Kornmilch, Hornisse

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Bristol-Schriftenreihe Band 52


Herausgeber Ruth und Herbert Uhl-Forschungsstelle fĂźr Natur- und Umweltschutz, Bristol-Stiftung, ZĂźrich www.bristol-stiftung.ch


Johann-Christoph Kornmilch

Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

Haupt Verlag


Verantwortlich für die Herausgabe Bristol-Stiftung. Stiftungsrat: Dr. René Schwarzenbach, Herrliberg; Dr. Mario F. Broggi, Triesen; Prof. Dr. Klaus Ewald, Gerzensee; Martin Gehring, Zürich Managing Editor Dr. Ruth Landolt, WSL, Birmensdorf Adresse des Autors Johann-Christoph Kornmilch Fischstrasse 4 D–17489 Greifswald Die Bildautorinnen und Bildautoren sind in den Bildlegenden aufgeführt, ausser bei Fotos, die vom Autor selbst stammen. Layout Jacqueline Annen, Maschwanden Umschlag und Illustration Atelier Silvia Ruppen, Vaduz Zitierung

KORNMILCH, J.C., 2017: Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse. Zürich, Bristol-Stiftung; Bern, Haupt. 85 S.

Zitierung Kapitel 3 KERTH, G., 2017: Genetische Populationsstruktur und Paarungssystem. In: KORNMILCH, J.C.: Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse. Zürich, Bristol-Stiftung; Bern, Haupt. 37–38. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Der Haupt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 – 2020 unterstützt. ISBN 978-3-258-08014-7 Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2017 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Printed in Germany www.haupt.ch

Signet FSC

Klimaneutral


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Abstract Insights into the life of the European Hornet (Vespa crabro) The European hornet has made a pleasant change in the last few years in the public opinion from a dangerous stinging insect to a peaceful and beneficial organism of our nature. The aim of our study was to gather data of longevity, circadian rhythm, performance and division of labor of free-living hornets by using modern RFID-technology to improve the conservation management of this species. Therefore, hundreds of hornets have been equipped with transponders. In our study solitary queens as well as early colonies have been resettled into special observation nest-boxes, which allowed also easy handling in the nest. Furthermore, the phenomenon of establishing a satellite nest was studied. The analysis of the data resulted in various insights into the life of the European hornet like daily activity, flight duration, number of daily flights or resting periods of the queen in the solitary phase during the night. On the basis of our data the frequency and effect of usurpation on the colony is discussed. Within the social phase of the colony we found a mean longevity of workers of 20.5 days. We evaluate the division of labor in hornets on the basis of our analysis of prey and material flights. In this study we highlight the progress of relocation of the colony into a satellite nest. The role of the workers as well as the queen is discussed and we point out the changes in activity in the old and the new nest. Moreover, the genetic population structure within and among colonies was studied in several parts of Germany using microsatellite DNA markers. In nine of the 16 investigated colonies the queen had mated only with one male, in the remaining 6 colonies the queen mated at least twice. No significant genetic population structure was found among colonies within Germany. This suggests that there is substantial gene flow and no dispersal barriers for Vespa crabro within Germany. Finally, a very easy modification of commercial hornet boxes is introduced, which could lead to a better acceptance of hornet boxes to nest-seeking queens.

Keywords: European Hornet, Vespa crabro, RFID-tags, nest foundation, longevity, satellite nest, division of labor, hornet box



