagte, war Köhler, Schmied, Glasmacher, Bäcker, Pottaschesieder oder auch Waldarbeiter. Denn ohne Bäume keine Holzkohle. Das hatte man spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts deutlich gespürt – und vor allem auch gesehen. Es waren keine Wälder und nur noch wenige Bäume da; alles abgeholzt, alles verkohlt. Der Aufschwung und Niedergang der zentraleuropäischen Wälder ist auch eine Geschichte der Holzkohle. Die Rodungen waren für die Natur einigermaßen zu verkraften. Aber die systematische und schrittweise Abholzung war neu. Die Köhler und auch die Glasmacher zogen einfach weiter, wenn kein Brennstoff mehr vorhanden war, auf in neue Wälder … 6

Genauso systematisch wie die Abholzung war die Neuaufforstung. Darauf bedacht, möglichst schnell und möglichst effizient zu Nutzholz zu kommen, kamen rasch wachsende Baumsorten infrage. Mit Fichten, Tannen und anderen Nadelhölzern konnte man planen. Und ebenso planmäßig wurden sie gepflanzt: in Reih und Glied. Etliche heutige Wälder lassen dieses Muster noch erkennen. Die beginnende Industrialisierung arbeitete mit Beschaffungsmarketing, auch wenn es diesen Begriff noch gar nicht gab. Die Eisenhütten, die Silberminen, die Hammerwerke: Alle brauchten den gleichen Brennstoff. Je größer die Mengen, desto genauer musste vorausgeplant und kalkuliert werden. Marktbestimmende Werke kauften sich ganze Wälder und Waldregionen zum Voraus. Bis es schließlich billigere Holzkohle aus dem Ausland gab. Die Schweiz importierte schon früh Holzkohle aus dem Schwarzwald und später aus dem Balkan. Dann folgte die erste große Wende: Braunkohle aus England, Koks, Steinkohle – später Öl und Elektrizität. Damit war die Ära Holzkohle zu Ende. Nicht ganz, denn in verschiedenen Regionen – Polen, Slowenien, Rumänien und vereinzelt Zentraleuropa – wurde weiterhin geköhlert. Kleinere Industrieunternehmen und Handwerker blieben der Holzkohle und ihren Lieferanten treu.


Die beiden Weltkriege führten zurück zu den alten Methoden. Plötzlich wurde man sich bewusst, wie abhängig einzelne Länder von den Importen waren. Der Erste Weltkrieg mit der enormen Motorisierung, der Zweite Weltkrieg mit der wahnwitzigen Konzentration auf Eisen- und Waffenproduktion: Sie führten zur Erkenntnis, dass Wälder, Holz und Holzkohleprodukte im eigenen Land am billigsten – und überhaupt – zu beschaffen waren. Staatliche Verordnungen gaben der Köhlerei neuen Auftrieb. Man muss aus dieser Per­ spektive sagen: zum Glück nur vor­ übergehend. Es ist eine Ironie, dass ausgerechnet die Holzkohle und die Köhlerei auf eine besondere Art überlebt haben. In einigen Gebieten gibt es ganze Regionen, wo bis heute ununterbrochen nach alter Tradition geköhlert wird: in Osteuropa, im Harz, in Österreich und in der Schweiz im Entlebuch. Parallel dazu bildeten sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr Vereine, die das Köhlern als traditionsverbindendes Handwerk wieder neu belebten – verbunden mit touristischen oder gesellschaftlichen Ereignissen. Es wird gefeiert, gegrillt, gesungen, getanzt. Und daneben raucht der Meiler. Aber auch im privaten Bereich hat die Holzkohle ein Revival erlebt. Es ist nicht nur schick, seinen neuesten Grill zu zeigen und das Weidelandfleisch aus Mutterkuhhaltung zu marinieren. Es ist auch angesagt, wieder

