Propfe, Kalligrafie

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Empfinden und seinem Gefühl für Proportionen. Er bestimmt unter anderem das Verhältnis zwischen Werkzeugbreite und Schrifthöhe, die Ausformung der Serifen und den Winkel des Breitwerkzeugs zur Grundlinie.

Kontinuierliche Entwicklung

oder unterschritten einige senkrechte Linien die waagerechten Grundlinien und es bildeten sich Ober- und Unterlängen heraus. (Wer versucht, eine Versalantiqua schnell zu schreiben, kann diesen Prozess leicht nachvollziehen.) Eine fest gefügte Gestalt erhielten diese Buchstaben dann, indem sie wieder langsam geschrieben wurden.

Eine Vielzahl historischer Schriftarten steht uns heute vor Augen, Wie viele Buchstaben umfasst das Alphabet? die wir gerne in verschiedene, scheinbar voneinander unabhängige Schubladen einordnen. Tatsächlich aber stellt die Entwicklung der Eine Frage, die zunächst etwas abwegig erscheint, weiß doch lateinischen Schriften seit der Antike ein Kontinuum dar. Von der jedes Kind, dass das lateinische Alphabet 26 Buchstaben zählt. Das war jedoch nicht von Anfang an so. Wie erwähnt bestand einen zur anderen Schrift gibt es fließende Übergänge. das römische Alphabet nur aus 21 Buchstaben: A B C D E F Z H Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es ein fragI K L M N O P Q R S T V X. Das Y wurde dann in der Spätantike würdiges Unterfangen ist, zum Beispiel eine antike oder mittel­ aus dem Griechischen entlehnt. Erst seit der Renaissance ist das alterliche Schrift herauszugreifen und sie als allein mustergültig Alphabet mit 26 Buchstaben komplett. Vorher repräsentierte zu präsentieren, denn schon aufgrund der manuellen Ausfühdas V zugleich das U und ein VV wurde für den Laut W benutzt, rung der Schrift gibt es viele individuelle Varianten. Wie bei jeder was leicht nachzuvollziehen ist, wenn man bedenkt, das im Eng­lischen das W als «double-u» bezeichnet wird! Eine UnterRealisierung eines letztlich imaginären Ideals erzeugt der Schreischeidung von I und J gab es zuvor ebenfalls nicht. Demzufolge ber nur eine Annäherung daran, was jedoch nicht bedeutet, dass Formen der Beliebigkeit preisgegeben werden können. Jede existieren die genannten Buchstaben in antiken und mittelalterSchriftart weist charakteristische Merkmale auf, die ein Grundge- lichen Handschriften einfach nicht. Um die hier vorgestellten rüst für die Ausgestaltung bilden. Diese zu kennen ist die Voraus- ­Alphabete vollständig zu zeigen, wurden die fehlenden Buchstaben entsprechend dem vorhandenen Formenrepertoire ergänzt. setzung für das Schreiben. Daher zeige ich in dem vorliegenden Buch nicht die Antiqua oder die gotische Bastarda (selbst wenn dies so um der Einheitlichkeit willen in der Überschrift formuliert ist), sondern eine Antiqua und eine gotische Bastarda, deren Erscheinungsbild wiederum durch meine Individualität geprägt ist. Aber genau dies unterscheidet das Handgeschriebene von dem Gedruckten und verleiht der Kalligrafie ihren besonderen Wert.

Groß- und Kleinbuchstabenschriften Heute unterscheidet man zwischen Groß- und Kleinbuchstaben. Dies ist ein Resultat der Entwicklungsgeschichte der Schriften. Zu Beginn der Entwicklung lateinischer Schriften gab es – aus unserer Sicht betrachtet – nur Großbuchstaben. Die Kleinbuchstaben entwickelten sich erst im Laufe der Zeit durch Umformen der Ver­sa­lien, bedingt vor allem durch ein temporeicheres ­Schreiben. So wurden Winkel zu Rundungen, Strichkonstellationen verän­der­ten sich oder wurden reduziert und Luftlinien wurden mitgeschrieben, Das Grundgerüst der Versalien des lateinischen Alphabets setzt da der Stift im schnelleren Schreibprozess nicht mehr abgehoben sich aus senkrechten, waagerechten und diagonalen Strichen sowie und neu angesetzt wurde. Durch das höhere Schreibtempo über- Rundungen zusammen.

Zur Herkunft der Schrift 117


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