Greenpeace Switzerland Magazin 3/2012 DE

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— Stahlindustrie ­zerstört Amazonas-Regenwald  S. 40 g reen peace MEMBER 20 12, Nr. 3

Schwerpunkt: Umweltbildung  S. 11–37 Interview mit Evolutionsforscher Frank Rühli  S. 22 Arktis muss Schutzgebiet werden  S. 38 Reportage Italien: Axpo, Alpiq & Co. mischen im Gasgeschäft mit  S. 50

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C over: © Marizi lda C rupp e / Green peac e

Editorial — Wir sind uns bewusst, dass der Schwerpunkt ­dieses Heftes ein bisschen nach Strafarbeit klingt: «Umwelt­ bildung». Natürlich zeigen wir Ihnen, wie Greenpeace auch hier neue Wege geht. Vor allem aber versuchen wir, Ihnen zu zeigen, wie die Umwelt uns bildet, wie die Ökologie unser Dasein mehr und mehr verändert. Bildung im weiteren Sinn. Braucht es überhaupt Umweltbildung? Sind wir nicht mehr in der Lage, ökologisch sinnvolle Entscheide ohne Kurse etc. zu fällen? In Brasilien zum Beispiel haben sich achtzig Prozent der Bevölkerung auch ohne Workshops für den Schutz des Regenwaldes ausgesprochen – vielleicht dank einem ­Urgefühl für den Wert der Natur. Die indigenen Völker im Nordosten Brasiliens wissen, wie wichtig der Erhalt des ­Regenwaldes ist. Doch ihre Lebensgrundlage ist bedroht von Landraub, Sklaverei und illegalen Waldrodungen – auch durch die Stahlindustrie. Leider handelt die Politik in eine andere Richtung: ­Unsere Fotoreportage auf Seite 40 zeigt einen bisher unbe­ kannten Aspekt der Urwaldrodung. Apropos andere Richtung: In der Schweiz haben die ­eigentlichen Entscheidungsträger in die richtige Richtung ­gehandelt – na ja, teilweise – und Ja zum Atomausstieg gesagt. Doch das Phantom Grosskraftwerk (als Hindernis für eine ­dezentrale, erneuerbare Energieversorgung) geht noch immer um: Die Schweizer Energiekonzerne Alpiq, BKW und EGL (eine Tochter der Axpo Holding) mischen in Italien fröhlich im Gasgeschäft mit (Reportage auf Seite 50). Gaskraftwerks­ pläne sind im Nachbarland einfacher umzusetzen und ­bringen zusätzlichen Profit – oft g ­ egen den Willen der Bevölkerung. Greenpeace geht in die Offensive. Diesen Spätsommer lancieren wir mit anderen Umwelt- und Wirtschaftsver­ bänden die Stromeffizienz-Initiative (Seite 59). Diese soll dem Stimmvolk die Möglichkeit geben, den Bundesrat und das Parlament mit einer nachhaltigen Stromversorgung zu beauf­ tragen – ohne Atomstrom und Gaskraftwerke. Nicht effizient und im höchsten Masse unverantwortlich ist die Gas- und Ölförderung in der Arktis. Es ist eine Frage der Zeit, wann Shell im Nordpolarmeer nach Öl bohren wird. Das letzte fragile Ökosystem der Erde ist bedroht. Mit all ­unserem Umweltwissen und den Erfahrungen aus der Vergan­ genheit – mit oder ohne Umweltbildung – sollten wir am ­Nordpol die Natur noch Natur sein lassen. Greenpeace fordert darum vor der UNO eine ent­ sprechende internationale Gesetzesverankerung zum Schutz der Arktis. Unterstützen Sie uns dabei! Die Redaktion


Foto-Essay

Stahl für Autos – Die Produktion zerstört brasiliens Regenwald

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Schwerpunkt

UmweltBildung

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Inhalt

Die Grüne Lebenslinie 12 STrohhaus: Alte Technik 16 für zukunftsweisendes Bauen Forscher Frank Rühli: überleben in ­ 22 der Umwelt ist keine Frage von Stärke Alpszenen: Die Natur wird zur 27 Theaterbühne Die Natur prägt Kunst im 32 öffentlichen Raum UMweltbildung bei Greenpeace 34

Reportage

Die Gaspläne der Schweizer Energiekonzerne in Italien

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Gaskraft Schweiz

Als ersatz für AKW keine lösung

Energie-Effizienz

Die Initiative Kommt

Mikroverschmutzung

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Kleinstteile schaden den Gewässern

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In Aktion Chefsache Die Karte Kampagnen-News In Kürze Öko-Rätsel

02 10 38 64 69 72

Impressum Greenpeace Member 3/2012 Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147 Postfach, 8031 Zürich Telefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99 redaktion@greenpeace.ch, www.greenpeace.ch Adressänderungen unter: suse.ch@greenpeace.org Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, ­Hina Struever, ­Roland Falk Autoren: Mathias Balzer, Roland Falk, Bernadette Fülscher, Markus Gerber, Simon Helbling, Ruth Jahn, ­­Rolf Jucker, FranÇoise Minarro, Thomas Niederberger, Kuno Roth, Mathias Schlegel, ­ René Worni ­Fotografen: Rodrigo Balèia, Stephan Bösch, ­­ Noé Cauderay, Bernadette Fülscher, Tabea Hüberli, Marizilda Gruppe, Thomas Schuppisser, René Worni Gestaltung: Hubertus Design Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Papier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Druckauflage: d 113  500, f 21 500 Erscheinungsweise: viermal jährlich Das Magazin Greenpeace geht an alle ­M itglieder ­( Jahresbeitrag ab Fr. 72.—). Es kann Meinungen ­ent­halten, die nicht mit offiziellen Greenpeace-­Positionen ­übereinstimmen. Der Lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt.

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Spenden: Postkonto 80-6222-8 Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spenden SMS-Spenden: Keyword GP und B ­ etrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.—: GP 10 an 488)


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Mahnflug Ein Greenpeace-Aktivist mit motorisiertem Hängegleiter setzt eine Rauchmarke über der Hochsicherheitszone des Atomkraftwerks im französischen Le Bugey und weist so auf jederzeit mögliche terroristische Angriffe hin. Frankreich, 2. Mai 2012

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012 © Lagazeta / G r een p eac e

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Grosskapital Aktivisten befestigen Kopien von Euro-Banknoten am deutschen Supertrawler Maartje Theadora vor ­Mauretanien und protestieren damit gegen die Verschleuderung von EU-Steuergeldern, mit denen die ­Überfischung afrikanischer Gewässer finanziert wird.

Mauretanien, 5. März 2012

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Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012 © Greenp eac e / P i er r e G l ei zes

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Schaumschlacht «Mexikanische Flüsse sind giftige Flüsse»: Unter dem Wasserfall von Juanacatlan fordern Greenpeace-­ Aktivisten am Welt-Wassertag die Behörden zur Säuberung der Gewässer auf. Der Fluss Santiago zählt zu den kontaminiertesten des Landes. Mexiko, 22. März 2012

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012 © Ivan Ca s ta n ei ra / G r een p eac e

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Volkszorn Vor dem Sitz der japanischen Präfektur Fukui fordern Aktivisten den Handels- und Industrieminister Yukio Edano auf, vom Hochfahren zweier Reaktoren im AKW Oi abzusehen. Die Anlagen gelten als unsicher und sind seit dem Tsunami von 2011 stillgelegt. Japan, 16. April 2012

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012 © Jerem y S u t t o n -H i bb ert / G r eenp e ac e

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Wussten Sie, dass schweizweit bereits über 10 000 Jugendliche zusammen mit Green­ peace Solardächer montiert haben? Dass junge Afrikaner mit der Unterstützung von Green­ peace lernen, Solarenergie zu produzieren? Dass unser Schulbesuchsprogramm Pionier­ charakter hat? Viele Menschen sind bereit, etwas zum Schutz der Umwelt und gegen Unrecht zu tun – und Greenpeace bietet ihnen dabei Unter­ stützung. Unser Ansatz: Wir befähigen sie, selbst und zusammen mit anderen zu handeln. Zum Beispiel Linus. Vor drei Jahren hat sich der 32-jährige Umweltingenieur ­selb­ständig gemacht. Heute sind seine Solar­ anlagen auf dem Markt gefragt. Die Be­ geisterung für die Fotovoltaik hat Linus bei Greenpeace gepackt: Als Zivildienstleis­ tender im Umweltbildungsprogramm Jugendsolar baute er mit Jugendgruppen Solar­ anlagen auf Dächern öffentlicher Gebäude. Zum Beispiel Annemarie, 45 Jahre alt, Laborantin. Sie engagiert sich mit Leiden­ schaft in der wiedererstarkten Anti-­­AtomBewegung. Während des Green­peace-Weiter­ bildungsmoduls «Teilchenbe­schleuniger» wurden Annemarie nicht nur Theorie und Praxis von Bewegungen nähergebracht, sie traf auch ähnlich Gesinnte, und ­zusammen ­begaben sie sich auf die Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten; so setzten sie den Impuls für den «Menschenstrom gegen Atom». Annemarie ist Mitorganisatorin der ersten Stunde. Zum Beispiel Lars, 14-jähriger Schüler und passionierter Jungfotograf. Jährlich ­besuchen Greenpeace-Freiwillige etwa 100 Schulklassen, darunter auch die Klasse von Lars. Die Schüler bringen das Thema ein, das ihnen unter den Nägeln brennt, und die Schulbesucher von Greenpeace vermitteln ihnen das Werkzeug für konkrete Hand­ lungen – ganz nach dem Motto: «Wenn dich etwas stört, dann tue selbst etwas!» Was dann tatsächlich getan wird, bestimmen ­wiederum die Schüler. Lars’ Klasse entschied sich, eine Ausstellung zu verschie­denen Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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­Umweltthemen auf die Beine zu stellen. Dabei konnte Lars sein fotografisches Talent ein­ setzen und weiterentwickeln. Heute ist er bei Greenpeace-Anlässen von Jugendgruppen des oft als Fotograf mit dabei. Das Umweltbildungsprogramm by Greenpeace ist weder ein Nischenprodukt noch ein bildungsromantischer Traum. Ganz im Gegenteil: Ein ähnliches Bildungs­ konzept wird unter dem Titel «Bildung für nachhaltige Entwicklung» demnächst Ein­ gang in die offiziellen Schullehrpläne finden. Die ­Schüler sollen unter anderem befähigt werden, sich mit ihrer Lebenssituation aus­ einanderzusetzen und die Gestaltung ihrer Umwelt selbst in die Hand zu nehmen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Uns auch! Es braucht Menschen, die handeln, die sich trauen, etwas Unkonventionelles aus­ zuprobieren und Risiken einzugehen. Dies tat auch das Lausanner Kollektiv «Straw d’la Bale», über dessen «wilde Erfahrung» in die­ sem Magazin berichtet wird – keine Green­ peace-Initiative, aber durchaus in u ­ nserem Sinn. Die Strohhausbauer haben den Kampf um ihr Haus zwar verloren, doch ­haben sie damit ein Stück Stadtgeschichte geschrieben und neue ökologische Standards gesetzt. Das Lausanner Kollektiv «Straw d’la Bale» und viele Greenpeace-Aktivisten wis­ sen, dass es möglich ist, mit Initiative, Mut und kollektivem Handeln etwas zu bewirken. Die Umweltbildung von Greenpeace mit ihrer kontinuierlichen Aufbauarbeit legt den ­Boden, auf dem gesellschaftliche Verände­ rungen gedeihen können. Verena Mühlberger und Markus Allemann, Co-Geschäftsleitung

© He ike G rasse r / Gree npeac e

Wenn dich etwas stört, dann tue selbst etwas!


Umwelt bildet Mensch bildet Umwelt

[ S. 34 ]

[ S. 16 ] [ S. 22 ] [ S. 27 ] [ S. 12 ]

Wenn es um die Natur geht: Sind wir Menschen «Insider» oder «Outsider»? Sind wir Teil von ihr oder haben wir uns losgelöst und uns ausserhalb von ihr oder gar über sie gestellt? Ist sie dem Menschen «untertan», wie es in der Bibel heisst? Freilich ist auch der König vom selben Stoff wie seine Untertanen. Der Mensch als Teil der Natur — welcher Umweltschützer würde dem nicht zustimmen! Gleichzeitig ­fordern paradoxerweise eben diese, dass der Mensch wie ein übergeordnetes Wesen die Natur schützt, die Erde rettet. Als wäre sie das Kind und wir die Erzieher. Diesem Dilemma wollten wir in der Welt des Konkreten und Tatsächlichen nachgehen, indem wir uns fragten: Während der Mensch die Umwelt bildet, bildet sie uns auch? Womit wir bei der «Umweltbildung» ­wären, einem Bereich, in dem Greenpeace sich als Pionierin versteht. Wir zeigen hier, warum. Noch mehr als das, was wir selbst tun, hat uns aber das interessiert, was sich ohne uns tut. Zum Beispiel wo durch die ökologische Wende neue B ­ erufsbilder und Zusammenarbeitsformen entstehen. Wo Umweltveränderungen zu Faktoren der Evolution werden. Wo Künstler im Hochgebirge erleben, wie die Natur weit mehr auf sie wirkt, als sie selbst zu wirken gewohnt sind. Und vieles mehr entlang einer Lebenslinie, die eine ökologische Entwicklung des Menschen simuliert. Wir «bilden» die Natur, sie bildet uns. Umwelt­bildung heisst, den Mensch an jenen Punkt zu bringen, an dem er sich entscheiden kann, ob er Insider oder Outsider sein will.

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© Ex-Press / Stephan B ösch

Umweltbildung Wie kleine Mondwesen konzentrieren sich die mit Schutznetz ausgerüsteten Kinder auf Bienen an einem Wabenrahmen.


9–15

Jahre

Jungimker

Anstachelndes Hobby

Von Roland Falk — Im Graubündner Projekt «Flugschnaisa» werden Kinder mit der Biologie von Honigbienen und mit der Wichtigkeit der Imkerei vertraut gemacht. Wie Mondmenschen wirken sie, gerade gelandet am Waldrand ­hinter dem Mineralwasser-Unternehmen von Rhäzüns. Etwa zwei Dutzend Kinder im Primarschulalter scharen sich um Gion Grischott, alle verpackt in weisse Jacken mit Netzkapuze. «Die Schutzkleidung hat sich bewährt, bis jetzt ist noch niemand gestochen ­worden», sagt Grischott, einer von sieben ehren­amtlichen Instruktoren der «Flugschnaisa». Seit 2010 steht dieser Begriff für ein Projekt, das die zwei Im­ kervereine im Raum Chur ersonnen haben, um dem Nachwuchs den Umgang mit den Bienen bei­zu­ bring­en. Das Interesse ist immens: Rund die Hälfte der Personen, die in den ver­gangenen zwei Jahren einen neuntägigen Kurs besucht haben, sind in ihrer Freizeit weiterhin mit den Nutzinsekten beschäftigt. «Mehr­heitlich sind es Mädchen, die sich bei uns melden», sagt Grischott. Madleina, eine der Neugie­ rigen, ist bereits eine kleine Expertin. Sie weiss, dass aus Südost­ asien eingeschleppte Varroa-Milben zu den Hauptschädlingen der ­nützlichen Summer zählen: «Die armen Tierli werden von den Milben ausgesogen.» Den Bildtafeln an den Wänden der Kursbaracke hat sie zudem entnommen, dass es nebst den Honigbienen weltweit noch 12 000 andere Arten gibt. Und dass in einem einzigen heimischen Stock bis zu 50 000 Bienen leben. «Die Königin kann bis fünf Jahre alt werden und ist die ganze Zeit mit Eier­legen beschäftigt», sagt Madleina. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

Dario, einer ihrer Kollegen, hat ebenfalls gut aufgepasst im Kurs und seinen Wissensordner bienenfleissig durch­geackert. Er weiss aus dem Stegreif, wie ein Staat seiner Lieblingsinsekten ­organisiert ist. «Bevor die Tiere erstmals zum Nektarsammeln ausfliegen, haben sie im Stock vielfältige Aufgaben, wie Waben bauen, Brut füttern oder den Eingang ­bewachen.» Winterbienen, fügt er bei, würden bis sechs Monate alt, jene des Sommers aber höchstens drei Wochen, «denn die sind immer am Chrampfen». Was die Kurskinder wissen, haben sie sich spielerisch erarbeitet. «Wir sind kein Drill-Camp, in dem die Instruktoren Pflichtstoff durchpauken», sagt Urs Nutt, ­Ini­tiator des Projekts «Flugschnaisa» und Präsident des Imkervereins Chur und Umgebung. «Die Kinder sollen Anstösse bekommen, Einblick in ein spannendes Kapitel Natur und Freude an einer sinnvollen Freizeitgestaltung.» Nutts ­Engagement ist in die Zukunft gerichtet: «In der Deutschschweiz gibt es etwa 120 000 Bienenvölker und viele ältere Imker haben ­Mühe, jemanden zu finden, der sie als Heger ihrer Tiere ­ablösen kann.» Die Wichtigkeit der Bienen, geht den Kindern in Rhäzüns auf, ist gross: Immerhin hängt ein Drittel der Welt­nahrung von ihrer Bestäubungsarbeit ab. Rauch zieht plötzlich durch die Baracke. Oskar Casanova, ein ­sympathischer Opa-Typ, macht sich an einem Bienenkasten zu schaffen und hält mit den Schwaden das Volk in Schach, das kürzlich ein­ gefangen wurde. «Seine Königin ist auf dem Begattungsflug umgekommen», erklärt er den Kindern, und deshalb gebe es keine Eier im Stock. Casanova hat kurz zuvor einem andern Volk die Regentin

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weggenommen und bringt sie jetzt mit einem «Zusetzerchen», einem kleinen Behältnis, bei den fremden Tieren ein. Das ist nicht ganz risi­ kolos, denn «wenn sie nicht ak­ zeptiert wird, wird sie totgestochen». Die Kinder atmen nach ­bangen ­Minuten auf. Die Versetzung ist geglückt. Zur Entspannung wird den Jung­imkern ein prall mit Honig ­gefüllter ­Wabenrahmen vorgesetzt, über den sie sich mit Löffeln hermachen. «Besser als jeder Schleck­ stengel», sagt Madleina und strahlt. Informationen erhalten Sie unter urs.nutt@flugschnaisa.ch, oder www.flugschnaisa.ch. (Siehe auch Petition zum Schutz der Bienen, S. 65)


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Aline Kana, ­ olartrainierin S Solarlicht für ­Kamerun

«Ich bin stolz, dass wir es geschafft haben — dass heute im Gesundheitszentrum von Kouamb Medi­ka­ mente gelagert werden und die Kinder dank der neuen solaren Lichtquelle abends ihre Hausaufgaben machen können», sagt Aline Kana, die 23-jährige Kamerunerin und Freiwillige im Projekt «Organisation et développement des communautés», kurz Klima­ karawane. Aline hat Soziologie studiert und ist eine von zwanzig ­Personen, die im Rahmen der Klimakarawane zur Solartechnikerin und Community Trainierin ausgebildet wurde. So hat sie eine beruf­liche Perspektive gefunden. In den Dörfern des ­südöstlichen Kamerun zu arbeiten, ist schwierig. Doch an diesen ­Orten am Ende der Welt, ohne sauberes Trinkwasser oder medizinische Erstversorgung, hat Aline viel bewirkt: Mit ihrem Team hat sie rund 250 Solartaschenlampen, 350 Solarlaternen, 160 Solarradios und 34 solare Festinstallationen verteilt. Zu sehen, wie die Bevölkerung ihr Lächeln wiederfindet, motiviert Aline. Sie will dazu bei­tragen, dass die ­Initiative Klimakarawane in ganz Kamerun ein ­Begriff wird. Mehr zu Aline und die ­Klimakarwane finden Sie unter www.greenpeace.ch/ klimakarawane

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Manuel Heim, Solarteur und Umweltingenieur

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Lucien Willemin, ­Umwelt-Referent

«Was wirklich zählt, sind Erfahrungen»

«Jugendliche ­ müssen einen k­ ritischen Geist ­entwickeln»

Manuel Heim ist 31 und arbeitet bei der Firma Soltop in Elgg in der ­Projektplanung und im technischen Support. Diesen Frühling hat er die Zusatzausbildung zum diplomierten Solarteur in Wattwil absolviert. «Eine gute Erfahrung», meint er, «vor allem der Austausch mit Berufs­ kollegen.» Ursprünglich hatte er Landschaftsgärtner gelernt, später an der Fachhochschule Wädenswil Umweltingenieur studiert, mit ­Vertiefung in erneuerbaren Energien. Seither arbeitet er im Bereich ­Fotovoltaik. Die Weiterbildung zum Solarteur dauert sechs Monate und kann berufsbegleitend am Wochenende gemacht werden. «Leider war der Kurs recht oberflächlich, es bräuchte mehr Zeit», findet Heim, doch gelernt habe er trotzdem ­einiges. Der Sektor wandle sich schnell: «Immer wieder gibt es neue Anforderungen von der Feuer­ polizei, der Gebäudeversicherung oder sonst jemandem — aber oft fehlen einheitliche Bestimmungen.» Den Kurs fand er nützlich, um sich auf den neusten Stand zu bringen und «den Puls des Business zu spüren». Dem frisch diplomierten Solarteur fällt allerdings auf, dass die Ausbildung noch nicht denselben Status geniesst wie in Deutschland. «Es wird eher belächelt — da hat einer ein paar Kürsli absolviert und meint, er sei jetzt ein Experte.» Was wirklich zähle, sei Erfahrung und dafür müsse man vor allem viele Anlagen bauen, viel ausprobieren können. Eine kon­se­ quentere Förderung der erneu­ erbaren Energien und klare Rahmen­ bedingungen wären hilfreich. Manuel Heim bleibt jedenfalls dran. Seine Motivation: «Etwas dazu ­beitragen, dass die Energiewende irgendwann geschafft wird.»