Holzofenbrote aufzuschneiden. Es ist hip, Drinks mit Holzkohlebestandteilen zu servieren, schwarzes SpeiseEis zu servieren, sich Kohlemasken aufzulegen, um das Gesichtspeeling zu verbessern, oder die Zähne mit Holzkohlezahnpasta zu putzen. Ein positiver Trend, der ganz sicher mit der Holzkohle eng verbunden ist: Das globale Bewusstsein für Bäume, für die Wälder und die großen Regenwaldgürtel wächst weiter. Jahr für Jahr werden spätestens zur Grillsaison hin Statistiken publiziert, wie sich die Situation verändert. Und regelmäßig werden von NGOs wie dem WWF die Grillkohlesäcke aus den Verkaufsregalen untersucht: Welche Hölzer und woher? Und warum? Und warum nicht anders? Das hat im Laufe der Jahre zu lobenswerten Initiativen geführt. Nicht nur bei den Einkäufern und Großverteilern, sondern auch bei Organisationen in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Verständnis, dass dort auch mit Holzkohle gekocht wird – und es wenig bis keine Alter­ nativen gab bzw. noch gibt –, führt zu neuen Ideen. Immer mehr kommen verbesserte Kochgeräte auf den Markt. Oder es werden Kochstellen für Solarbetrieb entwickelt und verkauft. Daneben startet man ungewöhnliche Aufforstungskampagnen und betreibt Schulung und Aufklärung.

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Dieses Buch beschäftigt sich mit der Holzkohle. Es kann nicht ausbleiben, dass auch andere Kohlearten kurz behandelt werden. Die Themen der Klimaerwärmung, des Klimaschutzes und andere ökologische Gründe führten in Deutschland dazu, sich mit der Abschaltung von Kohlekraftwerken zu befassen. Ende 2018 wurde in Bottrop im Ruhrgebiet die letzte Steinkohle-Zeche geschlossen. Mit der Braunkohle soll es spätestens 2030 soweit sein.

Wer geradlinig einsteigen möchte, blättert gleich auf die nächste Seite zum Inhaltsverzeichnis. Wer lieber zuerst schnuppern möchte, was ihn am meisten an der Holzkohle interessieren könnte, wird im Intro schnell sein erstes Thema finden. Es ist immer wieder überraschend, was in diesen schwarzen Holzstückchen steckt – und noch stecken könnte. Man könnte sofort Feuer fangen. Helmut W. Rodenhausen

Zurück zur Holzkohle: Auch sie ist nicht klimaneutral, wenn dafür ganze Wälder verschwinden. Aber um­gekehrt brennt sie nahezu rauchfrei, sie hat eine gleichmäßige hohe Glut und hinterlässt wenig Asche. Dieses Buch würde wohl nicht ganz so rauchfrei brennen, aber ich hoffe, es entsteht dafür beim Betrachten und Lesen auf andere Art eine ganz besondere Glut: nämlich die Lust, mehr über Holzkohle zu wissen.

002 Holzkohle – vor allem Grillkohle – kommt heute auch aus tropischen und subtropischen Wäldern. Aus Gegenden, in denen vielleicht bald keine Wälder, sondern nur noch Palm- und andere Plantagen die Landschaft prägen. Die Geschichte der Wälder in Europa zur Zeit des Holzkohle-Booms könnte sich wiederholen.

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Zu den Bildern: Alle Bilder haben eine fortlaufende Nummer. Die Nummern dienen dazu, in der Bilderliste auf Seite 349 die entsprechenden Copyrights/ Credits einzusehen. Dort finden sich alle Angaben ßber die Fotografin / den Fotografen oder die sonstige Bildquelle. Einige Bilder haben keine Bildlegenden, weil sie selbsterklärend sind. Darum ist es kein Versehen, wenn zwar eine Nummer da ist, aber keine entsprechende Bildlegende.


Inhaltsverzeichnis Intro ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15 Ein Zickzack-Gang durch kohlschwarze Welten Bis über 90 Prozent Kohlenstoff ����������������������������������������������������������������� 27 Kapitel 1 – Was Holzkohle alles ist und war Qualmen, Rauchen oder Dampfen? ������������������������������������������������������������� 39 Kapitel 2 – Holzkohle in und aus dem Meiler Die Löschi der Vorväter ������������������������������������������������������������������������������� 61 Kapitel 3 – Köhlergenerationen im Napfgebiet Von Wahrheiten, Teufeln und Heiligen ����������������������������������������������������� 101 Kapitel 4 – Fabeln, Sagen, Mystisches Ein kurzer Streifzug durch eine lange Geschichte ������������������������������������� 129 Kapitel 5 – Als erste Hominiden Holz in Löchern vergruben Schwarzes Eis und heiße Umschläge ��������������������������������������������������������� 175 Kapitel 6 – Die vielfältigen Anwendungen der Aktivkohle Wenn Bäume über Hitze stöhnen ������������������������������������������������������������� 203 Kapitel 7 – Über verkohlte und erholte Wälder Die Kunst, einen Schluss-Strich zu ziehen ������������������������������������������������� 243 Kapitel 8 – Holzkohle in Kunst, Design und Architektur Feiern, Tanzen, Kettensägen ����������������������������������������������������������������������� 275 Kapitel 9 – Meilerfeste und Kulturpflege rund ums Jahr Was Forscher so alles finden ���������������������������������������������������������������������� 315 Kapitel 10 – Wie Holzkohle zu neuen Einsichten führt Noch mehr über Holzkohle ������������������������������������������������������������������������� 343 Anhang – Literatur, Bildverzeichnis und ein Dankeschön

