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FRANK ECkERT
Glück ist ein warmes Gewehr…
Rückentiteln von »No More Sorrow« bis »How to
einher. Wie konnte es also passieren, dass sich das
Have Great Sex for the Rest of Your Life«. Ech-
glückliche Subjekt heute nicht mehr für soziale Zu-
te Titel aus der schier unendlichen Auswahl an
sammenhänge interessiert, die damit verknüpften
Ratgeberliteratur. Was hier zuerst klar wird: Le-
Themen sogar aktiv abblockt? Slavoj Žižek weiß:
benshilfe und Erfahrungsberichte können offenbar
»It’s ideology, stupid!« Die Entkoppelung von
nicht stumpf genug sein. Sobald das Versprechen
persönlichem Glück und gesellschaftlichem Zu-
von Glück und Selbstverwirklichung aufscheint,
sammenhalt ist in weiten Teilen ein Resultat der
läuft die Marketingmaschine an. Der gemeinsame
umfassenden Psychologisierung vieler Lebensbe-
Nenner ist die Konzentration auf das Selbst, der
reiche, dem Hauptspielfeld heutiger Ideologie.
Fokus auf die individuelle Erfüllung und Prob-
Der in den vergangenen Jahren zum Allge-
lembewältigung. Die gesellschaftliche Seite eines
meinplatz gewordene Begriff der Psychologi-
guten Lebens können die Glücksbotschafter ig-
sierung meint die Diffusion psychoanalytischer
norieren. Soziale, berufliche oder familiäre Prob-
Denk- und Verfahrensweisen aus der therapeuti-
leme, Armut oder Krankheit, sind einfach nur zu
schen Praxis in sämtliche öffentliche und private
umgehende Hindernisse auf dem Weg zum per-
Lebensbereiche, vom Arbeitsplatz über die Aus-
sönliche Glück, von den kommunikativen Well-
bildung zum Freizeitsport, in die Paarbeziehun-
nessdoktoren aktiv ausgeblendet, einfach wegmas-
gen und die Kindererziehung. Zwei Konzepte
siert. Persistente Probleme die sich nicht einfach
der therapeutischen Kultur haben sich für diesen
weglächeln lassen, Langzeitarbeitslosigkeit, Ob-
Crossover als besonders geeignet erwiesen. Ei-
dachlosigkeit, unwürdige Arbeitsbedingungen,
nerseits die Bereitschaft und Fähigkeit, sich per
chronische Krankheiten, die Pflege dementer Eltern und ähnliche unerfreuliche Ablenkungen von
Claus Richter; Mirrored Mountain Castle; 2011 Galerie Marietta Clages
Introspektion Wissen über sich anzueignen, und andererseits das therapeutische Gespräch, diese
der Selbstoptimierung glänzen im Gros der Rat-
eigentlich hochspezifische Form der Kommunika-
geberliteratur durch Abwesenheit oder werden
tion, die zu einem intersubjektiven Verständnis des
zu individuellen Glücksproblemen umcodiert und
Selbst führen soll. Die ideale Konversation dient
geht mit der freiwilligen Aufgabe hart erkämpfter
allerdings nicht mehr gesellschaftlichen Zwecken,
Rechte, wie dem auf eine gesetzliche Kranken-
sondern der emotionalen Selbststeuerung und der
versicherung mit paritätischer Lastenverteilung
Kontrolle sozialer Beziehungen. Wie Eva Illouz
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