Seit 2009 organisiert der 43-jährige Neuenburger Ex-Unternehmer und Aktivist Lucien Willemin gratis Veranstaltungen zu den Themen Desinformation im Umweltbereich und Wichtigkeit der grauen ­Energie. Über 5500 Jugendliche und Erwachsene haben bisher seine Referate gehört. Er sagt: «Die frühe berufliche Verantwortung, verschiedene Reisen und Begegnungen mit ­anderen Menschen und Kulturen haben mich geformt. Meine Erfahrungen und Erkenntnisse möchte ich jetzt teilen, insbesondere mit jungen Menschen, damit diese einen kritischen Geist entwickeln und In­ formationen über die Umwelt besser verarbeiten können. ­Gewisse Tatsachen werden ­nämlich kaum wahrgenommen. Zum Beispiel: Der Chauffeur eines alten 4x4 verschmutzt die Umwelt ­weniger als einer, der stets das neuste Modell fährt — sogar wenn es ein Hybrid ist. Oder: Zu Fuss statt mit dem Auto unterwegs sein reicht nicht. Alles, was es uns erlaubt, die mit dem Konsum verbundene graue Energie zu vermindern, ist viel wichtiger. Um diese Wahrheiten zu verstehen, muss man etwas über die globale Industrie wissen, die all die unnötigen Dinge herstellt, mit ­denen wir unsere Schränke ­vollstopfen. Wir müssen unseren ­Lebensstil ändern, wenn wir aus unserer Sackgasse herausfinden wollen, denn mit Technologie ­allein schaffen wir das nicht. Die Menschen sollten über ihr Ver­ halten Rechenschaft ablegen. Es ist höchste Zeit, dass uns allen die Augen für eine umfassende Sichtweise aufgehen. Dieser Aufgabe widme ich mich.» Lucien Willemin wurde 1968 in Saignelégier JU geboren. Ab 1991

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90

Jahre

B. Stricker, Umweltund ­Naturschützerin Engagement für die Umwelt kennt keine ­Altersgrenzen

war er Einkaufschef einer Uhren­ firma. Vier Jahre später gründete er mit einem Partner eine Immobi­ lien­unternehmung. Innerhalb von 13 Jahren bauten die beiden über 600 Objekte und achteten dabei auf eine umweltfreundliche Ausführung. Mit 40 Jahren trat Willemin vom Geschäft zurück und arbeitet seither für die Umwelt. Neben ­seiner Vortragstätigkeit gehört er der Raumplanungskommission der Stadt La Chaux-de-Fonds und der Energiekommission des ­Kantons Neuenburg an. Kulturell beteiligt er sich an Geschäfts­ leitung und Stiftungsrat des Theaterverbunds «Arc-en-scènes».

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Frau Stricker ist 90 Jahre alt. Seit sie denken kann, ist sie im Einsatz für den Schutz der Natur und der Tiere. Die Zerstörung der Umwelt schmerzt sie, weshalb sie sich ­engagieren müsse, berichtet die rüstige Frau bei einem Interview mit Greenpeace. Da sie sich in ihrem Umfeld aber etwas allein fühlt mit ihren Werten, beruhigt und bestärkt es sie, dass es Organisationen wie Greenpeace gibt, wo sich junge Menschen mutig einsetzen. Auch Frau Stricker nimmt ­bezüglich ihren Ansichten kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, sich für Schwächere oder gegen Ungerechtigkeiten einzu­setzen. Mutig hat sie sich bereits mit Förstern, Jägern und Bauern angelegt. Nebenbei pflegt sie mit Leidenschaft ihren grossen ­Naturgarten, versucht, möglichst nachhaltig zu leben, und unterstützt Organisationen, die ihrem Sinn entsprechen. Die Natur gebe ihr viel zurück, sagt sie: Glück und Zufriedenheit. Vor zwanzig Jahren haben sie und ihr Mann ein Haus auf dem Land gekauft, damit sie der Natur näher sein können. Im Winter ­kommen Milane und Bussarde. Igel, Fuchs und Dachs spazieren, samt Nachwuchs, an ihrem Wintergarten vorbei. Unzählige Vogelarten nisten in den Bäumen und Sträuchern und erfüllen den Garten mit ­Gezwitscher. Im Herbst dürfen die Vögel auf ihrem Weg in den Süden den Kirschbaum und die Weinreben abernten. Das sei ein Geschenk, damit sie gestärkt weiterziehen können. Der Anblick ihres Gartens gibt ihr Kraft und hilft ihr, auch im hohen Alter fit im Kopf und körperlich aktiv zu bleiben. Ihre Tage seien ausgefüllt, sagt Frau Stricker, denn nebst

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der Sorge für die Tiere spriessen in ihrem grossen Naturgarten mit Bäumen und Wildblumenwiesen auch unzählige Pflanzen und Kräuter wie Lavendel, Salbei, Mohn, Thymian, Lilien und Bougainvilleen, die gepflegt sein wollen. Alles hat seinen Wert — auch die Brennnesseln, aus denen sie sich täglich Tee macht. Frau Stricker hat eine kleine Naturoase geschaffen, in der alle Arten von heimischen Wildtieren bis zu Käfern und Insekten Nahrung und Rückzugsmöglichkeiten ­finden. Umwelt- und Naturschutz fängt vor der eigenen Haustür an.


Strohköpfe oder Wie eine Stadt i­ hre Rohstoffe ­lieben lernte

Umweltbildung

Von Thomas Niederberger

Ein ungewöhnliches Bau­projekt der Stadt ­ Lausanne zeigt ­Möglichkeiten und G ­ renzen einer ­partizi­pativen ­Umwelt­pädagogik «Entschuldigung, wo finde ich den Dienst für Pärke und Landgüter?», frage ich eine ältere Dame aus dem Quartier. Langes Nachdenken, dann fällt es ihr ein: «Ah, das ist doch dort, wo das Strohballenhaus steht!» Selten hat ein neues Amtshaus so viel Aufmerksamkeit geweckt wie dieses unscheinbare zweistöckige Häuschen an der Avenue du Chablais 46 namens ECO46, das diesen Juni eröffnet wurde. Das liegt vordergründig an seiner Bauweise aus auf­ geschichteten Strohballen, doch dahinter steckt mehr. «Ich pfeife auf die Strohballen», meint die beteiligte Architektin Elsa ­Cauderay energisch: «Es geht uns um ökolo­ gisch angepasstes Bauen mit den jeweils besten lokalen Materialien.» Der Hype um die Strohballen nervt sie: «Wichtig ist das Wie des Bauens, die Vision hinter der Bau­ stelle, die Menschen, die sie ausmachen.» Das Haus hat eine Vorgeschichte, die seine Popularität erklärt. Bis im Sommer 2007 war in der Westschweiz die Möglich­ keit, aus Strohballen ein Passivhaus zu ­bauen, weitgehend unbekannt. Dann besetz­

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© Noé Cauderay

Das beim Bau des Strohhauses gewonnene Wissen wird einem geplanten Ökoquartier zugute kommen.


Die Kenntnisse rund ums alte Handwerk mit Lehm und Stroh mussten zuerst erarbeitet werden. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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© Noé Cauderay © Noé Cauderay

Umweltbildung

Für die selbständigen Handwerkerinnen ist der ungewöhnliche Bau eine Herausforderung.


te ein Kollektiv namens «Straw d’la Bale» auf einem toten Winkel hinter dem auto­ nomen Kulturzentrum Espace autogéré ein Stück städtisches Land. Ohne Bewilligung baute «Straw d’la Bale» ein ökologisches Modellhaus, das zum Medienliebling wurde, weil es so wunderbar polarisierte. Die Stadtbehörden versuchten den Abbruch des illegalen Gebäudes zu rechtfertigen, dage­ gen gab es Solidaritätsdemonstrationen, bis eine nie geklärte Brandstiftung dem Haus nach wenigen Monaten ein brutales Ende setzte. Diese «wilde Erfahrung» (expéri­ ence sauvage), wie es in einer Medienmittei­ lung der Stadt heisst, führte zum Beschluss des Stadtparlaments, den Bau eines Stroh­ ballenhauses erst zu prüfen und schliesslich zu finanzieren. Ein Pilotprojekt mit pädagogischem Anspruch «Das Raumklima ist sehr angenehm und zum Heizen reicht im Winter ein kleiner Holzofen.» Yann Jeannin, Bauingenieur und zuständiger Abteilungsleiter für SPA­ DOM (Service des parcs et domaines), ­gefällt sein neues Büro. Im kleinen Sitzungs­ zimmer im Parterre liegt ein angenehm erdiger Geruch in der Luft. «Unser Anspruch ist pädagogisch. Wir wollten zeigen, dass es möglich ist, aus lokalen Materialien ein Haus zu bauen, das fast keine Energie braucht.» Die Grundstoffe, Lehm, Stroh und Buchenholz für die Balken, stammen von städtischen Bauernhöfen und Wäldern, die SPADOM verwaltet. Es sei nicht einfach gewesen, das hätten sie selbst lernen müs­ sen, da Handwerker und Firmen nicht mehr wüssten, wie mit diesen Materialien umzugehen sei. Rotbuchenholz werde zum Beispiel fast nur noch als Brennholz verwendet, weil es schwierig zu bearbeiten sei. Für die Aussenwand aus Strohballen, die Lehmmauern im Innern und den Lehm­ verputz wurden jeweils «partizipative ­Baustellen» eröffnet, bei denen Handwer­ ker in diesen Techniken ausgebildet ­wurden. «Es ist nicht einfach ein Marketing­ projekt», hält Jeannin fest. «Die Stadt­ver­ waltung plant ein grosses Ökoquartier, da kann dieses Wissen gebraucht werden.» Auch das Schulamt zeigt sich interessiert. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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Die Bauweise wäre geeignet für Schulhäuser. Auch wenn noch keine Nachfolgeprojekte geplant sind, wurde viel in die Kommunika­ tion investiert und die Idee breit gestreut. «Das ist der Vorteil an einem öffentlichen Gebäude – es wird weiterhin für Interessierte zugänglich sein, die sich selbst ein Bild ma­ chen möchten.» Schon jetzt haben es rund tausend Menschen besucht. Wir schauen uns das Haus von innen an: oben zwei klassische Büros und ein ­offener Arbeitsbereich, unten ein grosses Sitzungszimmer und eine Mitarbeiter-­ Cafeteria, daneben die typische Büroküche mit Mikrowellen­herd und Alukapsel-­ Kaffeemaschine. Eine Fotoausstellung doku­ mentiert den Bau. Die Holzmöbel wurden von Handwerkern des Amts angefertigt. Das Kompost-Trocken-WC, subversives Meisterstück des Architekturkollektivs CArPE, wirkt noch unbenutzt. Planen und Bauen im Kollektiv Sie sind das exakte Gegenteil eines Architekten, der in Anzug und Krawatte auf der Baustelle aufkreuzt und die Arbeiter herumkommandiert. Das CArPE (Collectif d’architecture participative et écologique) hat keinen Chef und möchte nicht befehlen. In den Aufgaben wechselt man sich ab, damit alle alles lernen. Jedes Mitglied arbei­ tet auf dem Bau mit, vor allem dort, wo manuelle Arbeit gefragt ist, damit man den beteiligten Handwerker die u ­ ngewohnten Techniken kompetent zeigen kann. «Am Wichtigsten ist für uns, wie die Baustelle organisiert ist», erklärt Julien Hosta. Er ge­ hört zusammen mit Elsa ­Cauderay und zwei weiteren diplomierten Architekten zur Kerngruppe des CArPE, die ECO46 geplant und umgesetzt hat. Mit grossen Firmen gehe das nicht, da würden sie oft nicht ernst genommen und seien gezwungen, «den Chef zu markieren». Die selbständigen Handwerker hingegen wüssten die angeneh­ me Stimmung zu schätzen und würden die Kompetenz der ungewöhnlichen Archi­ tekten anerkennen. Die Häuser gefallen. «Wir möchten, dass die Leute auf der Bau­ stelle miteinander reden und ihr Wissen ohne Konkurrenzdruck austauschen kön­ nen», ergänzt Cauderay.


Umweltbildung

Einer, der genau deshalb auf der ­ partizipativen Baustelle» mitgemacht hat, « ist der Architekt Ray Walter le Gautier: «Mit meiner Firma baue ich bereits bioenergetische Häuser. Mich interessierte, wie man eine partizipative Baustelle organisiert.» Das Resultat hat ihn überzeugt, bald will er die Erfahrung auf einer eigenen Baustelle anwenden. Anne-Claire Schwab-Nicollier erwähnt die gute Stimmung auf der Baustelle. Die Architektin nahm sich extra frei, um beim Lehmverputz mitzuhelfen: «Ein schweres, aber sehr sinnliches Material.» Ob sie die Erfahrung konkret werde anwenden können, wisse sie nicht, aber sie sei sensibler geworden bei der Auswahl der Baustoffe. Die Gipserin und Malerin Myriam Serex konnte das Gelernte sofort einsetzen: «Es gibt eine grosse Nachfrage.» Den SPADOM-Mitar­ beitern, die auf den «partizipativen Baustellen» mithalfen, habe die Abwechslung gut getan, meint ihr Chef. Nur mit Journalisten reden sie ungern. Darum bleibt das Gerücht, sie seien mächtig stolz auf das ­Resultat, vorläufig unbestätigt.

fen, dass es ohne das Soziale keine Ökologie geben kann.» Deshalb wollen sie nun ihre Ansichten niederschreiben, «damit die Leute, denen wir absagen, hoffentlich besser ­verstehen, warum», so Hosta. Was Partizipation auch bedeuten kann, wissen Hosta und Cauderay von ihrer Arbeit in Haiti. Dort bilden sie lokale Architekten und Ingenieure aus, damit diese im länd­lichen Gebiet einfache Lehmhäuser bauen können. Die Technik ist dort seit je verbreitet, gilt aber als armselig. Man träumt von Häusern aus Zement, Modell Hollywood. Hier besteht die Herausforderung darin, durch kleine Veränderungen, wie zum Beispiel gerade Wände, eine neue Wertschätzung für die ökologisch angepasste Bauweise zu erlangen. Partizipation hingegen müsse niemandem erklärt werden, so Cauderay: «Wird ein Haus gebaut, hilft das ganze Dorf mit – die Gesellschaft funktioniert eben so.»

Wie eine Stadt lernt Eines hat Lausanne seit der Provoka­ tion durch die Besetzung zu Beginn der Geschichte gelernt: Aus Stroh und anderen lokalen Rohstoffen lassen sich wunder­ Keine Ökologie ohne Menschen CArPE will seine Kenntnisse so breit bare Häuser bauen, die energetisch beste Resultate erzielen. Trotzdem bleiben wie möglich streuen und macht seine ­Baustellen zu Lehrwerkstätten für alle Inter- ­gemischte Gefühle. «Die Besetzung hat radi­ essierten – auch für andere Architekten. kale Fragen aufgeworfen zum Thema, wie Wird CArPE also bald nicht mehr gebraucht, wir unsere Häuser gemeinsam bauen und bewohnen können.» Elsa Cauderay, die das weil so viele andere dasselbe können wie illegale Modellhaus mehrmals besucht hat, sie? «Das wird nicht passieren, im Gegenteil», sagt Cauderay und winkt ab. Die Nach- findet es schade, dass nicht viel mehr als frage nach ökologischen Einfamilienhäudas Stroh davon geblieben ist. «Ab einem sern, vor allem solchen aus Stroh und Lehm, gewissen Moment gehen durch Anerkennung und Formalisierung die grundlegenden sei enorm. Andere Architekturbüros, die Werte verloren», meint sie und verweist auf weniger Erfahrung haben damit, fragen jeweils bei CArPE um Rat. Nachdem sie 2009 die Konzessionen, die sie bei ECO46 und 2010 selbst zwei «partizipative Bau­ ­machen mussten, um das Minergie-P-Label stellen» für Einfamilienhäuser organisiert zu erhalten. Das habe viel gekostet, aber haben, haben sie allerdings keine Lust mehr: nichts gebracht, weil die Berechnungen nur «Das war nützlich, um neue Techniken für konventionelle Häuser funktionieren. a­ uszuprobieren, aber das Resultat interessiert «Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob uns nicht», meint Hosta. «Es gibt ein enores wirklich um Ökologie geht oder nur ums mes Bedürfnis nach ökologischem AblassImage.» handel», stellt Cauderay fest. «Die Leute denken, wenn sie sich ein Strohballenhaus Umweltpädagogik durch bauen lassen, seien sie fein raus, machen Provokation sich aber keine Gedanken darüber, wie sie Die Geschichte des Lausanner Strohbal­ nachher darin leben – es wird nicht begriflenhauses kann als Analogie zur Ökobe­

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wegung seit den 70er Jahren gelesen wer­ den. Aus den «Ökospinnern» von damals sind Pioniere von neuen Berufsbildern und Lehrmeister für die Zukunft geworden. Ihre Ideen wurden massentauglich und for­ malisiert, verloren aber auch viel von ihrer Radikalität – eine Geschichte, die sich im Kleinen ständig wiederholt. Und während sich die Bürolisten an der Avenue du Chab­ lais 46 noch ans Kompost-Trocken-WC gewöhnen, sind die unbekannten Pioniere längst weitergezogen und auf der Suche nach der nächsten Provokation. Die Arbeit des CArPE ist Thema eines Dokumentarfilms von Gwennaël Bolomey und Alexandre Morel mit dem Namen «Le corps du métier» («Anders bauen»). Die Filme­ macher haben die «partizipative ­Baustelle» beim Strohballen-Einfami­lienhaus ein Jahr lang mitverfolgt und zeichnen ein differenziertes, humorvolles Bild ­dieses baulichen Abenteuers. www.lecorpsdumetier.com

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© Noé Cauderay

Das modern anmutende Haus aus lokalen Rohstoffen ist ein Paradebeispiel für energetisch ­sinnvolles Bauen.


Interview

«Die Evolution macht vor dem ­Menschen nicht Halt» Seit die Gattung Homo vor etwa zweieinhalb Millionen Jahren auf der Weltbühne erschienen ist, hat sich ihre Gestalt ständig weiterentwickelt. Auch unsere Art, Homo sapiens sapiens, die einzige übriggebliebene dieser evolutionären Linie, bleibt nicht stehen, sondern erfindet sich quasi immer wieder neu. «Die Evolution macht vor dem Menschen nicht Halt», sagt Frank Rühli von der Universität Zürich, ein ausgewiesener Fachmann für diese adaptiven Vorgänge beim M ­ enschen. Wenn der Anatom und Mumienspezialist sich nicht gerade über die sterblichen Überreste von Tutanchamun oder der Gletschermumie Ötzi beugt, erforscht er, wie sich der Mensch entwickelt. Und an welche veränderten Umweltfaktoren er sich heute anpassen muss.