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[ Platanen-Astholzkohle – ofenverkohlt ]


Intro

Ein Zickzack-Gang durch kohlschwarze Welten


Verpuffung, Einsamkeit und Köhlernächte

Holzköhler haben intensive Zeiten. Beim Aufbau eines Meilers helfen oft Nachbarn und Freunde. Beim Verkohlen des Meilers sind die Köhler jedoch tageund nächtelang allein. Der Meiler muss beobachtet werden, es kann jederzeit zu einer Verpuffung kommen. Das geschieht, wenn unkontrolliert Sauerstoff in den Meiler dringt und eine Stichflamme die Abdeckung aufreißt. Was macht die Faszination aus, mehrere Nächte lang alle zwei Stunden aufzustehen und bei Wind und Wetter hinauszugehen? Eine Aussage, die man in Gesprächen immer wieder hört: «Du hast eine schwere Arbeit. Aber der Zeitraum ist überschaubar. Vor allem hast du nachher ein Resultat. Ein schönes, veredeltes Produkt – mit eigenen Händen erzeugt.» Gute Holzkohle herzustellen, ist eine Art Kunst. 16

Und darüber einen Film zu drehen erst recht. Dem Künstler und Filmemacher Robert Müller ist dies mit seiner Arbeit «Köhlernächte» gelungen. Über mehrere Monate begleitete er mit dem preisgekrönten Kameramann Pio Corradi verschiedene Köhler und eine Köhlerin. Es kommen Köhler aus dem Napfgebiet zu Wort (Bild rechts), aber auch Köhler aus Italien, Österreich, Deutschland usw., die meisten davon Mitglieder des Europäischen Köhlerverbandes. Am Grillfeuer ins Erzählen zu kommen, zu jener und jener anderen Geschichte, das kann schnell spannend werden, aber auf dem Grill zu einem brandschwarzen Ende führen. Goldflitter und «schwarzes Gold» – Seite 70 Robert Müller übernachtet bei den Köhlern – Seite 252 Den Zeitpunkt zur Wende erwischt – Seite 85

Quandel, Glut und Grillvergnügen

Mit dem Quandel fängt der Meileraufbau erst richtig an. Der Quandelschacht in der Mitte eines Kohlenmeilers dient der Befeuerung und der gleichmäßigen Ver­­kohlung. In der Schweiz spricht man vom «Fülli­huus» oder vom «Füllibaum», je nach Aufbaumethode. Wer am Grill steht, dem kann das im Grunde alles egal sein. Er will, dass das Tomahawk-Steak (Bild rechts), das Gigot oder das Lendenstück saftig, kräftig und würzig schmeckt. Braten und Kochen mit Rauch und Kohle in allen Variationen ist in der Spitzengas­ tro­nomie Alltag geworden. Draußen am Grillrost lässt sich für jedermann und jedefrau herrlich diskutieren, welche Glut die richtige ist. Wie heiß müssen die Grillstäbe werden, wie lange soll offen, ab wann soll zugedeckt weitergegrillt werden?


