Regierungspräsidium Freiburg; Wimperfledermaus

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Regierungspräsidium Freiburg (Hrsg.)

Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus



Regierungspr채sidium Freiburg (Hrsg.)

Claude Steck, Robert Brinkmann mit Bildern von Klaus Echle

Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus Einblicke in die Lebensweise gef채hrdeter Arten in Baden-W체rttemberg

Haupt Verlag


Dr. Claude Steck ist Diplom-Biologe und seit 1999 im Fledermausschutz tätig. 2001–2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich und hat dort promoviert. Seit 2001 arbeitet er eng mit Dr. Robert Brinkmann und weiteren Fachkollegen zusammen – inzwischen als Mitarbeiter am Freiburger Institut für angewandte Tierökologie – und führt Forschungs- und angewandte Projekte zu Fledermäusen durch. Dr. Robert Brinkmann beschäftigt sich seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn vor über 25 Jahren intensiv mit Fledermäusen. Er ist Diplom-Ingenieur der Landespflege und promovierte 1999 am Institut für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover. Danach führte er zahlreiche Studien und Forschungen zu Fledermäusen in Baden-Württemberg durch. 2010 gründete er das Freiburger Institut für angewandte Tierökologie (FrInaT). Klaus Echle ist gelernter Koch und Diplom-Ingenieur für Forstwirtschaft. Er ist seit über 20 Jahren ehrenamtlich im Fledermausschutz tätig. Für seine Naturfotografien ist er vielfach ausgezeichnet worden, so z. B. als «Europäischer Naturfotograf des Jahres» in den Jahren 2001– 2006; 2011 erhielt er den Fritz Pölking Preis. Die Aufarbeitung der Daten sowie die Manuskripterstellung wurden gefördert von der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg.

1. Auflage : 2015 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http : //dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07910-3 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2015 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Gestaltung und Satz : René Tschirren Printed in Germany www.haupt.ch


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Inhaltsverzeichnis Grußwort der Herausgeberin 1

Warum ein Buch über seltene Fledermausarten in Baden-Württemberg?

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Themenkasten

Methoden zur Erfassung von Fledermäusen

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Gleich und doch anders – die Vielfalt unserer Fledermäuse

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Die baden-württembergischen Vorkommen 3.1 Die Verbreitung der Arten in Europa

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Themenkasten

3.2

FFH-Stichprobenmonitoring der Fledermäuse in Baden-Württemberg

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Wimperfledermaus – eine mediterrane Art in der Toskana Deutschlands

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Themenkasten

3.3 3.4

Erfolgreiche Suche nach Wimperfledermaus-Kolonien

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Bechsteinfledermaus – durch Wald und Obstwiesen Mopsfledermaus – Depression mit Lichtblick

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Themenkasten

Habitatmodelle für die drei Fledermausarten 4

Quartiernutzung 4.1 Überblick 4.2 Wimperfledermaus – die Kulturfolgerin

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Themenkasten

Licht im Dunkel eines Winterquartiers

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Inhaltsverzeichnis

4.3 4.4

Bechsteinfledermaus – den Spechten auf den Fersen Mopsfledermaus – ein Leben in Spalten

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Themenkasten

Rekordwochenstube der Mopsfledermaus im Odenwald 5

Jagdhabitate 5.1 Überblick 5.2 Wimperfledermaus – die Fliegenfänger

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Themenkasten

5.3

Nahrung und Habitatwahl der Wimperfledermaus im Kontext

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Bechsteinfledermaus – Indikatorart für alte Wälder

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Themenkasten

5.4 6

Die Bechsteinfledermaus würde auch Obstbäume pflanzen

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Mopsfledermaus – den Motten auf der Spur

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Flugverhalten 6.1 Überblick 6.2 Wimperfledermaus und Bechsteinfledermaus – Leben auf breitem Flügel

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Themenkasten

6.3

Flugwegemodell

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Mopsfledermaus – an Ecken und Kanten

