Greenpeace Switzerland Magazin 2/2013 DE

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— Honig vom Dach: Bienen werden Stadtschwärmer S. 49 g reen peace MEMBER 20 13, Nr. 2

40 Jahre sind genug: Jetzt die Petition unterzeichnen!  S. 10 Friedliche Öko-Krieger  S. 11 Monster-Boats: Die Meeresmoloche  S. 25 LED-Licht ist die Zukunft  S. 30 Risiko Geo-Engineering  S. 39

Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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C ove r: © A nne Ga bri el- Jürge ns Als Imker hat man nie ausgelernt. Auf dem Dach im Kreis vier in Zürich begutachten Helena Greter und Marc Lazel die Entwicklung seiner Bienenvölker. Der häufige Austausch unter Imkern ist essentiell für eine Bienenhaltung.

Editorial — Kann es sein, dass wir die Zeit der leeren öko­ logischen Lippenbekenntnisse endlich abhaken dürfen? Dass sich gerade eine Epoche des Handelns gegen Lethargie und Zaudern durchsetzt? Vielleicht ist solcher Optimismus etwas verfrüht. Aber durch das aktuelle Heft zieht sich wie ein roter Faden das Aktivwerden – auf den verschiedensten Ebenen, im Kleinen wie im Grossen. Nicht gezaudert haben die «Eco Warriors» in unserer Porträtserie ab Seite 11. Ihre Geschichten zeigen, wie lustvoll und zuweilen schrill Anliegen in die Öffentlichkeit getragen werden können. Allana Beltran hat als Schutzengel verkleidet ein Zeichen gegen die Abholzung der tasmanischen Wälder gesetzt. Die Gruppe 350° schafft mit Tausenden von Menschen aufrüttelnde Bilder gegen den Klimawandel. Urban Beekeeping stärkt die Natur im urbanen Lebensraum. Was es heisst, sechs Bienenvölker in der Stadt zu pflegen, und was die «Stadtschwärmer» von jenen auf dem Land unterscheidet, erklärt die Imkerin Helena Greter ab Seite 49. Dank Stadtimkern summen die Bienen auch auf Dächern, Balkonen und in Hinterhöfen: Umweltschutz im Mikrokosmos. Ganz und gar «makro» ist der Ansatz, Umweltprobleme mit Geo-Engineering anzugehen. Für die einen ist das ­Eingreifen in die Prozesse der Natur im grossen Stil die Lösung für die Zukunft. Andere sehen darin eine gefährliche Mani­ pulation an unserem Planeten. Wir hinterfragen diese Expe­­ri­ mente mit dem System Erde kritisch. Vom Wissenschafts­ historiker James Flemming wollten wir wissen, warum er glaubt, Geo-Engineering berge das Potenzial für künftige Konflikte (ab Seite 39). Vergessen wir nicht die weniger spektakulären Handlungen, die täglich mehr werden: den Bau von ökologischen Energieanlagen, die biologische Produktion von Nahrung usw., usw. Ob Eco Warrior, Urban Beekeeper oder einfach ­bewusst handelnde Menschen – wir teilen das eine Ziel einer ­Erde, die das Leben in seiner ganzen Vielfalt erhalten kann. P.S. Mehr Handeln: Das «Greenpeace-Handbuch ist neu ­erschienen. Einblicke und Ratschläge für ein grüneres Leben. Der Artikel dazu steht auf Seite 64. Die Redaktion


Portraits

Öko-Krieger:

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Wie spektakuläre Aktionen für Weltmiseren sensibilisieren

Schwindendes Meereis: 20 Kleinstlebewesen sind die Überlebenskünstler der Arktis Hintergrund

Info-Grafik Monster-Boats:

Schwimmende Fischfabriken leeren die Meere

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Effizienz

LED: Helle setzen auf die zukunftsträchtige Lichtquelle

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39 Technische Zauberlehrlinge greifen ins Weltklima ein

Wissen Geo-Engineering:

Foto-Reportage Stadt-Schwärmer:

Inhalt

Den Honiginsekten gehts besser als auf dem Land

Interviews James Fleming: Wissenschafts­histo­riker über die Gefahren des Geo-­E ngineering

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Pr äsident des Bienenzüchterverbands beider Basel: Stadtklima hat Einfluss auf die Bienenentwicklung

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Energiepreistr äger des Watt d’Or berichtet über den Kurs an der Energy Academy

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Neue Zusammenarbeit: Greenpeace und der Hausverein geben Auskunft bei letzten W ünschen

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Energiewende Kosten für erneuerbare Energien werden sinken

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Greenpeace-Handbuch R atschläge und Einblicke für ein grüneres Leben

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In Aktion 2 Chefsache 10 Die Karte 40 Kampagnen-News 60 In Kürze 64 Öko-Rätsel 72 Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Impressum – Greenpeace Member 2/2013 Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147, Postfach, 8031 Zürich, Telefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99, redaktion@greenpeace.ch, www.greenpeace.ch Adressänderungen unter: suse.ch@greenpeace.org Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, ­H ina Struever, R ­ oland Falk Autoren: Peter Balwin, Markus Brupbacher, Thomas Diener, Roland Falk, Urs Fitze, Bruno Heinzer, Heini Lüthi, Samuel Schlaefli, David Torcasso, Rita Torcasso ­Fotografen: Francesco Alesi, Sandro Bäbler, Eric Conway, C. Dieckmann, Anne Gabriel-Jürgens, Heike Grasser, Noriko Hayashi, Imke Lass, Linus Meyer, Matthew Newton, Marcel Nicolaus, Sonja Ruckstuhl, Hannah Thonet, Spencer Tunick, Marc Wetli Gestaltung: Hubertus Design Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Papier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Druckauflage: d 113  500, f 21 500 Erscheinungsweise: viermal jährlich Das Magazin Greenpeace geht an alle M ­ itglieder ­( Jahresbeitrag ab Fr. 72.—). Es kann Meinungen ­ent­h alten, die nicht mit offiziellen Greenpeace-­Positionen ­übereinstimmen. Der Lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die ­m ännliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt. Spenden: Postkonto 80-6222-8 Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spenden SMS-Spenden: Keyword GP und ­B etrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.—: «GP 10» an 488)


Zwei Jahre nach Fukushima Ein Demonstrationszug von Tausenden von AKW-­ Gegnern und Greenpeace-Aktivisten zieht kurz vor dem zweiten Fukushima-Jahrestag Richtung japanisches ­Parlament und fordert die Regierung auf, ganz aus der Kernenergie auszusteigen. Bei der atomfreundlichen ­Regierung stösst diese Botschaft jedoch auf taube Ohren. Sie plant, das Atomprogramm wieder hochzufahren. Tokio, 10. März 2013


Š Noriko Haya shi / G r een p eac e



Totenmarsch am Jubeltag 120 Greenpeace-Aktivisten marschieren am 50. Geburtstag von Enel am Hauptsitz des Energieriesen auf. Sie tragen Hunderte von stilisierten Opfer-­ Umrissen — Symbol der Todesfälle, die Kohlekraftwerke jährlich verursachen.

Rom, 6. Dezember 2012

© F ran ces c o A l es i / G r een p eac e


Stimme für die Stummen Aktivisten in Fisch- und Eisbärenkostümen demons­ trieren vor dem Eishotel Jukkasjärvi, wo der Arktische Rat tagt. Greenpeace will die Umweltminister dazu ­bewegen, Ölbohrungen in der Arktis zu verhindern. Schweden, 6. Februar 2013


© Greenp eac e / L i n u s M ey er


Mahnung für die Migros Greenpeace-Aktivisten fordern die Migros an deren Hauptsitz auf, ihre Kleiderproduktion zu entgiften. In Tests fand die Organisation hohe Schadstoffkon­ zentrationen in diversen Kleidungsstücken, unter ­anderem auch in Kinderjacken. Zürich, 13. Februar 2013


© Greenp eac e / E x-P r ess / S a n d ro Bäb le r


Ein G globaler Der orange Riese mit dem «M besser» tut sich schwer, eine Vereinbarung mit ­Greenpeace abzuschliessen. Er will seinen eigenen Eco-Standard weiterentwickeln, statt die verbind­lichen Ziele des Greenpeace-Detox-Commitments mitzutragen, wie es schon 17 andere bekannte globale Marken getan haben. Dieser Alleingang stellt nicht ausreichend sicher, dass die hier ­verkauften Kleider Mensch und Umwelt in den Pro­duk­tions­ländern nicht schädigen. Das ­ärgert uns! Immerhin haben auch wir ein M an der Spitze unserer Namen: ­Markus und Mühlberger – das wären dann zusammen schon drei. Dabei sollten wir eindeutig zu den ­Leuten gehören, die ein M glücklicher sind. Glücksstudien relativieren die herköm­ mliche Überzeugung, dass Status und Besitz glücklich machen. ­Erleben erzeugt mehr Zufriedenheit als Haben. Enge soziale Kontakte und eine Balance im Leben sind ­wichtiger als ein etwas besser bezahlter Job, der keine Freude macht, haben wir in der «Zeit» gelesen. Bei Greenpeace erleben wir jeden Tag viel, was diese Studienresultate bestätigt. Das Erleben steht im Zentrum unseres Alltags. Überall wird ­recherchiert, redigiert, argumentiert, komponiert, konfrontiert. Mit der Grippe im Bett und dem Laptop unter der Decke wird telefoniert, damit zumindest die Kampagne weiterlaufen kann. Dafür riskieren wir Kopf und Kragen – und wenn es sein muss, ­lassen wir uns auch verklagen. Denn ohne Status und Besitz sind wir nicht nur ein M glücklicher, sondern auch ein M mutiger. Es kann gut sein, dass der orange Riese bis zur Drucklegung dieses ­Magazins einMagazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

gelenkt und unser Detox-Commitment unterschrieben hat. Wir hoffen es. Und wir wünschen es uns für die Menschen in den Pro­duktionsländern. Wir freuen uns, wenn es so weit ist. Vorläufig wissen wir aber nur: Greenpeace wird w ­ ei­tere Kampagnen konzentriert und global so führen, dass aus Schmutzschöpfungsketten tatsächlich Wert­schöpfungsketten werden. Weil sie tatsächlich Wert schöpfen. Wir sind dabei, unsere Kampagnenprozesse auf die globa­ lisierte Wirtschaft so aus­zurichten, dass sie noch mehr Wirkung entfalten. Der Slogan dazu lautet: Greenpeace – ein G globaler. Als ­Reaktion dürfte nicht nur das orange M rot anlaufen. Markus Allemann und Verena Mühlberger, Co-Geschäftsleitung © Hei k e Grasser / Gr een peace

Chefsache

PS: Wir fordern den Bundesrat und das Parlament auf, den Atomausstieg in der Schweiz mit verbindlichen AKW-Laufzeiten von maximal 40 Jahren festzulegen. Jetzt auf www.greenpeace.ch/40 die Petition unterzeichnen!

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© Han nah Th o n et

Portraits

Eco Warriors — Spektakuläre und ü ­ berraschende Aktionen sind i­ hre Waffen

Kreative Aktivisten wissen, wie sich die Öffentlichkeit sensibilisieren lässt. Die Amerikanerin Whitney Black verblüfft mit skurrilen ­Überlebenskugeln; die Austr­alierin Allana Beltran protestiert in Tasmanien gegen Abholzungen, indem sie sich als Mahnengel auf ein 45 Meter hohes Gerüst schnallen lässt; die Französin Cécile Lecomte steigt in Frankfurt auf Hochhäuser und tanzt so «dem Kapitalismus auf der Nase herum». Die Gruppe 350.org schliesslich macht mit spekta­kulären Events auf die zunehmende Klimaerwärmung aufmerksam. Die Geschichten dieser Bewegten sind spannendste Adventure-Literatur.

Bild: Skurriler Überlebensball The Yes Men vor der New Yorker Brooklyn Bridge. SurivaBall-Kommandeurin Whitney Black: «Millionen von Menschen sahen unsere ­Versinnbildlichung von Dummheit». Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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© Han n ah Th o n et

Portraits

«Mit satirischem Aktivismus die Welt terrorisieren», ist das Ziel von Whitney Black (rechts im Bild).


Clima Comedian Whitney Black, 27

Mit schwarzem Humor gegen den Klimawandel

Von Rita Torcasso — «Ich weiss nicht, was ­verrückter war: dass ich den Traum hegte, die Welt humorvoll über den Klimawandel aufzuklären, oder dass ich eine Möglichkeit gefunden habe, just das zu tun.» So beschreibt Whitney Black ihren Anfang als Aktivistin bei den Yes Men. Von ­ihnen hatte sie über ein E-Mail erfahren: Im ­Namen des Energiekonzerns Halliburton preisen sie als Lösung für jede Art von Katastrophe den SurvivaBall an, eine «geschützte Wohn­anlage für Einzelpersonen». The Yes Men – das sind Jacques Servin und Igor Vamos, die als Andy Bichlbaum und Mike ­Bonanno Konzerne und Politiker parodieren. «Die Tatsache, dass es noch andere gab, die das Klimaproblem mit Humor anpacken wollten, tröstete mich ungemein», so Whitney, die ­Umweltwissenschaften studiert. «Wer sagt denn, dass es keinen Spass machen soll, die Welt zu retten?» Kampagnen, die mit düsteren Visionen vom Untergang Schuldgefühle wecken, seien doch ineffektiv und abgenutzt. Nach Abschluss ihres Studiums beginnt Whitney Black bei den Yes Men als «Surviva­ Ball-Kommandeurin» zu arbeiten. «Mit satirischem Aktivismus die Welt terrorisieren», so ­umschreibt sie – satirisch – ihr ehrgeiziges Ziel. Protest­aktionen im 1,8 Meter breiten Ball e­ntschärfen jede Situation, denn was oder wer Bällen in den Weg kommt, wird umgeworfen. «Ich war nie relaxter, denn ich habe ja meinen SurvivaBall», sagt sie im Werbespot. Die Wirkung probiert sie in einer ersten grossen Aktion an den Politikern aus, die sich vor dem Klimagipfel in New York treffen. Zur Schlachthymne «I Will Survive» tanzen 25 Bälle am Rande des East River unter dem UN-Gebäude. Polizeiboote und Helikopter stoppen den friedlichen Protest und Andy Bichlbaum wird verhaftet. «Für die Yes Men ist eine Verhaftung aber kein saurer Apfel, sondern ein im ­Eichenfass ge­ Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

reifter Calvados», kommentiert die Aktivistin. Denn alle grossen TV-Sender berichteten d ­ arüber. «Millionen Menschen ­sahen unsere Versinnbildlichung von Dummheit: So werdet ihr herumlaufen, wenn wir nicht ­sofort etwas gegen den Klimawandel tun.» Die Climate Comedian nutzt ihr «SatireGen» auch für Parodien und legt sich mit der US-Handelskammer an. An einer Pressekonferenz kündigt die mächtigste Lobby-Organisa­ tion der Welt an, den raschen Abschluss eines Klimagesetzes sowie eine Umweltsteuer zu ­unterstützen. Die Agentur Reuters nimmt die Nachricht auf. Als die Fälschung auffliegt, ist sie bereits in allen Medien. Die Handelskammer reicht Strafanzeige wegen Imageschaden ein. Die Yes Men kontern die gerichtliche Forderung, sämtliches Filmmaterial zu zerstören, indem sie ihre Dokumentation zum freien Download ins Netz stellen mit dem Titel: «Die Yes Men regeln die Welt.» Mit den Parodien entlarvt die Gruppe Macht- und Geldgier. Heute führt sie mit Yes Lab eine offene Plattform mit Tools für weltweite Aktionen. «Wen wir ins Visier nehmen, ist völlig unabhängig von Spenden», betont Whitney Black. Mit den Überlebensbällen protestierte sie am Klimagipfel in Kopenhagen und auf dem Kapitol in Washington. «Eigentlich hasse ich SurvivaBälle und möchte nie in einem leben müssen», sagt sie. 2010 gingen die Bälle auf Welttournee. Die Umweltwissenschaftlerin blieb in New York und forscht ­ seither nach neuen Strategien, wie sie am wirksamsten gegen den Klimawandel v ­ orgehen kann.

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Que ll en: Die Ökokrieger / www.survi va Bal l.c o m / ww w.y e slab. org / ht t p ://s olve ntm agazi n e.c o m/ solv ent wp 2/ 201 0 /0 3 /25/ in terv iew- with -wh itne y- bl ac k-o f-t he- ye s- m en

Mit Satire und Comedy die Probleme dieser Welt lösen: Diese grandiose Idee begann Whitney Black bei der Gruppe Yes Men umzusetzen ­– mit Überlebensbällen gegen Klimakatastrophen.


Allana Beltran, Künstlerin, 27, Australien

Ein Engel stoppt die ­Abholzung

Von Rita Torcasso — Der Engel im langen weissen ­ ewand, dessen Flügel sich im Wind bewegen, G ist ein märchenhaftes Bild. Doch zu seinen ­Füssen verkündet ein Plakat: «Stopp der Abholzung im Weld-Tal!» Allana Beltran war nach Tasmanien gereist, um sich Inspiration für ihr Werk zu holen: Wenige Monate später sollte ihre erste Einzelausstellung in Sydney eröffnet werden. «Ich wollte diese Wildnis einfangen – doch sie nahm mich gefangen», sagt sie. Nirgendwo sonst auf der Welt habe sie erlebt, «wie jeder Organismus Teil eines mit allem verbundenen und von allem abhängigen Ganzen ist». Sie bleibt als Aktivistin im Blockade-Camp am Eingang zum Weld-Tal. Sechs Monate lang steigt sie mit den andern im Morgengrauen auf Plattformen von 45 Meter Höhe, um mit ihrem ­Körper Bäume zu schützen. «Allein Menschen können den Kahlschlag stoppen.» Im Frühjahr 2007 zerstört die Polizei das Camp – eines von vielen im tasmanischen ­Urwald. Allana Beltran filmt Zerstörung und Widerstand, stellt die Bilder ins Netz und ­informiert die Medien. Am 29. April steigt sie um fünf Uhr morgens als Weld-Engel auf den zehn Meter hohen Dreifuss mitten auf der ­Zufahrtsstrasse zum Tal. Durch ein Megafon droht ihr die Polizei mit zwei Jahren Gefängnis. Aber der Engel bleibt ungerührt sitzen. Schliesslich wird er mit einem Kran auf den Boden ­geholt. «Doch die Geschichte des Engels hatte erst gerade begonnen», so die Künstlerin. «Er ist mein Plädoyer für eine bessere Welt.» Sie handelt sich eine Klage auf Schadenersatz von 10 000 australischen Dollar ein. Der Weld-Engel wird zur Symbolfigur ­gegen Abholzungen der Urwälder. Für die Künstlerin ist er auch Ausdruck einer glücklichen Zeit. Im Wald hatte sie sich in den Aktivisten Ben Morrow verliebt. Doch nur wenige Monate nach ihrer Aktion erkrankte er an Krebs und starb mit 33. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

Seine letzten Worte: «Im Wald werden wir immer verbunden sein.» Allana Beltran kämpft weiter mit Kunst gegen die Zerstörung der alten Wälder – und gewinnt den Gerichtsprozess. Die zahlreichen Kampagnen und Proteste gegen die Abholzungen beginnen zu wirken. 2009 wird die Klage des Holzkonzerns Gunn Ltd. abgeschmettert, mit der er 2004 AktivistInnen zum Schweigen bringen wollte und 6,8 Mil­ lionen Dollar forderte. 2010 stellt er den Holzschlag im Urwald Tasmaniens ein, beutet das gerodete Land dafür aber mit Monokulturen aus. Vom alten Waldbestand ausserhalb der Nationalparks stehen nur noch 20 Prozent. Auch die Bäume, die Allana Beltran mit ihren Sitz­ wachen und als Weld-Engel zu schützen versucht hatte, fielen. Sie sagt: «Geblieben ist ein ma­ gischer Kern uralten Waldes, ungeschützt und doch unerreichbar.»