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Zum Geleit Viele kennen die Volksmund-Aussage «7 Hornissen töten ein Pferd, 3 einen Menschen»! Das tönt massiv gefährlich. Und diese Wespenart macht schon allein durch ihre schiere Grösse Eindruck. Aber ausser für Allergiker geht von ihr keine Gefahr aus. Ja es ist im Gegenteil eine erstaunliche Friedfertigkeit gegeben. Sie weichen uns im Jagdflug aus, sie naschen uns nicht wie im Falle der Wespen die Süssspeisen weg. Und die Hornisse ist der Feind der Wespen. Ich hatte einmal auf meiner Wohnterrasse im Dachgebälk ein grosses Wespennest. Vor dem Eingang des Wespennestes patrouillierte eine Hornisse, schnappte jeweils eine Wespe und liess sich im Sturzflug fallen, war aber innert kurzer Zeit wieder vor dem Nesteingang. Das wiederholte sich Dutzende Male! Ein Hornissenvolk soll so ein halbes Kilo Insekten im Tag vertilgen können. Im Sommer sieht man allerdings ihre Spuren an unseren Baumfrüchten. Sie nagen die Birnen, Äpfel oder Trauben an, würden aber auch dort nicht stechen, ausser wir würden sie dabei quetschen. Johann-Christoph Kornmilch ist es unter den Fittichen von Professor Gerald Kerth der Universität Greifswald mit Akribie gelungen diese interessanten Tiere zu beobachten. Wir erfahren erstaunliches über die Nestbildungen, Adoptionen und Usurpationen. Mit individuellen Markierungen ist es gelungen den Alltag der Hornissen mit ihrem sozialen Leben zu verfolgen. Da Hornissen auch Totholzbewohner sind, waren Nisthilfen in Form von Hornissenkästen und ihrer nötigen Ausstattung ein Aspekt des Artenschutzes. Mit Hilfe dieser Studie erfahren wir somit mehr über das angeblich so gefährliche Tier. Mehr Wissen über ihre ökologischen Wechselbeziehungen hilft uns diese Tierart mit ihrer Wirkungsweise besser zu verstehen. Dafür geht ein herzliches Dankeschön für dieses Artenportrait an Herrn Kornmilch und an die Professur für angewandte Zoologie und Naturschutz im Zoologischen Institut der Universität Greifswald. Möge diese Studie mithelfen, mehr Verständnis für die Vielfalt unserer einheimischen Tierwelt zu entwickeln.

Mario F. Broggi Stiftungsrat Bristol-Stiftung, Zürich



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Inhalt Abstract Zum Geleit Vorwort Dank

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Einleitung 1.1 Die Hornisse – eine Symbolart im Naturschutz 1.2 Die Europäische Hornisse 1.3 Verwandte Arten 1.4 Hornissen im Siedlungsbereich 1.5 Hornissen im Wald 1.6 Filialnestbildung 1.7 Gruppenentscheidung bei Hornissen 1.8 Der Kombi-Nistkasten 1.9 RFID-Technologie

13 13 14 17 17 19 19 19 20 20

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Material und Methoden 2.1 Untersuchungsgebiete 2.1.1 Arboretum der Universität Greifswald 2.1.2 Zoologisches Institut und Museum der Universität Greifswald 2.1.3 Greifswalder Stadtforst 2.1.4 Naturschutzgebiet (NSG) Eldena 2.2 Nester 2.3 Beobachtungskästen 2.4 Individuelle Markierungen 2.4.1 Farb-Markierung 2.4.2 Transpondermarkierung 2.5 Funktionsweise der RFID-Technologie 2.6 Altersbestimmung 2.7 Datenauswertung 2.8 Populationsgenetik

21 21 21 21 21 22 22 27 29 29 30 33 33 35 35

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Genetische Populationsstruktur und Paarungssystem 3.1 Genetische Populationsstruktur in Deutschland 3.2 Das Paarungssystem der Hornisse

37 37 38

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Solitäre Phase 4.1 Zwei Wochen aus dem Leben einer Königin 4.2 Tägliche Ausflüge 4.3 Tagesaktivität 4.4 Nachtruhe

39 39 41 44 44

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Adoption und Usurpation 5.1 Adoption 5.2 Usurpation 5.3 Konkurrenzausschluss 5.4 Evolutionärer Ursprung von sozialem Parasitismus

47 47 48 52 52


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Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

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Soziale Phase 6.1 Lebenserwartung 6.2 Arbeitsteilung 6.3 Filialnestbildung 6.4 Nestbindung

53 53 55 62 68

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Umbau von Hornissenkästen 7.1 Die Grösse 7.2 Das Material 7.3 Eigene Versuche zur Besiedlung 7.4 Konkurrenz um die modifizierten Nistkästen 7.5 Der Umbau