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Gesamtlebensraum

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Gefährdungen und Schutzmaßnahmen 8.1 Zum Schutzstatus der Fledermäuse 8.2 Gefährdungen – ein Überblick 8.2.1 Beeinträchtigung von Quartieren 8.2.2 Beeinträchtigung von Jagdhabitaten 8.2.3 Verlust von Leitstrukturen und Zerschneidungswirkungen

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Inhaltsverzeichnis

Themenkasten

8.3

Umbau der Freiburger Wochenstubenquartiere der Wimperfledermaus

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Erhaltung und Entwicklung von Sommerquartieren 8.3.1 Gebäudequartiere 8.3.2 Baumquartiere

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Themenkasten

Managementpläne für FFH-Gebiete – Beispiel Klettgaurücken

8.4 8.5

8.6

8.3.3 Fledermauskästen Schutz und Entwicklung von Winterquartieren Schutz und Entwicklung von Jagdhabitaten 8.5.1 Wimperfledermaus 8.5.2 Bechsteinfledermaus 8.5.3 Mopsfledermaus Schutz und Förderung von Funktionsbeziehungen zwischen Teillebensräumen

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Themenkasten

Verbundkonzeption für die Zielarten Wimperfledermaus und Bechsteinfledermaus 9

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Fledermausbelange in Naturschutz und Eingriffsplanungen 9.1 Fachplanungen des Naturschutzes 9.2 Eingriffsplanungen im Überblick 9.2.1 Typische Eingriffe in Fledermauslebensräume 9.2.2 Anforderungen an die Erfassung von Fledermausvorkommen in Planungsverfahren

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Forschungsfragen für die Zukunft

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Anhang 11.1 Dank 11.2 Fotonachweis 11.3 Literatur

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Grußwort der Herausgeberin Liebe Leserinnen und Leser, Fledermäuse leben versteckt und nur wenige Menschen sind ihnen schon direkt begegnet. Unheimlich kommen sie uns vor, wenn sie nachts lautlos im Laternenschein jagen oder wir sie am Tage beim Schlafen in alten Dachstühlen oder hinter Fensterläden aufschrecken. Rund 20 Arten dieser nützlichen und doch oft verkannten Insektenjäger leben in Südwestdeutschland. Beispielhaft an drei Arten stellen uns die beiden Autoren, Claude Steck und Robert Brinkmann, diese faszinierenden Jäger der Nacht näher vor. Wir erfahren aber auch etwas über die mühevolle und mit hohem Aufwand verbundene Arbeit der Fledermausforscher: über ihre immer neuen Methoden, den Tieren auf die Spur zu kommen, sie bei der Nahrungssuche durch Wald und Flur nicht aus den Augen zu verlieren und die abenteuerliche Erkundung von Winterquartieren tief unter der Erde. Mit seiner Kamera hat der vielfach ausgezeichnete Tierfotograf Klaus Echle die beiden weit über die Region hinaus bekannten Fledermausexperten begleitet. Ihm sind hierbei großartigen Aufnahmen und außergewöhnliche Perspektiven auf unsere seltensten Fledermäuse gelungen. Ich freue mich, ein weiteres Buch der anerkannten Fachliteratur weiterempfehlen zu dürfen und danke den drei Autoren und allen anderen überwiegend ehrenamtlich tätigen Spezialisten für ihre Beiträge. Auch mein Haus, namentlich in Person von Friedrich Kretzschmar, konnte mit Erkenntnissen, die im Rahmen verschiedener Projekte erhoben wurden, das vorliegende Werk bereichern. Der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg danke ich für die finanzielle Unterstützung. An dieser Stelle kurz erwähnen möchte ich auch zwei frühere Publikationen, die wichtige Meilensteine zum Wissen über Fledermäuse darstellen: «Fledermäuse in Baden-Württemberg» von 1987 sowie das «Grundlagenwerk Säugetiere Baden-Württembergs», herausgegeben von der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg und den beiden staatlichen Naturkundemuseen im Jahr 2003. Im Vergleich zu den beiden früheren Werken geht das vorliegende Buch besonders auf die Bedeutung der Erfassungsmethodik und die ökolo-