Greenpeace: Herr Rühli, lassen Sie uns in Gedanken eine Zeitreise machen – in eine afrikanische ­Savanne vor einigen hunderttausend Jahren. In diese Szene katapultiert: Was würde uns Jetztmenschen am meisten Mühe machen? Frank Rühli: Ob wir den Herausforderungen der damaligen Umwelt gewachsen wären, ist zweifelhaft. Wir würden wahrscheinlich Krankheiten begegnen, denen unser ­Immunsystem nicht gewachsen ist. Ausrei­ chend Kalorien zu beschaffen, ist ein ­anderer heikler Punkt: Als Sammler würde es uns an botanischem Wissen mangeln, als Jäger an der Jagdtechnik. Vorteilhaft wäre wohl, dass wir vor unserer Reise in die Vergangenheit ein halbes Jahr im Kraftraum verbringen, um ausdauernd und stark ­genug zu sein für die paläolithische Wildnis. Beim Vergleich Frühmensch und heutiger Homo sapiens sapiens:

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Welches sind die augenfälligsten Unterschiede? Wir sind vom Knochenbau her oft graziler. Manche unserer Vorfahren waren robuster gebaut. Die Langknochen, die Wirbelsäule, der Schädel: Die Knochen waren oft dicker und stabiler. Auch Grösse und Gewicht des Menschen haben sich dramatisch verän­ dert: Individuen früherer Epochen waren meist kleiner als wir und wohl weniger übergewichtig. In welchen Zeiträumen verändert sich der Mensch? Die Daten von Stellungspflichtigen in der Schweiz zeigen, dass solche Änderungen sehr schnell passieren können. In den letzten 130 Jahren sind die jungen Männer rund 16 cm grösser geworden. Von durch­ schnittlich 163 cm auf 179 cm – das ist ein Zuwachs von zehn Prozent. Spielt hier bereits die Evolution und sind diese Veränderungen weitervererbbar an folgende ­Generationen? Das sind Anpassungen an die Umwelt, ­Veränderungen des Phänotyps, also des Merkmals- und Erscheinungsbilds der ­Individuen. Langfristig kann sich somit aber auch das Erbbild ändern, der soge­ nannte Genotyp. Erklären Sie bitte, wie sich der Mensch anpasst und verändert in der Evolution. Nicht nur die Tier- und die Pflanzenwelt, auch der Mensch ist ständig Umweltbedin­ gungen ausgesetzt, die ihn über kurz oder lang verändern. Unser Körperbau, unsere Physiologie, unser Immunsystem, unser Verhalten, all das ist ein Produkt von Jahr­ millionen dauernder Umgestaltung und Anpassung an die äusseren Bedingungen. Wichtige Einflussgrössen sind etwa Tem­ peratur, Feuchtigkeit, Vulkanausbrüche, Eiszeiten, vorhandene pflanzliche und tieri­ sche Ressourcen und der sogenannte «di­ sease load», die Krankheitsbelastungen. Wir sind Nachkommen von Menschen, die diese fortwährende Selektion überlebt haben. Dessen sind wir uns oft nicht ­bewusst. Zwei Prozesse sind dabei wichtig: Mutation und Selektion. Durch kleine, spontane Erbgutänderungen (Mutationen)


können bestimmte Merkmale auftreten und häufiger vererbt werden. Die Selektion führt dazu, dass einige dieser Merkmale durch eine höhere Überlebenswahrschein­ lichkeit eher auftreten. Welche Ziele verfolgt die evolutionäre Medizin, in der Sie tätig sind? Sie untersucht, wie sich der Mensch im Lauf der Geschichte verändert hat und wie er sich weiter anpasst. Es interessiert uns, welche Kräfte diese Adaptation beeinflus­ sen, wie sich Krankheiten verändern. Medi­ ziner denken manchmal, wenn man einmal genügend Menschen vermessen und unter­ sucht hat, bleibt über Jahrzehnte alles gleich. Das ist ein Trugschluss. Inwiefern? Nehmen wir die Knochen. Sie sind einfa­ ches Gewebe. Es kann Knochenanbau oder -abbau geben. Nach einem halben Jahr Bettlägerigkeit oder wenn Astronauten sich im schwerelosen Zustand befinden, geht die Knochendichte massiv zurück. Dieses unmittelbare Ansprechen des Knochens zeigt sich eben auch auf evolutionärem Niveau. Wir haben zum Beispiel in eigenen Untersuchungen gesehen, dass eine spe­ zielle, meist symptomlose Form der ange­ borenen Wirbelsäulendeformation (Spina bifida occulta) in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen hat. Den Grund dafür kennen wir noch nicht. Dieser versteckten Form des offenen Rückens scheint man auch mit Folsäuregaben nicht vorbeugen zu ­können, wie das bei der schwereren Form der Spina bifida der Fall ist. Irgendwann haben vermutlich fast alle Menschen eine Spina bifida occulta und die rückwärtigen Wirbel­ säulenteile S1 bis S5 sind offen. Was ­be­deuten solche Neuerungen nun für eine Gesellschaft, für die behandelnden Ärzte etc.? Die Überlegungen der evolutionären Medizin haben hier durchaus auch eine klinische Relevanz. Kann man dieses Wissen ­umsetzen? Bei der Spina bifida occulta handelt es sich wohl mehrheitlich um eine Normvariante. Es gibt aber auch Krankheiten, die gehäuft mit dem versteckten offenen ­Rücken vor­ kommen. Die Frage ist nun, ob dieser Trend stabil ist oder sich wieder ä ­ ndert. Und wie Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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man allenfalls Risiken medizinisch abklären und Vorbeugemassnahmen treffen kann. Wieso ist der Mensch eigentlich immer grösser geworden? Das hat unter anderem mit immer kalorien­ reicherer Nahrung und guter medizinischer Versorgung zu tun. Wohlgemerkt: Die ­Grösse nimmt nicht überall auf der Welt zu. In der Schweiz sind die Menschen stark gewachsen in den letzten Jahren. ­Studien zeigen, dass das in der Südhemisphäre anders aussieht: Menschen in ­Australien oder in Afrika schiessen weniger in die ­Höhe. Warum das so ist, ist noch ­unklar. Es sind mehrere Einflussgrössen beteiligt. Erwiesen ist unter anderem, dass psychischer Stress eine Rolle spielt: ­Menschen, die in Regimes leben, in denen sie unterdrückt werden, sind eher klein. Erlangen sie politische ­Freiheit, wie etwa die schwarze Be­völke­rung Südafrikas mit dem Ende der Apartheid, werden die Menschen durchschnittlich grös­ ser. Das hat wohl nicht nur mit einem ­Anstieg des ­Lebensstandards, sondern auch mit psychischen Faktoren zu tun. Die Körpergrösse könnte ­theoretisch endlos weitersteigen? Der Mensch der Zukunft wird sicher keine drei Meter gross sein. Denn sonst gäbe es bereits jetzt «Ausreisser», also ein­ zelne Menschen, die so gross werden. ­Derzeit flacht der Anstieg der Körpergrösse auch wieder ab in der Schweiz: Seit etwa zwanzig Jahren ist ein Plateau erreicht. Gibt es auch beim Gewicht eine Abflachung? Im Unterschied zur Grösse nimmt das durch­ schnittliche Körpergewicht in der Schweiz wie auch in weiten Teilen der restlichen Welt nach wie vor zu. Der Anstieg flacht gemäss allerneuesten Daten immerhin etwas ab. Aber der Anteil der schwer adipösen Men­ schen wächst weiter. Das Gewicht ist ­stärker von der Umwelt abhängig als die Grösse. Die Hauptfaktoren sind bekannt: ungünstige Ernährung und mangelnde Bewegung. Auch mangelnde Bildung spielt mit. Ja. Hier zeigt sich übrigens ein interes­ santer gesellschaftlicher Wandel: Bis etwa zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren Menschen, die viele Kilos auf die Waage


Interview

­ rachten, vor allem unter Bessergestellten b zu finden. Seit den 1950er Jahren ist es ­umgekehrt. Dicksein ist zu einem Phäno­ men von Menschen ohne höhere Bildung geworden. Besser Ausgebildete sind heute weniger dick. Das hat wohl mit ihrem ­Bewusstsein für gesunde Ernährung zu tun – und wiederum mit Stress und chro­ni­ schen Belastungen. Beides ist in besser gestellten Schichten in der Regel geringer. Die Entwicklung des Menschen ist also nicht geradlinig oder sogar zielgerichtet. Das suggerieren aber zum Beispiel diese berühmten Grafiken, in denen der Mensch sich in einer Bildabfolge vom Vier­ füssler zum Zweibeiner aufrichtet, sein Fell abstreift, den Faustkeil ablegt und immer zivilisierter wird. Analog zu den Umweltbedingungen traten immer Schwankungen auf. In der Mensch­ heitsgeschichte gab es deshalb schon früher Zeiten, in denen man ähnlich gross war wie heute. Jäger und Sammler in der Altstein­ zeit waren zum Beispiel grösser als später Sesshafte. Das sind Wellen. Auch das Gehirn wurde im Lauf der Zeit mal grösser, mal kleiner? Auch das, ja. Es gibt Hinweise darauf, dass die Gehirngrösse gar um zehn Prozent ab­ genommen hat in den letzten 30 000 Jahren. Und mit dem Gehirn auch die ­Intelligenz? Nein. Der Zusammenhang zwischen Gehirn­ volumen und Intelligenz ist nicht so ein­ deutig. Sicher ist, dass sich auch unser Den­ ken und unser Gedächtnis an die Umwelt anpassen. Prinzipiell vorstellbar wäre somit, dass unser Gehirn in einigen Jahrhun­ derten besser dafür gerüstet ist, eine grosse Informationsfülle aus dem Internet zu ­verarbeiten, und dafür vielleicht weniger gut Gedichte auswendig lernen kann. Der Mensch hat keine natürlichen Feinde mehr, er schirmt sich – ­zumindest in den hoch entwickelten Ländern im Norden – vor Wind und Wetter ab, und Krank­ heits­erreger werden von der ­modernen Medizin in Schach gehalten. Was ist heute die treibende selektive Kraft?

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Es wirken eindeutig weniger starke Umwelt­ einflüsse auf uns ein. Durch die Indust­ rialisierung und die zunehmende Globalisie­ rung fällt viel Selektionsdruck weg. Der Druck der Natur, wonach Individuen, die schlechter an die Umwelt angepasst sind, ausscheiden und die am besten Angepassten quasi ausgewählt werden, weil sie sich ­vermehren können, hat abgenommen. In der evolutionären Medizin sprechen manche Forscher deshalb auch von einer «Entspan­ nung der natürlichen Selektion». Wie zeigt sich diese Lockerung des Selektionsdrucks? Ein gut funktionierendes Gesundheits­ system kann den Selektionsdruck in Bezug auf die Anfälligkeit für bestimmte Krank­ heiten abfedern. Oder denken Sie an die In-vitro-Fertilisation: Sie macht es möglich, dass Menschen, die vor einigen Jahrzehn­ ten keine Kinder haben konnten, nun Eltern werden können, was sehr wertvoll ist für die Betroffenen. Ketzerisch gefragt: Züchtet eine Gesellschaft, in der die natürliche Auslese nicht mehr funktioniert, sich mehr und mehr Mängel an, wie etwa Kurzsichtigkeit? Ein hochgradig Kurzsichtiger hätte früher vielleicht den Säbelzahntiger nicht gesehen und wäre gefressen worden. Aber er hat vielleicht einen anderen Vorteil. Was sind also Mängel? Den perfekten Menschen gibt es nicht. Jede Adaptation hat ihren Preis. Der Mensch ist immer ein biologischer Kom­ promiss in Bezug auf verschiedene Um­ weltbedingungen und Ansprüche an ihn. Hilft die Entspannung der na­ türlichen Auslese dem Menschen, im Stammbaum des Lebens zu ­verbleiben? Oder schmälert das ­langfristig unsere Chancen? Ich sehe vor allem den Vorteil, dass die genetische Variabilität des Menschen nicht ab-, sondern eher zunimmt bei kleinem Selektionsdruck. Bei hohem Selektionsdruck dagegen nimmt die Vielfalt ab. Haben ­Menschen zum Beispiel einen Überlebens­ vorteil, wenn sie schnell rennen, und ster­ ben die Langsamen aus, weil sie gefressen werden, wird es nach ein paar Genera­ tionen unter Umständen nur noch schnelle


© Thomas Schuppisser

Frank Rühli (geb. 1971) ist Anatom und Mumienforscher. Er leitet das von ihm gegründete Zentrum für Evolutionäre Medizin, das zum Anatomischen Institut der Universität Zürich gehört. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung des Menschen über ver­ schiedene Zeiträume sowie die Evolution der menschlichen Krankheiten. Politisch enga­ giert sich der Wissenschaftler u.a. im Vorstand der FDP der Stadt Zürich. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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Interview

Läufer geben. Man spricht von einem ­genetischen Flaschenhals. Wenn der Druck aber wegfällt, weitet sich das geneti­ sche Spektrum: Es wird weiterhin schnelle und langsamere Läufer geben. Diese ­Varia­­bilität wird besonders dann wichtig, wenn sich neue Umweltbedingungen ­ergeben, in d ­ enen die Langsameren im Vor­ teil sind, weil sie andere, begleitende ­Merkmale haben, die nun zum Zug kommen. Wenn es dann keine Langsameren mehr gibt, stirbt der Mensch unter Umständen ganz aus. Trotzdem gleichen sich die ­verschiedenen Ethnien durch die ­Globalisierung heute mehr und mehr an. Die Erde ist ein globales Dorf und die Lebensbedingungen in Zürich, New York, Mexico City und Mumbai unterscheiden sich immer weniger. Die ethnische Annäherung verläuft oft ­parallel zur Verwestlichung des Lebensstils. Und sie ist teilweise gut sichtbar: Früher konnten Sie auf einen Blick sagen, ob jemand aus dem Glarnerland oder aus dem Tessin kommt. Heute fällt uns das schwerer. Men­ schen migrieren weltweit, wachsen an Or­ ten auf und verbringen dann aber den Rest ihres Lebens irgendwo anders, wo andere Umweltbedingungen herrschen, Eltern wandern aus anderen Kontinenten ein und die Kinder sind dann völlig assimiliert am neuen Ort. Die Unterschiede passen sich so langfristig an. Man stellt aber zunächst auch ­Gesundheitsprobleme bei ­indigenen Völkern fest, die relativ ­plötzlich dem westlichen ­Lebensstil ausgesetzt sind. Trotz zumindest teilweise schrumpfendem Selektionsdruck kann der Druck auf den Einzelnen in der Tat wachsen. Dann zeigen sich die Grenzen der Adaptationsfähigkeit des Menschen. Die ursprüngliche Bevölke­ rung Nordamerikas und die Aborigines in Australien etwa haben mit Übergewicht und Diabetes Typ II zu kämpfen, denn ­neben Faktoren wie der ökonomischen und der sozialen Schlechterstellung oder ­Ausgrenzung ist ihr Körper, ihre Physiologie nicht – oder noch nicht – gemacht für den

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Wechsel zu einem westlichen Lebensstil mit übermässiger kalorischer Ernährung. Der Steinzeitkörper in einer ­modernen Welt ... Diese Vereinfachung mag ich gar nicht. So einfach ist Biologie nicht: Wir haben ja nicht direkt Rückenweh, weil unsere ­Vorfahren auf vier Beinen gingen. Wir haben ein Erbe, aber wir entwickeln uns auch. Die Evolution schreitet in jedem Fall voran. Und der Mensch verändert sich weiter. Luftschadstoffe, verseuchte Böden, die schwindende Ozonschicht, atomare Katastrophen, die Klimaerwärmung oder die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich: Sind das vielleicht die ­neuen Selektionsfaktoren der Evolution? Das ist schwierig zu sagen – und wahrschein­ lich noch zu früh. Denn bis ein Einfluss­ faktor nachweisbar wird, braucht es Zeit und eine gewisse Ausbreitung. Welche körperlichen Anpassungen beim Homo sapiens sapiens werden zukünftig gefragt sein? Spontan in den Sinn kommen mir Anpas­ sungen des Immunsystems, wie etwa höhe­ re Resistenz gegenüber HIV oder Ähnli­ ches. Wünschenswert wäre wohl auch eine Konstitution, die uns nicht allzu dick wer­ den lässt. Auch dass unser Körper generell Schadstoffe und Strahlen besser «ver­ dauen» könnte, wäre praktisch. Welche Entwicklungen würden Sie sich auf der Verhaltensebene wünschen? Eine grosse potenzielle Gefahr sind ­neu­artige und leicht übertragbare Krank­ heitserreger, die unser Immunsystem ­austricksen – nicht zuletzt aufgrund der welt­ umspannenden Mobilität. Hier sind Vor­ sichtsmassnahmen und Notfallpläne nötig. Und: Ein Teil der Menschheit lebt über ­seine Verhältnisse, verbraucht zu viele Res­ sourcen. Wir schonen unsere Lebensgrund­ lagen nicht rigoros genug. Das hat zum Teil mit der wachsenden Zahl von Menschen und Bedürfnissen zu tun. Hier sind vielfäl­ tige technologische und organisa­torische Lösungen gefragt. Das Interview führte Ruth Jahn, P ­ ressebüro Index


Weltbühne Natur Das Zusammenleben mit der Natur ist eines der grossen gesellschaftlichen Themen. Das schlägt sich auch in der Kunst, im Theater, in der Literatur nieder. Die Auseinandersetzung mit ihr und mit den Wünschen und Sehnsüchten, die wir mit ihr verbinden, beschäftigt eine ganze Generation Künstler. Ein spektakuläres Projekt wurde diesen Sommer auf der Alp Stierva in Graubünden verwirklicht. «Mountain Glory – das vergessene Alpeninstitut» heisst die Theaterperformance um das Werk von Jean-Jacques Rousseau, welches Künstler und Künstlerinnen aus England, Holland, Island, Deutschland und der Schweiz auf über 2200 m ü.M. realisierten. Der Regisseur Markus Gerber, der Dramaturg Simon Helbling und der Produzent Mathias Balzer haben für uns noch während der Proben ihre Sicht auf die Theaterarbeit in der Natur beschrieben.

Essay

Essay von Mathias Balzer, Markus Gerber und Simon Helbling Es ist, als sei das Lebensgefühl der Romantik wieder wach geworden. Schriftsteller wie Franz Hohler begeben sich in die Zwischenräume von Natur und Zivilisation, um der Welt näherzukommen. Bildende Künstler zeigen ihre Werke in Parks oder auf Skulpturenwegen und schaffen auf unterschiedlichste Weise Zugänge zum Mythos und Lebens­raum Natur. Sie kreieren neue Abbilder, ahmen Prozesse der Biologie nach, thematisieren die Bewirtschaftung des Naturraums und gehen als Nachfolger der Land-Art-Bewegten von 1979 direkt in die Natur, wo sie Werke mit vergänglichem Charakter hinterlassen. Auch im Theater ist die Sehnsucht, sich der Natur wieder anzunähern, derzeit omnipräsent. Nicht in den grossen Häusern, aber in der freien Szene. Mobil und ungebunden führt sie das Publikum hinaus aus den muffigen Theatersälen, hinein ins Naherlebnis mit Realität und Natur. Bereits die ältesten Kunstwerke der Menschheit, die Höhlen­ malereien, zeugen von der Auseinandersetzung mit dem Lebensraum unseres Planeten. In der Moderne kann man stellvertretend für andere zwei Überväter der Bewegung erkennen, deren Werk auch heute noch in zahlreichen Theaterproduktionen aufgegriffen wird. Der eine ist Henry David Thoreau mit seinem Buch «Walden oder Leben in den Wäldern», das seinen zweijährigen Aufenthalt in einer selbst gezimmerten Hütte 1854 in den Wäldern von Massachusetts ­beschreibt. Knapp hundert Jahre vor dem Amerikaner hatte der Genfer Gelehrte Jean-Jacques Rousseau mit seinem Buch «Emile oder Über die Erziehung» den Naturboom im europäischen Tourismus ausgelöst. 300 Jahre nach der Geburt des umstrittenen Philosophen

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Essay

Proben in der freien Natur. Die Theatergruppe von «Mountain Glory».

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© Tabea Hüberli

verbringt das Ensemble von «Mountain Glory» einen Alpsommer in Graubünden und widmet sich seinem Werk. Der Dramaturg der Produktion, Simon Helbling, schreibt zur Auseinandersetzung mit Rousseaus Werk: «Die erste Frage, die sich stellt, wenn man so explizit in der Natur arbeiten will wie Markus Gerber und die Performer von ‹Mountain Glory›, lautet: Was ist Natur? Die Bedeutung des Begriffs schwankt zwischen zwei extremen Polen: Einerseits steht die Natur als das ­absolut von Menschen unberührte und sich selbst regulierende Öko­ system da. Andererseits gilt die Haltung, dass der Mensch ein Teil der Natur sei, dass alles, auch die menschlichen Eingriffe in die Natur, zur Natur zu zählen seien. Jean-Jacques Rousseau brachte einen weiteren Naturzugang in die Diskussion, nämlich den moralischen Standpunkt. So formuliert er in seinem Buch ‹Emile oder Über die Erziehung› die These: ‹Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöpfers hervorgeht; ­alles entartet unter den Händen des Menschen. Er zwingt ein Land, die Produkte eines andern hervorzubringen, einen Baum, die ­Früchte eines andern zu tragen; er vermischt und vermengt die Klimata, die Elemente, die Jahreszeiten; er verstümmelt seinen Hund, sein Pferd, seinen Sklaven; er stürzt alles um, er verunstaltet alles; er liebt das Unförmliche, die Missgestalten; nichts will er so, wie es die Natur gebildet hat, nicht einmal den Menschen; man muss ihn wie ein Schulpferd für ihn abrichten; man muss ihn wie einen Baum ­seines Gartens nach der Mode des Tages biegen.› Rousseau zeichnet die Natur als eine Nicht-Kultur und die ­Errungenschaften des Menschen als tendenziell negativ. Das Natür­ liche b ­ elegt er deswegen als gut und moralisch richtig, da es eben von der Natur kommt.» Überraschungen wie Kälbergeburten und Autopannen So weit zum naturphilosophischen Rucksack, den die Theater­macher auf die Alp mitnahmen. Anfang Juni, nach drei kalten Wochen auf der grösstenteils noch schneebedeckten Alp, schrieb Regisseur Markus Gerber in einem E-Mail: «Ich gebe es gleich zu: Mit der Theater­ performance ‹Mountain Glory› erfülle ich mir auch private Wünsche. Ich verbringe Frühjahr und Sommer zusammen mit inspirierenden Schauspielern aus ganz Europa auf der wunderschönen Alp Stierva im Kanton Graubünden und werde dafür, wenn auch nicht ­gerade ­fürstlich, so doch bezahlt. Weit entfernt von dunklen und überhitzten Theaterräumen bin ich drei Monate lang Wind und Wetter aus­ gesetzt, jeder einzelne Tag wird Überraschungen bringen: Schnee, ­Kälbergeburten, Autopannen, mystische Nebelstimmungen, ­Verletzungen. Natürlich ist dies nicht mein Hauptgrund, Theater in der Natur zu machen. Mit meinen Projekten will ich die Zuschauer herausfordern.