71 71 71 72 76 77

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Ausblick

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Literatur

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Portrait des Autors

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Vorwort Mein Interesse an Hornissen hat etwas mit meinen Langzeitstudien an Fledermäusen zu tun. In unseren Untersuchungsgebieten in verschiedenen Wäldern Deutschlands, Bulgariens und der Schweiz leben die von uns untersuchten Fledermausarten in Fledermausund Vogelnistkästen. Dort siedeln sich auch sehr gerne Hornissen an, insbesondere wenn die Kästen an besonnten Standorten ausgebracht wurden. Lange waren mir diese Nutzerinnen der Kästen eher lästig, da ich immer aufpassen musste nicht aus Versehen einen Kasten zu öffnen, der ein Hornissennest enthielt. Auch die deutschen Forstarbeiter die mit uns zusammenarbeiteten hatten grossen Respekt vor den Hornissen und nannten sie «Neuntöter» was mich zunächst sehr verwirrte, da ich dabei an den gleichnamigen Vogel dachte und nicht an Hornissen. Damals wusste ich noch nichts von der weitverbreiteten Mär, dass neun Hornissen-Stiche einen Menschen töten können. Ab und zu stach mich tatsächlich eine Hornisse. In den letzten 30 Jahren intensiver Kastenkontrollen kam das aber nur dreimal vor und war nicht schlimmer als ein «normaler» Wespenstich. Eine Beobachtung weckte dann aber mein wissenschaftliches Interesse an Hornissen: Ich beobachtete zwei benachbarte Fledermauskästen, die beide Hornissennester aufwiesen und zwischen denen die Arbeiterinnen rege hin und her flogen. Ich dachte zunächst, dass Hornissen – ähnlich wie manche Ameisenarten – polydom sein können, also ein Staat über zwei Nester verfügen kann. Mit meinem Umzug von der Schweiz nach Greifswald lernte ich dann Christoph Kornmilch kennen, der am Zoologischen Institut der Universität Greifswald seine Diplomarbeit abgelegt hatte und ein Fachmann für Hornissen ist. Er erklärte mir, dass Hornissen im Hochsommer manchmal vom Gründungsnest in ein neues Quartier umziehen, wenn es am ursprünglichen Standort für das wachsende Hornissenvolk zu eng wird. So kann es sein, dass es für einige Wochen zwei Neststandorte gibt: das Gründungs- und das Filialnest. Da mich zu dieser Zeit besonders die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung über Tagesquartiere bei Fledermäusen fesselte, kam ich zusammen mit Christoph auf den Gedanken, auch bei Hornissen zu untersuchen, wie sie ihre Filialnester gründeten und wie die Hornissenkolonien diesen Umzug organisieren. Schnell wurde bei unseren Literaturrecherchen klar, dass generell erstaunlich wenig zum Kolonieleben bei Hornissen (Vespa crabro) bekannt ist, obwohl es eine in Europa weit verbreitete Art ist und sie in Deutschland im Naturschutz eine wichtige Rolle spielt. Hornissen unterliegen nämlich dem Naturschutz und gleichzeitig sind es gerade die Filialnester die immer wieder Probleme machen, da diese Nester gerne in oder nahe bei menschlichen Behausungen gebaut werden. Daher müssen Naturschützer immer wieder Menschen vor den Hornissen «retten» in dem sie die Nester umsiedeln, oder umgekehrt vermeiden, dass solche Hornissennester unnötigerweise zerstört werden. Um das soziale Leben der Hornissen zu untersuchen, begannen wir also die in diesem Buch vorgestellte Studie, welche dankenswerterweise von der Bristol-Stiftung grosszügig gefördert wurde. Ich wünsche den Leserinnen und Lesern des von Christoph mit meiner Unterstützung geschriebenen Buches viel Spass und hoffentlich interessante Einblicke in das spannende Leben, der eigentlich sehr friedlichen und im Naturhaushalt ökologisch wichtigen Hornissen!

Gerald Kerth Universität Greifswald


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Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