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Portraits

Der Engel sitzt still vor mächtigen Baumkronen. Mit ihm hat die australische Künstlerin Allana Beltran ein Symbol gegen die Vernichtung der Urwälder geschaffen.


© Mat t hew N ewton

Allana Beltran als Schutzengel tasmanischer Wälder: «Geblieben ist ein magischer Kern».


© 3 5 0.o rg

© 3 5 0.org

© DDa nc er / artforth esky. c om

© 3 5 0.o rg

© Ahm e d Hay man

Portraits «Global Power Shift» ist der Erfolg von 350.org. Die Zahl 350 ist der zulässige Höchstwert für Kohlendioxid.


Co-Gründer von 350org: Jamie Henn, 27

Eine Zahl knackt den Medien-Jackpot Seit fünf Jahren organisiert Jamie Henn Proteste gegen den Klimawandel. Die Gruppe 350.org ist zu einer weltweiten Bewegung geworden, die von einer Million Menschen unterstützt wird.

Von Rita Torcasso — Am 24. Oktober 2009 fand der erste weltweite Aktionstag gegen den Klima­wandel statt – mit 5200 Veranstaltungen in 180 Ländern. «An diesem Tag erfüllte sich der Traum, für den ich mich fast zwei Jahre eingesetzt hatte», sagt Jamie Henn. Als logische Entwicklung bezeichnet er seinen Weg zum «globalen Klimaaktivisten». Während der Highschool arbeitete er als Freiwilliger in Suppen­ küchen; am Middlebury College in Vermont organisierte er mit fünf Freunden Events gegen den Klimawandel. Sein erster grosser Coup, noch als Geschichtsstudent, war der Umwelttag «Step it up» in 50 US-Staaten. Er wollte mehr. 2008 gründet er zusammen mit seinen fünf College-Freunden und dem Umweltjournal­ isten Bill McKlibben 350.org. Die Zahl weist auf die Kohlendioxid-Konzentration von 350 ppm hin. Nur wenn die Konzentration nicht über diesen Wert hinausgehe, könne unser Planet auf der heutigen Entwicklungsstufe weiter bestehen, so das Fazit einer Studie des Klimaexperten James Hansen. Das habe wie eine geistige Bombe gezündet, erzählt Henn. 350 wird zum Signet der Gruppe, die «die Welt aufrütteln will». Er übernimmt Ostasien. «Jeden Tag war ich nun im fensterlosen Büro in San Francisco damit beschäftigt, E-Mails zu versenden und Kampagnenpläne zu machen», so der Online-Aktivist, der auch die Öffentlichkeitsarbeit für 350.org übernimmt. Ein Netz von AktivistInnen beginnt sich um die Welt zu spannen. Nach eineinhalb Jahren sind sie am Ziel: Tausende von Bildern mit Protestaktionen gegen den Klimawandel treffen in San Francisco ein. «Mit einem einzigen Tag hatten wir die Behauptung, die Klimabewegung sei nur etwas für die reichen weissen Menschen in Europa und Nordamerika, ausser Kraft gesetzt», sagt Jamie Henn. 350.org habe den Medien-Jackpot ­geknackt: Das Ereignis beherrschte weltweit Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

die Schlagzeilen. «Für mich war es, als ob jeder einzelne Mensch, der sich beteiligt hatte, die Hand aus den Bildern strecken würde.» Eine halbe Million Dollar Spenden sammelt die Gruppe, um mit den Bildern und 50 Organisatoren von der Südhalbkugel an den Klimagipfel in Kopenhagen zu reisen. Doch einzig 117 der armen und am stärksten betroffenen Länder über­ nahmen das 350-ppm-Ziel. Es waren «die falschen», so Henn. «Doch wir konnten wenigstens jenen Rückendeckung geben, die sich gegen die grossen Mächte auflehnten.» Jamie Henn nennt als eines seiner Interessen das Extremklettern. Ausdauer braucht er, denn 2010 startet 350.org eine globale Arbeits­ party, 2011 folgt der dritte internationale ­Aktionstag, 2012 ein Tag der Folgen des Klimawandels. 20 000 Demonstrationen führte die Bewegung in drei Jahren durch. Er sei kein ­Utopist, sagt der Kommunikationschef, der heute von zwölf AktivistInnen auf allen Konti­ nenten bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt wird. Sein Slogan zum Werbefilm lautet: «350: Denn die Welt muss es wissen!» Ende 2012 wird erstmals in den USA eine Kohlendioxid-Konzentration von 400 ppm gemessen. Die Aktivist­ Innen starten eine neue Protestphase. «Mit ‹Global Power Shift› wollen wir erreichen, dass die internationale Klimabewegung gemeinsam aktiv wird. Denn um unter 350 ppm zu kommen, muss sich die Welt grundlegend verändern.»

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Aktionskünstlerin Cécile Lecomte, 32, Lüneburg, DE

Ein «Eichhörnchen» tanzt den Mächtigen auf der Nase herum

Von David Torcasso — Dutzende von Polizisten sind ratlos. Sie hatten die Strecke nach Rotterdam mit einem Helikopter abgesucht. Der Wärmemonitor ortete nur eine Person – keine Gefahr! Jetzt steht der Zug mit dem radioaktiven Material trotzdem still. In zehn Metern Höhe hängt eine Frau an Seilen vor der Lokomotive: Cécile ­Lecomte. Die Beamten haben keine Kletterausrüstung. Erst nach sechs Stunden schaffen sie es, Lecomte herunterzuholen. Die spektakuläre Aktion ging 2008 durch die Medien und machte die Umweltaktivistin bekannt. «Ich verbinde mit Klettern Spass, Freiheit und Politik», sagt Cécile Lecomte, die von ihren Freunden «Eichhörnchen» genannt wird. Das Thema Atomkraft interessiert die gebürtige Französin, seit sie in Deutschland ein Eras­­musJahr absolvierte. Damals studierte sie Betriebswirtschaftslehre. «Ich begriff, dass es in der Welt nur noch um Wachstum geht. Dabei muss die Wirtschaft dringend schrumpfen, sonst ­fahren wir uns gegen die Wand.» Anstatt Worte lässt Lecomte Taten sprechen: «Mit dem, was ich am besten kann – klettern.» Monatelang wohnt sie in Baumkronen, um gegen Fluglärm zu demonstrieren, legt sich in eine Baggerschaufel beim Protest gegen Stuttgart 21, verhindert mit Abseilaktionen Naziaufmärsche und Castor-Transporte oder ist beim Besteigen eines Wolkenkratzers in Frankfurt «dem ­Kapitalismus auf der Nase herumgetanzt», wie sie sagt. Diese Arbeit sei nicht einfach – doch sie macht weiter. «Die Menschen kritisieren ­andauernd die Gesellschaft, tun aber nichts für ihre Verbesserung.» Dabei könne sich jeder mit seinen ganz speziellen Fähigkeiten für die Umwelt einsetzen. Ihr Kampf für die Umwelt ist oft belastend: Cécile Lecomte verbrachte «bestimmt schon über hundert Stunden» im Gefängnis. Wegen ihrer «Störaktionen» wird sie von der Polizei Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

überwacht und steht praktisch jede Woche vor Gericht. Auf eine Karriere als Lehrerin hat sie verzichtet. Ihr Engagement wurde vom Schulvorstand nicht geduldet: Eines Tages stand die P­olizei im Lehrerzimmer. Den politischen Widerstand lebt die ­«Aktionskletterkünstlerin» mit medienwirksamen Inszenierungen. «Ich möchte die Menschen wachrütteln. Die Medien sind ein Mittel zum Zweck.» Viele schätzen ihren unermüd­ lichen Einsatz und helfen ehrenamtlich. «Freiwillige verteidigen mich vor Gericht oder ­bringen mir Tee, wenn ich in einer Baumkrone sitze», erzählt sie. Der Widerstand lebe davon, wie vielfältig sich Leute engagierten. «Krea­ tivität ist eine gute Waffe!» Cécile Lecomte geht mit gutem Beispiel voran. Wenn sie nicht klettert, recherchiert sie AKW-Baupläne und Hochspannungsleitungen, macht Radiosendungen und Übersetzungen und hält Vorträge sowie Referate über Atompolitik. Damit verdient sie einen Teil ihres Lebensunterhalts. Daneben erhält sie Zuwendungen von der Bewegungsstiftung in Verden, die soziale Projekte für Ökologie und Menschenrechte fördert. Viel zum Leben braucht die Umweltaktivistin nicht. Sie wohnt in Lüneburg in einem ausrangierten Bauwaggon. Oft geht sie «containern»: Aus Protest gegen die Konsumgesellschaft sammelt sie abends vor den Supermärkten weggeworfene Lebensmittel. Den Strom für ihren Laptop, auf dem sie gerade ein Buch über ihre Aktivitäten schreibt, speisen Solarpanels ein.

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Que ll en: www. bewegungss ti ft ung. de

Portraits

Die Umweltaktivistin Cécile Lecomte steigt Wolkenkratzer hoch und bringt Atommülltransporte zum Stillstand. Die französische Ex-Meisterin im Sportklettern setzt sich mit Leib und Seele für politischen Widerstand ein.


© Imke L a ss

Cécile Lecomte kopfüber in ihrem Bauwaggon: «Ich möchte die Menschen wachrütteln.»


Kleine Algen mit grosser Bedeutung: Man findet sie in Süss- und Meerwasser wie auch im Meereis. Diese winzigen Organismen bauen aus Nährstoffen Biomasse auf, Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013 binden dabei Kohlenstoff und setzen Sauerstoff frei.

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© C.Di eckma nn / Quel l e: A l fre d- Wegen er-I nstit ut

Hintergrund

Geheimnisse IM Meereis


Das Meereis in der Arktis schmilzt. Jedes Jahr mehr, immer schneller! Altes Eis, das mehrere sommerliche Auftau­ prozesse u ­ nbeschadet «überlebt» hat, wird zur grossen Mangelware. Kleinstorganismen wie Eisalgen darin sind die wahren Überlebenskünstler dieser Welt. Von Peter Balwin Es beginnt schleichend ab Oktober – jedes Jahr, seit Urzeiten. Die Oberfläche des Meeres um den Nordpol gefriert. Zuerst in windstillen Buchten und Fjorden, dann verwandelt sich das ­Salzwasser des Arktischen Ozeans in Eis. Rasch wächst der eisige Deckel, gewinnt täglich immens an Fläche und an Dicke, bis das Packeis im März seine grösste Ausdehnung erreicht hat und zu Beginn des ­kurzen arktischen Frühlings wieder zu schmelzen beginnt. Nur im Zentrum dieses von Kontinentküsten eingefassten, eisig kalten ­Mittelmeeres trotzt ein grossflächiger Packeis­deckel dem Sommer. Dieses rhythmische Tauen und Gefrieren, das das Nordpolarmeer seit über 45 Millionen Jahren prägt, verlangt denen enorme Anpassungsfähigkeit ab, die ganzjährig in der Arktis leben: Land- und Meerestieren wie Eisbären, Robben, Algen oder Walen genauso wie den Inuit, Dol­ganen, Ewenken, Nenzen, Tschuktschen und anderen indigenen Völkern. Bis zu neun Monate im Jahr ist das eis­­be­ deckte Meer ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags. Deshalb hielten sie diesen ständigen Wechsel in Mythen und Aufzeichnungen fest. In Island lässt sich das Verhalten des Eises über tausend Jahre zurückverfolgen. Die russischen Volksstämme an der Barentssee und am Weissen Meer zeichnen seit 500 Jahren auf, was sich vor ihren Küsten abspielt, die Inuit in Westgrönland und im kanadischen Labrador seit 250 Jahren. Mit der Suche nach dem Nordpol, nach Passagen, Walfanggründen und Ländereien ab dem 16. Jahrhundert nahm nicht nur das kartografische Bild des arktischen Mittelmeers Gestalt an, auch das Meereis rückte erstmals ins Bewusstsein der Mitteleuropäer. «Wenn sich aber die Winde erheben, so toben die Wellen an den Eisfeldern wie an den Steinklippen und zermalmet das Eis die ­Schiffe», hielt der Hamburger Schiffsbarbier Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

Friderich Martens im Jahre 1671 die Tücken eines vereisten Meeres fest. Fast zahllos sind aus ­jener Zeit Schilderungen von Schiffen, die vom Treibeis eingeschlossen, von der Eisdrift tage-, ja monatelang mitgetragen und dann zerdrückt wurden; aber auch von Schiffsmannschaften, die nichts retten konnten ausser dem nackten Leben und vielleicht noch einem Beiboot mit einer Flinte, um sich als Spielball des Treibeises über Presseisrücken und breite Eiskanäle in Richtung Süden durchzuschlagen. Das Schicksal jener Unglücklichen formte das Bild, das sich die euro­päische Gesellschaft ­damals vom ­Packeis im Nordpolarmeer machte: eine unberechenbare Gegend, deren Eismassen Verderben bringen. Im 19. Jahrhundert verdichtete sich das ­wissenschaftliche Interesse am Packeis der Arktis. Schon lange hatten Walfänger, Entdecker und andere Nordlandfahrer von den weiten Eis­ feldern, den Strömungsverhältnissen und den Eigen­heiten aus jener weissen Wüste berichtet. Unerklärliches Strandgut aus Grönland war der Aus­löser für eine der gewagtesten Unternehmungen im Packeis. Suche nach der Eisdrift Als der amerikanische Matrose Louis P. Noros vor dem Start einer Schiffsexpedition ins Packeis seine Polarkleidung beschriftete, kon­nt­ e er nicht ahnen, dass seine Ölhosen ein paar Jahre später als Beweisstück für die Eisdrift ­dienen würden. Drei Jahre waren vergangen seit dem Untergang der «Jeannette» im Juni 1881 bei den Neusibi­rischen Inseln. Die Weltöffentlichkeit hatte den Ausgang von George W. ­DeLongs Entdeckungsreise ins Eismeer längst vergessen – das vom Packeis zermalmte Schiff, den Hungertod der meisten Schiffbrüchigen. Der kurze arktische Herbst von 1884 hatte in Julianehåb (heute: Qaqortoq) im Südwesten Grönlands gerade begonnen, als ein paar Inuit

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zesse rund ums arktische Meereis bis ins Detail erforscht – und faszinierender denn je. Die weisse Wüste lebt! Nur schon das Zufrieren des Nordpolarmeeres ist höchst spannend. Fällt die Temperatur des Oberflächenwassers auf unter minus 1,8 Grad, gefrieren die Süsswasserpartikel im salz­haltigen Meer. Sie bilden winzige Süsswasser-Eiskristalle, die sich in bewegtem Wasser zu Körncheneis, in ruhigerem Wasser zu Säuleneis verdichten. Bald überzieht ein dezimeter­ dicker Eisbrei das Meer. Der nicht gefrierende salzhaltige Anteil des Meerwassers wird zu­ sammengedrängt zu einer stark konzentrierten Salzlauge, die in der Eisschicht kleine Kanälchen bildet. Solche Solekanäle durchziehen das Meereis in einem endlos scheinenden Labyrinth, dessen Volumen über 30 Prozent einer Eis­scholle ausmachen kann. Im Winter sinkt die Temperatur in diesem Hohlraumsystem ­in­nerhalb der Eisschollen bis auf unter minus 20 Grad und die Salzkonzentration erreicht mehr als sechsmal so hohe Werte wie im Meerwasser. Trotzdem sind die Solekanäle voller Leben! Winzigen Organismen gefällt das Dasein in einer derart hoch konzentrierten, stock­ dunklen Salzbrühe. In diesem Extremlebensraum stösst man auf Eisalgen, aber auch auf Viren, Bakterien und Pilze. Sogar ein- und mehrzellige Tiere (Protound Metazoen) bringen Leben in die Solekanäle. Während das Gros dieser Meereisfauna zwischen 100 und 500 Mikrometer klein ist, bringen es die grössten auf drei Millimeter. Ihre Namen klingen extraterrestrisch: Kammer­linge, Ruderfusskrebschen, Plathelminthen, Räder-, Wimpern- und Nesseltierchen, Borstenwürmer etc.

Segelschiff «Jeannette», gesunken 1881: Fragmente wurden über 4600 Kilometer weit m ­ it dem ­Packeis abgetrieben.

© En grav ing b y Geo rge T. And re w a fter a desig n b y M. J. Burns

Hintergrund

am Meeresufer auf Gegenstände stiessen, die sie dem dänischen Gouverneur übergaben: eine Lebensmittelliste mit der Unterschrift DeLongs in einer Proviantkiste und … die Ölhosen des ­Matrosen Noros mit dem eingenähten Namen. Wie war es möglich gewesen, dass Dinge, die eindeutig von der «Jeannette» stammten, rund 4600 Kilometer Luftlinie vom Unglücksort entfernt gefunden wurden? Schwindel, Betrug, meinten die einen. Für andere war es ein Beweis für die Eisdrift im Packeis des Nordpolarmeeres. Zufällig fiel der Blick des norwegischen Polar­ forschers Fridtjof Nansen im Herbst 1884 auf eine Notiz im «Morgenbladet», die von diesen Funden berichtete. Bevor Nansen die Zeitung zugeklappt hatte, war sein Plan gefasst: «Konnte eine Eisscholle quer durch das Unbekannte ­treiben, so musste sich diese ‹Drift› auch im Dien­ ste der Forschung anwenden lassen können», schrieb ­er Jahre später in seinem dreibändigen Expe­ditionsbericht. Nansen liess sich die «Fram» bauen, fuhr zu den Neusibirischen Inseln, wo die «Jeannette» 1881 vom Eis zerquetscht worden war, liess sich im September 1893 ­bewusst im Packeis einschliessen und hoffte auf eine Eisdrift, die ihn und sein Schiff via Nordpol nach Grönland tragen würde. Die «Fram» blieb über tausend Tage im Meereis festgefroren, bevor sie im August 1896 bei Spitzbergen wieder offenes Wasser erreichte. Die Strömung hatte das Schiff jedoch nicht in die Nähe des Nordpols getrieben, sondern im Uhrzeigersinn um den Pol herum – auch dies war damals eine neue Erkenntnis, die mit anderen Forschungsergebnissen der «Fram»-Reise das Wissen über das Packeis revolutionierte. Heute, gut 120 Jahre nach den gewagten Unternehmen von Nansen und vielen anderen Polarforschern, sind die grundlegenden Pro­

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Ein Eddy-System unter dem Meereis: Diese ­Sensoren werden von den Biogeochemikern auf jeder Eisstation installiert.

©M arcel Ni c o laus / Quelle:Alfr ed -W eg en er -I n s t i t ut

Unterseite von stark ­deformiertem Meereis: Die angebrachte Orientie­ rungsmarkierung ist 1 Meter lang.