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Essay

Ich will, dass sie mit aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen und Fragen konfrontiert werden, dass sie die Möglichkeit haben, durch meine Sichtweise anders auf die Welt zu schauen, als sie es bisher ­getan haben. Mein Interesse ist, den Zuschauer so weit als möglich zu einem mitprägenden Teil der Aufführung zu machen. Er soll nicht nur gemütlich im dunklen und anonymen Bühnenraum sitzen, son­ dern, was ja schliesslich der Grundsatz von Theater ist, in wirkliche Kommunikation mit den Schauspielern, mit dem Geschehen, mit dem Ort treten, wo er sich befindet. Unsere Performance behandelt die Frage, was der natürliche und richtige Mensch, die gute und gesunde Gesellschaft sein könnten. ­Eine Gesellschaft, die es schafft, die ‹innere Natur› des Menschen mit der äusseren, in der er lebt, in Einklang zu bringen. Um so eine grosse und existenzielle Frage überhaupt bearbeiten zu können, gibt es aus meiner Sicht nur eine Möglichkeit: Wir Künstler können nur mit einer total subjektiven und individuellen Herangehensweise Antworten auf diese Frage finden – wir müssen uns dem Inhalt mit Haut und Haar ausliefern. So leben unsere Performer und ich ab Mitte Mai 2012 auf 2200 m ü.M. in alten Ställen, spartanischen Hirtenhütten und selbst gebauten Verschlägen. Durch das alltägliche Leben und die oft schweisstreibende Arbeit in der Natur- und Kulturlandschaft der Alp befinden wir uns tagtäglich mitten im Thema, das wir erforschen und bearbeiten. Wir sind ein Teil davon. Tagtäglich stecken wir in ­Widersprüchen. Ein ebenso profanes wie sprechendes Beispiel: ­Gestern gerieten wir auf dem Heimweg von unserer Arbeit in ‹Ame­ rika›, dem felsigen Teil der Alp, in eine Nebelbank und hatten ­innerhalb von wenigen Sekunden keine Ahnung mehr, wo wir uns be­ fanden. Augenblicklich wurde uns bewusst, was für eine Macht die wilde und ursprüngliche Natur über uns Menschen hat. Dank unseren Mobiltelefonen, auf die wir auch nach drei Wochen in den Bergen ­immer noch nicht verzichten konnten, waren wir aber jederzeit auf der sicheren Seite und hätten, falls nötig, Hilfe anfordern können. Diese Erfahrung liess uns auf einfache und konkrete Art und Weise hinter­ fragen, ob ‹wilde› und ‹ursprüngliche› Natur denn überhaupt noch existiert; oder ob sie nicht vielleicht schon längst nur noch eine Imagi­ nation ist, ein romantisches Bild, welches massgeblich von der ­Wirtschaft, beispielsweise dem Tourismus und den Outdoorbeklei­ dungs-Herstellern, gefüttert und aufgebaut wird, um damit Geld zu generieren.» Die Natur ist eine unkontrollierbare «Mitspielerin» Es sind also vor allem Widersprüche, die sich zeigen, wenn Künstler, ihres Zeichens eine Art moralische Instanz der Kulturgesellschaft, sich der Natur annähern. Was aber könnte der Gewinn sein, wenn

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nicht Bürgertempel und Theaterhäuser Ort des Bühnengeschehens sind, sondern die Weiden und Fluren einer Alp? Dazu nochmals ­Simon Helbling: «Gerade in unserer Gegenwart stellt sich nicht so sehr die Frage, was die Natur für uns sein kann, sondern viel drängender diejenige, wie unsere Zivilisation die Natur schützen und bewahren kann. ­Entscheidet sich eine Theatergruppe, in der freien Natur zu inszenie­ ren, so kann sie entweder die Natur als einzigartigen Schauplatz ­nutzen, wie es zahlreiche Freilichtspiele und Heimatmusicals derzeit tun. Oder die Künstler können die Natur selbst als Mitspielerin zulas­ sen, wie ‹Mountain Glory› es versucht. Da wird keine Bühne fernab der Zivilisation errichtet, sondern eine ganze Landschaft bespielt und somit auch als Mitspielerin zugelassen. Theater ist wie jede andere Kunstform nicht dazu da, Lehren oder Tatsachen zu vermitteln, son­ dern Fragen aufzuwerfen im einzelnen Zuschauer. Mit der Natur als unkontrollierbarer und eigenständiger Mitspielerin wird die Frage nach dem Naturbegriff besonders drängend. Warum macht sich ein Zuschauer auf den langen Weg in die Bündner Alpen, um Theater zu sehen? Welche Erwartungshaltung an die Natur trägt er mit sich? Kann es sein, dass wir in unserer Zeit ein Bild der Natur in uns tragen, das demjenigen Rousseaus ähnlich ist? Projizieren wir in die Land­ schaft vor allem das, was nicht in unserem Alltag und in unserer Zivili­ sation enthalten ist? Das Theater führt auf Kernfragen zurück An diesem Punkt kann das Theater die Auseinandersetzung mit der Natur konkret erfahrbar machen: Kommt unser ehrliches Bedürfnis nach einer intakten Natur aus dem Respekt vor der Natur selbst? Oder sehnen wir uns nach Wiedergutmachung derjenigen Verletzun­ gen, die unsere Zivilisation der Natur – und dem verbleibenden ­natürlichen Empfinden in uns – zugefügt hat? Es kann nicht die Auf­ gabe des Theaters sein, Fakten über Kultur und Natur zu präsentie­ ren, dafür gibt es genügend fundiertes Material an anderen Orten zu finden. Das Theater hat viel ergreifendere Möglichkeiten, sich mit den Fragen der persönlichen Beziehung zur Natur auseinanderzuset­ zen und den einzelnen Zuschauer auf die Kernfrage zurückführen: Was ist für mich Natur?» Im Januar 2013 werden die Theatermacher von «Mountain Glory» zwei Schweizer Theaterhäuser besuchen, das dortige Publikum mit den Erkenntnissen ihrer Naturrecherche konfrontieren und – so viel Theater muss sein – sicher auch unterhalten. Mehr Informationen zum ­Projekt und zu weiteren Gastspielen unter: www.mountainglory.ch, www.gessnerallee.ch, www.theaterchur.ch.

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Manifeste mit grossem Potenzial Von Bernadette Fülscher

Umweltbildung

Künstler reagieren auf ­Veränderungen der Natur und prägen den ­öffentlichen Raum mit spannenden Werken. Kunstwerke im öffentlichen Raum richten sich an die breite Öffentlichkeit. Unkon­ ventionell und mit begrenztem Aufwand können sie ihr Umweltthemen näher­ bringen. Wie einfach geschieht das? Und ist die «Umwelt» bei Kunst im Aussenraum überhaupt präsent? Der Vorteil der Kunst, mehr bildhaft denn sprachlich zu kommunizieren, ist hier zugleich ihr Nachteil. Komplexe Sach­ verhalte müssen diskursiv erklärt werden, während Wandbilder, Skulpturen und ­Installationen etwas abbilden, zum Aus­ druck bringen, erfahrbar machen. Dabei erfährt das Publikum keine Fakten, sondern wird mit Bildern und Räumen konfrontiert, die zum Denken anregen und bestenfalls zum Handeln – vorausgesetzt, der Betrachter erkennt das Werk als solches, kann es ­«lesen» und sich darauf einlassen. Beispiele in Zürich zeigen, wie Kunst auf Umweltthemen reagiert. Bis weit ins 20. Jahrhundert sind in der Stadt etliche Dar­ stellungen von Tieren, Pflanzen und ­Landschaften entstanden [Abb. 1]. Viele ver­ wiesen auf den damals wachsenden ­Unterschied zwischen Stadt und Land und verklärten die Natur als heile Welt im ­Gegensatz zum harten Alltag. Mit einer Tier­ figur im Park konnte die Idylle für Momente in die städtische Realität geholt werden. Um aus solchen Werken einen Bezug zur Umwelt abzuleiten, müssen Betrachter den historischen und kulturellen Kontext kennen. Anders bei vielen Arbeiten der letz­

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ten Jahrzehnte: Anstelle bildhafter Dar­ stellungen sind seit dem späten 20. Jahrhun­ dert vermehrt abstrakte Werke und räumliche Installationen entstanden. Erste­ re behandeln die Umwelt auch als ästhe­ tischen Gegenstand, während die Installa­ tionen die Umwelt selbst produzieren und verändern; dabei konfrontieren sie den Betrachter mit seinem Verhältnis zur Natur [Abb. 2]. Im Mittelpunkt jüngerer Werke steht die Wahrnehmung der Landschaft und anderer Situationen unserer Lebenswelt. Die Inhalte sind meist codiert und der brei­ ten Bevölkerung schwer zugänglich. Wenn ein solches Werk eine Passantin schmunzeln lässt, folgt daraus noch keine Veränderung ihres Handelns. Dies hat mit­ unter politische Gründe. Öffentlich plat­ zierte Kunstwerke finden besondere Beob­ achtung und stehen oft im Kreuzfeuer der Kritik. In der basisdemokratischen Schweiz konnten Auftraggeber von Kunstwerken selten mutige Entscheidungen gegenüber dem Volk vertreten, weshalb gesellschafts­ politisch wenig provokative Werke im ­öffentlichen Raum die Mehrheit bilden. Wir sollten Erwartungen an frei zugängliche Kunst also nicht höher setzen als jene an andere Manifestationen im Aussenraum. Das Potenzial von Kunstwerken, Bezüge zur Umwelt zu schaffen und etwas in Frage zu stellen, ist dennoch ernst zu nehmen. Bernadette Fülscher: Die Kunst im öffent­ lichen Raum der Stadt Zürich: 1300 Werke — eine Bestandesaufnahme (2012). 416 S., 1400 Farbabbildungen, CHF 44.— ISBN 978-3-0340-1084-9. Zu bestellen über den Buchhandel oder beim Chronos Verlag, Eisengasse 9, 8008 Zürich, info@chronos-verlag.ch. Bernadette Fülscher hat Architektur und Kunstgeschichte studiert und über Szenografie an der Landesausstellung ­Expo.02 promoviert. Sie schreibt und forscht freiberuflich über die Entwicklung von Kunst und Kultur seit dem 19. Jahr­hundert. Während fünf Jahren inventarisierte sie die Kunst­ werke im öffentlichen Raum der Stadt Zürich.


Abb. 2 — «Polonäse», 2005 von Erik Steinbrecher (*1963) für die Wohnsiedlung Heumatt in Zürich Seebach konzipiert. Ein künstlicher Hügel auf einer Spielwiese ist von einem Holzzaun umgeben, um das «Reich» der Kinder zu markieren. Der Zaun nimmt Bezug auf die heute typische, billige Fertigarchi­ tektur: industriell produzierte Massenware, normiert und welt­ weit im Baumarkt käuflich.

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© Fülscher

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Abb. 1 — Drei Flamingos, 1935 von Estrid Christensen (1884–1968) geschaffen, seit 1951 im Belvoir­ park in Zürich Enge. Drei realistisch wirkende ­Flamingos stehen in einem Teich im Zürcher Belvoirpark. Sie ver­ mitteln den Eindruck einer idylli­ schen Natursituation mitten in der Stadt.


Absichts­erklärungen bringen nichts Essay von Rolf Jucker

Umweltbildung

«Wer begriffen hat und nicht handelt, hat nicht b ­ egriffen.» Bruno Manser

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Blickt man kritisch auf die Geschichte und die Errungenschaften von Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung, wirkt das Lesen von Ökoklassikern aus den 70er Jahren ernüchternd. «Die Gren­ zen des Wachstums» des Club of Rome (1972), «Small is beautiful» von E.F. Schumacher (1973) oder die Schriften von Ivan Illich und Rudolf Bahro zeigen: Die Probleme der fehlenden Nachhaltigkeit sind ­bedingt durch Werthaltungen, Wirtschaftsstrukturen und gesellschaft­ liche Muster, die sich seit der industriellen Revolution durchgesetzt ­haben. Da sie auf Ausbeutung beruhen, sind sie mit einem langfristig würdigen Leben aller Lebewesen nicht vereinbar. Was seit den 70ern klar ist, bestätigt jede seriöse neue Studie, wie etwa das «Millenium Ecosystem Assessment» (2005) oder der aktuelle ­«Living Planet ­Report» (2012): Ohne den Umgang mit der Mit- und Umwelt grundsätz­ lich zu ändern, ist Nachhaltigkeit nicht möglich. Das gilt auch für die Bildung, denn sie ist ein zentraler Baustein weltweit, der mithilft, nicht nachhaltige Gesellschaften und Wertsysteme zu reproduzieren. Daraus ergeben sich vier Heraus­for­derungen für die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). It’s the economy, stupid – Solange unser Wirtschaftssystem als zentrale Triebkraft unserer Gesellschaften auf Wachstum setzt – zudem meist ­undifferenziert –, bleibt BNE wirkungslos. Nachhaltigkeits­verständnis – Wie die Unesco im Rahmen der ­UN-BNEDekade feststellt, «kann es auf einem zerstörten Planeten weder soziale noch wirtschaftliche Entwicklung geben», weil die Gesetze und die Grenzen der B ­ iosphäre alle abhängigen Subsysteme bestimmen. Eine veränderte Gesellschaft verändert ihre Bildung, nicht umgekehrt – Die Idee, dass wir Probleme der fehlenden Nachhaltigkeit lösen können, indem wir sie an unsere Kinder delegieren und erwarten, dass sie – bestens BNE-gebildet – zustande bringen, was uns misslingt, ist mora­ lisch bedenklich und zeigt ein problematisches Funktionsverständnis von Bildung in unseren Gesellschaften. Bildung ist vor allem ein Instru­ ment der Gesellschaft, um sich in Werthaltungen und Weltsichten zu reproduzieren. Über Bildung den Paradigmenwechsel erreichen zu wollen, heisst das Pferd am Schwanz aufzäumen. Schulbildung kann keine Gesellschaft verändern. Wenn diese sich aber in ihrem Handeln verändert und nachhaltig werden sollte, wird die Bildung dieser ­Gesellschaft dies ab­bilden. Die Schule bestimmt die Bildung nur ­beschränkt: Die Realität unseres Systems, Medien, Elternhaus und Gruppendruck sind als «Schattenerzieher» viel effektiver. Handlung statt B ­ ewusstsein – Nebst Umweltbildungsaktivitäten wird Zentrales meist vergessen: Die Wirkung von Umweltbildung misst sich nicht an der Zahl guter Lehrmittel, an Lernangeboten, Prominenz im

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Lehrplan oder an finanziellen Mitteln. Sie zeigt sich nur darin, ob wir als Berufstätige, Bürger und Familienmitglieder nachhaltig handeln oder nicht. Wenn wir auf diese Herausfor­derungen reagieren wollen, bieten sich drei Zugänge an Langfristige soziale Lernprozesse in Gang setzen – Lernen mit nach­ haltiger Wirkung p ­ assiert in Gruppen, in denen Beteiligte gegenseitig Verantwortung übernehmen. Wir müssen solche Lerngruppen ­aufbauen; mit Leuten, die Veränderung handelnd und nicht nur in Absichtserklärungen vorantreiben. Öffnen des Blicks – Wir brauchen funktionierende ­Lösungen. Die finden wir meist ausserhalb des Bildungssystems. Nutzen wir sie, denn ­dadurch verknüpfen wir Lernen und Bildung enger mit dem Handeln. Übergeordnete Ziele im Blick behalten – Aktuelle Strukturen beein­ flussen unser Denken und Handeln so, dass wir uns schwer von ihnen lösen und das überge­ordnete Ziel eines ökologisch nachhaltigen ­Lebens kaum im Blick behalten können. Deshalb müssen wir Erlebnis­ räume schaffen, in denen wir dem Ziel mit Kopf, Herz und Hand ­näherkommen. Greenpeace hat längst erkannt, dass man nur übers Handeln Verän­ derung g­ estalten kann. Ein wunderbares, mit über 10 000 Jugendlichen erprobtes Beispiel ist das Projekt Jugendsolar, das unsere solare ­Zukunft konsequent in der Gegenwart baut.

Rolf Jucker ist Geschäftsleiter der Stiftung Umweltbildung Schweiz (SUB) www.umweltbildung.ch Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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© Greenpeace/Fojtu

Full-Reuenthal, AG, 27. Juni 2012: In ­Sichtweite das AKW Leibstadt installiert ­«Jugendsolar by ­Greenpeace» zusammen mit Tessiner Jugendlichen vom WWF eine Photovoltaikanlage.


Umweltbildung bei Greenpeace

Learning for the ­Planet — Leitfaden für ­engagierte ­Maturaarbeiten

Schulbesuch

Die Maturaarbeit ist für jährlich 20 000 Jugendliche die erste ­gros­se Arbeit, bei der sie sich über ­längere Zeit intensiv mit einem Thema befassen. Wichtig ist deshalb, dass sie einen Fokus finden, der sie interessiert und bewegt, sind Helvetas, Greenpeace und Amnesty International überzeugt, die gemeinsam einen Leitfaden für Maturan­dinnen und Maturanden entwickelt haben. «Wir arbeiten zusammen, weil wir überzeugt sind, dass globale Probleme nur ge­ meinsam und ­interdisziplinär angegangen werden können», sagt Kuno Roth, Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. Mit anleitenden Fragen und Arbeitshilfen, ergänzt durch Tipps von ehemaligen Maturanden, will es der Leitfaden ermöglichen, ein bewältigbares Thema für eine schriftliche Arbeit, ein Projekt oder eine Aktion zu finden. Die Broschüre steht unter dem Motto «Learning for the Planet», denn Interessierte finden im zweiten Teil Themen­ vorschläge, wie sie mit ihrer Arbeit für die Umwelt und für globale ­Gerechtigkeit aktiv werden können. Die Anregungen von Greenpeace drehen sich um Energie und Klima. Der Leitfaden wurde von der Fachagentur Sprouts entwickelt. Die Grundidee für «Learning for the Planet» lieferte das Atelier Pantaris. Die Broschüre «Die Matura­ arbeit: Inspirationen, Ideen, Tipps» kann von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern kostenlos bei uns bestellt werden.

Schulbesuche von Greenpeace greifen Fragen von Jugendlichen auf und helfen dabei, Handlungs­ optionen zu finden. Was können wir wie und bis wann verändern? Der Schulbesuch von Greenpeace soll als Start in ein Umweltprojekt an der Schule, im Dorf oder in der Gemeinde dienen. Die Schulbesuche werden von Freiwilligen durchgeführt, die eine Ausbildung absolviert haben. Sie werden in einer längeren, engen Begleitung schrittweise an ihre Aufgabe herangeführt. ­Qualität ist uns wichtig, steht doch bei jedem Schulbesuch unser ­Name auf dem Spiel. Zentral ist immer unsere Philosophie: «Engagiere dich gewaltfrei für eine ­bessere Zukunft, wenn du mit etwas nicht einverstanden bist.» Schulbesuch.ch ermöglicht es, die Zukunft aktiv anzupacken. vermittelt Werkzeuge für ­konkrete ­Umwelt­arbeit. verhilft zum Denken in ­Systemen und ­ermöglicht eine ­moderne Umweltbildung. Ein Schulbesuch dauert mindestens einen halben Tag (4 Lektionen). Die Kosten betragen 150 ­Franken für einen halben und 250 Franken für einen ganzen Tag. ­Exklusiv in diesem Heft (siehe rechte Seite unten) bieten wir Ihnen einen Gutschein für einen GratisSchulbesuch (ganzer Tag) an. Talon ausschneiden und einer Lehr­ person abgeben. Vielleicht möchte auch die Tochter oder der Sohn den Gutschein in die Schule mitnehmen.