Meistens braucht es viel Zeit, die von Männern gerne mit Biertrinken verkürzt wird. Und mit Gesprächen, die sich um allerlei lockere Themen kreisen. Nur keine Politik am Grill. Glaubensfragen? – Na ja, der Grill soll keine heißen Debatten auslösen. Höchstens, ob der FC beim letzten Spitzenkampf zu hitzig in die Zweikämpfe ging. Mit diesem Buch sollen Grillgespräche wieder neu befeuert werden. Mit Geschichten um Köhlerei, um Erfindungen und Entdeckungen. Mit dem, was sich im Wald tut und was nicht mehr. Wie wir in den Wald rufen …, wie wir vor lauter Bäumen … und vor lauter abgeholzten Bäumen … Und vor allem: was aus Holzkohle noch so alles entsteht außer einer schönen Glut. Was alte Lehrbücher vermittelten – Seite 49 Die gefesselten Seezungen – Seite 304 Einmal richtig groß anrichten – Seite 306

Croissants, letzte Köhler, schwarze Tage

In Brasilien beispielsweise gibt es noch immer «die alten Zustände». Zu einem Lohn, für den ein Westeuropäer nicht einmal eine Bratwurst wenden würde, zwängen sich die Köhler in enge Kohle-Retortenöfen. Sie atmen alten Ruß, setzen sich Hitze und Wetter aus. Ihr Stolz ist die fertige Kohle. Wie und über welche Wege diese Kohle nach Deutschland kommt, wer alles daran verdient, das bleibt noch unbekannt. In Bologna beobachtete ich einen Studenten, der genüsslich in ein gefülltes Croissant biss. Was daran ungewöhnlich ist: Das Croissant sah wie verbrannt aus, kohlschwarz. Es war gebacken mit Aktivkohle. Beim Recherchieren entdeckte ich einen Trend hin zu schwarzen Torten, schwarzem Brot und schwarzen Hamburger Buns.

Im Juli 2018 erschien im «Observer» ein Bericht, wonach die lokale Aufsichtsbehörde New York City Department of Health and Mental Hygiene (DOHMH) Eiscremes und alle mit Aktivkohle versetzten Getränke aus dem Verkehr gezogen hat. Könnte der Hype möglicherweise ebenso schnell verschwinden, wie er gekommen ist? Die Zeiten der Holzkohle waren immer bewegt. Das begann schon mit den ersten Speerspitzen unserer Ururahnen, befestigt mit Teer aus verkohlter Birkenrinde. Später, zu Beginn der Industrialisierung, trieb Holzkohle immer neue Maschinen – und die Verstädterung voran. Danach kam die Steinkohle. Die Dampfmaschinen der «Titanic» beispielsweise wurden mit Steinkohle befeuert. Ein Brand im Heizungsraum war mitentscheidend für den Untergang. Holzvergaser und Aufrüstung – Seite 160 Das schleckt keine Geiß weg – Seite 176 «Ich brenne für den Wald» – Seite 285 17


Feuer, Brände und neues Design

Wo Holzkohle entsteht, ist auch Feuer. Wo Holzkohle verwendet wird, ebenso. Nur muss das Feuer-Entfachen nicht so dramatisch enden wie bei Frank Wedekind. In seiner Novelle «Der Brand von Egliswyl» ging es nicht um brennende Holzkohle, sondern um brennende Liebe, die den Helden später zum Brandstifter machte. – Übrigens soll der Großvater von Wedekind, Jakob Kammerer, Erfinder der Phosphor-Streichhölzer gewesen sein. Brände gab und gibt es immer wieder, nicht nur in Egliswyl. Gleich zwei Brände in einer einzigen Nacht gab es beispielsweise 2014 in Escholzmatt, einem Ort zwischen Napf und Emmental in der Schweiz. Eine Boulevard-Zeitung titelte: «Escholzmatt zittert vor dem Feuerteufel». Dabei kamen 110 Feuerwehrleute zum Einsatz. Eine Brandstiftung kann bis heute nicht ausgeschlossen werden. 18

Der Napf ist eine wilde, abgelegene Gegend im Herzen der Schweiz. Der Fotograf Willy Eidenbenz durchstreifte diese Landschaft gern mit seiner Kamera. Sein Bild von einem abgebrannten Haus in Escholzmatt mit dem verkohlten Wecker ist aus der 40er-Jahren (Bild links). Auch die Bildreportage vom Bau und Abbrennen eines Kohlenmeilers aus dem Jahr 1947 stammt aus der gleichen Gegend. Um Häuser gegen Brände zu schützen, griffen die alten Japaner – zum Feuer. Shou Sugi Ban heißt dieses Verfahren (Bild rechts). Die Nadelholzbretter werden vor dem Anbringen auf der Fassade extra verkohlt. Das schützt sie einerseits vor schnellem Entflammen und andererseits vor Fäulnis und Pilzen. Die Idee der schwarz verkohlten Hölzer setzen heutige Architekten gerne als Gestaltungsmittel ein. Shou Sugi Ban in Architektur und Design – Seite 270 Die Umkehr des Üblichen – Seite 266 Holzkohle-Herstellung aus anderer Optik – Seite 40