Lebensraum für solche Winzlinge gibt es genug – allein die Wände der Salzlaugenkanälchen bieten Algen oder Bakterien geradezu an, sich festzusetzen. Forscher haben ausgerechnet, dass jedes Kilogramm Meereis zwischen 0,6 und 4 Quadratmeter solcher eisiger Miniwändchen enthält, an denen sympagische (in Eis ­lebende) Mikroorganismen wachsen. Und dann erst die Unterseite des Packeises: Wahre Algenteppiche überziehen weite Teile. Während auf dem durchschnittlich 1,8 Meter dicken Packeis gelegentlich ein Eisbär vorbei­ tapst oder Ringelrobben ihre Geburtshöhlen im Schnee anfer­tigen, geht es nicht nur im Eis, sondern auch auf dessen Unterseite lebhaft zu und her. Algen­teppiche unter dem Packeis sind wahre Paradiese für Flohkrebse (Amphi­ poden), für junge Polardorsche sowie weitere Mitglieder der Untereis-Lebensgemeinschaft. Sie sind eine wichtige N ­ ahrungsquelle für ­Robben, Seevögel und Wale. Die Lebewesen im und unter dem Meereis spielen eine fundamentale Rolle im Nahrungsnetz der Arktis. Ein weiteres Abschmelzen der polaren Eiskappe wird dieses Gefüge durcheinanderbringen und sich in der Nahrungskette Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

bis zu Eisbär, Robbe, Narwal, Beluga und Grönlandwal auswirken. Wie gross das Algenwachstum in den Solekanälen und an den Schollenunterseiten sein muss, deutet eine Messung in der Framstrasse an. Durch diese Meeresstrasse zwischen Svalbard und Grönland wird strömungsbedingt der grösste Teil des Meereises aus dem Nordpolarmeer abtransportiert – so erklärt sich auch die ständige breite Eiszunge vor der Küste Nordostgrönlands. Meeresforscher berechneten, dass allein durch die Framstrasse jedes Jahr rund 700 000 Tonnen Biomasse in Form von Eisalgen aus dem Polarmeer abdriften. Neues Leben dank Erwärmung Was hier vor Ostgrönland als «Verlust» ­daherkommt, wird andernorts um ein Mehrfaches wieder wettgemacht: Chinesische ­Wissenschaftler haben kürzlich erstmals die Schmelzwas­sertümpel im mehrjährigen Packeis des zentralen Nordpolarmeeres untersucht und dabei einen einzigartigen Lebensraum für Eisalgen entdeckt. Solche Tümpel auf dem Eis bilden sich im arktischen Sommer. Sie können bis zu 80 Prozent des Meereises bedecken

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Hintergrund

120 Jahre nach Nansens Expedition sind die Prozesse rund ums arktische Meereis bis ins Detail erforscht.

und bestehen aus Süss­wasser, weil die Salzlauge nach unten ins Meerwasser ausgeflossen ist. Das wussten schon die Walfangkapitäne des 16. und 17. Jahrhunderts, die hier die Trinkwasservorräte für ihre Fangflotten nachfüllten. Die starke Erwärmung des arktischen Klimas führt dazu, dass das mehrjährige Packeis immer dünner wird und Schmelzwassertümpel häufig zu Eislöchern durchschmelzen. Der Kontakt mit dem Meerwasser darunter bewirkt, dass diese Schmelzlöcher einen viel höheren Nährstoff­ gehalt, also mehr Algenwachstum haben als die Tümpel. Die Produktivität wird damit just in einem Ökosystem mächtig angekurbelt, in dem eine solche zusätzliche Nahrungsquelle will­ kommen ist: unter den horizontweiten Packeisflächen des mehrjährigen Eises. Globale Erwärmung als Spielverderber Doch gerade altes Eis, das mehrere sommerliche Auftauprozesse unbeschadet «überlebt» hat, wird im Nordpolarmeer zur grossen Mangelware. Zu warm ist das Meer geworden – in ­Teilen der Beaufort-, der Laptew- und der Karasee ­waren zum Beispiel die Oberflächentem­ pera­turen im August 2012 über zwei Grad höher als im Durchschnitt der Jahre 1982 bis 2006. Liest man in Lexika noch von einer Ausdehnung des Packeises von über 15 Millionen Quadrat­ kilometern im Winter und sieben Millionen Quadratkilometern im Sommer, ist der Kontrast zur Wirklichkeit im Jahr 2012 frappant. Einer relativ guten maxi­malen Eisausdehnung im März mit 15,24 Millionen Quadratkilometern stand eine extrem verklei­nerte Sommer-Meereisfläche im September g ­ egenüber – bloss noch 3,41 Mil­lio­ nen Quadrat­kilometer! Nie zuvor in der jahrzehntelangen Satellitenüberwachung des Nordpolarmeers ging in einem Sommer derart viel Meereis verloren. Anstatt wie schneebedecktes Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

Packeis gegen 95 Prozent der Wärmestrahlung der Sonne zu reflektieren, nimmt ­offenes ­Wasser solche Strahlung auf – was die Eisschmelze ankurbelt. 2012 wurde die zweitkürzeste Schneebedeckung in der Arktis ­fest­gestellt. ­Zunehmend fehlt dem arktischen Meereis somit jene Schneeschicht, die das Eis bisher dank e­inem hohen Rückstrahlungs­faktor (Albedo) vor zu viel Sonnenlicht geschützt hat. Weil die Schneedecke abnimmt, ist immer mehr Packeis der direkten Sonneneinstrahlung aus­gesetzt. Das Eis schmilzt schneller. Während Sie diesen Beitrag lesen, setzt die grosse Eisschmelze wieder ein. Das Packeis des Nordpolarmeers bricht auf. Wind und Strömung schieben Treibeisschollen vor sich her, die immer schneller schmelzen, je näher der Sommer kommt. In wenigen Monaten werden weite Teile des Nordpolarmeers wieder eisfrei sein und es ist zu befürchten, dass auch dieses Jahr das Packeis grossflächiger und schneller auftaut als in den Jahren davor.

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InFOGRaFIK

Riesen-trawler: Verheerende «Staubsauger der Meere» Von Bruno Heinzer — als Ende der 1970er-Jahre die heringsbestände in der nordsee schwanden, begannen niederländische Unternehmen, die heute in der Pelagic Freezer-trawler association (PFa) organisiert sind, nach neuen Fanggebieten zu suchen. Mit modernen tiefkühlschiffen eröffneten sich neue geografische Möglichkeiten. Die Fangschiffe konnten in früher unzugängliche Gebiete vordringen. Zuerst zog die Fabrikschiffflotte in den nördlichen atlantik hinaus, dann, als ab 1995 auch dort nichts mehr zu holen war, vor die westafrikanische Küste, in die Gewässer Senegals, Guineas, Mauretaniens und Marokkos. Seit 2005 stösst die immer weiter aufgerüstete, 34 gigantische tiefkühlschiffe zählende europäische armada vor die chilenische Küste vor, um ihre riesigen Schleppnetze vollzukriegen. 2012 ist eines der grössten PFa-Schiffe, die ehemalige «FV Margiris», wegen ihres vor Westafrika erworbenen schlechten Rufs kurzerhand in «abel tasman» umgetauft, sogar bis nach australien in die tasmanische See vorgedrungen, um ihr zerstörerisches Werk fortzusetzen. Da ist der geplante grosse Raubzug auf Makrelen auf den entschlossenen Widerstand von Greenpeace, anderen Umweltschützern und lokalen Kleinfischern gestossen und die Behörden haben die «Margiris» während 6 Monaten in australien festgehalten. Diese fast 150 Meter langen Riesentrawler fegen sich mit ihren Schleppnetzen ganze Makrelen- oder heringsschwärme in den Schiffsbauch und sind damit nicht nur eine Bedrohung für diese Fische, sondern auch für alle tiere weiter oben in der nahrungskette, die sich von ihnen ernähren. Wenn sie nicht als Beifang im mehrere hundert Meter langen netz landen, verlieren sie ihre nahrungsgrundlage. Und für die Küstenfischer mit ihren kleinen Booten bleibt auch nichts mehr übrig. Das Problem ist, dass es schlicht nicht mehr genug Fische in den Ozeanen gibt, damit diese «Staubsauger der Meere» ihre Bäuche füllen könnten. Seit 1996 stagnieren die weltweiten Fischfänge, ja sie gehen sogar leicht zurück, obwohl die Fangkapazität der globalen Fischerei in dieser Zeit zugenommen hat. Gemäss der Ernährungs- und landwirtschaftsorganisation (FaO) der UnO sind 80 Prozent der Bestände bis an ihre Grenzen befischt, überfischt oder bereits erschöpft. Riesentrawler sind im Grunde gar nicht mehr rentabel. Es gibt zu viele Schiffe und zu wenig Fisch, um ihre Kapazitäten dauerhaft auszuschöpfen. trotzdem werden sie gegen jeden Gedanken an nachhaltigkeit mit Steuergeld-Millionen künstlich am leben erhalten.


Zahlen Mit bis 600 Meter langen Schleppnetzen können 250 tonnen Fisch pro tag gefangen werden, die im Schiffsbauch sortiert und tiefgefroren werden. Bis zu 6000 tonnen Fisch haben im lagerraum Platz, was den schwimmenden Fabriken wochenlange Fischzüge in abgelegenste Gebiete der Meere erlaubt. Ein Schiff wie die «FV Margiris» tötet an einem tag bis zu 750 000 Makrelen — in einem Monat können es über 20 Millionen sein. Ein Freezer-trawler der PFa-Flotte kann in einem Fischzug soviel Fisch soviel Fisch erbeuten wie 56 traditionelle westafrikanische Fischerpirogen pro Jahr. Soziale Probleme Die vor der Westküste afrikas operierende PFa-Flotte stürzt die lokalen Kleinfischer in Senegal, Mauretanien, Marokko und Guinea in den Ruin. Sie zerstört mit ihrem Fisch zu Dumpingpreisen die lokalen Märkte. In Senegal, wo mehr als die hälfte der Bevölkerung im Fischereisektor beschäftigt ist und der Fischexport die wichtigste Magazin Greenpeace Devisenquelle darst ellt, trifft sie nr. 2 — 2013 den lebensnerv.

Beifang und andere ökologische Folgen allein vor Mauretanien wurden in den letzten 15 Jahren neben Meeressäugern, thun und anderen grossen Raubfischen von den EUSchleppnetzschiffen rund 1500 vom aussterben bedrohte Meeresschildkröten, über 18 000 Rochen und über 60 000 haie als Beifang getötet, darunter bedrohte Mantarochen und hammerhaie. Den Meerestieren droht zusätzliche Gefahr: Die riesigen netze und Verarbeitungsgeräte der tiefkühlfangschiffe können Zielfische wie Makrelen, heringe oder Sardinen lokal derart dezimieren, dass grosse Raubfische wie thunfische, haie und Rochen, aber auch Delfine, Orcas, Robben, Meeresschildkröten und Meeresvögel ihre nahrungsgrundlage verlieren.

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Schiffsbetreiber — rechtliche, wirtschaftliche und politische aspekte Die Pelagic Freezer-trawler association repräsentiert drei holländische Unternehmen (Parlevliet & Van der Plas, Cornelis Vrolijk/ Jaczon und Willem van der Zwan & Zonen). Ihre 34 schwimmenden Fischfabriken operieren mittlerweile unter den Flaggen der niederlande, Grossbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, litauens und Perus. So können sie die Fangquoten der entsprechenden Staaten ausschöpfen, erhalten deren Fischereisubventionen und profitieren auch von laxeren Umweltgesetzen. Vordergründig weist die PFa einen Jahresgewinn von 55 Millionen Euro aus. Zieht man allerdings die direkten und die indirekten EU-Subventionen von über 100 Millionen Euro ab, resultiert unter dem Strich ein jährlicher Verlust von bis zu 50 Millionen Euro. Die PFa ist also weder ökologisch noch wirtschaftlich nachhaltig. Die Plünderungszüge vor afrikas Westküste und im Südpazifik werden mit Steuergeldern der sich so gern mit ihrer ökologischen haltung brüstenden EU aufrechterhalten.


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© SiBylle HeuSSer unD MarcuS MoSer, aterlier oculuS, züricH

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5. Nach wenigen Minuten werden die Blöcke der Anlage e ­ ntnommen und zugeschnitten. 6. Die Blöcke werden maschi­ nell in Kartonschachteln ­verpackt 7. Die vesandbereiten Fisch ­pakete werden in einem r­ iesigen Kühlraum, der 6000 Tonnen Fisch fasst, bis zur Rückkehr in den ­Hafen gestapelt. 8. Mit Hilfe von Sonaranlage und Satellitentechnik wird der nächste grosse Fischschwarm angepeilt.

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© Sibylle heusser und marcus moser, aterlier oculus, Zürich

1. Das lange Schleppnetz wird bis auf das prall mit Fischen gefüllte Ende eingeholt. Der grosse Endsack wird mit einem Kran etwas ange­ hoben und an der dafür vorgesehenen Öffnung ein Saugrohr angebracht. 2. Die Fische werden von einer Druckpumpe in den Schiffsbauch gesaugt und durch Sortierma­ schinen gepumpt. 3. Unerwünschte Fische gehen tot als «Beifang» über Bord. Darunter bedrohte Haie, Meeresschildkröten, Rochen und Delfine. 4. Ein Förderband bringt die ausgewählten Fische in eine Schockgefrieranlage, wo sie zu 20kg-­ Blöcken tiefgefroren werden.


© Yag i St udi o

Effizienz

LED: EIN ­KONZEPT FÜR HELLE

Licht emittierende Dioden brauchen sieben Mal ­weniger Energie als konventionelle Glühlampen. Und die Verbesserungen erfolgen so rasant wie jene von Computern. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Von Roland Falk — Anfänglich, sagt Markus Bührer, 37, in Matzingen TG, seien seine Kunden ­skeptische Zauderer gewesen. «LED ist für mich das Lichtkonzept, das in weiter Zukunft sinnvoll und bestimmend ist, aber diese Überzeugung war nicht leicht u ­ nter die Leute zu bringen.» Bis zu 300 konventionelle, seit ­Ende 2012 in ganz Europa verbotene Glühlampen hätten Besucher des «grössten Lampenshops der Schweiz» gebunkert. Und einige, weiss Bührer, «kommen sich fast wie Klein­kriminelle vor, wenn sie die Dinger jetzt aufbrauchen». Was vor allem dann widersinnig sei, «wenn im Keller noch eine Uralt-Gefriertruhe steht, die das Zigfache der Energie frisst». Rund 2500 Lampen hat Bührer regelmässig ausgestellt, «zwei Drittel sind bereits LED-Modelle». Es gibt Hunderte von Formen, die Bauformen werden zusehends minimiert, die Lichtfarben optimiert, die Vorbehalte schwinden. «Mit­unter kommen sogar Senioren vorbei, die sich im Internet umfassend informiert haben und genau wissen, was sie wollen.» Gefragt ist etwa Cosmo, eine Bodenlampe: Der schmale stehende Ring, auf der Innenseite mit Minileuchten besetzt, mutet an wie der Feuerreifen im Zirkus, durch den früher die Löwen sprangen. «Mehr als die Hälfte der Kundschaft schwört mittlerweile auf LED.» «In zehn Jahren wird es nicht mehr viel anderes geben» Der Spezialist in Matzingen glaubt nicht, dass die Polkappen mit herköm­m­ lichen Lampen schneller geschmolzen wären – schliesslich werden fürs Licht zuhause in der Schweiz jährlich nur etwa 18 Prozent der verbrauchten Energie aufgewendet. Das bedeutet zwar eine Verdoppelung in den vergangenen zehn Jahren, aber «Edison kann nicht für die ganze Umweltmisere verantwortlich ­gemacht werden». Zumal, was meist unterschlagen wird, gar nicht er der eigentliche Erfinder des elektrischen Lichts war: Die erste Birne hatte 25 Jahre vor ihm der Hannoveraner Optiker und Uhrmacher Heinrich Goebel entwickelt, der 1854 durch einen verkohlten Bambusfaden Strom fliessen liess. Die Lampe, die er nur in seinem Laden einsetzte, funktionierte immerhin bereits 200 Stunden. Bührer setzt auf LED, weil es «in zehn Jahren vermutlich nicht mehr viel ­anderes geben wird». Vom Kühlschrank bis zum Auto ist alles damit bestückbar und in vielen Gemeinden wird daran gearbeitet, auch die Strassenbeleuchtung auf das Licht mit Zukunft umzustellen. «In Chur», weiss Bührer, «gibt es bereits Strassenzüge mit Lampen, in denen Bewegungsmelder nur dann Helligkeit ­aus­lösen, wenn jemand vorbeikommt.» Die LED (Licht emittierende Diode) gehört auch zum Arbeitsmaterial von Jürg Nigg, 80, einem Tüftler und «interdisziplinären Denker», dessen Werkstatt hinter der Zürcher Langstrasse anmutet wie das Labor von Daniel Düsentrieb. Überall in seiner Firma Arcotronic stehen Messgeräte, winden sich Drähte, summen Monitore. «Wir stellen alles her, was mit Lichttechnik zu tun hat», sagt Nigg, der « ­ zwischen 70 und 100 Patente» hält für Erfindungen, die in seinem Wirkungsbereich sinnvoll sind. Unter anderem überraschte er 1984 mit der ersten flimmerfreien Energiesparlampe, aber «Grosskonzerne klauten mir die Idee». Und für einen langwierigen Prozess mit denen «fehlten mir die Millionen». LED enthalten weder Füllgase noch Quecksilber Nigg ist wie der Matzinger Lampenspezialist Bührer überzeugt, dass die ­gesetzgebenden Behörden «mit allem ausser LED künftig abfahren möchten». Bis zum Jahr 2015 etwa soll die Sparlampe verboten werden, weil jede unter ­anderem drei Milligramm giftiges Quecksilber enthält. «Ein Irrsinn, denn selbst wenn man alle Lampen im Umlauf aufs Mal kaputthauen würde, kämen nicht viel mehr als zwei, drei Kilo Giftstoff zusammen.» Viel grösser sei da vermutlich Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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©Si emen s AG Pr essebi ld er

Effizienz

Siemens-Parkhaus in Zug: 25 900 LED betonen die Modernität und die ­architektonisch harmonische Struktur des Gebäudes.