Dank Ich möchte mich herzlich bei Herrn Mario Broggi und der Bristol-Stiftung für die Förderung des Projektes und das Herausgeben des Buches bedanken. Für die wissenschaftliche Betreuung des Projektes danke ich Gerald Kerth. Ihm gilt auch mein Dank für das Erstellen des Kapitels «Genetische Populationsstruktur und Paarungssystem». Die gesamte Arbeit wäre ohne viele Helfer nie möglich gewesen. Ich möchte mich bei Linda Dombrowski, Lena Johanning und Nadja Jänicke herzlich bedanken, die durch ihre Mitarbeit am Projekt und die Erstellung von drei Bachelor- bzw. Masterarbeiten viel zum Gelingen beigetragen haben. Für umfangreiche Hilfe bei Beobachtungen und der Datenerfassung danke ich Anne-Marlen Bandt, Elisabeth Haseloff, Nadja Heitmann, Axinia Suchanek und Elisabeth Reim. Für die Entnahme und Zusendung von Hornissenmaterial für die genetischen Untersuchungen quer durch Deutschland möchte ich mich bei Melanie von Orlow, Gernot Kunzemann, Andreas Kunzmann, Walter Kraus, Hans Bugert und Jan-Erik Ahlborn bedanken. Melanie von Orlow, Hans-Heinrich von Hagen, Hans Bugert und Gernot Kunzemann standen mir während der Arbeit für fachlichen Austausch zur Seite. Ihnen allen möchte ich herzlich für viele Anregungen danken. Für umfangreiche Datenaufbereitung bin ich Pavlin Mavrodiev sehr zu Dank verpflichtet. Bei statistischen Fragen halfen mir Kerstin Weitmann und Daniela Fleischmann. Mein besonderer Dank gilt Anja Walter, Knut Weidemann und Hajo Hornberg, die mir über Jahre immer als wertvolle Hilfe zur Seite standen. Ihr tatkräftiges Anpacken sowie gute Ideen bei technischen Schwierigkeiten haben viel zum Gelingen des Projektes beigetragen. Thoralf Weiss und dem Team des Arboretums der Universität Greifswald danke ich herzlich für die sehr freundliche und umfangreiche Hilfe. Für eine lange Zeit habe ich das schöne Arboretum als meine zweite Heimat empfunden. Bent Knoll möchte ich für die Zusammenarbeit im Greifswalder Stadtforst danken. Für die Durchsicht des Manuskriptes danke ich Gerald Kerth, Ernst-Ekkehard Kornmilch, Melanie von Orlow, Silke Fregin und Mario Broggi. Bei Anja Walter, Linda Dombrowski, Hajo Hornberg, Michael Luhn und Christian Breithaupt möchte ich mich herzlich für die Bereitstellung von Bildern für dieses Buch bedanken. Silvia Ruppen möchte ich für die ausgesprochen gelungene Aquarellzeichnung des Einbandes danken. Sie hat damit für den schönen äusseren Eindruck des Buches gesorgt. Johann-Christoph Kornmilch


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Einleitung

1.1

Die Hornisse – eine Symbolart im Naturschutz

Im Laufe der letzten Jahre hat die in Deutschland und Österreich vom Naturschutzrecht besonders geschützte Europäische Hornisse (Abb. 1) in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach eine erfreuliche Wandlung vom gefürchteten, stechenden Insekt hin zu einem friedlichen Nützling in unserer Natur erfahren können. Mehr und mehr wird mit alten Legenden («sieben bzw. neun Hornissenstiche töten ein Pferd, drei einen Erwachsenen und zwei ein Kind») aufgeräumt. Naturschutzverbände schreiben sich den Schutz der imposanten Nützlinge vermehrt auf ihre Fahnen und auch in der breiten Bevölkerung steigt die Akzeptanz für die Tiere stetig. Dennoch bleibt die Hornisse durch Angst und Intoleranz vieler Menschen derzeit das am meisten gefürchtete heimische Insekt, was immer noch zur Vernichtung von Nestern im Siedlungsbereich führt . In Deutschland ist die Hornisse nach der Bundesartenschutzverordnung besonders geschützt. In Österreich ist sie in der Steiermark und in Oberösterreich geschützt. In der Schweiz unterliegen die Hornissen keinem besonderen Schutz.

Abb. 1. Im Spätsommer kann es vorkommen, dass auch Hornissen am Obst naschen. Im Vergleich zu anderen Wespenarten wie der Deutschen Wespe oder der Gemeinen Wespe sind diese Begegnungen jedoch selten. Foto: Michael Luhn.


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1.2

Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

Die Europäische Hornisse

Die Hornisse ist die grösste einheimische Wespenart in Mitteleuropa. Die Königinnen werden meist zwischen 25 und 35 mm lang, die Arbeiterinnen messen 18 bis 25 mm, Drohnen erreichen bis 28 mm Länge. Durch ihre Grösse und Färbung ist die Hornisse (Abb. 2) auch für den Laien meist gut zu erkennen. Es gibt allerdings auch Nachahmer unter den Faltenwespen (Mittlere Wespe, Dolichovespula media, Abb. 3), Pflanzenwespen (Gelbe Knopfhornblattwespe Cimbex luteus), Zweiflüglern (Hornissenschwebfliege Volucella zonaria;, Abb. 4; Hornissenraubfliege Asilus crabroniformis), Schmetterlingen

Abb. 2. Hornissenkönigin.

Abb. 3. Königin der Mittleren Wespe («Kleine Hornisse», Dolichovespula media). Während Wangen, Schläfen und Brust der Hornisse ausschliesslich rot und schwarz gefärbt sind, sind diese Körperteile der Mittleren Wespe auch gelb gezeichnet.