10 000 ­Jugendliche für eine sonnige ­Zukunft Das Projekt Jugendsolar von Greenpeace geht seit 1998 den Weg der praktischen Umweltbildung. Mit Jugendlichen bauen wir Solaranlagen. 2011 wurde die 200. ­Anlage montiert. Ein Höhepunkt war die Mitarbeit bei der Umwelt­ arena. In diesem Projekt haben rund ­hundert Axpo-Lernende in acht Jugend­solar-Camps die grösste dachintegrierte Solarstrom­ anlage der Schweiz installiert (www.umweltarena.ch). Jugendsolar will pro Jahr 10 bis 15 Solaranlagen installieren und ist Teil der Klimaund Energiekampagne von Greenpeace Schweiz. Was macht Jugendsolar? Jugendsolar bringt Bauherren und Solarfirmen mit Jugend­ gruppen oder Schulen zusammen und übernimmt die Organisation der Solarbauwochen. Jugendsolar bietet auf Altersklassen abgestimmte Workshops zum Thema Sonnenenergie. Jugendsolar stellt Jugend­ gruppen und Schulen gratis einen Finanzierungsleitfaden zur ­Verfügung, der auf Solarprojekte zugeschnitten ist. Wieso braucht es Jugendsolar? Um die Solartechnik und jede erneuerbare Energie breit bekannt zu machen, ist die Jugendarbeit ein geeigneter Ansatz. Jugendlichen wird das Verständnis für die ­Wichtigkeit der Vision «100% erneuerbar» vermittelt. Mitmachen bei Jugendsolar Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren können an Projekten ­mitwirken, an Solarlagern teilnehmen oder in der Kerngruppe aktiv werden. Institutionen, Vereine, Haus­besitzer und Firmen können mit ihren Lernenden oder Frei­ willigen mit Jugendsolar eine Solaranlage realisieren. Lehrtätige ­unterstützen wir mit Schulbesuchen oder Unterrichtsmaterial.


Youth Support Center: Erfahrungen ­weitergeben

Weiterbildung für Freiwillige

Greenpeace Schweiz hat Erfahrung mit Jugendprojekten und Schul­ programmen. Es liegt deshalb nahe, dass wir diese Erfahrungen auch Kollegen in südlichen Ländern zur Verfügung stellen. Zum Beispiel in Afrika, wo die Hälfte der Bevöl­ kerung jünger ist als 20. Unsere Unterstützung ist den Bedürfnissen der Partnerbüros angepasst: Beratung, Training, Coaching, Konzep­ tion, Vorlagen aus «Good Practices» usw. sind die Angebote des Youth Support Centers YSC. Wenn also zwanzig junge ­Freiwillige am World Social Forum in Porto Alegre in Solarenergie ­unterrichtet werden … Oder wenn am Gipfel Rio+20 brasilianische Greenpeace-Frei­ willige lernen, wie man Menschen Solarenergie näherbringt … Oder wenn in Kamerun Com­ munity-Techniker in 15 Pygmäendörfern Solar Home Systems ­installieren, eine soziale Solarfirma aufbauen und Gesundheitsvorsorge betreiben … Oder wenn in Kongo zwanzig junge Menschen unter Anleitung zweier afrikanischer Solartrainer die Panels für einen Solargenerator des Lokalradios installieren und lernen, wie man holzeffiziente Öfen baut … … dann hat das YSC die Solarund Community-Trainer gestellt, die Programme mitentwickelt und finanziert und so die jungen Menschen ausgebildet. Einige von ihnen sind selbst Trainer geworden. Wenn die Weltorganisation der Pfadfinder WOSM den «Solarspezialexer» ­(Solar Badge) lanciert, der in drei Ländern getestet wird, so hat das YSC zudem das Handbuch für die Pfadileiter erarbeitet.

Der Erfolg von Greenpeace gründet auf dem Einsatz von gut ausge­ bildeten, engagierten Freiwilligen. Wir bieten in unseren Kursen eine Vielfalt von Themen und Workshops an, die unter anderem praktische Übungen und Trainings umfassen und Fachwissen vermitteln, in ­denen es aber auch um die Auseinandersetzung mit der eigenen ­Haltung und Einstellung geht. Ein grosser Teil des Kursprogramms enthält zudem Methodentraining für eine erfolgreiche und selbständige Umweltarbeit. Das Programm bildet die Basis, um eine breit abgestützte Freiwilligenwelt zu ermög­ lichen und zu fördern. Die Trainings oder Workshops sind allen aktiven Greenpeacer­ Innen kostenlos zugänglich: ­Frei­willigengruppen, AktivistInnen, Greenteam-PatInnen, Umweltbildungs -Engagierte, Büroleute oder StiftungsrätInnen aus allen Greenpeace-Ländern. Auch Nicht-Greenpeacer können gegen Zahlung der Kursgebühr an den Trainings teilnehmen. Eine Auswahl aus dem ­Kursprogramm: Action-Workshop Der Aktionsmaterialien-Miniworkshop Die Welt verändern 1 Miteinander vorwärtskommen — Leitung und Moderation Die Welt verändern 2 Projektmanagement — Planung und Umsetzung erfolgreicher Projekte Die Welt verändern 3 Campaigning — Planung und ­Umsetzung erfolgreicher ­Kampagnen Energy Academy — 100% ­erneuerbar Ursachen und Lösungen der Energiekrise Greenpeace Action Training Einführung in den Ablauf von ­Aktionen und Gewaltfreiheit. Greenpeace-AktivistInnen und das Recht Z.B. Hausfriedensbruch — was bedeutet das?

Klima-Camp Baue eine ­nachhaltige Welt. Philosophien von Umweltschutz Sozialökologie, Tiefenökologie, Ökofeminismus Street Campaigning

Learning for the Planet schulmaterial.ch@greenpeace.org Oder unter der Postadresse (siehe Impressum). www.greenpeace.ch/schule Jugendsolar Telefon +41 44 447 41 01 Fax +41 44 447 41 99 jugendsolar.ch@greenpeace.org www.jugendsolar.ch Youth support Center ysc@greenpeace.org http://wave.greenpeace.org Weiterbildung für Freiwillige Telefon 044 447 41 05. ­freiwillig.ch@greenpeace.org Schulbesuch by Greenpeace Markus Bürki, Education ­Coordinator Telefon 044 447 41 29 markus.buerki@greenpeace.org

Gutschein für einen Schulbesuch von Greenpeace schulbesuch.ch by


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Greenpeace fordert von der UNO, die Arktis zum Schutz­ gebiet zu erklären und industrielle Fischerei sowie ­Öl­förderung darin zu verbieten.

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Bis vor kurzem hat das Eis der ­Arktis die Ölindustrie aus diesem fragilen Ökosystem ferngehalten. Doch durch den Klimawandel ­erwärmt sich die Region nun schneller als irgendein anderer Ort. Das Eis schmilzt und entfacht einen Ansturm auf die arktischen Rohstoffe. Doch was passiert bei einem Ölunfall in der Arktis? Die Folgen wären katastrophal. Und hier kommt der Plan: ­ Wir erklären die Arktis zum Schutzgebiet, in dem die Ölförderung ebenso wie die industrielle Fischerei verboten bleiben. Greenpeace fordert von der UNO eine entsprechende internationale Gesetzesverankerung.

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© Bernadet te Weikl/Greenpeace nach Unep (verändert)

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Hier wird bereits Öl gefördert. Hier wird bereits Gas ­gefördert. Hier existieren mögliche Öl- und Gasfördergebiete. Hier plant Shell ab Juli 2012 Probebohrungen. Polarkreis

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Der Arktische Ozean stellt die letzte Barriere dar, die die inter­ nationalen Ölkonzerne nun durchbrechen. Die Karte zeigt, wo im Nordpolgebiet bereits Öl- und Gas gefördert werden und wo Poten­zial für mehr Förderung besteht. Shell will ab Sommer 2012 vor Alaska nach Öl bohren. Nach den jüngsten Schätzungen der US Geological Survey ­(USGS), der amerikanischen Bundesbehörde für Rohstoffan­ gelegenheiten, sollen die in dieser Region befindlichen Ressourcen 22 Prozent der noch unentdeckten Ölvorkommen der Welt ausmachen. Unterstützen Sie uns bei unserem Vorhaben und werden auch Sie Arktisschützer! Die Namen der ersten Million Unterzeichnenden wird Greenpeace in die Arktis ­tragen und dort in einer Zeitkapsel verewigen. Unterschreiben Sie jetzt unter www.savethearctic.org.

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Š Marizilda Cruppe / Greenpeace

Foto-essay


Roden für ­Roheisen Ein neuer Greenpeace-Report belegt, dass der Amazonas-­Regenwald nicht nur durch Ackerbau und ­Viehzucht gefährdet ist. Ganze Wälder werden illegal gefällt, um Holzkohle für die Produktion von Roheisen zu gewinnen. Der daraus ­hergestellte Stahl wird für die Autoindustrie gebraucht. Eine Fotoreportage der Marizilda Gruppe und Rodrigo Balèia

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© Rodrig o BalÈia / Greenpeace

Ein Grossteil der Holzkohle wird in den nordostbrasilianischen Bundestaaten Pará und Maranhão in kleinen, abgelegenen Camps hergestellt. Das Holz wird illegal gefällt und für das Schmelzen von Eisenerz gebraucht. Die Autohersteller BMW, Ford, Mercedes und weitere gehören zu den Abnehmern dieses Rohstoffes. Bild rechts

Die Holzkohlearbeiter verdienen ihr Geld unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Zahlreiche indigene Völker leiden unter der Holzkohleherstellung und ihre Existenz ist bedroht.


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© Marizilda Cruppe / Greenpeace

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© Marizilda Cruppe / Greenpeace

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© Rodrig o BalÈia / Greenpeace

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© Marizilda Cruppe / Greenpeace

Im Hafen von São Lusi, Brasilien blockieren Greenpeace­Aktivisten über mehrere Tage das Beladen des Schiffs «Clipper Hope», welches Roheisen in die USA ­transportieren soll. Der Protest richtet sich an die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, die am 25. Mai nur ein laues ­Teilveto gegen das neue Waldgesetz im Parlament eingelegt hat. Ihr Veto gegen ein­ zelne Gesetzesänderungen reicht nicht aus, den einzigartigen Regenwald zu erhalten. Bild links

Für die Eisenerzgewinnnung wurden bereits 70 bis 80 Prozent der Wälder in der Region zerstört. Durch die Abholzung sind grosse Waldflächen in der Gegend mittlerweile knapp. Holz­ fäller dringen in indigene Gebiete ein und roden illegal — auch in Naturschutzzonen. Manche der indigenen Stämme haben bereits über 30 Prozent ihres Landes verloren.


© Marizilda Cruppe / Greenpeace

Zehn Tage lang haben sich Greenpeace-Aktivisten ­abgelöst, um an der Ankerkette des Frachters «Clipper Hope» zu ­protestieren. Das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior III hat auf seiner Fahrt zur Umweltkonferenz Rio+20 einen Zwischenstopp eingelegt, um sich für den Schutz des Amazonas-­ Regenwalds einzusetzen. Nach Redaktionsschluss hat uns noch diese wichtige Meldung erreicht: Alle Roheisen-Hersteller aus dem brasilianischen Bundesstaat Maranhao haben ein Abkommen unterzeichnet, in welchem sie sich verpflichten, keine Holzkohle mehr aus Urwaldzerstörung oder indigenen Gebieten zu ­nutzen. Zudem sagten sie zu, keine Sklavenarbeit mehr in der Holzkohleherstellung zu dulden. Der gesamte Produktionsprozess wird künftig über ein Monitoring-System überwacht.


GREENPEACE PHOTO-AWARD IN PARTNERSCHAFT MIT Greenpeace

– DIE ZEITSCHRIFT DER KULTUR Du, Zeitschrift der Kultur

«Bearing Witness» — «Zeugnis ablegen» — ist eines der obersten Leitmotive von Greenpeace. Direkte Aktionen vor Ort, Mahn­ wachen, wissenschaftliche Untersuchungen, Medienarbeit: Fast immer spielt die Foto­ grafie eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die Bedrohung unserer Lebensgrund­ lagen zu dokumentieren und klare Botschaften zu vermitteln. Nun sind wir auf der Suche nach neuen Blickwinkeln. Fotografinnen und Fotografen legen auf ihre Art Zeugnis ab, wenn sie mit offenen Augen durch die Welt gehen. Mit dem erstmals ausgeschriebenen Greenpeace Photo­-Award haben wir in Partnerschaft mit Du — Die Zeitschrift der Kultur, dreissig ausgezeichnete Foto­grafen eingeladen, ihren Blick, ihre Fragen und ihre Eindrücke zum Thema «Umwelt — Umweltzerstörung» vorzustellen. Wählen Sie aus fünf von einer Jury ausgewählten Projekten Ihren Favoriten aus unter www.photo-award.ch. Die Realisierung des Siegerprojekts wird mit CHF 15 000.— unterstützt. Die Siegerarbeit wird im Frühling 2013 im Du veröffentlicht. Unter allen Wählenden werden Siegerbilder und weitere Preise verlost. Weitersagen. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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© René Worni

Die Schweiz ­produziert Strom in Italien Reportage

Von René Worni Gaskombikraftwerke sollen Schweizer AKW ersetzen. Doch die will hier keiner. In Italien jedoch stehen schon länger welche — an vielen sind Schweizer Energiekonzerne betei­ligt. Ein Augenschein im wilden Süden des Mezzogiorno. «Wenn das hier jemals bewilligt werden sollte, gibt es Krieg», sagt Pina Negro. Pina ist An­ wältin, Umweltaktivistin und eine der zentralen Figuren des Widerstands gegen ein geplantes Gaskombikraftwerk in der Ebene von Venafro. Sie steht am Rand einer saftigen Wiese, wo das Werk entstehen soll. Das gleichnamige Städt­ chen ist kaum sieben Kilometer entfernt. Wir befinden uns im Valle del Volturno, im Westen der Region Molise, der kleinsten der zwanzig Regionen Italiens. Hier beginnt die Erkundungs­ reise zu den Gaskraftwerken der Schweizer Stromkonzerne. Beidseits der Wiese stehen Olivenhaine. Die Stämme der Olivenbäume sind massiv, die Bäume alt. Kein Lüftchen regt sich. Bis vor ­einem Jahr wollte hier der Schweizer Energie­ konzern EGL* (eine Tochter der Axpo Holding) ein Gaskombikraftwerk der neuesten Gene­ ration bauen. Mit 780 Megawatt Leistung, zum Preis von etwa 300 Mio. Euro. Daneben wäre ein kleiner Hügel aufgeschüttet und mit Bäumen bepflanzt worden. Diese sollten im Wettrennen mit dem CO2-Ausstoss Sauerstoff produzieren. Doch die enorme Abwärme des Kraftwerks Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

würde die Gegend aufheizen. Die Ebene von Venafro ist bloss zehn Quadratkilometer gross. Die umstehenden Berge machen sie zu einer grossen Arena, in der die Luft immer wieder längere Zeit stillsteht – und mit ihr die Schadstoffe aus den benachbarten Industriebetrieben. Ein Kraftwerk würde diesen Smog potenzieren. Erst vor einem Jahr hat das Komitee besorgter ­Mütter, die Mamme per la Salute, wegen Dioxin­ spuren in Fleischprodukten Alarm geschlagen. Tumore und Erkrankungen der Atemwege seien unter den Bewohnern ein ständiges Thema, sagt Pina Negro. Ein kontinuierliches Schadstoff­ monitoring gibt es nicht. Der Strommarkt treibt wilde Blüten Doch die EGL* hat sich zurückgezogen. «Mit den bestehenden drei Kraftwerken haben wir das Ziel von 2000 Megawatt in Italien ­erreicht. Alle anderen Projekte für Gaskombi­ kraftwerke sind damit ad acta gelegt und ­weitere sind derzeit nicht geplant», sagt AxpoMediensprecher Richard Rogers. Die EGL* ­betreibt in Süditalien bereits je ein Gaskombi­ kraftwerk in Sparanise (Kampanien) und

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Der Moloch Neapel ist scharf auf Strom Benevento ist eine schmucke Stadt in den Hügeln Kampaniens, 90 Kilometer von Neapel entfernt. Der Turm der Kirche Santa Sofia aus dem 8. Jahrhundert fiel beim grossen Erdbeben von 1668 auf das Kirchenschiff. Damit das kein zweites Mal passiert, wurde er 50 Meter ent­ fernt in sicherer Distanz wieder aufgebaut. Hier, im erdbebengefährdeten Gebiet, sind die ­Bernischen Kraftwerke BKW gemeinsam mit der neapolitanischen Firma Luminosa am Werk. Keine sechs Kilometer ausserhalb des Stadtzent­ rums will die BKW im Industriegebiet Ponte Valentino ein Gaskombikraftwerk mit 385 MW bauen. Das Grundstück liegt in einer natur­ Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

Aktivistin Pina Negro vor dem ­geplanten Standort bei Venafro: «Wenn hier ein Gaskombikraftwerk bewilligt wird, gibt es Krieg.»

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© René Worni

Im Valle del Volturno wollte der Schweizer Konzern EGL (Axpo) in einem windstillen Talkessel ein Gaskombikraftwerk bauen.

© René Worni

­Rizziconi (Kalabrien) sowie im norditalienischen Ferrara (Emilia Romagna). Doch für die 10 000 Bewohnerinnen und Bewohner von Venafro und noch einmal so viele in den umliegenden Gemeinden ist mit dem Ausstieg der Schweizer noch nichts vorbei. Eine kleine Projektfirma namens Molisenergy ­operiert praktisch aus einem Hinterzimmer in ­Neapel. Sie verfügt über null Erfahrung im Bau von Kraftwerken, jedoch, so wird vermutet, über Verbindungen auf höchster Ebene. Venafro und alle umliegenden Gemeinden sowie die gesamte Region von Molise lehnen das Projekt ab, doch der definitive Entscheid fällt in Rom. Wer der nächste Investor sein wird, den sich Molisenergy angelt, weiss zurzeit niemand. Im strukturschwachen Süden Italiens scheint trotz Wirtschaftskrise immer noch Goldgräber­ stimmung zu herrschen. Der seit Ende der 90er Jahre liberalisierte Strommarkt treibt nach wie vor wilde Blüten. Überall schiessen Kraftwerke, Wind- und Solaranlagen scheinbar planlos aus dem Boden. Nur wenige Kilometer von Venafro entfernt, im Dorf Presenzano in Kampanien, soll ein Gaskombikraftwerk mit 800 Megawatt der italienischen Edison entstehen. In Molise weiss man seit Zeiten, dass der Eigenbedarf an Energie längst gedeckt ist. Laut Angaben regio­ naler Umweltorganisationen rotieren auf den Hügelkämmen von Molise über 2000 Windtur­ binen, viele gehören ausländischen Strom­ konzernen. Den Gemeinden fehlt es an Geld. Sie verpachten und verkaufen deshalb ihre Grundstücke. Den Strom nutzen die Industrie­ metropolen an den Küsten.


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© René Worni

Im erdbebengefährdeten Benevento wollen die Bernischen Kraftwerke BKW am natur­ geschützten Flussufer bauen.

© René Worni

Reportage

geschützten Uferzone, wo die Flüsse Tamaro und Calore zusammenfliessen. Ein Viertel der knapp 60 Betriebe in der angrenzenden Indust­ riezone produzieren Lebensmittel: Olivenöl, Babynahrung, Milch, Wein und Gemüse. Studien belegen, dass Winde die Emissionen der ­Industrien von Ponte Valentino regelmässig ins Stadtzentrum tragen. Die ablehnenden Dekrete der Stadt- und der Provinzregierung von Benevento haben das Projekt nicht verhindern können. «Für die Regie­ rung von Kampanien ist die Energieversorgung leider wichtiger als die Umwelt. », sagt Enrico Castiello. Bis 2011 war er Stadtrat und Umwelt­ beauftragter von Benevento. «Mir war schnell klar, dass wir für Neapel und die Küste Strom produzieren ­sollen», sagt er. Der Moloch Neapel und die Küstenstädte sind scharf auf den Strom. Die ­Regierung Kampaniens setzt des­ halb alles daran, lukrativen Projekten zum Durchbruch zu verhelfen. Wie in Venafro bewegt auch in Benevento eine kleine Firma eines Geschäftsmanns ­namens Marcello Fasolino aus Neapel seit 2002 alle Hebel, um das Projekt zu lancieren. Mit Erfolg. Die BKW stieg 2008 ein, als das Projekt praktisch pfannenfertig war. Fasolino hält sechs Prozent an der Luminosa, den Rest die BKW. Im vergangenen März kam es zu Demonstratio­ nen in den Strassen der Stadt gegen das Vor­ haben – im gemächlichen Alltag der Beneventani eine ganz grosse Ausnahme. Im Juni errang der regionale WWF per Rekurs einen kleinen Sieg. Das höchste Verwaltungsgericht in Rom will, dass das Umweltministerium für die Bewilligung des Projektes noch einmal über die Bücher geht. Auch von der Stadt und der Provinz Bene­ vento sind weitere Einsprachen zu erwarten. Man spricht im Zusammenhang mit dem geplanten Kraftwerk auch relativ offen über ein korruptes Netzwerk von Politikern, zweifel­ haften Geschäftemachern («affaristi») und ­Justizbeamten, in dessen Mittelpunkt man die Hintermänner der Luminosa vermutet. Es gibt auch Verbindungen zum einstigen Parlaments­ abgeordneten von Berlusconis Popolo della Libertà, Nicola Cosentino, der wegen Beziehun­ gen zur Camorra in Ungnade fiel und 2010 ­abtreten musste. Einer von zahlreichen Anklage­ punkten waren Machenschaften um ein ­Grundstück, auf dem heute das Gaskombikraft­ werk der EGL* in Sparanise steht. Die hohen

Enrico Castiello: «Für die Regierung von Kampanien ist die ­Energieversorgung leider wichtiger als die Umwelt.»