Jürg Nigg, 80: Der Zürcher Erfinder, eine Art ­Daniel Düsentrieb, hält «zwischen 70 und 100 Patente» im Lichtbereich. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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©Son ja Ruckstuhl

«die Konzentration aus Amalgam-Zahnfüllungen, die sich um jedes Krema­­ torium messen lässt.» LED-Lampen enthalten weder Füllgase noch Quecksilber. Nigg, der unter anderem Tunnels mit Sicherheitsleuchten versieht, schätzt ihr punktgerichtetes Licht, «mit dem sich nachts alles besser erkennen lässt». Sämtliche Vorteile sind auch für den Tüftler immens: «LED sind fast bruchsicher, funktionieren bis –40 Grad, passen ohne Adapter in jede herkömmliche Fassung, machen beim ­Anknipsen ohne Verzögerung Licht und brauchen rund sieben Mal weniger Energie als eine Glühlampe.» Für LED, bei denen unter Laborbedingungen eine Funktionsdauer von über 30 Jahren eruiert wurde und die eine Lichtausbeute von bis 80 Lumen pro Watt schaffen (Eine 40-Watt-Glühbirne brachte es auf etwa 10 Lumen pro Watt), gilt eine einfache Faustregel: Je kleiner die auf der Packung angegebene Kelvin-Zahl, desto wärmer das Licht. LED gibts in Purweiss (4500 bis 6000 Kelvin), Neutralweiss (3500 bis 4500 Kelvin) und Warmweiss (2650 bis 3500 Kelvin). «Fast jede Birne ist heute dimmbar. Und weil die Wärmeabgabe minim ist, rückt die Feuerwehr auch nicht mehr wegen Bränden von Lampenschirmen aus.» Die Anschaffung einer Birne kostet bis 40 Franken, zahlt sich aber aus: «Selbst nach dem errechneten Alter gibt sie noch 50 Prozent ihres Lichts ab und ist somit nicht kaputt.» Ikea wird bis 2016 das ganze Lampensystem auf LED umstellen, aber Nigg hat einen Vorbehalt für den Einsatz im Privatbereich. «Wieso lässt es sich bei ­Kerzenlicht und vor einem Cheminée schlecht streiten? Beides strahlt ­Infrarot ab, das den Serotoningehalt im Gehirn und somit unsere Stimmungen steuert. Im LED fehlt das.» Markus Bührer wertet das als weniger gravierend. Einer seiner ­Nachbarn, sagt er, habe seinen Hühnerstall bisher mit Neonlicht erhellt, was für ­ständiges Gegacker des Federviehs sorgte. «Kürzlich wurde für die Tiere LED installiert und seither halten sie den Schnabel.» Was für die Hennen gut sei, schliesst er daraus, «ist sicher auch für den Menschen nicht ohne.» Nigg, der autodidaktische Feldforscher, hat nebst der Lichtqualität noch einen andern Einwand gegen LED, das er weitgehend als «Modeerscheinung» wertet: «Die meisten Chips für die Lampen kommen aus China und Taiwan. Wir bewegen uns also in eine Abhängigkeit. Zudem gibt es in LED viele seltene


Effizienz

Erden, die oft von Kindern abgebaut und zunehmend verknappt werden, wenn sich im Westen jeder Lichterketten à discrétion in die Hütte hängt.» Das Stromspar-Argument lässt er zwar gelten, aber andernorts, meint er, liesse sich viel mehr Energieeffizienz bewirken: «Die Trams etwa, die heute vom Zürcher Zoo runter in die Stadt fahren, verbrauchen 500 kW/h, weil sie keinen Strom zurückgewinnen. Das Sparen von Energie für Licht ist dagegen ein ziem­ licher Verhältnisblödsinn.» Trotzdem – die Technologie setzt sich durch: «Etwas Besseres als sie ­zeichnet sich noch nicht ab», sagt der Thurgauer Markus Bührer. In der Industrie, an ­öffentlichen Bauten, ja selbst in klerikalen Bereichen wie der Stiftskirche des Klosters Einsiedeln wird sie verwendet. Überzeugend ist sie auch in den schweizweit bekannten Höllgrotten von Baar, einem Tropfsteinsystem, in dem die Kalk­formationen seit kurzem von 270 LED-Spots angestrahlt werden. Und dieses Jahr waren auch die riesigen Kopflaternen an der Basler Fasnacht mit den fast tag­hellen Lichtern versehen. In der Kunst tut man sich noch schwer mit LED. Der deutsche Lichtkünstler Rainer Kehres etwa braucht jährlich 1000 alte Glühlampen für seine Installa­ tionen und holt sie «aus alten Beständen der DDR». Und der «Luminator», das letzte, mit mehreren hundert konventionellen Birnen gestaltete Werk von Jean Tinguely, das im EuroAirport Basel-Muhlouse-Freiburg steht, ist für Puristen undenkbar mit neuzeit­lichem Licht. Glühlampen gelten vielen Künstlern als sinnstiftendes Material, ­wie der richtige Stein für einen Skulpteur. Für Lichtkünstler wie Gerry Hofstetter ist LED zu schwach Gerry Hofstetter, ein namhafter Schweizer Lichtkünstler, setzt LED vor ­allem ein, «wenn es um etwas Bewegtes, einen schillernden Gag» geht. Sonst ist er mit riesigen, 240 Kilo schweren Tageslichtprojektoren unterwegs, mit denen er 2006 im UNO-Jahr der Wüste die Sphinx und die Pyramiden von Gizeh illuminierte. Und in der Arktis «versöhnte ich die Titanic mit den Eisbergen, indem ich ein Bild in Originalgrösse an einen mächtigen, über 650 Meter langen Block projizierte». Sein Eisbär-Porträt schliesslich, das er fürs UNO-Jahr des Wassers an einen Eisberg in der Antarktis warf – «ungewöhnlich, weil es das Tier dort nicht gibt» –, ging um die Welt. Für all diese Aktionen, so Hofstetter, «wäre LED zu schwach gewesen». Das dürfte sich schnell ändern. «In Sachen LED ist die Entwicklung so ­rasant wie in der Computerwelt», sagt Markus Bührer. Selbst Legionen von Skeptikern könnten sie nicht aufhalten, fügt er an. «Dieses Licht müsste jedem aufgehen.»

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LED-Wissen Gut beleuchtete Räume haben für den Wohn- und Arbeits­ komfort eine enorme Bedeutung. Denn Menschen in unserer Klimaregion verbringen ihre Zeit überwiegend in Häusern. ­Tageslicht respektive gutes Kunstlicht steigert Wohlbefinden und Konzentrationsfähigkeit. Dass optimale Beleuchtung auch effizient sein kann, beweist die LED-Technologie. Wie funktioniert LED? Licht emittierende Dioden (LED) sind Halbleiterelemente, ­deren Funktionsweise man aus der Elektro- und Computertechnik kennt. LED nutzen denselben physikalischen Effekt wie die Solar­ zelle, allerdings in umgekehrter Richtung: Die LED verwandelt Gleichstrom in Licht. Bereits um 1960 wurden die roten LED erfunden und als Leuchtanzeigen in ­Uhren und anderen Geräten eingesetzt. Zehn Jahre später folgten grüne und gelbe LED und erst in den 1990er-Jahren kamen blaue LED auf den Markt. Um das Jahr 2000 gelang es, durch Leuchtstoff­ beschichtung aus den blauen LED weisses Licht in guter Qualität zu erzeugen. Damit war der Grundstein für LED in der Raumbeleuchtung gelegt. Die Energieeffizienz von LED erzielt heute in der praktischen Anwendung mit über 50 Lumenpro Watt effizienzmäs­ sigmindestens das Niveau der Sparlampe. Die besten LED-Lampen erreichen bis zu 100 lm/W. Und die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen: Bis in zehn Jahren wird man mit weissen LED nochmals eine Verdop­pelung oder Verdreifachung der Licht­ausbeute ­erreichen. Die LED-Technik wird die Beleuchtung in den nächsten zehn Jahren revo­lutio­nie­ren, vergleichbar mit dem Ersatz der Schallplatte durch die CD.

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Vorteile von LED

• LED-Lampen werden in ­ enigen Jahren die weniger effiziw enten Sparlampen vollständig ­ersetzen. • Die Preise der LED-Lampen werden dann nicht höher sein als diejenigen von Sparlampen. • Die Lichtqualität von LED ist besser als diejenige von Spar­ lampen und vergleichbar mit Halo­gen­lampen. • LED eignet sich sowohl als ­Ersatz für Glühlampen wie auch als Ersatz für Halogenspotlampen. • LED-Lampen enthalten im ­Gegensatz zu Sparlampen kein giftiges Quecksilber. • Die Entwicklung von LED ist noch nicht abgeschlossen. In ­einigen Jahren wird die E ­ ffizienz mindestens doppelt so hoch sein wie bei heutigen ­Sparlampen. • Der ­Einsatz von nicht dimmbaren LED-Lampen ist unpro­ blematisch.

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Nachteile von LED Derzeit stammen leider 97 Prozent der für LED notwendigen Metalle, der seltenen Erden, aus China. Diese Metalle sind nicht endlos verfügbar und kommen in vielen elektronischen Geräten wie Energiesparlampen, TV, LCD und Plasmabildschirmen, Akkus, Brennstoffzellen, Autokatalysatoren, Russpartikelfiltern, Röntgenappara­ ten, Lasern, Glasfaserkabeln, M ­ agneten, Elektromotoren, Flugzeugmotoren, Atomreaktoren und Handys vor. Der Abbau von seltenen Erden ist enorm kostenintensiv. Mittels Säuren werden die Metalle aus den Bohrlöchern gewaschen. Der dabei vergiftete Schlamm bleibt oft zurück und ­belastet die Umwelt erheblich. Am Ende einer (hoffentlich) langen Lebensdauer sind LED-Lampen Elektroschrott und müssen fachgerecht entsorgt werden. • Aufpassen muss man beim Kauf von dimmbaren LED-Lampen, denn einige der heute üblichen Dimmer funktionieren nicht mit LED-Lampen. • Vorsichtig muss man auch beim Kauf von LED-Lampen für 12-Volt-Transformatoren sein, denn e ­ inige der heute üblichen Trafos f­ unktionieren nicht mit LED-Lampen.


Effizienz

Biologische Wirkung des Lichts Neben Assoziationen spielen bei der Wahrnehmung auch bio­­­ logische Wirkungen des Lichts eine wichtige Rolle. Die Wirkungskette des Lichts folgt separaten Nerven­verbindungen, welche von der Netzhaut zum zentralen Steuer­ organ der Körperfunktionen ­(Hypophyse) führen. Darüber werden Stoffwechsel und Hormonhaushalt beeinflusst. Der Rhythmus wird vorwiegend durch das Tageslicht bestimmt. Gutes Licht fördert das Konzentrationsver­mögen, ­verbessert die Motivation und verhindert vorzeitige Ermüdung. ­Dadurch steigt die Leistungsfähigkeit sogar bei Tätigkeiten, die ­wenig oder nicht sehabhängig sind, wie z. B. Denkvorgängen. D ­ iese Wirkung wird vor allem durch das seitlich ins Auge einfallende Licht ausgelöst. Deshalb ist es in Arbeitsräumen wichtig, nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch deren Umfeld gut zu beleuchten. Beleuchtungsstärken unter 500 Lux sind ungenügend. Tageslicht lässt sich nicht v­ollständig durch künstliche Beleuchtung ersetzen.

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Vom Glühlampenverbot und der ­Umsetzung effizienter Beleuchtung wie LED 2009 bis 2012: Umsetzung des Glühlampenverbots Nur noch der Verkauf von Lampen der Effizienzklassen A bis D waren erlaubt, die Klassen F und G wurden verboten. Ende 2011 wurde dieser erste Schritt praktisch vollzogen. Von Gesetzes wegen war das Outphasing der ­Glühlampen bis September 2012 vorge­sehen. Dieser erste Schritt des Glühlampenverbots brachte eine Stromeinsparung gegenüber 2006 von rund 300 GWh/a, wenn man den kleinen Rest an Glühlampen von 2012 dazunimmt. Die Stromeinsparung bezogen auf den Schweizer Gesamtverbrauch beträgt rund 0,5 Prozent gegenüber jenem von 2006. Bis 2016: Umsetzung des Glühlampenverbots Nur noch der Verkauf von Lampen der Klassen A und B ist ­erlaubt, das sind die Spar- und LED-Lampen sowie einige wenige Halogenlampen. Die Klassen C bis G sind verboten. Die Einsparung beträgt 950 GWh/a gegenüber dem Verbrauch von 2012. Diese Ein­ sparung ist aber nur möglich, wenn auch die Spotlampen einbezogen werden, was mit Stand 2011 zwar geplant, aber erst teilweise vollzogen ist.

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Nach 2016: Steigerung der Effizienz der Leuchtmittel der Klasse A um 30 Prozent Diese Steigerung ist mit LEDTechnik möglich. Sinnvoll wäre die Definierung einer Klasse A+ und evtl. auch A++. Es könnten weitere 300 GWh/a eingespart werden. Damit scheint aber das Potenzial der Verbrauchsreduktion mit ­technologischen Mitteln in den Haushalten erreicht. Alle Informationen zum Thema Licht und LED stammen aus dem Fachbuch «Licht im Haus» von Stefan Gasser und Daniel Tschudy. Downloaden unter: www.elight.ch/weiterbildung.html


Die Energiewende ist günstig Nach dem Reaktorunglück von ­Fukushima hat der Bundesrat den Ausstieg aus der Atomenergie ­beschlossen. Die Frage stellt sich, was das kostet. Die Umwelt­organisationen sagen: Die Energiewende mit Verzicht auf Atomstrom ist die günstigste Variante.

Energiewende

Von Heini Lüthi — Ende Januar schlug der Wirtschaftsverband Economiesuisse Alarm: Mit der Umsetzung der bundesrätlichen Energiestrategie 2050 drohten der Schweiz Ein­bussen von bis zu 25 Prozent des Bruttoinlandprodukts und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit um bis zu 3,5 Prozent. Die Reaktionen kamen umgehend: Bastien Girod, Vizeprä­si­ dent der Grünen und ETH-Umweltwissenschafter, konterte in einem Interview mit dem Tages-An­ zeiger: «Diese Prognose wird mit Sicherheit nicht eintreffen.» ­Georg Klingler, Energieexperte bei Greenpeace Schweiz, erklärte, weshalb: «In der Studie wird ­berechnet, wie die Welt im Jahr 2000 auf eine massive CO2-Abgabe reagiert hätte. Technologische und ökonomische Ent­wicklungen werden dafür eingefroren, die tatsächlichen Lernkurven der Jahre 2000 bis 2012 und der kom­menden Jahrzehnte ausgeblendet.» So zeigt für ihn bereits ein Blick auf die Entwicklung der ­Solarenergie, dass Strom aus ­dieser Quelle heute nur noch ein Viertel so teuer ist wie im Jahr 2000, und die Preise sinken ständig weiter. Für Georg Klingler sind diese Aussagen von Economiesuisse deshalb «unsinnig» und er vermutet, dass Economiesuisse offenbar die Energiewende schlechtrechnet, um sie «mit allen Mitteln zu torpedieren». Auch der ­Tages-Anzeiger schrieb, dass die «Fragestellung (der Studie) so Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

gewählt war, dass möglichst ­ ramatische Schlüsse gezogen d ­werden konnten». Kosten für erneuerbare Energien werden sinken Anders die Stimmung in der Öffentlichkeit: Als im vergangenen September Bundesrätin Doris Leuthard, Vorsteherin des Energiedepartements (UVEK), öffentlich erklärte, dass die Schweizer Stromkundinnen und -kunden in Zukunft mehr für den Strom ­bezahlen müssten, blieb die Aufregung aus. Auch nach der Economie­suisse-«Enthüllung» war von öffent­licher Empörung über zu hohe Preise oder Angst vor einem wirtschaftlichen ­Absturz der Schweiz nichts zu spüren. Vielleicht ist es einfach so, dass die Menschen in der Schweiz ähnlich denken wie in Deutschland: Dort hat im Dezember 2012 eine repräsentative Umfrage ­ergeben, dass über zwei Drittel der Deutschen die Energiewende als Investitionsprogramm für eine bessere Energieversorgung betrachten und dafür auch höhere Anfangskosten in Kauf nehmen. Klar ist, die Energie­wende ist nicht gratis zu haben. Genauer gesagt: Energie wird aller Wahrscheinlichkeit nach in Zukunft teurer werden, ganz unabhängig davon, wie sie produziert wird. Doris Leuthard sprach im September von «Mehrkosten von 20 bis 30 Prozent» für die Haushalte.

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Was bedeutet dies? Laut Bundesamt für Energie (BfE) gibt ein Haushalt in der Schweiz heute durchschnittlich knapp 900 Franken pro Jahr für Strom aus. Eine Erhöhung um 20 bis 30 Prozent bedeutet somit 180 bis 270 Franken pro Jahr oder 15 beziehungsweise 22,5 Franken pro Monat. Greenpeace hingegen hält die Schätzungen des UVEK für zu hoch und ist überzeugt, dass die Förderung der erneuerbaren Energien ab 2030 nur etwa 2,5 Rappen pro Kilowattstunde zusätzlich kostet. Bundesrätin Leuthard hat bei der Präsentation vom September ebenfalls darauf hingewiesen, dass auch mit der Beibehaltung der bisherigen Strategie beziehungsweise dem Bau von neuen AKW die Stromkosten deutlich steigen würden: Einerseits ist voraus­ zusehen, dass die Kosten für den Brennstoff Uran wegen der ab­ nehmenden Reserven und dem aufwändigeren Abbau tenden­ ziell eher steigen werden. Zudem sind die Kosten für den Rückbau der AKW und die Entsorgung der atomaren Abfälle nicht voll gedeckt und werden somit künftigen Generationen aufgebürdet. Die Kosten für einen schweren AKWUnfall sind sogar nur zu einem sehr kleinen Teil gedeckt und können auch gar nicht korrekt versichert werden: Schätzungen gehen für einen Super-Gau in der Schweiz von einem Schaden von 500 bis 5000 Milliarden Franken aus. Ganz zu schweigen von den sozialen


und ökologisch katastrophalen Folgen des Uranabbaus oder der Entsorgung in anderen Ländern. Die Kosten für erneuerbare Energien hingegen werden zweifellos mit der technischen Entwicklung sinken. Zudem senken bes­ sere Isolationen der Gebäude die Heizkosten – und ein Schwerpunkt

der Energiewende ist die Fördeder Schweiz, wovon viele Betriebe rung von Gebäudesanierungen zur sowie Arbeitnehmerinnen und besseren Isolation. Arbeitnehmer profitieren. Nicht zu vergessen ist ein Aspekt, der bei der ganzen Diskussion meist nur am Rand erwähnt wird: Der Ausbau der erneuerbaren Energien schafft neue Ar­ beitsplätze und Wertschöpfung in

Energiewende

Weshalb die Behauptungen gegen die ­Energiewende nicht stichhaltig sind Behauptung

Gegenargumente

Versorgungssicherheit Die Stromproduktion aus ­erneuerbaren Energien schwankt stark je nach Tagesund Jahreszeit und nach Wetter. Deshalb braucht es weiterhin konventionelle Kraftwerke.

Die Produktion von Wind- und Solarstrom schwankt tatsächlich – so stark, dass in Zukunft zu bestimmten Zeiten andere Pro­ duktionsarten ein­springen müssen. Doch das ist für die Schweiz kein Problem: Die bestehenden Wasserkraftwerke können den gesamten Schweizer Strombedarf über mehrere Tage und ­Wochen komplett abdecken. Auch Biomasse und Geothermie können einen Beitrag dazu leisten. Länger­fristig können dank der bestehenden Wasserkraftwerke sowie neuer Netz- und Speichertechnologien auch saisonale Schwankungen zu jeder Zeit aus­ geglichen ­werden. Damit wird die Stromversorgung sogar sicherer.

Kosten Höhere Strom­kosten treffen die ärmeren Haushalte ­stärker als die reicheren.

Das ist richtig. Das Bundesamt für Energie schreibt über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen bis 2050: «Die ärmeren Haushalte und R ­ entner werden tendenziell stärker belastet.» Es beziffert die Mehrkosten allerdings auf maximal 0,5 Prozent. Zudem: Sozialpolitik kann nicht über den Strompreis gemacht werden, Kompensationsmassnahmen müssten ausserhalb dieses Systems entwickelt werden. Im Übrigen ­belastet eine Strom­ produktion, die ihre externen Kosten nicht voll trägt, arme Haushalte ebenfalls überproportional.

Stromkompensation Wenn die AKW abgeschaltet werden, brauchen wir ­Gaskraftwerke, um die entstehende Ausfälle zu kompensieren.

Diese Argumentation etwa des Bundes (UVEK) rechnet für die ­erneuerbaren Energien mit zu hohen Stromkosten und blendet die Folgekosten der klimaschädlichen Gaskraftwerke aus. Die Umweltorgani­sa­tionen schätzen, dass der deutlich raschere Ausbau vor allem der ­Fotovoltaik zu einem Preis von 1 oder 2 Kino­ eintritten pro Jahr und Haushalt realisiert werden kann. Und mindestens 70 Prozent der Investitionen in die Fotovol­taik bleiben in den Regionen – eine sinnvolle Investition.

Zukunftsenergie Die Schweiz ist weder ein Sonnen- noch ein Windland.

Die Sonneneinstrahlung ist besonders in höheren Lagen wie den Alpen oder dem Jura ähnlich hoch wie in südeuropäischen ­Ländern. Und auch ausserhalb nationaler Schutzgebiete gibt es Gegenden, in denen für Windenergieanlagen attraktive Ve­ hältnisse herrschen.