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Vorwort

gischen Ansprüche der Arten vor dem Hintergrund großer artspezifischer Unterschiede ein. Es leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Schäden am Naturhaushalt bei der Planung landschaftsbeanspruchender Bauvorhaben und trägt darüber hinaus zu einem vertieften Verständnis unserer streng geschützten Fledermausarten und ihrer unterschiedlichsten Raumansprüche bei. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Bärbel Schäfer Regierungspräsidentin Regierungsbezirk Freiburg


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Warum ein Buch 端ber seltene Fledermausarten in Baden-W端rttemberg?



Warum ein Buch über seltene Fledermausarten in Baden-Württemberg?

Von den mehr als vierzig verschiedenen Fledermausarten in Europa [1] sind in Baden-Württemberg zwanzig als heimisch zu bezeichnen, weitere konnten in den letzten Jahren vereinzelt nachgewiesen werden. Nicht nur global, sondern auch hierzulande stellen damit die Fledermäuse nach den Nagetieren die größte Säugetierordnung dar. Der relative Artenreichtum kann jedoch nicht über Gefährdungen hinwegtäuschen, die dazu geführt haben, dass einzelne Fledermausarten in Baden-Württemberg derzeit sehr selten oder in den letzten Jahrzehnten gar ausgestorben sind. So erlitt die Mopsfledermaus – wie mehrere andere Fledermausarten auch – in den 1950er- und 1960er-Jahren in Baden-Württemberg und darüber hinaus sehr starke Bestandseinbußen [2, 3], sodass zurzeit nur noch wenige Vorkommen dieser früher in weiten Teilen des Landes vorkommenden Art bekannt sind. Die Wimperfledermaus, eine der seltensten Fledermausarten Deutschlands, kommt in Baden-Württemberg fast ausschließlich in den wärmebegünstigten Lagen im äußersten Südwesten vor. Die dritte im vorliegenden Buch im Zentrum stehende Fledermausart, die Bechsteinfledermaus, galt in früheren Jahrzehnten aufgrund ihrer noch unauffälligeren Lebensweise als relativ seltene Fledermausart [4]; sie konnte jedoch in den letzten Jahren in nahezu allen Teilen Baden-Württembergs nachgewiesen werden. Aufgrund der aktuellen Gefährdung und des gesetzlichen Schutzes sind Fledermäuse in den letzten Jahren allgemein in den Fokus des Natur- und Artenschutzes gerückt. So wurden zum Beispiel zur Erhaltung der Lebensräume einiger europarechtlich besonders geschützter Fledermausarten (Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie) spezielle Schutzgebiete ausgewiesen und Managementpläne aufgestellt. Bei Eingriffen in Natur und Landschaft, die die Lebensräume von Fledermäusen beeinträchtigen können, sind Fledermäuse grundsätzlich zu berücksichtigen. Deshalb werden Fledermäuse nicht nur bei der Entwicklung von Schutzgebieten, sondern beispielsweise auch bei Straßenbauvorhaben in Wäldern oder bei der Ausweisung von Baugebieten untersucht. Gleichzeitig haben sich seit den 1980er-Jahren die technischen Möglichkeiten, Fledermäuse zu erforschen, stark entwickelt. Wir verfügen heute über zahlreiche Methoden, um das Verhalten und die Lebensraumansprüche von Fledermäusen zu erfassen und zu dokumentieren. Im Rahmen unserer beruflichen und ehrenamtlichen Arbeiten konnten wir in den

Abbildung 1: Die unverwechselbare Mopsfledermaus ist wie einige andere Fledermausarten auf unseren Schutz angewiesen.