Holzhauer, Kahlschlag und seltene Bäume

Ohne Holzschlag gibt es keine Holzkohle. Also schlug man zu. Und so verödeten ganze Regionen. Die Geschichte des Kahlschlags ist uralt. Schon Plato beschreibt in seinem «Kritias» eine solche Szene: «Ringsum ist aller fette und weiche Boden weggeschwemmt worden, und nur das magere Gerippe des Landes ist übrig geblieben.» Mit dem Schiffsbau – und vor allem mit den Seekriegen – versanken ganze Wälder auf dem Meeresgrund. Immer wieder besann man sich und pflanzte wieder an. In England, lange nach verlorener Seeschlacht 1665 in der Bucht von Bergen gegen die Holländer, ging eine wahre Pflanzschlacht los. Wollte man wieder eine Flotte zu Wasser bringen, brauchte es Bäume. Und so wurde ein Wettbewerb lanciert. Nur schon ein einziger Grundbesitzer mit Namen Thomas Johnes


pflanzte innert sechs Jahren über zwei Millionen Bäume. Mit der Wiederanpflanzung von Bäumen zur Nutzung, sei es für den Schiffsbau oder für andere Zwecke, entstanden zum Teil recht eintönige Waldplantagen. Es sollten diejenigen Bäume wachsen, die wirtschaftlich am meisten hergaben. Um so bemerkenswerter ist es, dass mehr und mehr Menschen sich intensiv mit Bäumen auseinandersetzen. Eine Beziehung zu bestimmten Bäumen herzustellen, ist Kult geworden. Es kann sicher nicht schaden, wenn nicht nur die größten Bäume bewundert werden (die ältesten Bäume sollen bis zu 3000 Jahre und mehr überstanden haben), sondern auch unbekanntere Arten. Die Flatterulme zum Beispiel: Sie wurde zum europäischen Baum des Jahres 2019 erkoren (Bild rechts). Schon die Römer hatten es gemerkt – Seite 218 Kann die richtige Grillkohle etwas bewirken? – Seite 234 Die Flatterulme soll ein Zeichen geben – 211/212

Ruß, Schweiß und Schönheitspflege

Es gab und gibt nicht sehr viele Köhlerinnen. Als Gehilfinnen schon, als Ehefrauen in den Katen der früheren Köhler auch. Doris Wicki aus dem Napfgebiet in der Zentralschweiz aber ist wohl die einzige Frau, die heute mit ihrem schwarzen Kohlegranulat (der «Löschi») von Köhlerplatz zu Köhlerplatz zieht. In den verschiedenen Tälern und Wäldern war das Wissen um Kohlenmeiler längst verloren gegangen. Mitglieder der Familie wurden zu Experten und halfen überall gerne aus. Als einer ihrer Brüder verhindert war, sprang Doris Wicki ein. Und es begann ihr zu gefallen. Bald hundert Meiler hat sie in all der Zeit aufgerichtet und Kohle gemacht. Manchen Köhlerplatz kennt sie nun seit mehreren Jahren. Andere sind stets neu, verlangen ihr ganzes Organisationstalent. Beim Meilerbau kann ihr kaum noch jemand etwas vormachen.

Sie selbst umgekehrt den anderen schon. Durch ihren Einsatz entstanden Köhlervereine oder lernten von ihr. Es kamen neue «Jünger» hinzu, die sich von ihrer Begeisterung und ihrem Wissen anstecken ließen. Im Europäischen Köhlerverband ist sie im Vorstand. Und immer wieder freut sie sich, wenn ihre Erfahrungen und Erläuterungen auf «fruchtbaren Boden» fallen. Das kann auch buchstäblich verstanden werden. Denn an einigen Köhlerplätzen wird nicht nur ihre Holzkohle verkauft, sondern auch kleine Reststücke und Teile der Löschi als Bodenverbesserer. Im Übrigen endet sowieso nicht jede Holzkohle als Grillglut. Da gibt es Schwarzpulver, Schleifpulver, Aktivkohlefilter und Anwendungen (Bild rechts), die mehr als erstaunen.