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DIE KaRtE

Geo-Engineering Ein halbes Jahrhundert Experimentieren mit dem System Erde Geo-Engineering ist die grossmassstäbliche Manipulation von Erd- oder Klimasystemen. Die Karte auf der folgenden Doppelseite soll die Bandbreite von Forschung und Experimenten auf diesem Gebiet darstellen. Die Informationen sind nicht vollständig: Es haben bedeutende Experimente stattgefunden, über die keine Berichte vorliegen, und es sind Versuche aufgegeben worden, über die bereits berichtet wurde. Im Übrigen sind gewisse Projekte zur Wetterkontrolle und Boden-Initiativen mit Biokohle nur für den lokalen Gebrauch gedacht. Wetterbeeinflussung Mehr niederschläge: Wolkenimpfen mit SilberiodidPartikeln oder anderen Chemikalien zum herbeiführen von Regen oder Schneefall. Weniger niederschläge: Wasser- und wolkenbasierende Methoden zur Verminderung von Regen, zum Entschärfen von hagelstürmen und Wirbelstürmen, sowie zur nebelauflösung. landbasierende techniken Kohlendioxidrückhaltung zur Entfernung von atmosphärischem CO2 Biokohle: landwirtschaftliche abfälle, Pflanzen und/oder Bäume werden sauerstoffarm verbrannt. Die so hergestellte Biokohle wird der Erde beigemischt, um CO2 zu binden. CO2-abscheidung und Speicherung (CCS): Prozesse zum abscheiden von CO2 an der Quelle und zur späteren Speicherung in der Erde (fällt nicht unter die provisorische CBDDefinition des Geo-Engineering).

Bio-Energie mit CO2abscheidung und Speicherung (BECCS): CCS angewandt auf Kraftwerke, die Biomasse verbrennen; theoretisch ergibt dies eine nettoverminderung von CO2 in der atmosphäre. SonneneinstrahlungsManagement (SRM) Stratosphärische aerosole (Wolkenweissung) erhöhen die Reflektivität der Wolken und wirken wie «Raumspiegel», welche die Sonnenstrahlen zurückwerfen. Wasserbasierende techniken Meeresdüngung+: Das Wachstum der CO2 absorbierenden algen wird durch gezielte Düngung des Oberflächenwassers mit Eisen oder Stickstoff stimuliert; es gibt auch andere techniken, mit denen die Meerchemie zum Zweck zusätzlicher CO2-abscheidung verändert werden kann. algenprojekte: Industrielle Züchtung von algen, die CO2

binden und um — wenigstens theoretisch — neue Biobrennstoffe herzustellen. anderes Wichtige Forschungs- und Strategieinstitute im Bereich Geo-Engineering (ohne tests): Bemerkenswerte Initiativen, die in keine der obgenannten Kategorien passen (z.B. Enhanced Weathering, die nutzung von Verwitterungsprozessen zur Entfernung von CO2 aus der atmosphäre).


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DIE Karte

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Geo-Engineering Hotspots Länder mit einem gewissen Mass an Geo-Engineering Länder, aus denen keine ­Meldungen über Geo-Engineering vorliegen

Richtungsweisende Ereignisse im Geo-Engineering 1. Indien: Projekt GROMET (1967), Wetterbeeinflussung ­(Regenmachen) durch die USA, zur Beendigung der Hungersnot in Bihar 2. Vietnam: US-Operation ­Popeye, Wetter-Kriegsführung in der Absicht, den Gütertransport lahmzulegen und die Ernte zu ertränken (1967—1972) Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

3. New York, USA: UNO-ENMOD- Konvention verbietet Wetter-Kriegsführung (1978) 4. Südmeer: Ein Jahr nach dem 11 Erdgipfel in Rio führen die USA einen ersten grossangelegten Meerdüngungstest durch (1993) 5. Kalifornien, USA: NASA und Carnegie-Institut laden zu einem Experten-Workshop für Solarstrahlungs-Management (SRM) ein 6. London, GB: Ankündigung der Virgin Earth Challenge für Treibhausgasabbau

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7. Pazifik, unweit der Galapagos- Inseln: Eisendüngungsprojekt der US-Firma Planktos auf Tausenden von Quadratkilometern Ozean wird von Ecuador gestoppt (2007) 8. Sulu-Meer: Die Philippinen stoppen das Urea-Düngungsprojekt einer australischen Firma zur Beschleunigung des Algenwachstums (2008) 9. Bonn, Deutschland: CBD (Biodiversitäts-Abkommen) verabschiedet Moratorium für Meerdüngung (2008)

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10. Seattle, Washington, USA: Bill Gates finanziert Forschung auf dem Gebiet des Geo-Engineering (2008—2012) 11. Scotia Sea: Lohafex-Experiment missachtet CBD-Moratorium für Meerdüngung (2009) 12. London, GB: Royal Society veröffentlicht einen grossen Bericht über Geo-Engineering und ­fordert mehr Forschung (2009) 13. Washington, DC, London, GB: Gemeinsame Anhörungen im US-Kongress und GB-Parlament zur Regulierung desGreenpeace Geo-EngineeMagazin ring (2010)Nr. 2 — 2013

14. London, GB: Londoner Kon­ vention/Zusatzprotokoll verbietet Forschung zur kommerziellen Meeresdüngung (2010) 15. Asilomar, USA: 175 Wissenschafter erarbeiten «freiwillige Richtlinien» zur Geo-Enginee­ ring-Forschung (2010) 16. Nagoya, Japan: CBD verabschiedet ein Moratorium für ­Geo-Engineering (2010) 17. Lima, Peru: IPCC beruft ­Expertentreffen zum Geo-Engineering ein (2011) 18. Brüssel, Belgien: Europa­ parlament verabschiedet Resolu-

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tion zu Rio+20 und spricht sich dabei gegen Geo-Engineering aus (2011) 19. Ecuador: Pujili-Gemeinden verklagen den grössten Exporteur von Gefriergemüse wegen W ­ olkenimpfung zur Niederschlagsverminderung (2011) 20. Sculthorpe, GB: SRM-Ex­ periment («Spice») auf Eis gelegt (2011) 21. Berlin, Deutschland: Regierung und Bundestag veröffentlichen Studien zum Geo-Engineering (2011—2012)

Que ll e: ETC group. org

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Mit Schwefelraketen und Weltraumspiegeln gegen den Klimakollaps

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Š c liMate ce ntral

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Die internationalen Klimaverhandlungen kommen nicht vom Fleck und immer lauter wird der Ruf nach technischen Eingriffen, um die Erderwärmung aufzuhalten. heute beschäftigen sich deshalb nicht nur Universitäten und think-tanks, sondern auch Regierungen und Un-Gremien mit dem Geo-Engineering. Ideen gibt es viele, aber bezüglich Wirkung und Risiken tappt man noch weitgehend im Dunkeln. Von Samuel Schlaefli

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Wirtschaftlicher wäre die direkte Absorption von CO2 bei grossen Emittenten. Wie zum Beispiel bei Kohlekraftwerken, wo die Konzentrationen Künstliche Bäume als CO2-Staubsauger im Vergleich zur Umgebungsluft 300 Mal höher Pflanzen absorbieren über die Fotosynsind. Damit wäre das Problem der Lagerung jethese kontinuierlich Kohlendioxid aus der Atmodoch nicht gelöst. Zu den viel diskutierten Risiken sphäre. Leider brauchen sie dafür enorm viel gehören die Sicherheit im Fall von Erdbeben, Zeit. Klaus Lackner von der Columbia University die Versauerung von Grundwasser und mögliche will diesen Prozess nicht nur imitieren, sondern Lecks bei Lagerstätten. Einsprachen von Anauch beschleunigen. Seine künstlichen Bäume wohnerinnen und Anwohnern potenzieller Lagersaugen Luft an, filtern diese und wandeln das standorte sind deshalb wahrscheinlich. In CO2 in Natriumbicarbonat um. Dieses wird verdich- Deutschland haben heftige Proteste in ersten Testtet und soll danach als Gas in porösem Gestein gebieten de facto zum Stopp der weiteren im Erdboden oder in der Tiefsee gelagert werden. Forschung geführt. Eine Tonne CO2 sollen solche «Bäume» einst täglich absorbieren. Das ist tausendmal mehr, als ihre natürlichen Vorbilder schaffen. 100 000 «Bäume» auf einer Fläche von 600 Hektaren könnten laut einer englischen Studie die CO2-Emissionen des gesamten Vereinigten Königreichs (ohne StromPlanktonfütterung mit unabsehbaren produktion) aufnehmen. Obwohl DemonstrationsFolgen für Ozeane projekte noch fehlen, bestehen kaum Zweifel, dass die Technologie funktioniert. Doch weil die «Gebt mir einen halben Tanker gefüllt mit CO2-Konzentration in der Atmosphäre lediglich Eisen, und ich gebe euch eine neue Eiszeit», prahlte der US-Ozeanograf John Martin in den 80er-Jahren 0,04 Prozent beträgt, ist die Effizienz begrenzt und die CO2-Absorption im Vergleich mit anderen und propagierte erstmals die Eisendüngung der Verfahren teuer. Schätzungen gehen von mehreOzeane. Sein Vorschlag beruhte auf der Fotosynren hundert Euro pro Tonne CO2 aus. Zugleich these von Phytoplankton, das an der Meeresbenötigen das chemische Verfahren und die Ver- oberfläche schwebt. Dieses wandelt Kohlendioxid dichtung des Gases grosse Mengen an Energie – und Sonnenlicht in Biomasse um und gibt anlaut Studien so viel, dass bei einem Energiemix, schliessend Sauerstoff ab. Damit ist Plankton für wie er heute zum Beispiel in Deutschland verrund die Hälfte des weltweit jährlich von Pflanzen wendet wird, bis zur Hälfte des absorbierten CO2 absorbierten Kohlendioxids verantwortlich und wieder emittiert würde. das Meer die grösste Kohlenstoffsenke unseres

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Wissen

­ laneten. Das wollen sich Martin und andere P ­Geoingenieure zunutze machen: Durch Düngung mit Nährstoffen wie Eisen, Stickstoff und Phosphor kann das Planktonwachstum künstlich angeregt und zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre absorbiert werden. Plankton stirbt nämlich bereits nach wenigen Tagen ab. Ein Teil des absinkenden Kohlenstoffs wird von Bakterien umgesetzt und dient als Nahrung für Kleinlebewesen. Der Rest fällt in Form von Biomasse auf den Meeresgrund, wo der Kohlenstoff dem natürlichen Kreislauf für bis zu tausend Jahren entzogen ist. Die Ozeandüngung gehört heute zu den ­besterprobten Ideen des Geo-Engineering. Seit 1993 wurde sie in 13 Freilandexperimenten im Südozean und im Nordwestpazifik getestet. Das grösste Experiment (LOHAFEX) umfasste die Düngung einer Fläche von 300 Quadratkilometern mit 10 000 Kilogramm Eisensulfat. Doch die ­anfängliche Euphorie über das Potenzial der ­Methode ist in den vergangenen Jahren verflogen. Die theoretischen Annahmen zur Effektivität konnten in den Experimenten nicht reproduziert werden. Zwar bildeten sich meist grossflächige Algenblüten, doch sank das Plankton nicht wie gewünscht ab. Ein nennenswerter Nettoexport von CO2 in die Tiefe wurde laut einer Übersichtsstudie des Umweltbundesamtes für Mensch und Umwelt Dessau-Roßlau/D in keinem der bisherigen Ex­ perimente nachgewiesen. Der anfänglich gebundene Kohlenstoff wurde bis zu 80 Prozent wieder in die Atmosphäre freigesetzt. Weiter beobach­ teten Forscher eine verstärkte Blüte von Kieselalgen, die ein starkes Nervengift produzieren, ­sowie einen Sauerstoffmangel in tieferen Meeresschichten. Kritiker befürchten deshalb weitreichende Konsequenzen für die maritimen Ökosysteme und unkalkulier­bare Folgen für die gesamte Nahrungskette bis zum Menschen. De facto besteht seit Mai 2008 ein Mora­ torium für die Ozeandüngung, das von 192 Staaten im Rahmen der Convention on Biological Diversity (CBD) beschlossen wurde. Trotzdem unternahm der amerikanische Unternehmer Russ George im Juli 2012 auf eigene Faust ein Experiment vor der Küste Kanadas und kippte 100 Tonnen Eisensulfat in den Pazifik. Satellitenbilder zeigten ­anschliessend ein stark erhöhtes Algenwachstum in einem Gebiet von über 10 000 Quadratkilo­ metern. Nach eigenen Aussagen wollte George die indigene Bevölkerung des Inselarchipels Haida Gwaii bei der Regeneration der Lachsbestände Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

unterstützen. Er hatte jedoch bereits früher mit dem Unternehmen Planktos Inc. auf sich aufmerksam gemacht, das die Ozeandüngung über ­international handelbare CO2-Kompensationszertifikate kommerzialisieren wollte. Umweltverbände und Anwälte nannten den Versuch vor Kanada eine «krasse Verletzung» zweier internationaler Moratorien.

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Star Wars gegen den Klimawandel Die wissenschaftlichen Publikationen des US-Astronomen Roger Angel bieten Stoff für Kontroversen — und Science-Fiction-Romane: Angel will zehn Billionen transparente Siliziumscheiben 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt im All platzieren. Die so produzierte 100 000 Kilometer lange Wolke aus Reflektoren würde zwei Prozent des Sonnenlichts reflektieren, das normalerweise auf die Erde trifft. Dafür soll über 30 Jahre jede Minute ein Bündel mit einer Million Reflektoren ins All geschossen werden. Technisch wäre das laut Angel in 25 Jahren möglich. Geschätzte Kosten: 100 Milliarden Dollar jährlich. Ähnlich denkt das US-Forscherteam um Lowell Wood, das mit dem Vorschlag kam, eine Art riesiges Sonnensegel zwischen Sonne und Erde zu spannen. Berech­ nungen zeigen jedoch, dass für eine Reduktion der Sonnenstrahlung um zwei Prozent ein Sonnenschild von zirka drei Millionen Quadratkilometern nötig wäre. Weltallbasierte Methoden sind noch rein theoretischer Natur und die Unsicherheiten bezüglich Kosten, Effektivität, zeitlicher Um­ setzung und Risiken immens, wie auch die Royal Society in ihrem Bericht vermerkt.

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Die Wolkenmacher Wolken spannen sich wie Sonnenschirme über unsere Erdkugel. Sie bestehen aus Millionen kleinster Wassertropfen, und je mehr Tropfen eine Wolke enthält, desto grösser ist ihre Albedo, das heisst das Rückstrahlvermögen von Son­ nenlicht ins Weltall. Damit Wasserdampf zu Wol-

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ken kondensieren kann, braucht es sogenannte Kondensationskerne. Das können Sandkörner, Staub oder Meersalzkristalle sein. Durch Versprühen von Meerwasser über den Ozeanen in tiefe Wolkenschichten könnte deshalb das Wolkenwachstum angeregt und die Erdoberfläche zusätzlich gekühlt werden. Laut Schätzungen des ­britischen Physikers John Latham könnte die Erdtemperatur so selbst bei einer Verdopplung der heutigen CO2-Konzentration stabil gehalten werden. Dafür sollen laut Latham 1500 unbemannte Schiffe mit entsprechender Sprühvorrichtung in den Ozeanen kreisen. Eine Forschergruppe in San Francisco präsentierte unter dem Namen «Silver Lining Project» Pläne für ein solches Schiff. Es soll Meerwasser in eine Höhe von einem Kilometer sprühen und dafür zehn Tonnen Wasser pro Sekunde ansaugen. Laborbasierte Machbarkeitsstudien wurden unter anderem von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt. Noch ist aber weitgehend ungewiss, welche Auswirkungen die grossflächige Wolkenproduktion auf Windsysteme, Meeresströmungen, Niederschläge und Meeresorganismen hätte.

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Der Schuss ins Blaue: Mit Schwefelraketen gegen die Erderwärmung Es war ein klimatologisches Jahrhundertereignis: Auf den Philippinen spie der Vulkan Pinatubo 1991 innert kürzester Zeit rund 17 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre und umgab die Erdkugel mit einem grauen Schleier. In der ­Stratosphäre, der Atmosphärenschicht ­zwischen 18 und 50 Kilometern über der Erde, bildeten sich in der Folge sogenannte Aerosole. Das sind ­Gasgemische mit fein verteilten Partikeln, die wie Milliarden von kleinsten Sonnenreflektoren ­wirken. Die Abschirmung der Sonnenstrahlung führte zu einem weltweiten Temperaturrückgang von einem halben Grad über einen Zeitraum von zwei Jahren. Wären die Aerosole nicht wieder aus der Stratosphäre ausgefallen, hätte sich die Erde wahrscheinlich längerfristig um mehrere Grad ­abgekühlt. Deshalb schlug der Chemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen 2006 in einem viel beachteten wissenschaftlichen Essay vor, den beim Pinatubo-Ausbruch beobachteten Effekt für Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

die künstliche Klimakühlung zu nutzen. Mit Tausenden von Ballonen oder Raketen könnte tonnenweise Schwefel in die Stratosphäre gebracht ­werden, so seine Idee, die gleichzeitig Ausdruck seiner Frustration über die Stagnation der Klimaschutzverhandlungen war. Die britische Royal ­Society kam in einem der meistzitierten Berichte zu Technologien des Geo-Engineering 2009 zum Schluss, dass die Aerosolbildung in der Stratosphäre, ähnlich wie von Crutzen vorgeschlagen, punkto Wirkung, Kosten, Risiken und einer raschen Umsetzung am meisten Erfolg verspricht. Doch neben grundsätzlichen ethischen ­Bedenken gegenüber dem Schwefelbeschuss der Stratosphäre ist die Wirkung umstritten: ChemieKlima-Modellierungen haben gezeigt, dass der Pinatubo-Ausbruch nur bedingt als Modell taugt. Führt man der Stratosphäre nämlich über Monate oder Jahre Schwefel zu — mit Raketen, Ballonen oder Flugzeugen — koagulieren die einzelnen Partikel zu grösseren Aerosolen, bis diese in tiefere Atmosphäreschichten fallen, wo ihre Wirkung verpufft. Anstelle der von Crutzen geschätzten zwei Megatonnen Schwefeldioxid pro Jahr wäre für eine wirkungsvolle Kühlung rund die zehnfache Menge nötig. Das würde mit grosser Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden Verschiebungen im Klimasystem führen. In Studien wurden ausbleibende lokale Niederschläge und verminderte Wassermengen in Flüssen als Folgen des Pina­ tubo-Ausbruchs nachgewiesen — meist mit starken regionalen Unterschieden.

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«Geo-Engineering würde unsere Beziehung zur Natur komplett v­erändern»

Geo-Engineering ist kein neues Phänomen. Seit über hundert Jahren ­versuchen Meteorologen und Ingenieure, Wetter und Klima zu kontrollieren.Meist war die Wettermanipulation an militärische Interessen gekoppelt, belegt der Wissenschafts­ historiker James Fleming im Greenpeace-­ Interview.