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Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus

Abbildung 2: Fledermäuse sind faszinierende Tiere und besonders interessante Studienobjekte, da über ihre Lebensweise noch vergleichsweise wenig bekannt ist.

letzten 15 Jahren in Baden-Württemberg, und hier vor allem in Südbaden, zusammen mit Kollegen viele fledermauskundliche Untersuchungen und einige Forschungsprojekte durchführen. Dabei standen ganz überwiegend die Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus im Fokus des Interesses, weil sie zu den seltensten und punkto Umweltveränderungen zu den sensibelsten Fledermausarten zählen. In diesem Buch möchten wir nun einen Überblick über das aktuelle Wissen zu diesen drei gefährdeten Fledermausarten vermitteln und dabei die Besonderheiten der baden-württembergischen Populationen herausstreichen. Hierbei stützen wir uns auf eigene Daten, aber auch auf die vielen Daten von ehren- und hauptamtlich tätigen Fledermauskundlern aus Baden-Württemberg, denen für die Erlaubnis, diese Daten auszuwerten, besonderer Dank gilt. Auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse zur Verbreitung und zu den Lebensraumansprüchen dieser Fledermausarten werden Empfehlungen für Schutzmaßnahmen entwickelt. Damit sollen Kolleginnen und Kollegen in den Naturschutzverwaltungen, in Planungsbüros oder auch ehrenamtlich mit dem Fledermausschutz beschäftige Privatpersonen ermutigt werden, sich für den Schutz und die Erhaltung dieser drei besonderen Fledermausarten einzusetzen – in Baden-Württemberg und auch darüber hinaus.


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Themenkasten

Methoden zur Erfassung von Fledermäusen

Fledermäuse zu erfassen, ist schwierig, weil sie ganz überwiegend in der Dämmerung und in der Nacht aktiv und für uns deshalb nicht sichtbar sind. Zudem orientieren sie sich mittels Lauten im Ultraschallbereich, die wir nicht hören können. Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren verschiedene Methoden entwickelt, welche die Erfassung von Fledermäusen vereinfachen oder in bestimmten Situationen sogar erst ermöglichen. Über die klassischen Kontrollen von Gebäuden, Stollen, Höhlen oder Nistkästen hinaus, bei denen die Tiere tagsüber beobachtet werden können, wurden somit Wege erschlossen, auch gezielt nach versteckten Baumquartieren zu suchen oder die einzelnen Fledermausarten in ihren nächtlichen Jagdhabitaten und auf den Flugwegen zu erfassen. So können die Ultraschallrufe von Fledermäusen durch den Einsatz von Ultraschalldetektoren für uns hörbar und auch auswertbar gemacht werden. Seit einigen Jahren ist es mit manchen Geräten auch möglich, Fledermausrufe automatisch aufzuzeichnen, sodass Erfassungen auch über mehrere Nächte oder sogar während eines ganzen Sommers an einem Standort durchgeführt werden können. Da gerade die selteneren Fledermausarten (z. B. Bechsteinfledermaus, Brandtfledermaus, Graues Langohr) rein anhand ihrer Ortungslaute in der Regel nicht eindeutig von anderen Arten unterschieden werden können, sind weitere Methoden notwendig, um das gesamte Artenspektrum eines Gebietes zu erfassen. Netzfänge mit speziell

Abbildung 3: Gefangene Tiere – wie hier eine Mopsfledermaus – werden sofort vermessen, hinsichtlich ihres Geschlechts und Reproduktionsstatus untersucht und dann gleich wieder freigelassen.


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Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus

für den Fang von Fledermäusen entwickelten sehr feinen Netzen sowie Telemetrie, bei der die Tiere mit kleinen Sendern versehen und über mehrere Tage verfolgt werden können, haben sich zwischenzeitlich zu Standardmethoden entwickelt – allerdings ist hierfür eine spezielle Genehmigung erforderlich. Vergleicht man die Ergebnisse von Netzfängen und parallel dazu durchgeführten automatisierten akustischen Erfassungen mittels Batcordern (Firma Ecoobs) so wird deutlich, dass beide Methoden selektiv sind. Akustisch wurden bei diesen Untersuchungen vor allem Arten der Gattung Pipistrellus nachgewiesen, während bei den Netzfängen Arten der Gattung Myotis prozentual den größten Anteil an den erfassten Individuen stellen. Dies liegt unter anderem daran, dass Arten der Gattung Pipistrellus eine größere Ruf-Reichweite haben und von daher eher von diesen Geräten detektiert werden als die leiser rufenden Myotis-Arten. Zudem ist ein großer Anteil der aufgezeichneten Rufe der Zwergfledermaus zuzuordnen, die in vielen Gebieten die häufigste Fledermaus ist und entsprechend punktuell hohe Aktivitätsdichten erreicht. Zwergfledermäuse jagen zudem auch in größeren Höhen, z. B. im Kronenbereich der Wälder, und werden daher seltener in den Netzen gefangen, die vom Boden in der Regel nur 3–4 Meter in die Höhe reichen. Der Vorteil der akustischen Dauererfassung ist, dass auch seltene Arten, die akustisch eindeutig bestimmt werden können, wie z. B. die Mopsfledermaus oder die