Abb. 4. Die Hornissenschwebfliege (Volucella zona- Abb. 5. Mit dem Hornissen-Glasflügler (Sesia apiria), imitiert zwar die Färbung der Hornisse, ist aber formis) hat die Hornisse auch unter den Schmetterdurch die sehr kurzen Fühler sowie durch nur ein lingen einen Nachahmer. Flügelpaar leicht von Hornissen zu unterschieden.


Einleitung

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Abb. 6. Europäische Hornissen im Nest.

(Hornissen-Glasflügler Sesia apiformis, Abb. 5), die ihr in Grösse und Zeichnung stark ähneln. Ausser bei der Mittleren Wespe handelt es sich bei dieser äusserlichen Ähnlichkeit um Mimikry-Verhalten, also der Nachahmung eines wehrhaften Tieres zum Zwecke des Schutzes vor Fressfeinden (STORCH und WELSCH 2005). Hornissen sind wärmeliebende Tiere. Daher besiedeln sie am liebsten trocken-warme bis mässig feuchte, lichte Laubmischwälder, Auenwälder und Parklandschaften (VON HAGEN et al. 1994). Hier legen sie vor allem oberirdisch in Baumhöhlen ihre Nester an (Abb. 6). Aber auch in Höhlen im Boden werden Nester gegründet. Deren Überlebenschancen scheinen jedoch nach eigenen Beobachtungen deutlich geringer zu sein, so dass man im fortgeschrittenen Jahr kaum noch unterirdische Nester antrifft. Der Siedlungsbereich mit seinem in der Regel besonders trocken-warmen Klima stellt für Hornissen eine sehr gute Alternative zu halboffenen Landschaftsformen der freien Natur dar. Als Ersatznistplätze werden hier vor allem alte Obstbäume, Gartenhütten, Scheunen, Dachböden und Nistkästen zur Nestanlage ausgesucht (VON HAGEN et al. 1994). Hornissen benötigen für ihre Ernährung sowohl eiweissreiche, als auch zuckerhaltige Nahrung. Während der Larvalentwicklung werden die Nachkommen von den Arbeiterinnen fast ausschliesslich mit eiweissreicher Nahrung gefüttert. Dazu werden vor allem Insekten (überwiegend Fliegen und Wespen) gefangen und deren Muskelfleisch zu einem Brei zerkaut und verfüttert. Auch die Königin des Staates hat durch das tägliche Eierlegen einen hohen Bedarf an Eiweiss. Ausgewachsene Hornissen hingegen decken ihren hohen Energiebedarf überwiegend durch zuckerhaltige Nahrung. Diese kann in Form von Nektar, (vor allem von Gewöhnlicher Berberitze (Berberis vulgaris), Zwergmispeln (Cotoneaster) oder Mahonien (Mahonia)), Bäumsäften, Honigtau oder Fruchtsäften reifen Fallobstes aufgenommen werden. Baumsäfte bieten reiche Zuckerquellen. Tritt aus Verletzungen an Bäumen Baumsaft aus, können Hornissen oft in grösserer Anzahl beim Safttrinken beob-


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Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

Abb. 7. Die Asiatische Hornisse, Vespa velutina. Foto: Christian Breithaupt.

Abb. 8. Eine Arbeiterin der Orientalischen Hornisse, Vespa orientalis.


Einleitung

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achtet werden. Stehen solche Quellen nicht zur Verfügung, beissen Hornissen gezielt die Rinde dünner Zweige auf, um das Austreten von Baumsaft zu bewirken. Vor allem die Zweige von Flieder, Eiche, Birne, Esche und Birken werden gerne «geringelt». Die Larven der Hornissen geben an die Arbeiterinnen und die Königin kleine Tropfen energiereichen Speichelsaftes ab. Dies ist vor allem an Schlechtwettertagen, wenn die Arbeiterinnen ausserhalb des Nestes weniger Nahrung beschaffen können, eine wichtige zusätzliche Nahrungsquelle.