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Demo vom März gegen das ­geplante Gaskraftwerk: Die Bewohner von Benevento fürchten um ihre Gesundheit und die Umwelt.

Mitten zwischen Getreidefeldern: Das Gaskombikraftwerk San ­Severo in der Ebene von Foggia.

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© René Worni

25 neue Arbeitsplätze: Schäbige Bilanz Gabriele Corona ist einer der konsequen­ testen Kritiker krummer Geschäfte in der Stadt. Der Stadtplaner und Gewerkschafter ist Gründer der Internetplattform Altrabenevento, die sich den Kampf gegen die Korruption in der Provinz auf die Fahne geschrieben hat. Er rechnet vor: «Das Projekt Luminosa hat Dutzende n ­ egativer Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesundheit, die Nahrungsmittelproduktion und sogar auf den Tourismus im Wallfahrtsort ­Pietrelcina ganz in der Nähe. Und am Ende schafft es gerade ein­ mal 25 neue Arbeitsplätze. Das ist eine wirklich schäbige Bilanz.» Die Luminosa-Gegner erhalten nun unver­ hofft eine vorläufige Verschnaufpause. Denn wegen der schlechten Marktlage hat die BKW noch keinen endgültigen Investitionsentscheid gefällt. «Wir arbeiten am Erhalt der endgültigen Bau- und Betriebsbewilligung», sagt BKW-­ Konzernsprecher Antonio Sommavilla. Sobald die Bewilligung vorliege, werde die Unterneh­ mensleitung zu gegebener Zeit mit Blick auf die Marktsituation einen Entscheid fällen. Ein Abstecher nach Osten in Richtung Adri­ atisches Meer führt zunächst durch die sanften Hügel der Provinz Benevento und dann in den Norden von Apulien. Die Hügelzüge sind hier mit Hunderten von Windturbinen gespickt. In der Ebene von Foggia, zwischen Lucera und San Severo, stossen immer wieder meterdicke Gasleitungen aus dem Ackerland. Die Bauern müssen mit ihren Traktoren höllisch aufpassen. Mitten in den Feldern steht das brandneue ­Gaskombikraftwerk San Severo. Es hat vor einem Jahr den Betrieb aufgenommen und gehört zu 60 Prozent der Schweizer Alpiq. Ein senfgelber Koloss, der dicke Kamin glänzt silbern. Kein Mucks ist zu hören, das Werk steht still. Hunde schlagen an, ein Angestellter kommt und er­ klärt, fotografieren sei verboten. Ob die Anlage denn auch funktioniere? «Ma certo, sie läuft perfekt», meint er. Die harzende Wirtschaft dämpft die Nach­ frage nach Strom. Der hohe Gaspreis macht

© Maria Masone, Benevento

Investitionen im Energiegeschäft ziehen offen­ sichtlich mafiöse Strukturen an in einem Land, wo Projekte der öffentlichen Hand um durch­ schnittlich 40 Prozent teurer sind als in andern Ländern Europas.


Reportage

die Stromproduktion unrentabel. «Das bereitet uns in der Tat Sorgen», sagt Alpiq-Medien­ sprecher Andreas Meier. Das Kraftwerk sei ­momentan eher weniger gut ausgelastet. Alpiq hat wegen der schwierigen Bedingungen im Strommarkt kürzlich ihre Beteiligung (20%) an der italienischen Edipower abgestossen. Damit sind sechs Gas-, Öl- und Kohlekraftwer­ ke aus dem Kraftwerkpark weggefallen. Alpiq ist nach grossen Verlusten im letzten Jahr daran, sich tiefgreifend zu restrukturieren. Entlang dem Adriatischen Meer, an noch unbevölkerten Badestränden vorbei, geht die Reise weiter in den Süden Apuliens, in die Hafen­ stadt Brindisi. Es ist der 19. Mai, der Tag des Bombenattentats auf eine Berufsschule, bei dem die 16-jährige Melissa Bossi getötet wird. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, der Bürgermeis­ ter, keine drei Wochen im Amt, weint während seiner Rede. Brindisi hat 90 000 Einwohner, fast ein Drittel von ihnen sind arbeitslos. Der Rund­ gang durch die Industriezone im Süden der Stadt, mit Petrochemiefabriken und sechs Kohle­ kraftwerken, ist ernüchternd. Selbst bei klarem Wetter ist die feine gelbliche Spur der Indust­ Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

© René Worni

Die Hügelzüge im Norden von Apulien sind mit ­Hunderten von Windturbinen gespickt.

rieabgase über dem Horizont zu sehen. Sie ­ erschwindet nie. In den vergangenen zwanzig v Jahren wanderten viele der multinationalen Betriebe in Billiglohnländer ab und liessen in Brindisi verbrannte Erde zurück. 4000 von 5000 Arbeitsplätzen verschwanden. Anfang Mai hat Greenpeace Italia vor dem Kohlekraftwerk Federico II, einem der schadstoffreichsten ­Europas, mit einer Aktion für den Ausstieg aus der Kohle zugunsten erneuerbarer Energien demonstriert. Alpiq hatte hier bis vor kurzem zwei Beteiligungen, an einem Gaskombikraft­ werk und einem Kohlekraftwerk. «Der Boden ist überall mit Schwermetallen belastet», sagt Cosimo Quaranta. Er ist WWFAktivist und beobachtet seit zwei Jahrzehnten die Vorgänge in der Industriezone, die grösser ist als Brindisi selber. «Die Politik ist wenig sen­ sibel für die Verwüstungen, welche die Multis hier angerichtet haben und dann einfach abge­ hauen sind, ohne zu zahlen, ohne den Boden zu entgiften», sagt er. Doch Hoffnung, klein zwar, keimt.

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Riccardo Rossi und Cosimo ­Quaranta vor einem Kohlekraftwerk in Brindisi: «Der Boden ist überall mit Schwermetallen belastet.»

Gas soll aus Aserbaidschan kommen Während des Gesprächs packt ein Mann seinen verängstigten Schäferhund in den von der Sonne aufgeheizten Kofferraum seines Alfa und will davonfahren. Cosimo Quaranta stellt ihn zur Rede. Es kommt fast zu einer Schlägerei, bis der Mann einsieht, dass seine Art des Hunde­ transports nicht tiergerecht ist. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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© René Worni

Profit statt neue Technologie Anfang Mai wurden eine Reihe parteiloser Kandidatinnen und Kandidaten in das Stadt­ parlament von Brindisi gewählt, die sich für Umweltanliegen, Gesundheit und neue Formen wirtschaftlicher Entwicklung engagieren. Sie machen dort erst sechs Prozent aus, doch es ist ein Anfang. Einer von ihnen ist Ricardo Rossi, Forscher an der ENEA, der Nationalbehörde für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Für ihn ist klar, dass man die Kohlekraftwerke so schnell es geht abschalten muss. Doch in Italien herrscht eine paradoxe Situation. Seit der Katastrophe von Fukushima herrscht Hektik, weil es für Atom­ strom aus neuen AKW endgültig aus ist, für welche die frühere Regierung Berlusconi über 30 Mrd. Euro zur Verfügung stellen wollte. ­Gewisse Kreise in Italien fordern deshalb mehr Kraftwerke. Die Kohlelobby Assocarbone will ihren nationalen Produktionsanteil sogar auf gegen 30 Prozent verdoppeln. «Da steckt keine neue Technologie dahinter, denen geht es allein um den Profit.» Kohle ist billig, weil niemand den Schaden zahlt, den sie in der Umwelt anrich­ tet. Die CO2-Zertifikate haben eine völlig unter­ geordnete Bedeutung und tauchen in den Bilanzen der Industriekonzerne kaum auf. Von Abgel­ tung der Umweltschäden kann keine Rede sein. Rossi rechnet vor, dass Italien gar keine neuen Kraftwerke braucht. Die Nachfragespitze beträgt 55 000 Megawatt, die installierten Ein­ richtungen leisten jedoch 90 000 Megawatt. Die Lösung liegt für ihn in der Demokratisie­ rung und Verstaatlichung der Stromproduktion. Die müsse sich an den tatsächlichen Bedürfnis­ sen vor Ort bei den Konsumenten orientieren und dürfe nicht an multinationale Konzerne abgetreten werden. Das bedeutet auch einen allmählichen Übergang zu erneuerbaren Ener­ gien, deren Technik sich sehr schnell entwi­ ckelt. Wie lange dieser Übergang mit Strom aus Gas ­gestützt werden muss, ist völlig offen.


Reportage

© francesc o alesi / greenpeace

Mai 2012, Brindisi, Kohlekraftwerk F ­ ederico II: Greenpeace demonstriert für den Ausstieg aus der Kohle zugunsten ­erneuerbarer Energien.

Die Zeichen stehen trotz der gegenwärtigen Baisse in Italien überall auf Gas. Die Schweizer Konzerne sind an gesamthaft 16 Gaskombikraft­ werken in der Poebene und in Süditalien betei­ ligt, fünf sind geplant und vorläufig auf Eis. Die Idee, die Schweiz könnte im Ausland Strom für den Eigenbedarf produzieren, hält Andreas Meier von Alpiq für kaum realistisch. «Seit geraumer Zeit werden die Netzkapazitäten wegen der Eng­ pässe an den Landesgrenzen über Auktionen an den Meistbietenden versteigert. Der ex­klu­ siven und langfristigen Nutzung von Leitungska­ pazitäten ist damit ein Riegel geschoben.» Weiter im Süden, nahe der Stadt Lecce, an der Küste des mit Preisen ausgezeichneten Badeörtchens San Foca, zeichnet sich bereits die nächste Etappe im Geschäft mit dem Gas ab. Dort soll eine Pipeline Gas aus Aserbaidschan liefern. Ein Konsortium mit Sitz im zugerischen Baar, das aus Axpo (42,5%), der nor­wegischen Statoil (42,5%) und der deutschen E.ON-Ruhrgas (15%) besteht, hat gute Chancen, den Zuschlag für den Bau zu erhalten. Das wird nicht ohne Frik­ tionen für San Foca und die Nachbargemeinde Melendugno verlaufen. Ein riesiges Dekompres­ Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

sionszentrum ist geplant, um den Druck des ­Gases dem nationalen Netz anzupassen. Von San Foca aus braucht es dann eine 80 Kilome­ ter lange Verbindung in den Norden, ins Städt­ chen Mesagne bei Brindisi. Dafür gibt es aber noch kein Projekt. Mesagne ist die Hochburg der apulischen Mafia, der ­Sacra Corona Unita. In Mesagne hat auch Melissa ihr kurzes Leben gelebt. Die Bombe, die sie getötet hat, stammte von einem verbitterten Einzeltäter und für ­einmal nicht von der Mafia.

* Im Februar 2012 wurde die EGL vollständig von der Axpo übernommen.

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Gaskraft Schweiz

Gaskraftwerke: schmutzig und unrentabEL

CO2 aus. Das Schweizer CO2-Gesetz verlangt, dass diese Emissionen voll kompensiert wer­ den, und zwar mindestens zur Hälfte im Inland. Das kostet: Der Tonnenpreis in Europa beträgt zwischen 7 und 35 Franken, in der Schweiz ist er auf 70 bis 150 Franken geklettert. Die Kompensation der CO2-Emissionen ist Von Mathias Schlegel kein Allheilmittel in Sachen Klimaschutz. Das System ist bereits einige Jahre im Einsatz, doch Seit das Bundesparlament den eine bedeutende Reduktion der globalen ­Ausstieg aus der ­Atomenergie bestä- ­CO -Emissionen ist bisher nicht festzustellen. 2 tigt hat, ­haben verschiedene ­ Zudem werden Methanemissionen nicht welsche Kantone Projekte für grosse ­erfasst, obwohl sich Methan 20-mal stärker aufs Gaskraftwerke ins Auge gefasst. Klima auswirkt als CO2. Wenn die Schweiz ihre Der ­Genfer Staatsrat hat im letzten Ziele hinsichtlich der Reduktion von Treibhaus­ ­Februar zwar das Kraftwerkprojekt gasemissionen erreichen will, kann sie sich nicht erlauben, jährlich weitere 1,5 Mio. Tonnen ­Lignon b ­ egraben, aber der Bau der zwei grossen Gaskraftwerke Chavalon CO2 in die Atmosphäre zu pumpen. Die Kompensation des CO2 und der Import­ und ­Cornaux 2 in den Kantonen preis von Erdgas wirken sich also auf den ­Wallis und Neuenburg scheint wahr­KWh-Preis des Stroms aus, der in diesen Kraft­ scheinlich. werken produziert wird. Er wird höher sein als der gegenwärtige Marktpreis. Drei Faktoren könnten das ändern: ein Einbruch des Gas­ preises, ein Anstieg des Strompreises oder die ­Möglichkeit, den überwiegenden Teil der ­CO2-Emissionen im Ausland zu kompensieren. Das grösste ökologische Problem bei Gas­ Eine Gaspreissenkung infolge sinkender ­Nachfrage ist unmöglich, denn die Internationale kraftwerken liegt nach wie vor im Ausstoss von Energieagentur rechnet für die nächsten fünf Treibhausgasen. Dennoch lohnt es sich, die Frage nach der Rentabilität zu stellen. Sie ist bei Jahre mit einer weltweiten Nachfragesteigerung solchen Projekten an zwei grundlegende Fakto­ von 17 Prozent. Der Gaspreis könnte auch durch ren gebunden: Energie­leistung und Treibhaus­ eine Angebotsvergrösserung, also durch den gasemissionen. Die Ener­gieleistung bezeichnet Abbau von unkonventionellen Vorkommen wie den Anteil der in ­Gasform vorhandenen Energie, ­Schiefergas oder arktischem Gas gesenkt wer­ den. Doch die Erschliessung dieser Ressourcen der effektiv in elektrischen Strom oder Wärme umgewandelt wird. Die Bauträger von Cornaux ist mit unlösbaren Umweltproblemen ver­ 2 rechnen mit einer Umwandlung von 70 Pro­ bunden und muss verboten werden. Was den Strompreis angeht: Die volle zent. Die Zahlen für ­Chavalon liegen noch tiefer und erreichen nicht einmal die 60-Prozent­Entfaltung der erneuerbaren Energiequellen wird Schwelle. Zum Vergleich: ­Kleinere Gaswerke, noch immer in erster Linie durch den zu hohen die in Fernheizungsnetze integriert sind und KWh-Preis ihres Stroms gebremst. Ein all­fälliger somit einen Grossteil der erzeugten Wärme Anstieg des Strompreises muss in erster Linie nutzen können, erreichen Energieleistungen den erneuerbaren Energien zugute­kommen. über 80 Prozent. Anders als Sonne, Wasser oder ­Zudem sollten die CO2-Emissionskompensatio­ Wind ist Gas kein kostenloser ­Rohstoff. Damit nen vollumfänglich in der Schweiz stattfinden der Preis der erzeugten Elektrizität konkurrenz­ müssen. Die damit verbundenen Kosten kommen fähig ist, bräuchte es höhere Energieleistungen, der lokalen Industrie zugute und gehen nicht im Ausland verloren. Angesichts all dieser Vorbe­ als die grossen Gaskraftwerke zu liefern im­ halte ist es praktisch unmöglich, in der Schweiz stande sind. grosse Gaskraftwerke zu bauen, die rentieren Jedes dieser Kraftwerke stösst zudem jähr­ und die Umwelt respektvoll b ­ ehandeln. lich zwischen 700 000 und 750 000 Tonnen Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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© KEYSTONE / Andree-Noelle P ot

Stillgelegtes thermisches Kraftwerk Chavalon in Vouvry, VS: Gegen den Bau des Gaskraftwerks sind mehrere Rekurse hängig.


Stromeffizienz-Initiative

Die Klimawirksamkeit ist bei Weitem nicht das einzige Umweltproblem im Zusammenhang mit dem Betrieb von Gaskraftwerken. Zusätzli­ che Schadstoffe belasten die Umwelt, so etwa Stickoxid, Salzsäure, Schwefelsäure und Ammo­ niak. Weiter ist der Bau von Gasfern- und Hoch­ spannungsleitungen zu berücksichtigen, der von der Bevölkerung vor Ort akzeptiert werden muss. Zudem verbrauchen Gaswerke riesige Wassermengen. Das geplante Werk von Chava­ lon dürfte etwa gleich viel Wasser verbrauchen wie eine Stadt von 45 000 Einwohnern. Aus all diesen Gründen hält Greenpeace Gaskraftwerke – genau wie AKW – für Energie­ lösungen, deren Zeit vorbei ist. Heute gilt es, den Aufschwung der erneuerbaren Energien zu fördern und sich bei der Deckung der Energie­ nachfrage anspruchsvollere Ziele zu stecken. Obwohl die beiden Gaskraftwerkprojekte ­zumindest auf dem Papier erlauben würden, einen Grossteil der Produktion von Mühleberg und Beznau 1 zu ersetzen, den beiden ältesten Atomkraftwerken der Schweiz, ist bei den wich­ tigsten Produzenten im Energiesektor keine grosse Begeisterung auszumachen: Die Axpo will erst im Jahr 2017 entscheiden, ob sie auf Gas zurückgreifen will, um die ­Pro­duktion ihres AKWs in Beznau zu ersetzen. Gegenwärtig betrachtet die Unternehmens­ leitung die wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen solchen Schritt als nicht erfüllt. Alpiq überlässt ihrem Minderheitspartner EOS das Projekt Chavalon zur alleinigen ­Durchführung. Die Bernischen Kraftwerke BKW beteili­ gen sich zwar an der Seite von Group E und Romande Energie mit 20 Prozent am Projekt Cornaux 2, doch das geplante Gaskraftwerk bei Utzensdorf im Kanton Bern haben sie vor­ läufig auf Eis gelegt.

Die Strom­Effizienz­Initiative kommt Von Greenpeace Stromeffizienz ist ein oft gehörtes Schlagwort, mit dem aber nur wenige wirklich etwas anfangen können. Das muss sich ändern. Denn nur wenn im grossen Stil Strom gespart wird, kann die Energiewende in der Schweiz Realität werden. Nun erhält die Umsetzung der Effizienz den dringend nötigen politischen Druck: Greenpeace und weitere Umweltverbände lancieren ge­ meinsam mit progressiven Akteuren aus Politik und Wirtschaft die Volksinitiative für eine ­sichere und wirtschaftliche Stromversorgung: die Stromeffizienz-Initiative. Sie will den Stel­ lenwert der Effizienz in der Energiestrategie des Bundes erhöhen und verbindliche Ziele für mehr Effizienz festlegen. Ein immenses Sparpotenzial liegt brach In der Schweiz wird heute jede dritte Kilo­ wattstunde Strom unnötig produziert. Mit griffigen Effizienzmassnahmen kann bis 2025 die Jahresproduktion von rund vier Atomkraftwerken in der Grössenordnung des AKW Mühleberg eingespart werden, also rund 13 TWh/a, bis 2035 sogar 19 TWh/a, was rund sechs Mal Mühleberg entspricht. Der politische Wille ist (noch) zu klein Um das vorhandene Stromsparpotenzial in der Schweiz ausschöpfen zu können, braucht es eine konsequente Effizienzpolitik. Dazu gehört ein griffiges Massnahmenpaket aus Stromlen­ kungsabgaben, strengen Verbrauchsvorschriften für Geräte sowie Effizienzverpflichtungen für Grossverbraucher und Energieversorger. Vor allem aber muss die Energiestrategie des Bundes ein ambitioniertes und verbindliches Strom­ sparziel formulieren. Bislang fehlt dafür der poli­ tische Wille. Hier setzt die Effizienz-Initiative an. Die Stromeffizienz-Initiative macht Druck Sie ist die Antwort auf die noch viel zu zöger­ lichen Energiewende-Vorschläge des Bundes­

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rats. Sie verlangt, dass in der Schweizer Verfas­ sung verankert wird, den Stromverbrauch bis 2035 auf dem Niveau des Jahres 2011 zu stabili­ sieren. Mit diesem konkreten Ziel erhält die Politik eine klare Vorgabe zur Förderung von Stromeffizienz – die Hintertürchen für neue Gas- und Atomkraftwerke werden geschlossen.