Abbildung 4: Bei den Netzfängen gehen nicht alle Tiere ins Netz, insbesondere Wimperfledermäuse lassen sich nur mit etwas Glück fangen.


Themenkasten: Methoden zur Erfassung von Fledermäusen

Netzfänge: Anteil der gefangenen Individuen (in %) 0

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Wasserfledermaus Mausohr Bartfledermaus Bechsteinfledermaus Fransenfledermaus Wimperfledermaus Brandtfledermaus Summe Myotis-Arten Kleinabendsegler Abendsegler Breitflügelfledermaus Summe Nyctal. / Vesp. / Eptes. Zwergfledermaus Mückenfledermaus Rauhautfledermaus Weißrandfledermaus Summe Pipistrellus-Arten Braunes Langohr Graues Langohr Summe Plecotus-Arten Mopsfledermaus Akustische Erfassungen (Batcorder): Anteil der aufgezeichneten Files mit Rufsequenzen (%) 0

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Myotis-Arten

Nyctalus / Vespertillo / Eptesicus

Pipistrellus-Arten

Plecotus-Arten

Mopsfledermaus

Abbildung 5: Der Vergleich der Ergebnisse von Netzfängen in verschiedenen Lebensräumen und von zeitgleich dazu im Umfeld durchgeführten akustischen Erfassungen zeigt, dass die beiden Methoden nicht nur qualitativ, sondern auch hinsichtlich der Quantitäten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. (Datengrundlagen oben: Daten von 132 Netzfängen in Jagdhabitaten von Fledermäusen, in der Regel in Wäldern oder strukturreichem Offenland in Südbaden, insgesamt wurden 748 Individuen gefangen; unten: Daten automatischer Ruf-Aufzeichnungen mit Batcordern (Gerät zur akustischen Dauererfassung), die zeitgleich in der Umgebung der Netzfangstellen eingesetzt wurden; je Netzfang-Nacht wurden 2–4 Geräte eingesetzt. Insgesamt wurden 42 443 Fledermaus-Rufsequenzen aus 392 Batcorder-Erfassungsnächten ausgewertet.)

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Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus

heimischen Hufeisennasen gut im Jagdhabitat oder auf Flugrouten nachgewiesen werden können. Zudem können Standorte, an denen eine hohe Aktivitätsdichte von Myotis-Arten gemessen wurde, geeignet sein, um hier gezielt Netzfänge durchzuführen. Netzfänge sind immer dann erforderlich, wenn das Artenspektrum genau ermittelt werden soll, so beispielsweise bei artenschutzrechtlichen Prüfungen. Neben einer sicheren Artbestimmung kann bei den gefangenen Tieren das Geschlecht und der Reproduktionsstatus ermittelt werden, was für die Beurteilung der Bedeutung der genutzten Lebensräume von großer Bedeutung sein kann. Bei den Netzfängen können unterstützend Geräte eingesetzt werden, die Fledermauslaute abspielen und Fledermäuse im Nahbereich in die Netze locken und die Fangwahrscheinlichkeit damit deutlich erhöhen. Unserer Erfahrung nach ist dies bei allen heimischen Fledermausarten wirkungsvoll. Netzfänge sind auch unerlässlich, wenn Tiere telemetriert werden sollen, um die Raumnutzung oder die Quartiere zu ermitteln. Für die Telemetrieuntersuchungen kleben wir ausgewählten Tieren mittels medizinischen Hautklebers kleine Sender ins Rückenfell. Die verwendeten Sender wiegen ab ca. 0,35 g und fallen nach wenigen Tagen von selbst ab. Abbildung 6: Automatische akustische Erfassungseinheiten können breit über Untersuchungsgebiete gestreut werden. In der hier gezeigten Studie wurden Anabat-Geräte im Untersuchungsgebiet verteilt aufgestellt, um mögliche Flugrouten von Fledermäusen festzustellen. Die Standorte der Anabats wurden über mehrere Nächte hinweg in einer Weise verändert, dass über die Zeit ein engmaschiges Netz und damit ein räumlich genaues Bild der Fledermausaktivität entstand.