1.3

Verwandte Arten

Weltweit sind etwa 23 Hornissenarten bekannt. Hornissen kommen in tropischen bis gemässigten Zonen vor, wobei der Verbreitungsschwerpunkt der Gattung in Ostasien liegt (Wikipedia.org). Bis 2014 war die Europäische Hornisse die einzige nachgewiesene Hornissenart in Deutschland. Im Jahr 2014 wurde dann erstmals die Asiatische Hornisse (Vespa velutina, Abb. 7) gleich mehrfach in Deutschland beobachtet und auch bereits eine erfolgreiche Nestgründung und -entwicklung dokumentiert (WITT 2015). Die Asiatische Hornisse war bereits 2004 unabsichtlich mit Warensendungen in einem Container aus Asien nach Frankreich eingeschleppt worden (HAXAIRE et al. 2006). Von Bordeaux aus konnte sich die Art schnell in Frankreich ausbreiten (ROME et al. 2013) und kommt heute in fast allen Landesteilen vor. Seit 2014 kann diese Art auch in Deutschland als eingebürgert gelten und ist vermutlich ab jetzt fester Bestandteil der heimischen Wespenfauna. Im Vergleich zur Europäischen Hornisse ist die Asiatische Hornisse deutlich kleiner. Die Königinnen werden nur etwa 30 statt 35 mm lang, Arbeiterinnen werden etwa 24 mm lang. Dafür erreichen die Staaten von Vespa velutina höhere Volksstärken. Während die Staaten der Europäischen Hornisse Volksstärken von mehreren Hundert bis maximal 1700 Tieren aufweisen, betragen die Volksstärken in Nestern der Asiatischen Hornisse mehrere Tausend Tiere (WITT 2009). Auch in Hinsicht auf den bevorzugten Nistraum unterscheiden sich die Arten. Während die Europäische Hornisse ein typischer Höhlenbrüter ist, wurden Nester der Asiatischen Hornisse in Frankreich vor allem freihängend in den Kronen grosser Bäume gefunden. Das erste in Deutschland gefundene Nest wurde allerdings davon abweichend in einem Holzschuppen angelegt (WITT 2015). Mit der Orientalischen Hornisse (Vespa orientalis, Abb. 8) findet sich in Südeuropa eine weitere Hornissenart in Europa. Diese Art kommt insgesamt in Südeuropa, dem Nahen und Mittleren Osten vor. Als einzige Hornissenart ist sie an trockenes Wüstenklima angepasst. Ihre Nester legt die Art vorwiegend im Boden oder in altem Mauerwerk an (WITT 2009; eigene Beobachtungen). Die Orientalische Hornisse ist etwas kleiner als die Europäische Hornisse. Die Königinnen messen etwa 30 mm, Arbeiterinnen meist 18 bis 23 mm (WITT 2009).

1.4

Hornissen im Siedlungsbereich

Hornissen sind in der Wahl ihrer Nist- und Nahrungsräume sehr anpassungsfähig (RIPBERGER und HUTTER 1992; WITT 2009). Dadurch fällt es ihnen leicht, auch im Siedlungsbereich des Menschen zu leben. Gerade hier finden sie strukturreiche offene Gebiete, die teilweise gute Jagdhabitate darstellen, und in den Baustrukturen menschlicher Siedlungen lassen


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Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

Abb. 9. Hornissennest, umgesiedelt aus dem Giebel eines Forsthauses.

sich vielerorts Nester anlegen. Gleichzeitig kommt es im Kontaktbereich Mensch-Hornisse beim Auftreten von Hornissennestern regelmässig zu Konflikten (RIPBERGER und HUTTER 1992; KORNMILCH 2003; WITT 2009). Grund dafür sind seltener wirkliche Probleme mit Hornissen, wie Stiche bei Allergikern oder Hornissen in der Wohnung, sondern vor allem Vorurteile und die Angst vor den grossen, für viele Menschen unheimlichen Tieren. Die Wirkung der Hornissenstiche wird dabei meist völlig überbewertet. Ausser für Allergiker ist für Menschen selbst eine grosse Anzahl von Stichen zwar schmerzhaft, aber ungefährlich (WITT 2009). Zudem kommt es sehr selten zu Hornissenstichen, da Hornissen im Gegensatz zu Bienen und anderen Wespen nur äusserst selten den Kuchenteller oder das Glas Limonade anfliegen. Da Hornissen jedoch auch im Dunklen fliegen und gerne helle Fenster ansteuern, gibt es abends oder nachts bei geöffnetem Fenster öfter ungewolltes Aufeinandertreffen von Mensch und Tier. Durch das Auftreten von Hornissennestern im menschlichen Siedlungsraum kommt es jeden Sommer zu einer Flut von Hilferufen besorgter oder verängstigter Bürger bei Umweltämtern, Naturschutzverbänden und Feuerwehren (RIPBERGER und HUTTER 1992). Viele dieser «Problemfälle» lassen sich vor Ort recht einfach zum Beispiel durch Fluglochverlagerung oder Absperren eines Sicherheitskorridors um den Nesteingang lösen. Aber in zahlreichen anderen Fällen ist eine Umsiedlung oder Vernichtung der Nester unumgänglich (Abb. 9).