Holzkohle-Peeling-Videos als Kunst – Seite 260 Die Familie, die fürs Köhlern lebt – Seite 75 Zum Bügeln nur das Beste – Seite 167 19


Weihrauch, Tee und Wurfgeschosse

Wer irgendwann im katholischen Umfeld als Ministrant gedient hat, kennt die kleinen, runden Kohlestücke. Wenn sie im Weihrauchfass richtig glühen und die Weihrauchmischung draufgestreut ist, füllt sich der Kirchenraum je nach Menge und Qualität mit wohlriechendem Duft oder mit betäubendem Rauch. In Yogakreisen, Meditationsrunden oder beim Shisha-Rauchen gehören diese Holzkohle-Scheibchen ebenfalls dazu. Oft bestehen sie heute aus verkohlten Kokosnussschalen (Bild rechts). Um den Überblick abzuschließen: Binchotan heißt die «weiße» japanische Holzkohle, die beim «Chado», dem traditionellen Teeritual, verwendet wird. Eine andere Form von Holzkohle kommt in der «Terra Preta» zum Einsatz. Das ist eine Erd-/Kompost-/Holzkohlemischung, welche 20

zwar altbekannt, aber in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Genau das wird auch in Kenia intelligent neu umgesetzt. In einem Projekt werden kleine Kügelchen aus Terra Preta hergestellt und im Innern mit Baumsamen bestückt. Damit will man der durch Abholzung stark geschädigten Gegend wieder neues Leben einhauchen. Und das zum Teil auf spielerische Art. Hunderte von Schulkindern werden nach einem speziellen Naturkunde- und Ökologie-Unterricht mit Steinschleudern und diesen Kügelchen ausgestattet. Mit größter Freude ziehen die Kinder mit ihren «slingshots» durch die Gegend, um die Samenkugeln in alle Richtungen zu verschießen. In entlegenen Gebieten kommen Hubschrauber zum Einsatz, die mit speziellen «Kanonen» tonnenweise eingekapselte Baumsamen übers Land verteilen. Eine kurze Geschichte der Terra Preta – Seite 178 Einblick ins Chado-Teezimmer – Seite 219 Ein Experiment aus Kenia – Seite 180

Kohlenstoff, Grillasche und Diamanten

Vor wenigen Jahren machte eine deutsche Warenhauskette von sich reden. Sie verschenkte einen Diamanten. Nicht irgendeinen, sondern einen selbst in Auftrag gegebenen, hergestellt aus Grillasche. In einem Wettbewerb konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Grillparty gewinnen. Die Asche aus dem Grill sollte danach zu einem Diamanten werden. Mit Videoclips und TVSpots wurde die ganze Episode gebührend inszeniert. Es machte mich stutzig. Ich rief den Goldschmied an, der damit beauftragt war, den Diamanten in einen Ring zu fassen. Er gab sich bedeckt, bestätigte aber, dass er mit dem Diamanten ein Zertifikat aus Antwerpen bekommen habe. Und dass sich der Diamant so verhielt, wie es bei allen echten Diamanten auch der Fall ist.


Ich fragte beim bekannten Astrophysiker Ben Moore nach. «Ja, es ist möglich, Diamanten aus Kohlenstoff herzustellen …» (https:// en.wikipedia.org/wiki/Synthetic_diamond) – Auch von einem Unternehmen in der Ostschweiz hatte ich gehört. Dort soll man Asche von Verstorbenen nach der Kremation hinschicken können, um dann einen «ewigen Diamanten» zurückzuerhalten. Tatsächlich: Diamanten bestehen vorwiegend aus Kohlenstoff. Holzkohle besteht ebenfalls vorwiegend aus Kohlenstoff. Durch enorm hohen Druck und gewaltige Hitze lässt sich der Jahrmillionen lange Übergang von Holzkohle zum Diamanten verkürzen.