Beleuchtung in Haushalten, Industrie und Gewerbe oder auf Strassen: Eine konsequente Verwendung von Sparlampen oder LEDs spart viel Strom. Einsparpotential:

4,1 TWh gut 1 AKW Mühleberg

Der Bereich Haustechnik umfasst Heizung, ­Kühlung und Lüftung. Elektroheizungen und ­-boiler sind die grössten Stromfresser in den Schweizer Haushalten und können durch ­Sonnenkollektoren, Holzpelletheizungen oder Sie können schon jetzt Unterschriftenbogen und weiteres Informationsmaterial bestellen unter ­effiziente Wärmepumpen ersetzt werden. Einsparpotential: www.greenpeace.ch/stromeffizienz. Kontakt: Anne Koch, Energy Efficieny Campaigner Greenpeace Schweiz

2,5 TWh knapp 1 AKW Mühleberg

Ja, ich möchte die Stromeffizienz-Initiative ­unterstützen und Unterschriften sammeln. Bitte schicken Sie mir weitere ­Informationen.

Geräte für Haushalt und Unterhaltung: Mit moderner Technik, wie besser isolierten Kühlschränken oder der konsequenten Nutzung von Stromsparleisten, lässt sich der Strom­verbrauch stark reduzieren. Einsparpotential:

3,2 TWh 1 AKW Mühleberg

Geräte für Büro, Informationen und Kommu­ nikation sowie Stromanwendungen für Bahnen, Seilbahnen und Trams müssen optimiert und ­effizienter werden. Einsparpotential:

E-Mail

Adresse

2,8 TWh knapp 1 AKW ­Mühleberg

NAME

Strom­Effizienz-­Initiative

Jede Unterschrift zählt Bundesrat und Parlament sollen möglichst rasch ein starkes Signal aus der Schweizer Stimmbevölkerung erhalten: Wir wollen eine intelligente, wirtschaftliche sowie ressour­­­­cenund umweltschonende Stromversorgung ohne neue Atomkraftwerke. Die Sammlung beginnt in den nächsten Tagen.

So schalten wir 6 Atomkraftwerke ab

Einsendeadresse: Anne Koch, Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147, ­Postfach, CH-8031 Zürich

Stromanwendungen in Industrie und Gewerbe, hauptsächlich Industriemotoren verbrauchen über 30% des Stroms in der Schweiz. Rund ein Drittel davon lässt sich mit modernen Motoren und optimierter Steuerung einsparen. Einsparpotential:

6,4 TWh 2 AKW Mühleberg

1 Terawattstunde (1TWh) = 1 Milliarde Kilowattstunden (KWh). 1 KWh reicht für ca. 8 Stunden Fernsehen oder 100 Such­ anfragen im Internet.

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«Kläranlagen müssen nachrüsten»

MIKROSCHADSTOFFE

Mikroschadstoffe scheinen harmlos, weil sie so klein sind. Doch in Wirklichkeit sind sie gefährlich, langlebig und überall anzutreffen in unserer ­Umgebung: im Wasser, in Lebensmitteln, Kosmetika, Kleidern usw. Die im Juli 2011 angelaufene Detox-Kampagne hat sich auf die Textilproduktion konzentriert, die zur Wasserverschmutzung in China beiträgt. Der Abschluss dieser weltweiten Kampagne «zeigte auch die Verknüpfung zur Schweiz auf, wo durch das Waschen der importierten Textili­ en bis 85 Prozent der Mikroschadstoffe ausge­ waschen werden und so unsere Gewässer ver­ unreinigen. Der letzte Bericht der CIPEL (Kommission für den Schutz des Genfersees) prangerte auch die Verschmutzung des Genfer­ sees an. Und schliesslich hat Greenpeace im Februar dieses Jahres eine Petition gegen Herbi­ zide ­lanciert, welche die Bienen schwächen. Greenpeace: Mikroschadstoffe werden von Menschen verursacht und sind in ­schwachen Konzentrationen überall in der ­Umwelt anzutreffen. Sind diese chemischen Substanzen gefährlich? Nathalie Chèvre: Sie sind ein Riesenproblem und alles andere als harmlos. Die Auswirkungen sind noch nicht völlig erforscht. Was enorm beunruhigt, sind die endokrinen Perturbatoren, die selbst in schwachen Konzentrationen ­gefährlich sind. Sie können generationenüber­ greifend wirken. Studien weisen auf eine Paral­ lele hin zwischen der Zunahme von chemischen Stoffen in unserer Umwelt und abnehmender männlicher Fruchtbarkeit, vorzeitiger Pubertät, Brustkrebs und Fettleibigkeit. Mehrere che­ mische Moleküle können zusammenwirken und wir meistern die Langzeitwirkung solcher Kom­ binationen mehr schlecht als recht. Sie arbeiten auch in der Mikroschadstoffgruppe der CIPEL. Was beobachten Sie dort? Ein grosses Problem ist die industrielle ­Verschmutzung. Im Genfersee werden beträcht­ Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

liche Mengen an Mikroschadstoffen gemessen. Es handelt sich dabei um VerschmutzungsPeaks, welche einmal pro Jahr oder sogar häufi­ ger vorkommen. Aber es gibt auch Fortschritte: Erinnern Sie sich an die Bucht von Vidy bei Lau­ sanne, die sich vor Jahrzehnten noch völlig wi­ derlich präsentierte? Die Wasserqualität ist seit den 60er Jahren dank Kläranlagen viel besser geworden. Und seit den 90er Jahren garantieren zahlreiche Forscher eine gute Überwachung. Aber es ist noch längst nicht ideal. Was sagen Sie zu den Pestiziden? Im Februar 2012 hat Greenpeace eine Petition für ein Moratorium zum Schutz der Bienen lanciert. Das Problem der Bienensterblichkeit hat verschiedene Gründe. Pestizide spielen sicher eine Rolle beim Verschwinden der Bienen – schon nur deshalb ist es wichtig, sich näher mit ihren Risiken zu befassen. Allgemein ist die Situation aber weltweit sehr viel besser gewor­ den. In den 80er Jahren begann man Qualitäts­ vorschriften für Produkte zu erlassen. Es musste nachgewiesen werden, dass sie risikofrei sind, bevor sie auf den Markt gelangten. Die Bauern beginnen ihr Verhalten zu ändern und achten darauf, wo sie Pestizide anwenden. Sie werden heute generell zurückhaltend dosiert. Was ist der Hauptgrund für die ­Verschmutzung in der Schweiz? Die grösste Verschmutzung bewirken ­Reinigungsmittel, Kosmetika etc. An zweiter Stelle steht die Landwirtschaft, und entgegen landläufigen Vorstellungen folgt erst dann die Industrie. Was lässt sich gegen die Missstände ­unternehmen? Einiges – vor allem auf der Verbraucherseite. Man kann etwa den übermässigen Verbrauch von Komfortprodukten wie Toiletten­des­­infek­­ tionsmitteln vermeiden. Und man kann überall aufklärend wirkend. Spitäler sind eine grosse Quelle der Verschmutzung. Aber auch die Indus­ trie könnte versuchen, weniger s­ chädliche Textil­ farben zu verwenden. Das erfordert aber finan­ zielle Mittel, die nicht immer leicht aufzubringen sind. Wir kennen zwar das Verursacherprinzip, aber bei gewissen Sub­stanzen, die im See landen, ist es oft schwierig, den Hauptverschmutzer zu eruieren. Das ist ein Punkt, an dem wir arbeiten. Zur Verminderung von Medikamenten­ spuren im Wasser wurde im Juni ein Workshop durchgeführt. Auch wünschen wir uns eine Zu­

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Textilien und der globale ­Giftkreislauf

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© Greenpeace

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1 Waschmittel die Nonylphenolethoxylate (NPE) und andere Chemikalien enthalten, werden den Textilfabriken geliefert und dort als Tensid eingesetzt. 2 Laxe Regulierungen erlauben es, Abwasser mit NPE in die Flüsse zu leiten. Dort baut es sich zum persistenten, bioakkumulativen und hormonell-wirksamen Nonylphenol (NP) ab. 3 NP reichert sich im Sediment und in der Nahrungskette an, z.B. in Fischen. 4 Der globale Export liefert Textilien, die mit geringen Mengen an NPE belastet sind‚ — auch in Länder, in denen der Einsatz dieser Chemikalien in Textilfabriken verboten ist. 5 Durch das Waschen gelangt NPE in die Kanalisation. 6 Im Allgemeinen können Kläranlagen NPE nicht vollständig unschädlich machen, ­ teilweise wird der Abbau zum giftigen NP noch beschleunigt. 7 Hormonell wirksames NP gelangt auf ­diesem Weg in Oberflächengewässer, auch in Ländern, die den Einsatz von NPE verboten haben.

sammenarbeit mit Veterinären. Diese steht aber erst am Anfang. Auf Gesetzesebene gibt es die europäische Chemikalienverordnung REACH (Registrie­ rung, Auswertung und Zulassung von chemi­ schen Stoffen). Sie stammt aus dem Jahr 2006 und soll das Risiko von 30 000 chemischen Substanzen (von insgesamt 100 000) abschätzen. Welche Schadstoffe sind für Sie die schlimmsten? Die synthetischen Hormone und alles, was auf die Hormone einwirkt: die Pille, ­Bisphenol A, Phthalate, PCB und Nonylphenole (NP) aus Textilien. Bei Letzteren handelt es sich um langlebig Zerfallsprodukte, die das ­endokrine Drüsensystem stören. Seit den 80er Jahren sind sie eigentlich verboten. Die Detox-Kampagne von Greenpeace hat angeprangert, dass das Waschen von Textilien aus China Schweizer Gewässer verschmutzt. Das ist lobenswert, denn die Kläranlagen sind nicht für die Behandlung von Mikro­ schadstoffen ausgerüstet. Eine neue Verfügung zum Schutz der Wasserflora und -fauna sowie der Trinkwasserreserven ist in der Vernehmlas­ sung. Die Kläranlagen werden in nächster Zeit nachrüsten müssen. Egal, wie teuer das wird – es ist einfach unerlässlich. Sie haben Mikroschadstoffe aus nächster Nähe untersucht. Trinken Sie noch Wasser aus dem Genfersee? Ja. Um aber das Chlor zu entfernen, das bekanntlich flüchtig ist, müsste man das Wasser vor dem Trinken im Kühlschrank aufbewahren. Mit warmem Wasser, das nicht garantiert trink­ bar ist, sollte man zurückhaltend sein. Es ­könnte Stoffe enthalten, die Allergien auslösen. Was bedeutet Wasser für Sie? Wasser ist der Lebensraum für Tausende von Arten, aber auch wir Menschen können ohne Wasser nicht überleben. Ein nachhaltiger Schutz der Wasserqualität ist darum besonders wichtig. Gegenwärtig werden die Gewässer noch zu oft von unseren festen und flüssigen Abfällen verschmutzt. Das bedroht unser ­Überleben langfristig. Das Interview führte ­FranÇoise Minarro Nathalie Chèvre verfasste an der ETH in ­Lausanne (EPFL) eine Doktorarbeit im Bereich Umwelttoxikologie. Derzeit erforscht sie an der Universität Lausanne Mikroschadstoffe im urbanen Wasserkreislauf.

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© Dean Sewell / Greenpeace

Rio+20: Der Erdgipfel ist gescheitert

Kampagnen-News

Kohlegeschäft gefährdet ­ Great Barrier Reef

Das Great Barrier Reef muss stärker geschützt werden. Dies verlangt die Unesco und schlägt Alarm. Sie verlangt von der australische Regierung, das fragile Ökosystem vor den Schäden des Tourismus sowie des Kohle- und Gasabbaus zu bewahren. Denn die industrielle Entwicklung des Landes, der Tourismus und der Kohleabbau bedrohen das Weltnaturerbe. Sollte sich die Lage nicht bessern, könnte das Riff vor der Ostküste Australiens auf die Liste der «Welterbegüter in Gefahr» kommen, schreibt das Unesco-Welterbekomitee in einem Bericht. Jährlich besuchen etwa zwei Millionen Menschen das Weltnaturerbe. Vor allem sollen an der Küste nahe dem Riff keine neuen Häfen mehr gebaut werden, so der Unesco-Report. Bis 1. Februar 2013 soll Australien nun einen Bericht über die Umsetzung der Schutzmassnahmen vorlegen. Danach will die Unesco, die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, über den Listeneintrag entscheiden. In Australien wurde die Unesco-Kritik scharf zurückgewiesen. Man werde die Umwelt schützen, aber nicht die wirtschaftliche Zukunft gefährden, sagte etwa der Premierminister des Bundesstaats Queensland, Campbell Newman. Australien ist der weltgrösste Kohleexporteur. Ein grosser Teil wird von Häfen nahe des Great Barrier Reef verschifft. Das Riff besteht aus mehr als 2900 Korallenriffen, die sich etwa 2600 Kilometer entlang der Ostküste Australiens ziehen. Greenpeace fordert die Regierung Australiens auf, sich aus dem Kohlegeschäft zurückzuziehen, und hat eine E-Mail-Protestaktion aufgeschaltet: www.greenpeace.org/australia.

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Die rund fünfzigseitige Deklaration «Die Zukunft, die wir wollen» sollte eine Green Economy auf den Weg bringen und einen Prozess für die Entwicklung von Zielen zur Nachhaltigkeit anschieben. Doch sie bleibt vage und liefert keinerlei Lösungsansätze für die Umweltprobleme, die sich seit dem ersten Erdgipfel 1992 verschärft haben. Konkretes fehlt auch im Kampf gegen den Klimawandel, die Rodung der Urwälder und die Plünderung der Weltmeere. Weder die USA noch China und Indien haben Interesse an verpflichtenden Zielen für den Schutz der Ökosysteme. So sperrten sich etliche Staaten unter der Führung der USA gegen mehr Schutz für die Ozeane. Der Siegeszug der erneuerbaren Energien als wirtschaftliche und technisch sinnvolle Energie­ versorgung wurde ignoriert. 2011 wurden mit einem Volumen von 257 Milliarden Dollar 40 Milliarden Dollar mehr in erneuerbare Energien investiert als in die fossile Energieerzeugung. Die Rio-Beschlüsse nennen weder Zahlen noch Fakten zum Ausbau der Zukunftsenergie.

Waldreform in Brasilien: Der Druck auf die Staatspräsidentin wächst

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat am 25. Mai ein Teilveto gegen das neue Waldgesetz eingelegt. Sie versuchte den Eindruck zu erwecken, sie setze sich tatkräftig für den Schutz des Amazonas ein. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus. Greenpeace befürchtet, dass das aufgeweichte Waldgesetz die Abholzung beschleunigen wird. Brasilien hat eine einmalige Gelegenheit verpasst, zu zeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz Hand in Hand gehen können. Mehr als 300 000 Brasilianer haben bereits eine Petition für ein «Null-Entwaldungsgesetz» unterschrieben, das dem Amazonas umfassenden Schutz gewähren würde. Greenpeace fordert Präsidentin Rousseff auf, dem brasilianischen Volk Gehör zu schenken und Brasilien auf den Pfad der nachhaltigen Entwicklung zu führen. Nur dann kann sie wirklich als globale Führungskraft für nachhaltige Entwicklung gelten und als Präsidentin, die sich für die Anliegen der brasilianischen Bevölkerung einsetzt.

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Petition zum Schutz der ­Bienen

Bienen sind für Ökosysteme und Landwirtschaft sehr wichtig. Ohne Bestäubung durch die Bienen ist die Nahrungskette der Menschen und vieler Tiere gefährdet. Die globale Nahrungsmittelproduktion hängt zu 35 Prozent von bestäubenden Insekten ab. Weltweit sind Bienenvölker im Niedergang begriffen. Damit sie erhalten bleiben, müssen wir dringend handeln. In der Schweiz ist der Einsatz mehrerer Pestizide, die erwiesenermassen sehr giftig sind für Bienen, in der konventionellen Landwirtschaft noch immer erlaubt. Im Interesse einer nachhaltigen, bienenfreundlichen und naturnahen Landwirtschaft fordert Greenpeace: Dass der Bund gemäss Vorsorgeprinzip ein zehnjähriges Moratorium für Pestizide erlässt,

deren Toxizität und Risiken für die Bienen erwiesen sind, insbesondere für Fipronil und Neonicotinoide (Clothianidin, Thiamethoxam, Imidacloprid und Thiacloprid). Wie die internationale Aktualität zeigt, ist es durchaus möglich, diese Verbote durchzusetzen: In mehreren europäischen Ländern, u.a. in Frankreich, Deutschland, Italien und Slowenien, wurden die Bewilligungen für gewisse Neonicotinoide auf bestimmten Pflanzungen vorübergehend oder definitiv zurückgezogen. Dass Bewilligungsverfahren transparenter werden und der Bund unabhängige Gremien mit der Prüfung der Langzeitwirkungen von Pestiziden auf die Biodiversität in der Landwirtschaft beauftragt. Petition downloaden oder online unterzeichnen unter www.greenpeace.ch/bienen. Ausfüllen und bis 31.12.12 zurücksenden an: Greenpeace Vaud, 36 av. de Sévelin, 1004 Lausanne. Auskünfte: abeilles@greenpeace.ch Filmtipp: «More than Honey» geht auf die Suche nach den Ursachen für das grassierende Bie­ nensterben. Ein Dokumentarfilm von Martin ­Imhof. Ab 25.10. in ausgewählten Schweizer Kinos.

Diese und weitere Fragen ­haben wir mit Experten zusammen ­untersucht und sind zum Schluss gekommen: Ja, die Schweiz kann sich bis 2025 erneuerbar, klima­ freundlich und ­effizient mit Strom versorgen. In der neuen Greenpeace-Infobroschüre erfahren Sie, was es für eine Stromversorgung 100% erneuerbar und effizient braucht, was es bezüglich Kosten und Landschaftsschutz b ­ edeutet, was es uns bringt und was Sie selber dazu beitragen können. Die Broschüre finden Sie in der Mitte dieses Magazins eingeheftet. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.


Der GreenpeaceJahresbericht ist online

doch im Gegensatz zu den konkreten Schritten der anderen Unternehmen gab es von G-Star bislang nur schwammige Bekundungen, wie beispielsweiWerfen Sie einen Blick in unseren aktuellen Jah- se, dass die Freisetzung gefährlicher Chemikaliresbericht und vergewissern Sie sich, wie sorgsam en «so weit als möglich» reduziert werden solle. Greenpeace mit anvertrauten Geldern arbeitet. Gleichzeitig stellt sich das Unternehmen auf der 2011 haben 159 000 Spender unsere Umeigenen Website als ökologisch vorbildlich dar. weltschutzorganisation in der Schweiz unterstützt. Es wurden uns Spenden im Wert von CHF 25,3 Mio. anvertraut. 18 Prozent kamen aus Grossspenden, ­Stiftungen und Erbschaften (auch anonym). 300 000 Tonnen (vor allem brasilianische) Soja Dank diesem Vertrauen konnten wir 2011 werden an Schweizer Nutztiere verfüttert, und wichtige Ziele für den Umweltschutz der Importberg ist in den letzten zwei Jahren um ­erreichen. Im animierten Jahresbericht 2011 finden Sie ­ganze 21 Prozent gewachsen. 41 Prozent dieser nebst Bilanz und Jahresrechnung spannende Soja verbrauchen unsere Schweizer Kühe, die Beiträge, Bilder und Videos über all unsere Ak- eigentlich Grasfresser wären. Die Folgen einer tivitäten und Erfolge des letzten Jahres sowie solchen Landwirtschaft sind Milchüberschüsse, Informationen über unsere eigene Ökobilanz: unter Tiefstpreisen leidende Bauern sowie Umweltschäden in der Schweiz und in den Soja-Anwww.greenpeace.ch/jahresbericht. Gerne schicken wir Ihnen den Jahresbericht bauländern. Hier in der Schweiz finanzieren die Steuer2011 auf Wunsch auch in Papierform zu. Wenden Sie sich bitte direkt an unseren Infoservice zahlerinnen die Landwirtschaft und erwarten im (044 447 41 71 oder infoservice@greenpeace.ch). Gegenzug eine nachhaltige Qualitätsproduktion. Greenpeace hat deshalb eine Petition gestartet, in der Parlamentarier aufgefordert werden, sich im Rahmen der Agrarpolitik 2014—17 für eine ökologische Milch- und Rindfleischproduktion einzusetzen. Umfrageresultate stützen das Petitionsanliegen. Eine deutliche Mehrheit der BeGreenpeace hat vor einem Jahr den Bericht fragten «Schmutzige Wäsche» veröffentlicht: In 18 Län findet den Einsatz von Kraftfutter bei Kühen dern wurden insgesamt 78 Textilprodukte von 15 als ­problematisch, internationalen Herstellern gekauft und im Labor würde mehr für echte «Grasmilch» ­bezahlen auf gefährliche Chemikalien getestet. Zwei Drittel und der Produkte enthielten Nonylphenolethoxylate könnte sich vorstellen, dass die 3,5 Mia. Fran(NPE), darunter auch drei von fünf Produkten von ken Landwirtschaftsgelder hauptsächlich an G-Star. NPE wird bei Wasch- und Färbeprozessen ökologisch produzierende (kraftfutterfreie eingesetzt. In der EU ist die Verwendung dieser Milchproduktion, kein Kunstdünger- und CheChemikalie verboten, der Import stark eingemikalieneinsatz) Betriebe verteilt würden. schränkt. In den Produktionsländern der getes- Weitere Informationen unter: teten Textilien ist der Einsatz von NPE hingegen www.greenpeace.ch/grasstattsoja. nicht geregelt. Aufgrund der Detox-Kampagne von Greenpeace haben Adidas, C&A, H&M, Puma und Nike bereits konkrete Pläne zur Entgiftung der Produktion vorgelegt. Sie wollen bis 2020 mittels einer Roadmap ihre gesamte Produktionskette giftfrei gestalten. G-Star, eine bekannte Jeans- und Modekette, hat zwar eine Stellungnahme veröffentlicht,

Kampagnen-News

Greenpeace verlangt: Gras statt Soja für Kühe

Modekette G-Star muss Greenwashing beenden

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«mobil-e», die frisch-freche Infobox von Greenpeace, setzt sich auf spielerische Art und Weise mit dem Thema Stromversorgung auseinander und bringt die Informationen sozusagen vor ­ ealisierung einer die ­Haustüre respektive auf den Dorfplatz. «mobil-e» bietet Zahlen und Fakten zur R ­ tromversorgung bis 2025 sowie Inputs und Wissen zu Klimaschutz, 100% erneuerbaren S Landschaftsschutz oder Wirtschaft.