© Er ic C o n way

Interview

Greenpeace: Herr Fleming, im einflussreichen Bericht der Royal Society* bezeichneten Wissenschaftler Geo-Engineering als Plan B für den Klimawandel. Was halten Sie davon? James Fleming: Ich habe schon damals vor einem Ausschuss des US-Kongresses gesagt: Es gibt keinen Plan B. Das Einzige, was es derzeit gibt, ist ein Haufen Hoffnungen, technische Spielereien und Technologien, darunter Sulfatka­ nonen und Weltallspiegel. Ich und Klimawissenschaftler wie Alan Robock sind aber überzeugt: Solche Vorschläge sind nicht realisierbar. Trotzdem wurden sie im Bericht thematisiert und in den Geo-Engineering-Katalog aufgenommen. Der «Royal Society»-Report ist fehlerhaft; ich habe diesem Fakt in meinem Buch über die ­Geschichte der Klimamanipulation einen ganzen Abschnitt eingeräumt. Die Autoren waren viel zu optimistisch, was die Möglichkeiten einzelner Technologien zur Klimamanipulation anbelangt. Viele der Annahmen beruhen auf nicht viel mehr als ein paar Überschlagsrechnungen. Woher nehmen Sie diese Gewissheit? Ich sass mit Geoingenieuren in unzähligen Meetings. Da werden dann Vorschläge gemacht wie derjenige eines Forschers, mithilfe der Chaostheorie, eines riesigen Satelliten und von Supercomputern Hurrikane fernzusteuern. Das kommt der Science-Fiction von Arthur C. Clarke und der Vorstellung einer globalen Wetterbehörde schon sehr nahe. Waren die falschen Wissenschaftler am Bericht der Royal Society beteiligt? Es ist eigentlich egal, wer den Report verfasst hat. Es ist schlicht eine dumme Idee, den Planeten mithilfe von gewaltigen Technologieprojekten reparieren zu wollen. Solchen Überlegungen ­sowie den sozialen und politischen Aspekten des Geo-Engineering wurde im Bericht viel zu wenig Platz eingeräumt. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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*Der «Royal Society»-Bericht zu Geo-Engineering Die britische Royal Society zählt zu den ältesten nationalen Akademien der Naturwissenschaften und fördert exzellente wissenschaftliche Leistungen im Dienst der Menschheit. 2009 publizierte sie den Bericht «Geoengineering the Climate», in dem sich 23 Physiker, Biologen, Ingenieure, Klimawissenschaftler und Politologen (einige der Wissenschaftler waren selbst an der Forschung im Geo-Engineering beteiligt) mit den Chancen und Risiken von unterschiedlichen Methoden auseinandersetzten. Geprüft wurden Techno­ logien zur Kohlendioxidentnahme aus der Atmos­ phäre (u.a. Ozeandüngung, Aufforstung, CO2-Abscheidung aus der Luft) und solche zur ­Abschirmung der Erde vor Sonnenstrahlung (u.a. Beschuss der Stratosphäre mit Schwefeldioxid, Reflektoren im Weltall, Vergrösserung der Albedo in Wüsten und Städten). Die Wissenschaftler stellten fest, dass die meisten untersuchten Geo-Engineering-Methoden technisch machbar sind. Gleichzeitig wiesen sie auf grosse Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen auf die Umwelt, der Effektivität und der Kosten hin. Der Leiter der Studie, John Shepherd, kam zum Schluss: «Geo-Engineering und seine Konsequenzen sind vielleicht der Preis, den wir zu zahlen haben für unser bisheriges Versagen, ­gegen den Klimawandel vorzugehen.» Geo-­ Engineering könnte in Zukunft als Plan B gegen den Klimawandel unumgänglich werden, so ­Shepherd. Deshalb müssten die unterschiedlichen ­Methoden weiter erforscht und entwickelt sowie die Auswirkungen auf die Umwelt und politische Aspekte analysiert werden.

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Sie fordern, dass Sozialwissenschaftler stärker an der Geo-Engineering-Debatte beteiligt ­werden. Weshalb? Weil die Debatte bislang von Technokraten geführt wurde, die meist mit grossen nationalen Laboratorien oder mit der NASA verbandelt sind. Die Diskussion sollte aber viel breiter angelegt und für jedermann offen sein. Sie muss interdisziplinär, international und auch zwischen den Generationen geführt werden. Neben der direkten Klima- und Wetter­ma­­ni­ pulation fällt auch die CO2-Abscheidung an der Erdoberfläche unter den Begriff des GeoEngineering. Was halten Sie davon? Wenn man CO2 aus der Luft abscheidet, muss man es lagern können – und zwar für immer. Da stossen wir auf ähnliche Probleme wie bei der Lagerung von atomaren Abfällen. Ausserdem lese ich praktisch täglich irgendwelche Geschichten über Möglichkeiten, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu rezyklieren, zum Beispiel als Treibstoff. Doch Kohlendioxid ist bereits ein stabiles Verbrennungsprodukt und vollständig oxidiert. Deshalb ist die weitere Nutzung sehr aufwendig. Was ist mit Versuchen, das Planktonwachstum im Ozean zugunsten der CO2-Absorption zu ­stimulieren? Dabei wurden Erkenntnisse verallgemeinert, die in ihrer Gültigkeit sehr limitiert waren. Der Ozeanograf John Martin nahm eine Flasche, füllte sie mit Meerwasser und gab eine Eisenlösung hinzu. Die Flasche wurde grün, die Algen waren glücklich. Danach folgten Experimente auf einem kleinen Flecken Ozean und auf den ersten ­positiven Ergebnissen basierte die These, man könne die atmosphärische CO2-Konzentration durch Planktonwachstum drastisch verringern. Mittlerweile weiss man, dass die Algen bei künst­ licher Eisendüngung teils sogar mehr CO2 ­abgeben, als sie zuvor aufgenommen haben. Aber heute verfügen Klimawissenschaftler doch über ausgeklügelte Modelle und Supercomputer für komplexe Simulationen. Lassen sich die ­Auswirkungen von Eingriffen ins Klima damit nicht zumindest ansatzweise simulieren? Viele Klimaingenieure sind sehr naive ­Modellierer. Klimawissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten mit Modellierungen beschäftigen, betonen, dass wir weder die Technologie für eine Klimakühlung besitzen noch ein umfassendes Verständnis dafür, welche unerwünschten Nebenwirkungen solche Eingriffe auslösen könnten. Die

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Interview

heute verfügbaren Modelle deuten aber bereits die Gefahr von regionalen Dürren und weitreichenden Veränderungen im globalen Wasserhaushalt an. Der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen löste 2006 mit einem wissenschaftlichen ­Essay einen Sturm der Entrüstung aus. Darin schlug er vor, die Stratosphäre zur Klimakühlung mit Schwefelraketen zu beschiessen. Markiert Crutzens ­Publikation den Beginn der aktuellen ­Geo-Engineering-Debatte? Crutzen gehörte sicherlich zu den Ersten, die die Möglichkeiten der technischen Klimamani­ pulation als Mittel gegen die globale Erderwärmung vorschlugen. Doch für mich als Historiker waren solche Ideen nichts Neues. Ähnliche ­Vorschläge kursierten schon viel früher, das letzte Mal zum Beispiel 1992 in einem Bericht der ­National Academy of Sciences. Zu welchen Zwecken war die Wetter- und ­Klimamanipulation schon vor dem von Menschen verursachten Klimawandel ein Thema? Bereits im 19. Jahrhundert versuchten ­Amerikaner Regenfälle zu provozieren, indem sie Sprengkörper, Bomben und Wasserstoffballone in unterschiedlichen Höhen zum Explodieren brachten. Später versuchten Wissenschaftler Nebel aufzulösen, um Starts und Landungen von ­Flugzeugen zu erleichtern. Es folgten Projekte zur Steuerung von Hurrikanen und zum Abwenden von Dürren, aber auch Versuche, solche bei kriegerischen Gegnern absichtlich zu erzeugen. Meist wurde diese Forschung vom Militär finanziert. Dann war die Wettermanipulation meist an militärische Interessen gebunden? Ja, zu Beginn des Kalten Kriegs beauftragte das Pentagon ein Komitee damit, eine Wetterwaffe zu entwickeln, um die Atmosphäre zu Ungunsten des Feindes beeinflussen zu können. Das gipfelte später in der Forderung, ein gewaltiges Programm zur Wetterkontrolle zu lancieren, vergleichbar mit dem Manhattan-Projekt, das zur Entwicklung der ersten Atombombe führte. Im Vietnamkrieg schoss die US-Armee zudem zwischen 1967 und 1972 Tausende von Silberiodid-Salven in die ­Wolken. Damit wollte sie den Monsunregen verlängern und die gegnerischen Truppen aufhalten. Wird Geo-Engineering auch heute noch vom ­Militär vorangetrieben? Einige wichtige Geoingenieure wie Lowell Wood und sein einstiger Förderer Edward Teller sind eng mit dem amerikanischen Militär und dem Raumfahrtprogramm verbunden. Ideen wie die Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

Verwendung von Raumschiffen für die Reflexion von Sonnenlicht ins Weltall oder der Einsatz von Kanonen auf Militärschiffen sind sicherlich auf diese Verbindung zurückzuführen. Deshalb werden einige dieser Vorhaben auch heute noch vom ­Militär oder von der NASA unterstützt. Ich glaube zwar nicht, dass die USA derzeit ein strategisches militärisches Interesse an Geo-Engineering ­verfolgen. Trotzdem ist es erstaunlich, wie zahlreich die Ideen sind, die Atmosphäre zu «beschies­ sen» und unter Einsatz aller uns zur Verfügung stehenden Technologien «Krieg gegen den Klimawandel» zu führen. Wie steht es um die kommerziellen Interessen von heutigen Geoingenieuren? Noch verdient niemand Geld damit. Aber Milliardäre wie Bill Gates spenden derzeit Millionen für Geo-Engineering-Experimente und ­melden bereits erste Patente für Technologien zur CO2-Reduktion in der Atmosphäre und für die Manipulation von Hurrikanen an. Ähnliches ­geschieht derzeit auch in England. Welches ist Ihre grösste Sorge für den Fall, dass sich einzelne Staaten oder die internationale Gemeinschaft zu einem umfassenden Einsatz von Geo-Engineering entschliessen sollten? Das würde unsere Beziehung zur Natur komplett verändern und den Argwohn zwischen den Nationen verstärken. Die Skandinavier würden plötzlich die Engländer für ihr schlechtes Wetter verantworltlich machen und umgekehrt. Das ­Potenzial für zukünftige Konflikte ist enorm. Das Interview ­wurde am 4.2.2012 von Samuel Schlaefli geführt.

James Fleming ist Professor für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft am Colby College in Maine und Autor zahlreicher Bücher, darunter «Fixing the Sky: The Checkered History of ­Weather and Climate Control» (Columbia University Press, 2010) über die Geschichte der ­ Wetter- und Klimamanipulation.

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Die Stadtimkerin Helena Greter in ihrem Bienenh채uschen mitten im urbanen Z체rich.

Foto-Reportage

Imkern: Auf dem Land in der Stadt

Bilder Anne Gabriel-J체rgens, Text Markus Brupbacher

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Das Bl체tenangebot in der Stadt ist dank zahlreichen Parks, G채rten, Magerwiesen und Brachfl채chen gross.

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Hektik ist als Imkerin nicht angesagt. Im Gegenteil: «Bienen haben auf mich eine ­beruhigende Wirkung», sagt Greter.

Über den Dächern von Zürich: Flachdächer, die mit Moos bewachsen sind, wirken als Wasserspeicher und dienen somit auch als gute und ungefährliche Wasserquelle für Bienen.


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Die verschiedenen Arbeitsprozesse eines Imkers mßssen gelernt sein. Fachwissen ist das A und O und hilft den BienenvÜlkern sich gut zu entwickeln, damit am Ende feiner Honig ­entsteht.


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Zur Imkerei gehört auch das intensive Beobachten des Verhaltens. Dieses sogenannte «Bienenlesen» gibt einer erfahrenen Imkerin viel Aufschluss über den Zustand und die Bedürfnisse eines Bienenvolkes.

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Urban Beekeeping ist weltweit angesagt und oft Ausdruck einer romantisch verklärten Sehnsucht der Grossstädter nach der Natur. Pionierin Helena Greter in Zürich weiss, wie sich das Imkern in der Stadt von jenem auf dem Land unterscheidet. Nahe dem Zürcher Rieterpark steht ein rotes Häuschen, in dem sechs Bienenvölker den Winter 2010/11 überstanden haben. Im Frühling zogen neun ­weitere Schwärme ein – nicht von allein. Vier fing die Feuerwehr ein, fünf die Bio­login Helena Greter. «In der Stadt gibt es etliche verwilderte Bie­ nenschwärme, die den Winter in freier Wildbahn überleben», sagt sie. Seit 2004 ist sie die Königin der Königinnen im roten Häuschen. Helena Greter ist eine Stadtimkerin, und als solche hat sie nichts gemein mit dem Image liebenswerter älteren Herren, die auf dem Land diesem Hobby frönen. In Rand­quartieren sei Urban Beekeeping seit Jahren aktuell, so Rosmarie Füchslin, Co-Präsidentin vom Verein Zürcher Bienenfreunde. «Die Nachfrage nach ­Kursen ist gestiegen. Besonders Frauen interessieren sich für die ­Imkerei.» Dabei sei es sehr schwierig, in der Stadt Zürich einen Standplatz für Bienen zu finden. Zudem sei die Imkerei wegen der Varroa-Milbe oder der Sauer- und der Faulbrut anspruchsvoller geworden, so dass die Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahren kaum angestiegen seien. Für Peter Albertin, den Prä­sidenten des Bienenzüchtervereins Winterthur, ist die Völkerdichte in und um Winterthur zu hoch: «Es stehen zu viele Völker in zu kleinem Umkreis. Ideal wären Abstände von tausend Metern und höchstens 15 Völker pro Standplatz. Wir treffen aber Standabstände von kaum 200 Metern und bis zu 45 Völker pro Platz an – das sind Krankheitsherde.» Helena Greter bekommt häufig Anfragen von Städterinnen und Städtern, die Bienenvölker halten möchten. Dabei ist das alles andere als einfach. Greter rät zum zweijährigen Imkerkurs, der etwa vom Verein Zürcher Bienenfreunde organisiert wird. «Dazu muss sich der Lifestyle-Imker erstmal mutig einem Verein annähern.» meint sie schmunzelnd. Schaut man Richtung Himmel, bemerkt man, dass die Bienen das Häuschen nicht ziellos verlassen, sondern eine Hauptrichtung einschlagen, je nach ­Standort der Tracht. Die Tracht – damit ist kein folkloristisches Kleidungsstück gemeint, sondern das Blütenangebot im Umkreis von etwa drei Kilometern. Zurzeit liegt der süssliche Duft von Lindenblüten in der Luft. Das Blütenangebot in der Stadt Zürich ist dank zahlreichen Parks, Gärten, Magerwiesen und Brachflächen in der ganzen Bienensaison gross. «Die Bienen leiden in der Stadt Zürich nicht an Hunger, weshalb wir keine spezielle Trachtförderung betreiben», erklärt Marianne Fritzsche, Projektleiterin Naturschutz von Grün Stadt Zürich. Während Stadtbienen von Frühjahr bis Spätherbst paradiesische Zustände vorfinden, haben ihre Verwandten auf dem Land oft zu wenig Nahrung. Gründe dafür sind intensive Landwirtschaft, Monokulturen und ­blumenarme Fettwiesen. «Ist der Raps verblüht, müssen Imker auf dem Land ihren Bienen oft schon im Juni mit Zuckerwasser füttern», sagt Helena Greter. Abgase scheinen die Bienen kaum zu stören In ihrem Häuschen riecht es nach Bienenwachs. Holztäfelung und Holz­ boden sorgen für Chalet-Atmosphäre. Auf den einzelnen Türchen der ­Bienenkästen ist mit Kreide notiert, wann Helena Greter was erledigt hat. Nicht ohne Stolz zeigt sie eine ihrer Tüfteleien. Im unteren Teil eines Bienenkastens, wo die Bienen ihre Brut aufziehen, lässt sie sie wilde Waben bauen: Die Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Foto-Reportage

Waben hängen tropfenförmig herab wie in der Natur. Für ­Honigwaben aber eignet sich dieser Naturwabbenbau nicht, zu fragil sind diese Meisterwerke für das Schleudern. Greters «Honig us Züri» bleibt im Glas für Monate flüssig. «Die grosse Blütenvielfalt in der Stadt macht ihn heterogener, die Nektarmoleküle pappen nicht so rasch zusammen», sagt die Biologin. Welchen Einfluss haben ­Schädlingsbekämpfungsmittel und Abgase auf Bienen und die Qualität des Stadt­honigs? Die in der Landwirtschaft verwendeten Pestizide schädigen das ­Nervensystem und den Orientierungssinn der Bienen – Glück haben jene in der Stadt, wo es solche Gifte nicht gibt. Abgase scheinen Bienen kaum zu ­stören. Was die Frage möglicher Verunreinigungen betrifft, schneiden Land- und Stadthonig gleich gut ab: «Die Biene wirkt als Filter für Umweltrückstände. Unsere Untersuchungen haben kaum Rückstände aus Landwirtschaft und Verkehrs­emissionen gezeigt», sagt Peter Gallmann, Leiter des Zentrums für Bienen­forschung der Forschungsanstalt Agroscope. Die Varroa-Milbe ist die Hauptursache fürs Bienensterben «Der Imker kommt immer zu spät», lautet ein gerahmter Spruch an der Holztäfelung, den Helena Greters Vorgänger hinterlassen hat. Was heisst das? «Mich faszinieren verwilderte Bienenschwärme in der Stadt – sie beweisen, dass Bienen auch ohne Imker zurechtkommen. Doch wer Honig möchte, muss Eingriffe in die Völker vornehmen. Dabei stellt sich die Frage nach dem rich­ tigen Zeitpunkt. Wenn ein Volk schwärmt, ist es weg und der Imker eben zu spät», sagt Helena Greter. Die von der Feuerwehr eingefangenen Bienenschwärme können für zehn Franken pro Kilogramm Bienen gekauft werden – ein Schnäppchen, wenn man weiss, dass ein vollentwickeltes Bienenvolk, ­regulär rund 300 Franken kostet. Der Grund für diesen hohen Preis liegt im massenhaften weltweiten Bienensterben. So hat die Zahl der Bienenvölker in den Industriestaaten der Nordhalbkugel seit 2006 im Durchschnitt um 30 Prozent abgenommen. Selbst die Vereinten Nationen sind beunruhigt: Rund 30 Prozent der globalen Nahrungsmittel sind vom Bestäuben durch Insekten, mehrheitlich Honigbienen, abhängig. Deshalb gilt die Honigbiene als drittwichtigstes Nutztier in Europa, nach Schwein und Rind. Die Gründe für den Kollaps ganzer Bienenvölker (Colony Collapse Disorder, CCD) sind ­vielfältig. Die Spekulationen reichen von Pestiziden und transgenen Pflanzen über schlechte oder einseitige Ernährung in Monokulturen bis zur Mobilfunkstrahlung. Die in den 1980er-Jahren aus Fernost eingeschleppte VarroaMilbe gilt als Hauptursache. Weil aber zwischen dem Auftauchen der Milbe und dem CCD rund zwanzig Jahre liegen, kann sie kaum die einzige Ursache sein. Zwei Seuchen, die Sauer- und die Faulbrut, schwächen die Bienen­ völker ­zusätzlich. Und wie sieht die Sterblichkeit bei der Stadtbiene aus? Erstens ist sie keine eigene Rasse. Zweitens sind Stadtbienen von Seuchen und der Varroa-Milbe ebenso betroffen wie Landbienen. «Mir sind keine Daten bekannt, die belegen oder Hinweise geben, dass Bienen in der Stadt ­weniger Sauerbrut, Faulbrut oder Varroa haben», stellt Peter Gallmann von Agroscope klar. Dieser Auffassung ist auch Helena Greter, Inhaberin eines ­Master-Abschlusses in Bienenpathologie. «Seit 2010 müssen die Standorte der ­Bienenvölker dem kantonalen Veterinäramt gemeldet werden. Bricht etwa Sauerbrut aus, gilt die Meldepflicht, betroffene Bienenvölker werden getötet, und es wird ein Sperrkreis gezogen: Im Umkreis von fünf Kilometern dürfen keine Völker verstellt oder gehandelt werden, alle vorhandenen werden ­kontrolliert und überwacht», erklärt Helena Greter. In und um Winterthur Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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«Der Imker kommt immer zu spät»