Binchotan und Diamanten – Seite 339/340 Lufttrockene Holzkohle erforschen – Seite 329 Wieder auf dem Holzweg – Seite 316

Von Waldgeistern, Glasmännlein und Heiligen

Holzköhler lebten viele Jahrzehnte eher einsam, außerhalb der Dorfgemeinschaft. Sie hatten möglicherweise eine Familie. Doch während des Köhlerns lebten sie im Wald wie Einsiedler. Zeitweise zogen sie weiter, von Köhlerplatz zu Köhlerplatz, den Holzfällern nach. Kaum einer hatte wirklich Geld, so heißt es. Im Märchen «Das kalte Herz» erzählt Wilhelm Hauff vom Leben im Schwarzwald zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Seine Hauptfigur ist der Munken-Peter, Köhler von Beruf. Seine Widerpartner oder Helferfiguren sind das Glasmännlein und der Holländer-Michel. Die Initialzündung der Munken-Peter-Geschichte: Er hasst seinen niedrigen Stand, beklagt seine Armut, will ausbrechen. Es ist eine Biedermeier-Geschichte mit viel religiöser Belehrung und mit der Verklärung des einfachen Lebens.

Holzköhlergeschichten und -sagen gibt es aus allen Teilen Europas, wo es viel Wald und entsprechend viele Köhler gab: aus dem Harz, aus dem Sauerland, dem Schwarzwald, dem Napfgebiet in der Schweiz, aus den Wäldern um das österreichische Rohr im Gebirge und ähnlichen Regionen. Die Geschichten reichen von einfachem «Köhlerlatein» über mystische Erscheinungen bis zu Lebensretter-Sagen. Ob der unbekannte Köhler aus Kalabrien (Bild links) ebenfalls Köhlergeschichten erzählen konnte, bleibt offen. Und ob der ehemalige Köhler Alexander von Comana (Bild rechts) auch Bischof geworden wäre, wenn er gewusst hätte, dass er als Märtyrer verbrannt werden würde – auch das bleibt offen. Erst reich, dann arm, dann Köhlerbischof – Seite 123 Ein Köhler als Weihnachtsmann – Seite 114 Von Köhler-Katen und Hexen-Hintern – Seite 104

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Carbonglühen, Teer und Haftfähigkeit

Wer ist dafür haftbar, dass wir mit Klebstoff die technisch aufwendigsten Kon­struktionen machen können? Wer hat es fertiggebracht, ein «vernünftiges» Essen zuzubereiten? Jawohl: die ersten Hominiden. Schlappe drei Millionen Jahre ist es her, dass sie gemerkt haben, was Feuer ist. Dass sie gemerkt haben, dass es sich mit Gebratenem, Gegartem und Gekochtem viel genußreicher leben lässt. Heutige gescheite Forscher haben vieles herausgefunden, was sich sehr logisch anhört. Unter anderem, dass sich Gebratenes, Gekochtes und Gesottenes

usw. leichter verdauen lässt. Was wiederum zu einem anderen Energiehaushalt im hominiden Körper führte. Was wiederum zu mehr Hirnmasse führte, was wiederum zu gescheiteren Forschern … nein, zunächst zu intelligenterem Jagdverhalten führte. Das, was beim Verfeuern von Holz entsteht, ist nicht nur Hitze (Bild rechts). Aus den Hölzern können, je nach Bedingungen, Holzteer, Holzessig und andere «Destillate» fließen. Aber auch angeschnittene Baumrinden geben bereits einen Saft her, aus dem sich Klebstoff machen lässt. Die Werkzeuge – Äxte, Messer, Speerspitzen usw. – halten damit besser als mit verknüpften Pflanzenfasern (Bild links).

nicht so dumm waren. Holzkohle ist dabei eines jener merkwürdigen Materialien, die wir bis ins Homo-sapiens-Leben mit saftigem Fleisch und geselligem Sippenzusammenhalt verbinden. Grillen als sozialer Klebstoff. Ein Schweizer Großverteiler läutet die Grillsaison jeweils mit dem Begriff «Grillitarier» ein. Pech gehabt oder Glück gefunden – Seite 28 Die Schweden mit ganz viel Pech – Seite 137/138 Mit Holzteer Wildsäue locken – Seite 291

Heutige kluge Köpfe wundern sich immer wieder, dass unsere Vorfahren gar

004 Die Birke gehört zu den Pionierpflanzen. Unsere Urahnen konnten fast alles von ihr verwerten – bis hin zur Rinde als Grundlage für Klebstoffe für ihre Pfeilspitzen.

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Holzkohle hätte es schon lange verdient, dass man ihr ein Denkmal setzt. Auf jeden Fall wünsche ich allen Köhlerinnen und Köhlern auch weiterhin ein dreifaches Gut Brand!




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