Einleitung

1.5

19

Hornissen im Wald

Während Nestgründungen im Siedlungsbereich des Menschen lediglich aufgrund der hohen Flexibilität der Hornissen erfolgen, stellen Waldgebiete den natürlichen Lebensraum dar. Lichte Wälder oder Waldränder sind die idealen Jagdreviere der Tiere und in Höhlen alter Bäume legen Hornissen ihre Nester an. Je naturnaher ein Wald ist, desto günstiger sind die Lebensbedingungen für die Hornissen (WITT 2009). Die grosse ökologische Bedeutung der Hornissen im Wald erwächst aus ihrer Rolle als Insektenjäger. Durch die Dezimierung von für die Forstwirtschaft gefährlichen Insektenarten helfen Hornissen dabei, Massenauftreten von Schädlingen zu verhindern und damit Forstschäden zu vermeiden (RIPBERGER und HUTTER 1992; WITT 2009). Ein einziges Hornissenvolk trägt täglich rund ein halbes Kilogramm Insekten als Beute ins Nest ein. Dies entspricht dem täglichen Bedarf von sechs Meisenfamilien (RIPBERGER und HUTTER 1992). Um die nützlichen Hornissen im Wald zu fördern, sollten Forstleute den Totholzanteil und die Anzahl von Höhlenbäumen im Wald möglichst hoch halten. Diese Massnahmen helfen auch anderen Tierarten, die gleiche Ansprüche an Nisträume haben, wie zum Beispiel Fledermäusen, Siebenschläfern, Baummardern oder vielen höhlenbrütenden Vögeln (RIPBERGER und HUTTER 1992).

1.6

Filialnestbildung

Ein Grossteil der «Konfliktnester» im Siedlungsbereich sind sogenannte Filialnester. Die Europäische Hornisse ist, ebenso wie die 2004 nach Europa eingeschleppte Asiatische Hornisse (Vespa velutina) (HAXAIRE et al. 2006), in der Lage, bei Platzmangel im alten Nest, an anderer Stelle ein neues Nest zu gründen, welches dann den nötigen Platz bietet, um dem Hornissenvolk ein unbegrenztes Nestwachstum zu ermöglichen. Besonders Hornissennester in Vogelnistkästen neigen zur Filialnestbildung. Normalerweise geschieht die Filialnestbildung im Juli oder August (RIPBERGER und HUTTER 1992), kann in Einzelfällen aber auch erst im September beginnen (eigene Beobachtungen). Die neuen Nester werden dabei oft recht offen an Dachgiebeln oder im Inneren von Wohnräumen angelegt. Innerhalb von wenigen Tagen stehen dann die menschlichen Anwohner vor der Tatsache, sich ihren Lebensraum mit einem ganzen Hornissenvolk teilen zu müssen. Das Phänomen «Filialnestgründung» wurde im vorliegenden Forschungsprojekt mit modernsten Methoden der Markierung mit speziell für Insekten entwickelten Transpondern (TS-R34-BEE; GIS Deutschland) genauer untersucht. Durch die Untersuchung von Nestern, die natürlich oder künstlich (durch Nistraumverengung) zur Filialnestbildung gebracht wurden, sollten die verschiedenen Faktoren der Gruppenentscheidung einer Kolonie über den Umzug und die Wahl eines neuen Neststandortes, die dann zur Filialnestgründung führen, im Freiland ermittelt werden.

1.7

Gruppenentscheidung bei Hornissen

Über die Abläufe der Entscheidungsfindung zur Filialnestbildung bei Hornissen gibt es kaum Angaben in der Literatur. Bei Honigbienen sind dagegen die Abläufe bei Gruppenentscheidungen über neue Nestplätze bei schwärmenden Völkern sehr gut untersucht (SEELEY et al. 2006; SEELEY 2010). Hierbei zeigte sich, dass nur ein kleiner Teil des Bienenvolkes neue Neststandorte erforscht und dass diese explorierenden Individuen besonders


