Millerntor Gallery #6 "Waterproof"

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Es wissen heute fast ausnahmslos alle, dass der Kapitalismus ein ungerechtes und bisweilen mörderisches System ist. Einige finden das vielleicht weniger oder auch gar nicht schlimm und viele – mich eingeschlossen – offenbar nicht schlimm genug, um das System radikal in Frage zu stellen.

Today, nearly everybody knows that capitalism is an unfair and murderous system. Some people might find it less terrible or not even bad at all and many people – including myself – obviously do not find it bad enough to actually question the system. My selection of paintings and sculptures in which I show Asian children paddling in a sneaker evoked reactions like: ''Yes, I get it – that's not okay – very bad even'' – some people just take a selfie with the huge sneaker. A short insight, a little sympathy, before they go right back to the brighter side of life. Action that can be directly related to the consumption of art is rare. Unless you want to take 'turning your back on something' for action. In this case, the person purposely extends the work and intensifies the imagery of ignorance. What is the goal of political art? Who does it touch and affect? Only those who mostly agree with the artist's vision anyway. What can be done about that? Without getting cynical... is that avoidable at all? Does art have to be so shocking to be able to captivate even the insensitive and ignorant people? In the fashion of the horrible images on cigarette boxes? Are those few who can be inspired to change their habits worth the multiple drastic actions? Could a flood of actions lead to overstimulation?

KUNST UND POLITIK | ART AND POLITICS

Meine Reihe von Bildern und Skulpturen, bei denen asiatische Kinder in Turnschuhen paddeln, rief Reaktionen hervor wie: "Ja, ich habe verstanden, das ist echt nicht gut, schlimm sogar." Manche haben einfach ein Selfie neben dem ”geilen Riesensneaker“ gemacht. Kurze Erkenntnis, kurzes Bedauern und dann wendet man sich wieder den schönen Dingen des Lebens zu. Selten folgt Aktivität, die als direkte Reaktion auf das Betrachten von Kunst zu werten wäre. Wobei ”sich abwenden“ natürlich auch Aktivität ist. So erweitert die Person gewollt das Werk und vertieft dabei die Symbolik der Gleichgültigkeit. Welche Ziele aber hat politische Kunst? Wen erreicht sie? Nur die, die ohnehin weitgehend mit der Position des Künstlers übereinstimmen? Was lässt sich dagegen tun? Ohne Zynismus ... geht es überhaupt ohne? Müssen wir so hart schockieren, dass die Kunst auch die weniger sensiblen Betrachter nicht los lässt? In der Art von Schreckensbildern auf Zigarettenschachteln? Sind die Wenigen, die zum Nachdenken oder ändern von Gewohnheiten gebracht werden viele extreme Aktionen wert? Wirkt eine große Menge von Aktionen bei den anderen womöglich inflationär wie bei einer Reizüberflutung? Gibt es Empörungskapazität? Wären direkte – künstlerisch verpackte – Handlungsanweisungen eine Alternative? Oder Agitprop? Peinlich. Was ist die Sache der Kunst? Mediale Inszenierungen, wie die des Zentrums für politische Schönheit? Der Holländer Renzo Martens lässt kongolesische Plantagenarbeiter Skulpturen aus Schokolade für den hiesigen Kunstmarkt produzieren. So können sie das 7.000-fache ihres normalen Lohnes verdienen. Ihre Arbeiten kosten hier bis zu 13.000,- Euro.

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