Für spezielle Fragestellungen, beispielsweise zur Nutzung von Querungshilfen an Autobahnen oder der Nutzung von Winterquartieren, stehen weitere Methoden zur Verfügung. Mit Nachtsichtgeräten und Wärmebildkameras kann das (Flug-)Verhalten der Tiere beobachtet werden. Mit Lichtschranken-Systemen lässt sich –


Themenkasten: Methoden zur Erfassung von Fledermäusen

insbesondere bei Kopplung mit einer Kamera – auch die Nutzung von Quartieren durch verschiedene Arten belegen und quantifizieren. Jedes Projekt ist speziell und erfordert unterschiedliche Untersuchungsmethoden und -intensitäten. In aller Regel ist es jedoch notwendig, verschiedene Methoden zu kombinieren, um ein bestmögliches Resultat zu erreichen. So empfehlen wir für die Erfassung der Wimperfledermaus Netzfänge an Ställen mit hoher Fliegendichte. Hierbei kann eine Voruntersuchung mittels akustischer Dauererfassung oder die Sichtkontrolle mittels Nachtsichtgerät oder Wärmebildkamera hilfreich sein. Sofern bei einem Stall alle Ein- und Ausflugsöffnungen mit Netzen abgestellt werden können, empfiehlt es sich, die Tiere zunächst einfliegen zu lassen und erst dann die Öffnungen mit den Netzen zu verstellen. Der gezielte Nachweis in der freien Natur ist sowohl mit Netzfängen als auch akustisch schwierig, da die Art sehr leise ruft, die Netze gut orten kann und diesen sehr manövrierfähig ausweicht. Die Bechsteinfledermaus kann im Wald vor allem bei der Bodenjagd relativ gut mit Netzen gefangen werden. Daher sind Netze, die über offene Laubflächen gestellt werden, besonders geeignet. Grundsätzlich reagiert die Art auch auf Lockrufe, jedoch sind es dann oft Männchen und Jungtiere, die beim Lockgerät ins Netz gehen. Im Spätsommer verlassen die Tiere oftmals die Waldlebensräume, um in Obstwiesen zu jagen. In Obstwiesen stellen wir die Netze zwischen die Bäume und möglichst auch unter die Baumkronen. Die Mopsfledermaus kann im Gegensatz zu den beiden zuvor genannten Arten akustisch eindeutig nachgewiesen werden. Wenn die Tiere z. B. für eine Telemetrie auch gefangen werden sollen, ist eine Vorbereitung mittels akustischer Dauererfassung meist sinnvoll. Die Netze stellen wir in der Regel so, dass Waldwege abgestellt sind, oder auch senkrecht zu Waldrändern oder ähnlichen Strukturen. Auch die Mopsfledermaus reagiert auf Lockrufe, weshalb sich der Einsatz eines Lockgerätes lohnt.