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Einblicke in das Leben der Europäischen Hornisse

alte und erfahrene Mitglieder der Kolonie sind. Auch die Kriterien der Nestplatzwahl sind bei Honigbienen gut erforscht. So spielt beispielsweise die Grösse des Hohlraumes eine entscheidende Rolle. Die Art und Weise, wie Gruppenentscheidungen in Tiergesellschaften getroffen werden, ist derzeit ein wichtiges Forschungsthema in der Verhaltensbiologie. Der Grund hierfür ist, dass Gruppenentscheidungen ein zentrales Element nahezu aller Gesellschaften sind und daher von grosser Bedeutung für das Verständnis der Funktion von Tiersozietäten (CONRADT und LIST 2009; K ERTH 2010). Im vorgestellten Forschungsprojekt sollte an Beobachtungsnestern mittels individuell mit RFID-tags markierten Hornissen die Gruppenentscheidungen über neue Neststandorte untersucht werden. Bisher war völlig unklar, wer in Hornissenkolonien entscheidet, welches potentielle Quartier als neuer Neststandort gewählt wird, welche Kriterien bei Nestplatzwahl eine Rolle spielen und wie die Königin die Kontrolle über beide Nester während der mehrere Wochen dauernden Umzugsphase behält. Die zeitweilige Polydomie (ein Volk nutzt gleichzeitig mehrere Nester) und das Umziehen der Kolonien in neue Quartiere eröffnete vielfältige Möglichkeiten, im Freiland experimentell in Gruppenentscheidungen über Neststandorte einzugreifen (z. B. indem Quartiere unterschiedlicher Qualität angeboten wurden).

1.8

Der Kombi-Nistkasten

Ein weiteres unmittelbar angewandtes Ziel des Projektes war die Entwicklung eines modifizierten Hornissennistkastens, der durch seine Kombi-Bauweise sowohl grosszügigen Platz für die volle Entfaltung des Hornissennestes im Spätsommer bieten soll, als auch durch einen herausnehmbaren kleinen Innenkasten beste Bedingungen für die Gründungsphase des Staates im Frühjahr bietet. Die Erkenntnisse des Projektes über Präferenzen der Hornissen sowie vorteilhafte Nestgrössen sollten in die Entwicklung dieses Hornissenkastens einfliessen. Nistkästen werden zwar vielerorts gebaut und von Naturfreunden, Naturschutzverbänden oder Umweltämtern aufgehängt, häufig bleibt der Besiedlungserfolg aber weit hinter den Erwartungen zurück, wie langjährige Beobachtungen zahlreicher aktiver Hornissenschützer zeigen.

1.9

RFID-Technologie

Die hier vorgestellten Daten über die Lebensdauer, das Ausflugverhalten und die Tagesaktivität der Hornissen konnten durch Einsatz von modernen Transpondern (RFID-tags) erlangt werden. Dazu wurden im Laufe mehrerer Jahre Hunderten von Hornissen reiskorngrosse Transponder auf den Thorax geklebt, die bei jedem Passieren der Empfangsantennen der an den Kasten angebauten Transponder-Lesegeräte am Eingang der Hornissennester ein Signal hinterliessen, das in den Lesegeräten gespeichert wurde. War eine Hornisse einmal mit einem Transponder ausgestattet, konnte deren Ein- und Ausflugverhalten am überwachten Nest ihr gesamtes Leben lang automatisiert aufgezeichnet werden. Diese Methoden der Markierung mit Transpondern wurden in der Arbeitsgruppe von Prof. Kerth seit Jahren verwendet und immer weiter verfeinert (K ERTH und KÖNIG 1999; K ERTH und RECKARDT 2003). Ursprünglich wurden die Methoden bei Fledermausprojekten verwendet, im vorliegenden Projekt wurde die Technik aber auf Hornissen und deren Nester übertragen und angepasst.


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Portrait des Autors Johann-Christoph Kornmilch Johann-Christoph Kornmilch wurde am 22. September 1970 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) geboren. Schon in seiner Kindheit und Jugendzeit interessierte er sich stark für Insekten, speziell für Wildbienen und Wespen. Er studierte von 1991 bis 1999 in Rostock und Greifswald Biologie. Seine Diplomarbeit verfasste er über Stechimmen (Bienen und Wespen) auf Küstenhabitaten des Greifswalder Bodens. Nach dem Studium arbeitete er sowohl in verschiedenen Forschungsprojekten an der Universität Greifswald, als auch als freier Gutachter für Wildbienen und Wespen. Sein besonderes Interesse gilt der Blütenbindung und Bestäubungsleistung von Wildbienen. Seit 2002 ist Kornmilch Wespen- und Hornissenberater und -umsiedler und bildet in diesem Bereich auch neue Berater aus.



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