herum liegen zurzeit viele Standorte in solchen Sperrkreisen, weiss Peter Albertin vom ­Bienenzüchterverein Winterthur. Das Gerücht, Stadtbienen seien ­weniger ­anfällig auf Krankheiten und Varroa, ja sogar resistent, kann fatal sein: Leichtgläubige Stadtimker bekämpfen oder melden die Krank­ heiten nicht, was deren Ausbreitung fördert. Bei der Sauerbrut-Epidemie 2011 seien die ersten betrof­fenen Bienenstände ausgerechnet in den Städten Zürich und Winterthur registriert worden, so Albertin. Dennoch liest man immer wieder, Stadtbienen seien robuster als Landbienen. Wenn für den ­ aktoren als Sauer- und Faulbrut sowie Var­Kollaps ­ganzer Bienenvölker mehr F roa-Milben verantwortlich sind, rücken unterschiedliche Umweltbedingungen von Stadt und Land ins Blickfeld. Deutlich sind diese in Frankreich, dem grössten Agrarland der EU, wo ­Monokulturen dominieren – riesige, monochrom grüne Wüsten. Dort fehlen den Bienen Blumen, Hecken und Bäume. Die Vermutung: Das Immunsystem der Immen ist wegen des zu geringen und einseitigen Futterangebots und ­wegen der Pestizide geschwächt. In Städten wie Paris dauert das Trachtangebot länger, es ist vielfältiger. Diese Vielfältigkeit, vermutet Yves Loublier vom Centre national de la recherche scientifique in Paris, stärke das Immunsystem der Bienen. Dass die Bienen in Grossstädten bis fünfmal so viel Honig pro­ duzieren wie ihre kränkelnden Schwestern auf dem Land, liegt auch an den urbanen Temperaturen: Dank einem milden Mikroklima finden die Bienen früher und länger Blüten, sie «arbeiten» früher und länger im Jahr (ab/bis 8 °C). Unternehmen bessern mit Beekeeping ihr Image auf Ob in Berlin, Bochum, Genf, Hamburg, London, München, New York, ­Paris, San Francisco, Wien, Yverdon oder Zürich: Die Liste der Urban-Bee­ keeping-Gemeinden wächst und ihre Fürsprecher werden immer prominenter. Michelle Obama setzte 2010 im Garten des Weissen Hauses auf Urban Gardening und liess auch Bienenkästen installieren. In New York hob Bürgermeister Michael Bloomberg im März 2010 das Verbot der Bienenhaltung auf und ­verpasste dem Big Apple so ein grüneres Image. Zuvor hatte der Honig aus der Bronx oder aus Brooklyn den Hauch der Illegalität, Guerilla-Beekee­ ping war das Pendant zum Guerilla-Gardening. In Berlin haben Stadtimker ­Tradition: Rund 500 Imker und etwa 3000 Bienenvölker leben dort, der erste Quartier-Imkerverein wurde 1864 gegründet. Die Motive hinter Urban Gardening treiben auch den Urban-Beekeeping-Boom an: lokal produzierte, ge­ sunde Lebensmittel, Sehnsucht nach Natur, Selbstversorgerfantasien, Sorgen um Nachhaltigkeit und Biodiversität, Ausgleich zum hektischen Berufsalltag. Urban Gardening und Beekeeping galten einst als Wahrzeichen der Spiessbürger, sind jetzt aber en vogue. Oder wie die Süddeutsche Zeitung es in ihrem legendären «Streiflicht» formulierte: «Wer beim Bionade-­ Schlürfen im Szenecafé nicht mindestens acht gut sichtbare Stichverletzungen vorweisen kann, muss sich ernsthaft Gedanken um sein urbanes Prestige machen.» Nicolas Gallon, Fotograf aus Paris, schreibt über das boomende Urban Beekeeping in seiner Stadt: «Nouvelle mode, engagement écolo ou passion temporaire de bobos en manque de nature.» Bobos (bourgeois-bohèmes) sind gebildete, gut ver­dienende junge Grossstädter. Sie sind bürgerlich, ­pflegen aber einen (Künstler-)Lebensstil, der aufgesetzt wirkt. Sie imitieren städtische Szenen und Subkul­turen und ziehen in Trendquartiere wie Kreuzberg, Quartier Latin oder den Zürcher Kreis 5, wo sie mit ihrer Kaufkraft dafür sorgen, dass die Mieten rasch steigen und ursprüngliche Bewohner sowie Szenen verdrängt werden.

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Greter nimmt eine Probe ihres «Honig us Züri».

Auch Unternehmen wollen mit Urban Beekeeping ihr Image aufpolieren. So lebt Nicolas Geant, Stadtimker in Paris, nicht vom Honigverkauf, ­sondern von der Installation und Pflege von Bienenkästen für Firmenkunden. «60 Bienenkästen sind es zurzeit», sagt Geant. Zu finden sind sie auf dem mondänen Grand Palais an der Seine, bei Louis Vuitton beim Pont Neuf oder bei Électricité de France (EDF) in La Défense. Der französische Stromgigant EDF mit rund 60 Atomkraftwerken betreibt mit Bienenkästen auf dem Dach ­Greenwashing, derweil der Luxusgüterkonzern Louis Vuitton seine Stadtbienen als «ernsthaftes Engagement» verstanden wissen will. Da es aber leichter ist, eine Louis-Vuitton-Tasche zu tragen, als ein Bienenvolk zu halten, überlässt das Luxushaus die Bienenarbeit Nicolas Geant. Die Unternehmen möchten sich ein nachhaltiges Image verpassen, aber keine Zeit aufwenden – ein bestechendes Geschäftsmodell von Nicolas Geant. Nach einem hektischen Arbeitstag setzt sich Helena Greter eine Weile ­neben ihr Häuschen, bevor sie mit den Bienen in Kontakt tritt. «Um runter­ zukommen», sagt die Stadtimkerin. Wie verwendet sie ihren Honig? Ihre ­Antwort überrascht: «Ich mag Süsses wie Honig eigentlich gar nicht, höchstens in einem Joghurt mit Nüssen. Im Dorf, wo ich aufwuchs, musste ich ­unseren Honig bei der Imkerin holen. Die Frau meinte es gut mit mir, als sie den Löffel tief in den Honigtopf tauchte und ihn mir in den Mund steckte, aber ich bekam schier keine Luft mehr», sagt Greter und lacht. «Vielleicht ist das der Grund.» Die Imkerin und Biologin ermutigt jeden, der Bienen halten möchte. ­Trotzdem lächelt sie wieder verschmitzt und sagt: «Erst dann sehen sie, wie viel Arbeit die Imkerei bedeutet und welches Frustpotenzial sie beinhaltet: ­Jahre mit wenig oder fast keinem Honig, entwischende Schwärme, Bienenstiche, Krankheiten und im Frühjahr Schimmel in den Kästen.» Für Helena ­Greter ist klar: Sie will dranbleiben, ihre Doktorarbeit in Epidemiologie schreiben und weiterhin in Ruhe ihren «Honig us Züri» herstellen. Bienenhaltung ist eine persönliche Einstellung, ein Lifestyle, aber keiner für abgehobene Bobos. Wer imkern möchte, muss sich Zeit nehmen, denn eine Ertragsgarantie gibt es ­genauso wenig wie die kleine, schlaue Biene Maja. Petiton für den Schutz der Bienen eingereicht Zusammen mit Imkern hat Greenpeace Schweiz den Behörden in Bern die ­Petition zum Schutz der Bienen überreicht. Darin fordern 80 103 Menschen ­einen sofortigen Einsatzstopp von bienenschädlichen Pestiziden in der ­Landwirtschaft. Die Unterschriften kamen in nur einem Jahr zustande. Mehr zum Thema unter: bienenschutz.ch

Schulbesuch-Gutschein zum Thema Bienen

Biene sein ist kein Honigschlecken. Darum bringen wir die Bienen in ihre ­Schule! Sind Sie selber LehrerIn oder kennen Sie Lehrpersonen? Wenn ja, dann melden Sie sich unter Tel. 044 447 41 29 für einen Schulbesuch an. Sie erhalten gratis eine DVD von «More than Honey» und dazu einen G ­ utschein für einen Schulbesuch von Greenpeace.

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Interview

«Die Anfragen ­haben sich 2012 schlagartig ­verdoppelt»

Interview mit Hans Stöckli, Präsident des Bienen­ züchterverbands beider Basel Greenpeace: In der Stadt gibt es fast keine Insektizide und viele Blumen, zudem sind die Temperaturen höher als im Umland. Gibt es etwas, das «Stadtbienen» mehr belastet als Bienen auf dem Land? Hans Stöckli: Die Flora in Stadtgebieten ist vielfältiger, die Blütezeit übers Jahr verteilt. Die Pollen sind daher besser als jene aus Monokulturen auf dem Land. Das in der Stadt etwa drei Grad wärmere Klima bewirkt, dass sich Flora und Bienenvölker einen Monat früher en­t­ wickeln können. Man könnte vermuten, dass Abgase belastend für Bienen seien. Im Jahr 1985 untersuchte das baselstädtische Lebensmittel­ labor die Bienenhonige auf Schwermetalle hin. Die Belastung war unbedeutend, da der Bienenkörper als Filter wirkt. Bei hoher Bienendichte ist die Reinvasion durch die Varroa-Milbe ­mehrfach höher als auf dem weniger dicht mit Bienenvölkern besiedelten Land. Ich denke, dass in der Stadt Basel eine vernünftige Bienenvölkerkonzentration erreicht ist. Bei mehr ­würden die Bienen beim Futterangebot in KonMagazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

kurrenz ­treten, was zur Räuberei verleitet. ­ ienen stechen: In von Menschen dicht besiedel­ B ten Gebieten ist ihre Haltung deshalb eingeschränkt. Begutachtet werden die Bienenstandorte vom Bieneninspektor (Veterinärwesen). Wer nimmt an Ihren Imkerkursen teil? Pro Jahr werden etwa 30 Neuimker in einem Grundkurs ausgebildet. Steigend ist das Inter­ esse der Frauen. Der Kurs umfasst in zwei Jahren je acht Halbtage. Etwa zwei Drittel der Teil­ nehmenden halten danach Bienen. Die Anfragen haben sich 2012 verdoppelt. Die Teilnehmer stammen aus vielen Berufs- und Altersgruppen, vorwiegend sind sie 30- bis 40-jährig. Was erwarten Sie vom «Bienen-Professor» Peter Neumann? Es sei geplant, an asiatischen und afrikanischen Bienen zu forschen, die besser mit der Varroa-Milbe zurecht­ kommen. Soll eine solche Bienenrasse importiert werden? Die zentrale Frage lautet: Was hat sich ­global so sehr verändert, dass das Bienensterben aufkam? Die Forschung mit Bienen im Ausland ­befürworte ich, um Erkenntnisse in der Mole­ kularbiologie zu bekommen. Den Import von ­Bienen lehne ich aber ab. Eine Biene kann sich nicht selbst entmilben, weil sich die Varroa auf ihren Rücken flüchtet. Varroa ist bei den Bienen noch nicht als Feind erkannt, sonst würden sie sich gegenseitig entmilben.

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© K em a l J u f r i / G r eenpeace

Gentech: Neue Freisetzungsversuche angekündigt

Kampagnen-News

Regenwald-Rodung gestoppt Nach einer dreijährigen Kampagne von Greenpeace und anderen Umweltgruppen stellt Asiens grösster Papierhersteller APP (Asia Pulp and Paper) ab sofort die Abholzung in den letzten Regenwäldern Indonesiens ein. Der Konzern exportiert aus Indonesien und China Papier für Zeitschriften, Verpackungen, Kopierer und Toilettenartikel. Dem Erfolg gingen intensive Gespräche zwischen Greenpeace und APP voraus. Zahlreiche deutsche Unternehmen konnten über die Jahre überzeugt werden, den Einkauf von APP-Papier auszusetzen, darunter Adidas, Montblanc, Metro und Tchibo. «Der Abholzstopp ist eine Atempause für Orang-Utans, Sumatra-Elefanten und die letzten Sumatra-Tiger», sagt Oliver Salge, Waldexperte von Greenpeace Deutschland. Eine wesentliche Rolle spielten auch die Unternehmen in Deutschland, die durch den Verzicht von Geschäften mit Urwaldzerstörern Druck ausübten. «Das ist ein Erfolg für alle, die unsere Kampagne unterstützt haben», sagt Salge.

Landwirtschaft: EU will gewisse Pestizide verbieten Um das Bienensterben aufzuhalten, will die EU drei Pestizide für zwei Jahre verbieten, darunter auch Produkte des Schweizer Agrokonzerns Syngenta. Die Schweiz überlegt, sich dem Verbot anzuschliessen. Gemäss Matthias Wüthrich, Fachmann von Greenpeace, geht der Vorschlag aus Brüssel noch nicht weit genug: «In vielen Teilen Europas geht die Bienenpopulation rapide zurück. Das Verbot einiger weniger gefährlicher Pestizide währe nur ein sehr begrenzter Schutz.»

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Die Universität Zürich hat ein Bewilligungsgesuch für eine neue Serie von Freisetzungsversuchen mit Weizen beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) eingereicht. Der Standort soll 2014 auf einem geschützten Versuchsfeld, welcher von Agroscope eingerichtet wird, durchgeführt werden. Organisationen wie etwa der Verein Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) stellen den Nutzen der bevorstehenden Versuche für die Schweizer Landwirtschaft in Frage. Erneute Versuche mit genmanipuliertem Weizen sind wenig sinvoll, da sie teuer sind und keine Erkenntnisse für die Schweizer Landwirtschaft bringen.

Public Eye In Sichtweite des WEF brandmarkten Greenpeace Schweiz und die Erklärung von Bern (EvB) im Januar mit der Vergabe der Public Eye Awards besonders krasse Fälle von Profitgier und Umweltsünden von Unternehmen. Den diesjährigen Jurypreis erhält die US-Bank Goldman Sachs. Der Publikumspreis ging nach dem Willen von 41 800 Online-Votern an den Ölkonzern Shell. Mit der Nomination von Goldman Sachs verdient auch der folgende Filmhinweis besondere Unterstützung: Wer rettet wen «Wer rettet wen?» entsteht als «Film von unten», finanziert von denen, die ihn sehen wollen, die ihn zeigen wollen, die dieses Hilfsmittel als Aufklärung brauchen. Die Produktion wird also durch die Mithilfe und die breite Unterstützung zahlloser engagierter Privatpersonen, Organisationen (darunter Attac, WEED, Helvetas, Urgewald, Mehr Demokratie etc.), Initiativen und alternativer Medien getragen. Förderer erhalten eine DVD-Kopie inklusive Vorführlizenz und haben so die Möglichkeit, den Film im Rahmen von Tagungen, Vorträgen, Kulturveranstaltungen etc. bei ihrer politischen Arbeit einzusetzen. www.wer-rettet-wen.org/index.php/de

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Kampagnen-News

Solar telefonieren und surfen

Für acht Franken hat man ein ganzes Jahr lang die Sonne dabei. Die Solarvignette 2013 fürs Handy liefert Solarstrom ab jeder Steckdose und fördert ein Jugendsolar-Projekt. Die Solaranlagen werden mit Jugendlichen vom Projekt Jugendsolar by Greenpeace gebaut. Für jede verkaufte Solarvignette wird beim Produzenten Solarstrom eingekauft. Aktuell wird der Strom für die Solarvignetten auf dem Stalldach eines Biobauers im Kanton Schwyz produziert. Die erste «Solartankstelle» entstand 2002 für Elektro­velos. Seither ist das Projekt gewachsen: 2009 kam die Solarvignette fürs Handy dazu, 2012 die Solarvignette Plus mit einem Spendenbeitrag für innova­ tive Solarprojekte in Afrika oder der Schweiz. Gerne werden Solarvignetten weiterverschenkt, da sie sich als nachhaltiges Geburtstags- oder Werbegeschenk eignen. Bestellen kann man die Solarvignette online unter www.solarvignette.ch oder mit einem E-Mail an s­ olarvignette@solafrica.ch.

Über 10 000 Menschen ziehen den Bundesrat zur ­Verantwortung Über 10 000 Menschen haben den Bundesrat ­innert einer Woche aufgefordert, endlich konkrete Schritte zu unternehmen, um die Schweizer Konzerne weltweit zur Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards zu verpflichten. Die Koalition «Recht ohne Grenzen» rief anlässlich des WEF auf zur Aktion «Ziehen Sie den Bundesrat zur Verantwortung». In nur sieben Tagen haben die Engagierten Wirtschaftsminister Schneider-Ammann und Aussenminister Burkhalter per Mail dazu aufgerufen, sich für ein Gesetz starkzumachen, das Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichtet, Menschenrechte und Umweltschutz weltweit zu respektieren. Im vergangenen Sommer hatte «Recht ohne Grenzen» eine Petition mit den gleichen Forderungen Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

einge­reicht, die von über 135 000 Personen unter­ zeichnet worden war. Doch während in anderen Ländern darüber diskutiert wird, wie freiwillige Massnahmen mit gesetzlichen Vorschriften kombiniert werden können, setzt der Schweizer Bundesrat noch immer allein auf die Selbstverantwortung der Firmen. Dabei zeigte der Bundesrat am 23. Januar 2013 in der Botschaft zum Bundesgesetz über Söldnerfirmen, dass er durchhaus bereit ist, gesetzliche Vorschriften zu erlassen, wenn er die Reputation der Schweiz gefährdet sieht. Darin verbietet er Sicherheitsfirmen mit Sitz in der Schweiz, Tätigkeiten auszuüben, die schwere Menschenrechtsverletzungen begünstigen. Es ist höchste Zeit, dass er auch für andere Schweizer Unternehmen, die oft in menschenrechtlich und ökologisch sensiblen Bereichen tätig sind, verbindliche Regeln erlässt.

2. Jahrestag Fukushima: Der Widerstand gegen die Atomenergie geht weiter Die Katastrophe in Fukushima ist noch nicht zu Ende und ein ähnlicher Atomunfall könnte überall passieren: Mit dieser Botschaft haben anlässlich des 2. Jahrestages am 11. März auch in der Schweiz verschiedene Greenpeace-Aktivitäten stattgefunden, darunter eine Veranstaltung mit dem japanischen Nuklearingenieur Masashi Goto und eine spektakuläre GAU-Projektion auf das AKW Mühleberg. Ein weiterer Höhepunkt war die Errichtung eines fünf Meter hohen Anti-AKWTurms auf dem Münsterplatz in Bern: 300 Atomgegner und Atomgegnerinnen versammelten sich und bauten mit ihren farbigen Schildern ein HolzMahnmal auf, auf dem zum Beispiel «Kernkraft ist auf dem Holzweg» und «Die Sonne scheint gratis» zu lesen war.

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Kampagnen-News

Strafanzeige gegen AKW ­Gösgen und Leibstadt Die Betreiber der Atomkraftwerke Gösgen und Leibstadt haben angeblich Bilanzen geschönt, um Kosten zu drücken und das Märchen vom billigen Atomstrom weiter erzählen zu können. Greenpeace und der Trinationale Atomschutzverband haben deshalb gemeinsam eine Strafanzeige eingereicht. Die Strafverfolgungsbehörden der Kantone Solothurn und Aargau klären jetzt, ob Rechnungslegungsvorschriften missachtet wurden und ob in den Aktiven Beträge ausgewiesen werden, die nicht werthaltig sind. Die Klage verfasst hat Anwältin und Finanzmarktrechtsprofessorin Monika Roth. Durch die Bilanzmanipulationen seien die Betreiber in der Lage gewesen, ihr Eigenkapital aufzublasen und die Kosten für Atomstrom künstlich niedrig zu halten. Greenpeace-Atomexperte Florian Kasser meinte vor den Medien: «falls die Justiz nicht eingreift, zahlt am Schluss die Bevölkerung die Zeche.»