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Clean Our Cloud — selbst Apple setzt auf grünen Strom

Jeden Tag produzieren, speichern und verschicken wir viele Terabytes an Foto-, Video und MP3Dateien. Die Daten werden im Internet gespeichert und benötigen riesige Rechenzentren, die einen immer grösser werdenden Anteil am weltweiten Energiebedarf ausmachen. Die Kehrseite: Um das Internet mit Strom zu versorgen, wird jeden Tag tonnenweise CO2 aus Kohlekraftwerken in die Atmosphäre gepustet. Greenpeace fordert die drei weltweit grössten ­IT-Firmen Apple, Amazon und Microsoft auf, ihre Rechenzentren sauber zu betreiben, das heisst ohne klimaschädlichen Kohlestrom. Ziel ist, ihre Stromversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Fast eine Viertelmillion Menschen haben bisher die von Greenpeace lancierte Unterschriftenpetition unterzeichnet und fordern die VerantMagazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

wortlichen auf, sich vom Kohle- und Atomstrom zu verabschieden. Apple hat daraufhin angekündigt, für sein neues Rechenzentrum in Maiden, North Carolina, eigene Solarparks zu bauen und langfristig komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Microsoft will ab Mitte Jahr seine Rechenzentren CO2-frei betreiben, allerdings vor allem durch den Zukauf von Grünstrom-Zertifikaten. Amazon ignoriert die Forderungen bis zum heutigen Zeitpunkt. Somit fällt Amazon in Sachen zukunftsweisende Stromversorgung weit hinter Apple und Microsoft zurück. Greenpeace wird ihre Kampagne so lange fortführen, bis Apple und alle anderen IT-Riesen sicherstellen, dass ihre Rechenzentren sauber sind und sauber bleiben. Auch Sie können uns dabei helfen, indem Sie ein Protestmail an die Chefs dieser Unternehmen schicken! www.greenpeace.org/cleanourcloud

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© Greenpeace/Fojtu

«mobil-e» ist die nächsten Jahre in der Schweiz unterwegs. Kommen Sie vorbei! Infos: http://mobile.greenpeace.ch


Kampagnen-News

Neues Greenpeace-­ Handbuch

Politik und Wirtschaft haben die Ökologie als Thema längst entdeckt. Aber sie tun sich schwer, alles ­Notwendige für eine bessere, grünere Welt ein­zu­ leiten.Wastun?Selberanpacken,selberhandeln.Als Bürger und Konsumentin. Umweltschutz beginnt und endet beim Menschen selbst. Nun gibt Greenpeace ein praktisches Handbuch heraus. Anhand von Ratschlägen und Erklärungen wird gezeigt, wie einfach und schnell viel bewirkt werden kann. In einer Reihe von unterhaltsamen Essays ­äussern sich Fachleute und Vordenker zu Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt. Für ehrgei­zige Umweltschützer liefert das Buch weiterführende Informationen — intelligent gegliedert, aufwändig ­gestaltet und illustriert. Das Buch erscheint im Herbst. Mitglieder können es per Mail an thoreau@greenpeace.ch zum Preis von CHF 20.— statt 34.— (inkl. Porto) vorbestellen.

Team. Dank der von Greenpeace und solafrica.ch angebotenen Ausbildung wurde die 23-Jährige zur ehrgeizigen Leiterin dieses ­geglückten Solarentwicklungsprojekts. Mama Sarah hat sich auf ihr Geschenk lange gefreut. Und die neue Stromquelle wird allen Dorfbewohnern zu ­Gute kommen. Sie werden bei ­Sarah künftig ihre Handys auf­laden. Denn ohne Mobiltelefone geht nichts. Sie sind die Verbindung zum Weltgeschehen. Ausserdem ermöglichen sie Geldtransfers, was wegen der Arbeitsmigration zum Alltag jeder Familie gehört. Solarinstallationen bieten ­Bildungschancen und Perspektiven für Junge. Elizabeth Otieno ist ­eine Garantin dafür. Während ­Kenias Regierung den Einstieg in die Atomenergie plant, liefern sie und ihr Team Beweise, dass die Sonne eine sinnvollere Option ist — mit unzähligen positiven Nebenwirkungen in den Ländern des ­Südens. Die Greenpeace-Reporterin Laura Weidmann hat einen Bericht ­verfasst über Sarah und die «Solar Queen» Elizabeth. Sie können ihn lesen unter www.greenpeace.ch/magazin.

Solar Queen Elizabeth gibt sich die Ehre

Solarstrom kann für Kenia Gesundheit bedeuten, Sicherheit und Unabhängigkeit vom unzuverlässigen Stromnetz, an das die meisten Dörfer ohnehin nicht ­angeschlossen sind. Ein solches Dorf ist Kogelo. Hier wohnt Barack Mama Sarah, die Grossmutter des US-Präsidenten Barack Obama. Zu ­ihrem 90. Geburtstag bekommt sie eine Solaranlage aufs Dach ihres Hauses. Ermöglicht haben das Elizabeth Otieno und ihr SolafricaMagazin Greenpeace Nr. 3 — 2012

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Ausschliesslich mit dem Plastik­sack beschäftigt sich beinahe zur gleichen Zeit die Ausstellung «Oh, Plastiksack!» im Gewerbe­ museum Winterthur. Dort werden über dreissig internationale Posi­ tionen aus zeitgenössischer Kunst und aktuellem Design gezeigt und gleichzeitig ausgesuchte kultur­ historische, ästhetische und politi­ sche Plastiksack-Geschichten aus Deutschland und der Schweiz erzählt. Obwohl der globale Plastikberg von Tag zu Tag wächst, hat uns Mitten in den Weltmeeren rotie­ vor wenigen Wochen ausgerechnet ren, von den meisten Menschen aus Los Angeles eine gute Nach­ unbemerkt, fünf gewaltige Plastik­ richt erreicht. In der Stadt, die als müllstrudel. Lediglich 15 Prozent Symbol für einen entfesselten des Mülls gelangen durch die Strö­ Konsum gilt, hat der Stadtrat mit mung an die Strände, 70 Prozent überwältigender Mehrheit ein Verbot von Plastiktüten in Einkaufs­ sinken auf den Meeresgrund und märkten beschlossen. der Rest treibt im offenen Meer, «Endstation Meer? Das Plastik­mülloft in wolkenartigen Gebilden Projekt», Museum für ­Gestaltung unter der Wasseroberfläche. Das Museum für Gestaltung Zürich hat Zürich, 4. Juli bis 23. September 2012, www.plasticgarbageproject.org diesem Müll eine eigene Ausstel­ «Oh, Plastiksack!», Gewerbe­­mu­ lung gewid­met: «Über das Ende seum Winterthur, 3. Juni bis 7. Oktodes Designs und was wir unseren ber, www.gewerbemuseum.ch Kindern hinterlassen werden», wie Museumsdirektor Christian Nuklearenergie Brändle auf der Website des Pro­ jekts schreibt. Herzstück der Aus­ stellung ist eine Installation aus Plastikschwemmgut, das bei Strandsäuberungen auf Kaho’olawe, einer unbewohnten Die Website unterrichtatom.ch Insel auf Hawaii, auf Sylt an der versammelt Fakten und Meinungen Nordsee und auf ­Fehmarn an der zur Nuklearenergie, unter ande­ Ostsee gesammelt wurde. Die Stücke laden zum Nachdenken ein rem in einem umfassenden Proüber die Herkunft, den Lebenszyk­ und-Kontra-Argumentarium. Auf lus sowie Sinn und Unsinn der der Website finden Lehrkräfte Plastikprodukte. Die begleitenden aller Stufen Unterrichtsmateriali­ Texte, Bilder und Filme verdeutli­ en in Form von Arbeitsblättern chen, wie gross das Ausmass die­ und Powerpoint-Präsentationen zur Funktionsweise von AKW, ser ökologischen ­Katastrophe mittlerweile ist. Sie zeigen, wie zur Radioaktivität und zur Schwei­ Vögel verenden, weil sie die Plas­ zer Stromversorgung. www.unterrichtatom.ch tikteile für Futter halten, oder wie Plastikmikropartikel am Ende auf unseren Tellern landen. © J oerg er S tau ss

Plastikmüll

In Kürze

Aufklärung im ­Museum

Hilfreiches Argumentarium für Lehrkräfte

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Elektrizität

Intelligente Zähler helfen Strom sparen In zehn Jahren sollen in der Schweiz die ersten Atomkraftwerke ersatzlos vom Netz gehen – so ­wollen es Bundesrat und Parlament. Ein Teil des künftig fehlenden Stroms kann eingespart werden. Dabei könnten uns sogenannte Smart Meters helfen. Die intelli­ genten Stromzähler – kleine Com­ puter, die zuhause ans Stromnetz gehängt werden – erfassen den aktuellen Verbrauch und die exak­ te Höhe der Spannung und über­ tragen die Daten an eine Zentrale. Daraus ergeben sich interessante Möglichkeiten: Verbrauchsdaten können den Kunden zeitnah zur Verfügung gestellt werden und sie für ihr Verbrauchsverhalten sen­ sibilisieren. Und die zusätzlichen Informationen zum Stromend­ verbrauch erleichtern Energie­ sparkampagnen oder die Entwick­ lung neuer Tarife zur Förderung von sparsamem Verhalten. Dass sich die Einführung von Smart Meters auch volkswirt­ schaftlich rechnet, belegt nun eine Studie im Auftrag des Bundes­ amts für Energie (BFE). Sie kommt zum Schluss, dass eine flächen­ deckende (80% der Bevölkerung) Einführung von Smart Meters in der Schweiz über den Zeitraum von 20 Jahren (2015–2035) aus volkswirtschaftlicher Sicht rentabel wäre. Den geschätzten Geräteund Installationskosten von rund 1 Milliarde Franken steht ein wirt­ schaftlicher Nutzen von 1,5 bis 2,5 Milliarden gegenüber, vor allem in Form von Stromeinsparungen bei den Endkunden. Studie: www.news.admin.ch/ NSBSubscriber/message/ attachments/27072.pdf


dass das Erdsystem derzeit an sein biophysikalisches Limit getrieben wird und dieses in bestimmten Bereichen bereits überschritten hat. Sorgen macht den Wissen­ schaftlern insbesondere der unge­ Weltweit wuchern die Städte und bremste Klimawandel: Vier mit ihnen wächst auch der Auto­ ­unabhängige Analysen haben ge­ verkehr. Wo es Stickoxid-Grenz­ zeigt, dass die Periode von werte gibt, wird es schwieriger, 2000 bis 2009 die wärmste je auf­ ­sie einzuhalten. Wäre es da nicht gezeichnete Dekade war. Und sinnvoll, die Stickoxide gleich noch nie waren die Emissionen dort abzufangen, wo sie entstehen durch Treibstoffverbrennung und – also nahe beim Auspuff, zum Zementproduktion so hoch wie Beispiel über die Pflastersteine? 2010. Die aktuellen Klimamodelle Diese Idee führte den Geologen zeigen, dass sich die Treibhausga­ Werner Tischer zur Entwicklung semissionen in den nächsten eines fotokatalytischen Pflaster­ 50 Jahren verdoppeln könnten, steins. Das Fraunhofer-Institut was voraussichtlich zu einem glo­ balen Temperaturanstieg von attestierte dem neuartigen Beton Stickoxid-­Abbau­raten von 20 bis 3 Grad Celsius führen wird. Tra­ 30 Prozent, bei Windstille sogar gisch sei auch der Verlust der bis zu 70 Prozent. Dass allein ­Artenvielfalt, speziell in maritimen der neuartige Stein die Stadtluft Ökosystemen, schreibt das GEOvon Stickoxiden befreien kann, Team. Am stärksten vom Ausster­ ­glauben Experten nicht. Eher ben bedroht sind die Korallen. Um könnte es eine von vielen Massnah­ 38 Prozent gingen die Bestände men sein, um unsere Stadtluft seit 1980 zurück. Während die Schutzzonen auf dem Land immer­ rein zu halten. www.nuedling.de hin 13 Prozent der Gesamtfläche betragen, sind es in den ­Meeren nur UN-Umweltbericht 1,6 Prozent – obschon in inter­ nationalen Vereinbarungen zwi­ schen 10 respektive 17 Prozent bis im Jahr 2020 angestrebt wurden. Positiv auf die Umwelt ausge­ wirkt haben sich hingegen das Verbot von ozonschädigenden Als Grundlage für die Verhand­ Substanzen und die Einführung lungen an der Rio+20-Konferenz von bleifreien Treibstoffen. Zu­ im Juni veröffentlichte das United dem konnte der Zugang zu saube­ Nations Environment Programme rem Trinkwasser für viele Men­ schen verbessert werden, wenn (UNEP) die fünfte Ausgabe des «Global Environment Outlook» auch mit unerwünschten Aus­ (GEO). 600 Experten weltweit wirkungen auf die Grundwasser­ haben für den Bericht während depots: In 50 Jahren hat sich die dreier Jahre Fortschritte beim Entnahme verdreifacht. Dafür ist Erreichen der 90 wichtigsten glo­ vor allem die Landwirtschaft ­verantwortlich, die für 92 Prozent balen Umweltziele analysiert des globalen Wasser-Fussabdrucks und kamen zum Schluss: Nur bei 4 wurden signifikante Fortschritte verantwortlich ist. Bei einem ­anhaltenden, ungebremsten Res­ erzielt. Der GEO verdeutlicht, Luftwerte

In Kürze

Schadstoff schluckender Pflasterstein

Ohne entschiedene Massnahmen droht der Erde der Kollaps

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sourcenkonsum müssten die ­Regierungen bald mit beispiel­losen Umweltschäden rechnen, warnte UNEP-Direktor Achim Steiner im Hinblick auf den ­Bericht. Die Autoren der Studie fordern deshalb eine Neudefi­nition von Wohl­ stand, die über das Bruttoinland­ produkt hinausgeht, und den A ­ ufbruch in eine grüne Ökonomie. Bericht und Zusammenfassungen: www.unep.org/geo/geo5.asp

Buchtipp

Rebellion im Internet

Blogs und soziale Netzwerke wer­ den immer wichtiger im politi­ schen Meinungsbildungsprozess. Doch wer sind die Internetauf­ klärer, die Parteien und Systeme herausfordern? Matthias Bernold und Sandra Larriva Henaine ­haben zehn Protagonisten an den Schauplätzen ihres Widerstands besucht und in einem Sachbuch gewürdigt: «Revolution 3.0 – die neuen Rebellen und ihre digitalen Waffen». Die Porträtierten ste­ hen trotz unterschiedlichen Zielen für eine neue Form von Protest, der aufrütteln, Zusammenhänge zeigen und für Machthaber un­ bequem sein will. Das Buch gibt es beim Zürcher Xanthippe Verlag zu kaufen, Tel. 044 251 03 02, info@xanthippe.ch. 162 Seiten, Fr. 34.—, € 19.—


Klipp & klar — Kunos Kolumne

© J ir i R ezac / G r eenpeace

Teersand

die Crux der Verhaltensänderung als Strategie

Als Kinder erzählten wir uns Elefant-&-Maus-Witze. Einer ging so: Die Maus pinkelt ins Meer, dreht sich zum Elefanten um und sagt: «Gäng das!» Ähnlich ist es mit einzelnen Verhaltensänderun­ gen – weniger Autofahren, mehr Strom sparen etc.: Nichts als ein ­Tropfen im Meer. Verhaltensänderungen werden für die Umwelt dann relevant, wenn sie massenhaft geschehen. Doch massenhaft zum Tragen kommt nur das, was gemeinsam beschlossen, verordnet oder in eine Kampagne eingebettet wird. In fast ­allen andern Fällen schei­ Im Rahmen der sogenannten tert die Strategie über freiwillige Verhaltensänderungen an der Treibstoffqualitätsrichtlinie (Fuel Trägheit der Mehrheit. Gleichwohl meine viele Umweltorganisatio­ nen, mit Moral ein Meer von Mäusen um sich scharen zu können. Quality Directive) der EU soll künftig Treibstoffen aus dem Abbau Denn die Versuchung ist gross, weil es so einleuchtend scheint: von Teersanden ein höherer Über ein Problem informieren schafft Bewusstsein und dieses löst ­Emissionswert zugewiesen werden. die Verhaltensänderung aus. Die Sozialpsychologie zeigt jedoch, Der Import von Öl aus Teersanden dass Normen, Rebound-Effekte und die so genannte Allendeklem­ in die EU wäre damit kaum noch me, die Tropfen Einzelner im Meer untergehen lassen. möglich. Teersande sind eine un­ Und was bei Erwachsenen nicht funktioniert, scheitert bei jun­ konventionelle Ressource zur gen Menschen erst recht. Trotzdem sterben «Umwelt­bildungs»Erdölgewinnung und werden vor Angebote nicht aus, die auf Verhaltensänderungen abzielen. Dabei allem in Kanada abgebaut. Der wird weder die Umwelt spürbar geschützt noch Bildung betrieben. aufwändige und energieintensive Solche Erziehung ist im Grunde eine Aufputzaktion: Die Badewan­ ne läuft über, Kinder wischen den Boden auf, der Hahn jedoch wird Abbau führt zur grossflächigen Zerstörung von Wäldern. Kanadi­ nicht zugedreht. Symptom- statt Ursachenbekämpfung. Deshalb gibt’s Fördergelder, deshalb wird’s gemacht. sche Unternehmen lobbyieren Solche Pädagogik des schlechten Gewissens ist weit schon länger für die Teersande und der kanadische Botschafter in von der «Bildung für nachhaltige Entwicklung» entfernt. Diese ­bedeutet kurz gesagt*: Deutschland kritisierte die EU Erlebnisförderung, vor allem bei Kindern: «Raus, aber rich­ Richtlinie, sie würde nicht auf tig!» (statt Putzequipen heranziehen) wissenschaftlichen Fakten basie­ Praktische Arbeiten wie Projektwochen für Jugendliche (statt ren – obwohl sich die Kommission langweilige Pseudoaufklärung). bei ihrem Vorschlag auf eine Lernen geschieht beim gestaltenden Tun und beim Nachden­ ­Studie der Universität Stanford bezieht. Über die Richtlinie sollte ken übers Handeln. Nicht über Wissensvermittlung (allein). Um einem Missverständnis vorzubeugen: Sich selber im Juni abgestimmt werden. ­umweltschonend zu verhalten, ist gut. Schlecht ist nur die Strate­ Nun will die Kommission weitere gie, mit einem Meer von Tipps mehr als einen Tropfen weiter­ Studien über mögliche Auswir­ kommen zu wollen. Wirfst du einem Menschen zehn Bälle aufs kungen der Gesetzgebung auf Unternehmen und Märkte anferti­ Mal zu, wird er keinen einzigen fangen. * siehe z.B. www.umweltbildung.ch/fileadmin/user_upload/­resources/ gen lassen und erst Anfang 2013 positionspapier_1.pdf darüber abstimmen. Ausführlichere Gedanken und Thesen zum Thema siehe Blog unter www.greenpeace.ch/kuno

Kanadische Lobby stemmt sich gegen ­EU-Richtlinie

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«Beobachter Natur» ist das überraschende Umwelt- und Wissensmagazin der Schweiz. Sie haben die Chance, von klugen Geschichten und tollen Fotos aus der Tier- und Pflanzenwelt inspiriert zu werden. Senden Sie das Lösungswort bis 30. September 2012 per E-Mail an redaktion@greenpeace.ch oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels resp. des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

Rätsel

© Edw in Giesb er s / natu r epl .c om

Zu gewinnen: Fünf Jahresabos «Beobachter Natur»

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© Pi erre Gl eizes / Green peace

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AZB 8031 Zürich

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