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Gleich und doch anders – die Vielfalt unserer Fledermäuse



Gleich und doch anders – die Vielfalt unserer Fledermäuse

Die heimischen Fledermäuse sind sich in Bezug auf ihre Rufe und ihr Äußeres teilweise so ähnlich, dass es selbst Experten mit langjähriger Erfahrung nicht immer leichtfällt, die Arten zu bestimmen. Während die Mopsfledermaus mit ihren einzigartigen Ohren und dem namensgebenden Gesicht bereits äußerlich sehr leicht von allen anderen heimischen Fledermausarten zu unterscheiden ist, ähneln Wimperfledermaus und Bechsteinfledermaus auf den ersten Blick mehreren anderen Fledermausarten. Ihre Ohrform weist sie eindeutig der Gruppe der Mausohrfledermäuse (Gattung Myotis) zu, und anhand der im Verhältnis zur Körpergröße besonders langen Ohren (Bechsteinfledermaus) bzw. der rechtwinkligen Einbuchtung am Ohrrand (Wimperfledermaus) sind sie jedoch ebenfalls eindeutig zu bestimmen. Hinsichtlich des Jagdverhaltens lassen sich die heimischen Fledermausarten grob in drei Gruppen einteilen: die Jäger des freien Luftraums (z. B. Abendsegler und Zweifarbfledermaus), die Beute von Oberflächen ablesenden Arten (sogenannte «gleaning bats», beispielsweise Wimperfledermaus und Bechsteinfledermaus), sowie die Arten, die ihre Nahrung zwar im Flug erbeuten, jedoch meist in der Nähe von Gehölzstrukturen fliegen (beispielsweise Mopsfledermaus und Zwergfledermaus). Die entsprechenden Fledermausarten sind dabei morphologisch (z. B. Flügelform) und auch bezüglich der Ortungsrufe an ihre jeweilige Nische angepasst [5, 6]. Das unterschiedliche Verhalten der einzelnen Fledermausarten erfordert neben angepassten Untersuchungsmethoden auch eine differenzierte Sicht im Hinblick auf Schutzmaßnahmen. Oftmals ist es erforderlich, aufgrund der unterschiedlichen Gefährdungsgrade der vorkommenden Fledermausarten Prioritäten zu setzen. Und in diesem Zusammenhang werden die drei Arten Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus in Baden-Württemberg und sicherlich auch in anderen Regionen Mitteleuropas jeweils einen relativ hohen Stellenwert zugesprochen bekommen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Jäger des freien Luftraumes grundsätzlich weniger gefährdet zu sein scheinen als «gleaning bats» [7]. Rein von der Habitatnutzung her weisen die Wimperfledermaus und die Bechsteinfledermaus folglich ein überdurchschnittliches Gefährdungspotenzial auf. Solch allgemeine Aussagen zur Gefährdung von unterschiedlichen Arten sind jedoch stets vor dem Hintergrund der regionalen Besonderheiten zu betrachten. Die Vorkommen der Wimperfledermaus,

Abbildung 7 (linke Seite): Die Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) im typischen Sommerquartier. Die Art ist an ihren langen, voneinander getrennten Ohren mit ca. 10 Querfalten leicht zu erkennen.

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Wimperfledermaus, Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus

Bechsteinfledermaus und Mopsfledermaus in Baden-Württemberg sowie die spezifischen Lebensraumansprüche und die möglichen Gefährdungsfaktoren stellen wir in den folgenden Kapiteln vor.

Abbildung 8: Die Wimperfledermaus (Myotis emarginatus) liebt es gesellig. In Wochenstubenkolonien hängen die Tiere so dicht und teilweise übereinander, dass eine genaue Zählung der Tiere am Hangplatz meist nicht möglich ist. Gut zu erkennen ist in diesem Bild die für Wimperfledermäuse typische Einbuchtung des Ohrhinterrandes. Abbildung 9: Bei dieser im Winterquartier fotografierten Fledermaus berühren sich die breiten Ohren, und auch die kurze Schnauze weist sie eindeutig als Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus) aus. Sie weist auch die bei unseren Mopsfledermäusen häufig festzustellenden Milben an den Ohren auf. Das Tier scheint mit guten Fettreserven im Nacken ausgestattet und damit bestens für den Winterschlaf gerüstet zu sein.




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