The Wandering Hole | Thesis (deutsche Version)

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‚THE WA NDERING HOLE‘

beitsplätze im Bergbau, der Bestand oder die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur oder der sinnvolle und planmäßige Abbau der Lagerstätte gesichert werden sollen, und der Grundabtretungszweck unter Beachtung der Standortgebundenheit des Gewinnungsbetriebes auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann.“

Durch das lange Umsiedlungsverfahren spalten sich die Dorfbewohner oft in Parteien nach ihren unterschiedlichen Interessen. Die Solidarität und die gegenseitige Unterstützung bröckeln. Einerseits arbeiten zahlreiche Umsiedler bei RWE selbst, einer deren Folgeindustrie oder -gewerbe. Sie fürchten sich vor Konsequenzen bezüglich ihres Arbeitsplatzes. Nicht zu selten sind Entschädigungs- und Arbeitsvertragsverhandlungen ineinander übergehend. Andererseits hoffen viele Umsiedler auf gute Konditionen oder ein besseres Ersatzgrundstück, wenn sie schneller zur Verhandlungsvollendung kommen. Jedes Eigentum wird isoliert gewertet sowie verkauft. RWE kommuniziert nachvollziehbar : „Kein Haus ist wie das andere“75. Im Dorf entsteht gleichzeitig eine Mischung aus Geheimniskrämerei und Wettstreit um Entschädigungssummen. Diese ‚Stimmung‘ trifft auf den Großkonzern mit juristisch geschultem und professionellem Personal: Routine und Fachwissen treffen auf verunsicherte Betroffene. Für die einzelnen Betroffenen geht es um die Existenz und die Angst vor der drohenden Zwangsenteignung. Daher ist für viele Betroffene die logische Konsequenz, umzusiedeln.

Widerstand und Solidarität Am Anfang der ersten Umsiedlungsgerüchte bringt der Gedanke des Widerstandes die Einwohner oft erst zusammen mit dem gemeinsamen Entschluss, sich zu wehren. Sie wollen ihre Heimat schützen und erhalten. Einwohner berufen sich auf das „Recht auf Heimat“ und den Umweltschutz . Oft werden Verbände, Bürgerinitiative, Aktionsbündnisse und Sitzungen in die Wege geleitet. » Wir sehen nicht ein, unser Leben für den Profit einer Aktiengesellschaft auf den Kopf stellen zu lassen «70 sagte Herr Pütz, ein ehemaliger Bürger aus Immerath, vor dem Gericht. Bürger und Umweltschutzorganisationen haben versucht, das geplante Abbaugebiet vor Gericht zu verteidigen – doch meistens ohne Erfolg. Im Juni 1997 lehnte der Richter die Verfassungsbeschwerde von Garzweiler II ab :

Eine Umsiedlung kann auch als Chance, Neustart und Verbesserung76 gesehen werden. Die Auswirkungen sind nicht ausschließlich negativ. Ein verdeutlichendes Beispiel hierfür ist der Vergleich der Umsiedlungsorte Heuersdorf und Lippendorf77. Heuersdorf hat sich bis unmittelbar vor dem Abriss gegen die Umsiedlung seines Dorfes gewehrt , Lippendorf hingegen hat sich früh mit dem Gedanken abgefunden und die Möglichkeiten ausgeschöpft . Heute befindet sich Heuersdorf in einer strukturell schlechteren Situation als Lippendorf. Festzuhalten ist, dass der Großteil der Betroffenen vor allem unter dem langwierigen Umsiedlungsprozess leidet, da die Zukunft ihrer Heimat oft innerhalb dieses Prozesses in Frage gestellt wird.

» Wenn man sich mit diesen Fällen näher befasst, fragt man sich, ob man in Deutschland lebt oder in einem anderen Regime «, sagte der Anwalt Dirk Teßmer71 Rechtsschutz gibt es nur bei Ausnahmen, „die meisten Betroffenen geben irgendwann entkräftet auf“72. Bisher konnten nur wenige Orte vor Tagebauen gerettet werden. Zwei Beispiele sind Kaster und Röcken. Kaster73 hat eine historische Altstadt und Röcken74 ist der Geburtsort und die Grabstätte des Philosophen Friedrich Nietzsche. Beide konnten gegenüber dem naheliegenden Tagebau auf Grund des Denkmalschutzes erhalten blieben. Diese Orte sind jedoch Einzelfälle.

70 Artikel von Spiegel – online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/braunkohle-tagebau-garzweiler-verfassungsgericht-erlaubt-abbau-a-939589.html (19. Dezember 2014) 71 Anwalt Dirk Teßmer, welcher Herrn Pütz und den BUND im Fall der Ortschaft Immerath vertreten. Immerath war eine Ortschaft, welche am 22. Januar 2011 dem Tagebau Garzweiler weichen musste. 72 Aussage aus dem Artikel „Recht auf Heimat“ aus „Der Spiegel“ 23/2013. Quelle : http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-97012801.html (15. Dezember 2014)

75 „Verheizte Heimat – Der Braunkohle Tagebau und seine Folgen“ by Albert Kirschgens, Barbara Wolf, Frank Heimbrock und Bernhard Lins Seite 102

73 In den 1970er Jahren grenzte die Ortschaft Kaster im Norden und Osten an den damaligen Tagebau Frimmersdorf und Fortuna-Garsdorf, heute Garzweiler I. „Die historische Altstadt von Kaster stellt ein besonderes Baudenkmal im Revier dar.“ Quelle : http://forschungsstellerekultivierung.de/downloads/exkursionsfuehrerteiliv.pdf Seite 15f (29. Januar 2015) 74

76 „Dorfzerstörung und Relokalisierung durch Braunkohletagebau in konzeptionellen biografischen und kollektiven Kontext von Raum, Ortsbezügen und Nachbarschaft“ Dissertation zur Erlangung des akademischen Grads Dr. phil.von Heidrun Gode-Leurßen, Seite 103

Röcken ist ein Ortsteil der Stadt Lützen im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt.

Angebot (RWE Power AG);

Aktivisten;

Nachfrage;

Politik;

77

Pro-Umsiedlung; 29

Orte nahe Leipzig und dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain, Ost-Deutschland

Kontra-Umsiedlung;

Gemeinschaft;

Kritiker;

Recherche


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