Detox Eine neue Greenpeace-Studie, «Schadstoffe in Textilien», hat gezeigt, dass von insgesamt sieben getesteten Kleidungsstücken der Eigenmarken von Migros und Coop keines schadstofffrei ist. Mit dem Erscheinen der Studie verpflichtete sich Coop als erste Schweizer Firma dazu, bis 2020 alle gefährlichen Chemikalien aus der Produktionskette zu verbannen. Zum öffentlichen Versprechen gehören die vollständige Eliminierung von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) aus der Produktionskette bis September 2013 und die Eliminierung von Alkylphenolethoxylaten bis Ende 2013. Coop wird bis Ende Jahr der Öffentlichkeit sämtliche Daten über die verwendeten Chemikalien von 15 Produktionsstätten zugänglich machen. Auch die Migros zeigt sich gerne als Firma, die sich für die Umwelt und künftige Generationen engagiert. Und mit «Generation M» gibt sie verbindliche Versprechen ab. Doch ein glaubwürdiges Detox-Versprechen hat sie bisher leider abgelehnt. Mit dem Slogan, «Migros — ein M giftiger» sind Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten der ­Migros deshalb unters Dach geklettert. Sie forderten den Grossverteiler auf, bis spätestens 2020 alle gefährlichen Chemikalien aus der gesamten Produktionskette ihrer Kleider zu eliminieren. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

Daraufhin publizierte die Migros auf ihrer «Gene­ ration M»-Website ein neues Versprechen, wonach das Unternehmen bis Ende 2017 alle Textilien der Eigen­marken nach seinen Eco-Richtlinien herstellen werde. Das ist ein erster Schritt, doch es fehlt ein Massnahmenkatalog mit Zeitplan, bis wann die Migros die drei gefähr­lichsten Chemikaliengruppen, Alkylphenolethoxylate, PFC und Weichmacher verbannen wird. Diese internationalen Unternehmen haben bis jetzt ein Versprechen für eine saubere Prouktionskette abgegeben: Nike, Adidas, Puma, H&M, M&S, C&A, Li-Ning, Zara, Mango, Esprit, Levi’s, Uniqlo, Benetton, Victoria’s Secret, G-Star Raw, Valentino und Coop. Ein Update dieser Kampagne finden Sie auf unserer Website unter greenpeace.ch/migros.

Effizienz-Initiative: Ein grosses Dankeschön! Begeistern, argumentieren, überzeugen. Draussen auf den Strassen in der Kälte, aber auch daheim in warmen Stuben: Es hat sich gelohnt! In Rekordzeit von sieben Monaten haben wir die kritische Grenze von 100 000 benötigten Unterschriften für die Effizienz-Initiative überschritten. Wir, das sind alle Menschen, die unermüdlich gesammelt haben. Dafür ein grosses Dankeschön! Und wir, das ist die breite Allianz aus Umweltorganisationen, Politik und Wirtschaft, die sich für dieses wichtige Anliegen zusammengefunden hat. Nun wird sich der Bundesrat in seiner Energiestrategie mit verbindlichen und ambitiösen Stromverbrauchszielen auseinandersetzen müssen. Und das ist gut so. Mit Effizienz lassen sich eindrückliche 80 Prozent des Stroms einsparen, der heute in AKW produziert wird.

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© M arc W et li

Interview

«Seit der Energy Academy bin ich glaubhafter» Zu den Gewinnern des diesjährigen Energiepreises Watt d’Or gehört der Designer Reto Schmid, ein Ex-Zivildienstleistender von Greenpeace. Der Jungunternehmer hat mit dem Innovationshaus Creaholic aus Biel die energieeffiziente Duschwanne Joulia (www.joulia.com) entwickelt, welche gebrauchtes warmes Wasser zum Vorwärmen des Frischwassers benutzt. Nebenbei hat Reto die Energie Academy von Greenpeace besucht; Im folgenden Interview schildert er, was ihn daran besonders beeindruckt hat. Greenpeace: Reto, was hat Dich dazu bewogen, an der Energy Academy teilzunehmen? Reto Schmid: Statt anderen nachzuplappern, wollte ich in der Lage sein, mit guten Argumenten zu überzeugen, dass erneuerbare Energien unsere Zukunft sind. Auch wollte ich lernen, Gegenspielern besser zu widersprechen. Durch den Kurs habe ich einen guten Überblick über die Energiepolitik in der Schweiz gewonnen und gesehen, dass eine Energiewende mit 100% Erneuerbaren möglich und eine grosse Chance ist. Hat es Dir auch etwas für Deine tägliche Arbeit gebracht? Es hat mich in meiner Grundhaltung bestätigt: Die Zeit für unser Produkt ist reif. Ich bin jetzt nicht unbedingt ein besserer Verkäufer, aber ich bin sicher glaubhafter. Dann bist Du jetzt parat, um in die Politik einzusteigen? Als Unternehmer auch Politik zu betreiben, finde ich gut. Es braucht aber sehr viel Energie, um Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

beides zu machen. Momentan bereiten mir das Entwickeln von cleveren Produkten, welche eine echte Alternative darstellen und zum gleichen Ziel führen, mehr Freude als langwierige politische Prozesse. Dein Alltag ist aber sicher auch nicht immer einfach. Was motiviert Dich jeden Morgen, die Schwierigkeiten eines Jungunternehmers zu bewältigen? Die Leidenschaft für alternative Lösungen, welche die Welt ein bisschen verbessern. All die überwundenen Hürden geben einem Mut, die Schwierigkeiten, die noch anstehen, ebenfalls zu meistern. Dies funktioniert aber nur dank einem tollen Team und viel Freude an der Sache.

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Daten für das 2-tägie Intensivseminar «Energy Academy» mit Dr. Rudolf Rechsteiner: 16. und 23. August in Bern (2 Freitage) 16. und 23. November in Zürich (2 Samstage) 19. Oktober und 2. November in Lausanne (auf franz., 2 samedis) Kursgebühr CHF 300.— (inkl. Unterlagen und Mittagessen) Anmelden unter: 100pro-erneuerbar@greenpeace.ch Kontakt: Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147, 8031 Zürich oder Informationen unter: greenpeace.ch/energyacademy


Vom Alternativen Branchenbuch zum Greenpeace-Handbuch

In Kürze

© Gr een peace / At eli er O c ulus

Unser Autor Thomas Diener* erzählt, wie sich Öko-Ratgeber in 25 Jahren gewandelt haben.

Ich öffne ein PDF mit dem Greenpeace-Handbuch, das im März erscheinen wird. Bei einem ersten Scrollen durch die Seiten beschleicht mich ein nostalgisches Gefühl. Das Buch ist natürlich topaktuell, und trotzdem lädt es mich zu einer sehr persön­lichen Rückschau ein. Genau das soll es auch, denn als ehemaliger Projektleiter des «Alternativen Branchenbuches der Schweiz» wurde ich von Greenpeace angefragt, darüber zu schreiben. Das Alternative Branchenbuch der Schweiz war 1988 nicht das erste Handbuch für Ökologie. Ein Vorbild war zum Beispiel der von 1968 bis 1972 erschienene «Whole Earth Catalog». Es war jedoch der umfangreichste Versuch, in allen möglichen Branchen nach umweltfreundlicheren Alternativen zu suchen. Das Resultat: ein EinkaufsMagazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

führer mit über 5000 Adressen aus allen Landesteilen. Eine wichtige Frage für umweltbewusste Menschen war ­damals: Wo in aller Welt gibt es ein Geschäft, das Naturfarben oder Bio-Kosmetika verkauft. Nur ein kleiner Kreis von Insidern wusste es. Unser Anspruch war, dieses Wissen für alle verfügbar zu machen. Eine Arbeit, die Suchmaschinen heute in Sekunden erledigen, bedingte damals noch monatelange Recherchen. Die Verfügbarkeit von Diensten und Produkten ist mittlerweile weniger das Problem. Die öko­ logischere Alternative steht oft im Supermarkt gleich neben den ­konventionellen Produkten. Wissen, Ratschläge und Einsichten sind daher wichtiger als Adressen. Dieser Entwicklung trägt das Greenpeace-Handbuch Rechnung.

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Trotzdem erstaunt es, dass ­ge­wisse Themen sich inhaltlich überhaupt nicht verändert haben. Der Text über Kosmetik hätte schon vor 25 Jahren im Alternativen Branchenbuch stehen können. Und wahrscheinlich sind es noch immer die gleichen Firmen, die die empfehlenswertesten Produkte herstellen. Trotzdem hat sich im letzten Vierteljahrhundert viel verändert. Wie sich aus den Anfängen der Idee «Nutzen statt besitzen» eine Genossenschaft mit über 100 000 Mitgliedern entwickelt hat, ist ein positives Beispiel. Wie der pro Kopf erzeugte Elektroschrott in der gleichen Zeit exponentiell gewachsen ist, ein negatives. Was mir am GreenpeaceHandbuch gut gefällt, ist die Konzentration. Die beschriebenen sieben «grossen Herausforderun-


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Erholungsraum. Der Bergwald leistet für die Gesellschaft aber noch weit mehr: Er produziert Holz, schützt vor Naturgefahren, ist ­Lebensraum für Tiere und Pflanzen und verbessert die Qualität von Luft und Wasser. In einer Bergwaldprojektwoche erleben Freiwillige dieses sensible Nebeneinander hautnah. Als gemeinnützige O ­ rganisation ermöglicht das Bergwaldprojekt Schrottreife Tanker, Ölverschmut- seit 1987 Frauen und Männern von zung, Komplizenfirmen, Bal­ 18–88 Jahren einen einwöchigen kankrieg – Lukas Erler verwebt die Arbeitseinsatz zwischen April und wirtschaftlichen und ökologiOktober. Zahnärzte und Hausschen Katastrophen unserer Tage frauen, Musiker, Schreiner und zu einem rasanten Polit-Ökokrimi. Studentinnen arbeiten eine Woche Lukas Erler. Erster Band einer gemeinsam für dasselbe Ziel: hier ­Kriminal­-Trilogie. 336 Seiten, wird ein Begehungsweg gebaut, CHF 22.90, ISBN 978-3-0369dort der Jungwald gepflegt und da5611-4 mit ein Beitrag zur Er­haltung des Schutzwaldes geleistet. Neben körperlicher Arbeit im Freien wird Forstarbeit auch viel Wissenswertes über den Wald vermittelt. In 26 Jahren haben durch das Bergwaldprojekt über 34 000 Freiwillige Das Programm 2013 ist da. Matt, im Alpenraum 175 000 Arbeits­ Sänger und Gitarrist der Schweizer tage zum Erhalt des Schutzwaldes Band 77 Bombay Street, hat Anerbracht. Eine Bergwaldprojekt-Woche ist fang Jahr seinen Zivildienst beim für die Freiwilligen kostenlos. Das Bergwaldprojekt in Trin GR Jahresprogramm 2013 findet sich ­geleistet. auf www.bergwaldprojekt.org oder «Ich wollte unbedingt draussen Tel. 081 650 40 40. Anmeldungen arbeiten. Die regelmässigen ­Geräusche der Zweimannsäge wa- sind ab sofort möglich. ren Musik in meinen Ohren und inspirieren mich für zukünftige Songs. Und ich war immer wieder tief beeindruckt, was für coole Leute beim Bergwaldprojekt mitmachen.» Wo sich Naturschönheit und ­Naturkräfte begegnen, entsteht ein faszinierender Lebensraum. Sonnenwarmes Holz und Steinschlag, Vogelgezwitscher und Lawinen: Im Bergwald sind Idylle und Katastrophe auf engstem Raum verflochten. Heute erfahren die meisten Menschen den Wald nur als Buchtipp

© KEIN & A B ER V er l ag

gen» bündeln unsere Aufmerksamkeit. Mit wenigen Tipps können wir, wenn wir sie beherzigen, unsere private Ökobilanz stark verbessern, ohne uns zeitraubend in 1001 Details zu verlieren. Was mir im Handbuch persönlich fehlt, ist die Verbindung von Ökologie mit einem Lebensstil, der gemeinschaftliches Leben und Vertragslandwirtschaft v ­ erbindet. Dies ermöglicht einen kleineren ökologischen Fussabdruck ohne Verlust an Lebens­ qualität. So verbrauchen Haushalte in einer CoHousing-Siedlung bis zu 40 Prozent weniger Energie und 20 Prozent weniger Wohn­ fläche als konventionelle Haushalte. Kombiniert mit einem Vertragslandwirtschaftsprojekt vor der Haustür schrumpft der Fussabdruck noch einmal beträchtlich. Ich wohne in einer Siedlung mit diesen Vorzügen und sehe die Attraktivität dieses Lebensstils. Vielleicht werden diese alterna­ tiven Lebensstile in 25 Jahren genauso zum Mainstream gehören, wie heute die vor 25 Jahren als Spinnerei gewerteten Bioprodukte in jedem Supermarkt erhältlich sind. * Thomas Diener arbeitet als ­Moderator von Zukunftswerkstätten, Future-Search-Konferenzen und Strategie-Workshops und ist Initiator von verschiedenen Projekten, u.a. zum Thema (Co-)Kreative Gestaltung von Zukunft. Er hat lang jährige Erfahrung als Laufbahnberater und Life-Coach für Menschen in Ver­ änderungsprozessen und ist Berater und Supervisor von Start-Ups, ­Vereinen und Genossenschaften. www.fairwork.ch Mitglieder können das Buch mit Angabe der Mitgliedernummer zu einem Spezialpreis von CHF 17.— anstatt CHF 34.— unter thoreau@ greenpeace.ch bestellen

Ölspur

Ab ins Bergwald­projekt

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Interview

Greenpeace-­Mitglieder, die ­Mitglied beim Haus­verein werden möchten, benützen am besten die eingeklebte Antwortworte auf Seite 68. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Die Zusammenarbeit zwischen Greenpeace Schweiz und dem Hausverein Schweiz beinhaltet ein Beratungsmandat u.a. in allge­ meinen Immobilienfragen oder konkret rund um das Thema Vererben an Greenpeace.in Immobilienfragen rund ums Thema Vererben an Greenpeace. Greenpeace-SpenderInnen können unter Angabe ihrer Mitgliedsnummer zum halben Preis eine Mitgliedschaft beim Hausverein lösen (gilt für das erste Jahr) und profitieren von 15 Minuten Gratisberatung sowie anschliessend von den Spezialkonditionen des Hausvereins. Der 1988 gegründete Hausverein betrachtet Haus- und Grundbesitz als Geldanlage, die sozialen und umweltverträglichen Kriterien genügen muss. Spekulation mit Im­mo­ bilien lehnt er ab. Hausverein und Greenpeace haben gemeinsam eine «Checkliste soziale und ökologische V ­ or­gaben beim Haus­ verkauf» ausgearbeitet. Der Erbschafts-Ratgeber von Greenpeace und die Checkliste können bestellt werden bei Muriel B ­ onnardin unter 044 447 41 64 oder E-Mail muriel.bonnardin@ greenpeace.org. Weitere ­Informationen: www.greenpeace.ch/hausverein.

Von letzten Wünschen «Auch der Erhalt eines Baum­bestandes lässt sich regeln.» Greenpeace arbeitet neu mit dem ­Hausverein zusammen, um Auflagen bei Hausschenkungen zu erfüllen. Eine steigende Zahl von Menschen, die in Greenpeace ihre eigenen Werte wiedererkennen, denkt darüber nach, ihre Liegenschaft ­(Wohnung, Haus, Ferienwohnung) unserer Organisation testamentarisch zu vermachen. Oft verbinden sie mit einer solchen Schenkung aber ökologische oder soziale Wünsche, die künftige Käuferinnen und Käufer zu respektieren haben. Zur Umsetzung dieser langfristigen ­Anliegen arbeitet Greenpeace deshalb mit dem Hausverein Schweiz zusammen. Ein Gespräch zu den Hintergründen. Greenpeace: Frau Bonnardin, als Zustän­dige für Erbschaften bei Greenpeace sehen Sie sich zunehmend mit Anfragen von ­Spen­derinnen und Spendern konfrontiert, die Greenpeace eine Liegenschaft vermachen möchten. Viele wollen dabei schon zu Lebzeiten sicherstellen, dass bei einem ­Verkauf bestimmte Auf­ lagen erfüllt werden, etwa der Erhalt eines Baumbestandes. Wie reagieren Sie auf solche Anliegen? Muriel Bonnardin: Es stimmt, jährlich erhalten wir rund ein ­Dutzend solcher und ähnlicher Anfragen. Das ist deutlich mehr als noch vor einigen Jahren. Sie kommen oft von Greenpeace-Spenderinnen und -Unterstützern der ersten Stunde, die uns seit langem die Treue halten. Ich kann diese Menschen sehr gut verstehen. Sie haben ihr Haus über lange Jahre gepflegt und gehegt, haben ökologisch saniert, einen verwunschenen Garten mit alten Bäumen gepflegt, oder da ist eine Katze, die auch nach dem Ableben dem Haus erhalten bleiben soll. Natürlich möchten wir diesen Wünschen entsprechen, aber uns fehlt zurzeit die Kompetenz, zu beurteilen, was von diesen Anliegen

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sich erfüllen lässt und was nicht. Wir haben deshalb aktiv nach einer Partnerorganisation gesucht, die sich einerseits in solchen Dingen ­auskennt und anderseits auch unsere Werte und Anliegen teilt. Ich bin ziemlich rasch auf den Hausverein Schweiz gestossen, und wir haben uns gefunden. Herr Füllemann, sind Ihnen als Immo­bilientreuhänder und ­Vorstandsmitglied des Hausvereins Sektion Zürich ähnliche Fälle bekannt? Hansueli Füllemann: Sicher. Wer möchte nicht, dass sein Haus in Hände übergeht, die es so zu pflegen gedenken wie man selbst? Die Umsetzung ist allerdings nicht ganz einfach. Was sind die Probleme? Füllemann: Im Kern geht es um den Wert einer solchen Ver­ pflichtung. Eintragungen im Grundbuch sind nur sehr bedingt möglich, hier lässt sich allenfalls der langfristige Erhalt von bestehenden ­Mietverträgen regeln. Aber wenn man etwa den Garten erhalten will, der sich mitten in der Bauzone befindet gibt es im Grundbuch dazu keine rechtliche Handhabe. Was kann Greenpeace denn konkret tun, um solche Wünsche zu erfüllen? Bonnardin: Man kann mit Käuferinnen und Käufern durchaus ­verbindliche Vereinbarungen treffen, etwa über die erwähnte Pflege der Katze oder den Erhalt der Bausubstanz. Solche Verpflichtungen können im Verkaufsvertrag festgehalten werden und gelten dann durchaus auch für spätere Käufer. Für den Fall einer Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen kann eine Konventionalstrafe vereinbart ­werden. Aber es gibt Grenzen. Je mehr solche Auflagen gefordert werden, desto schwieriger ­dürfte es werden, Käufer zu finden, die gewillt sind, sich daran zu halten. Und es ist natürlich auch eine Frage des Preises. Was raten Sie Hausbesitzerinnen und Hausbesitzern mit solchen Verkaufs-Absichten? Füllemann: Sie sollten sich beraten lassen. Greenpeace und die Experten des Hausvereins stehen jederzeit gerne für ein Beratungs­ gespräch zur Verfügung. Bei einem solchen ­Gespräch geht es zuerst darum, die Wünsche ­aufzulisten, die wichtigen von den weniger ­wichtigen zu trennen und natürlich die realis­tischen von den unrealis­ tischen, um dann eine solide Grundlage für eine testamentarische ­Verfügung zu haben. Was kann Greenpeace versprechen? Und was nicht? Bonnardin: Ein rechtlich verbindliches Versprechen können wir nur abgeben, wenn der Wunsch durch eine handschriftliche Aufnahme ins Testament, als Auflage, erwähnt wurde und sofern der Wunsch auch realistisch umsetzbar ist. Gerade darum erachte ich das vorgängige Gespräch als so wichtig. Wir können nicht Dinge zusichern, die wir gar nicht einhalten können. Aber wenn jemand etwa wünscht, dass sein Haus an eine Familie verkauft wird, werden wir diesen Wunsch mit Sicherheit erfüllen. Auch der Erhalt eines Baumbestandes oder einer ökologisch sanierten Bausubstanz lässt sich sicher mit einem Käufer regeln. Aber man muss schon auch sehen: Eine Garantie auf Ewigkeit können wir nicht abgeben. Das wäre unseriös. Wie sollen die potenziellen Erblasser ­vorgehen? Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Interview Zu den Personen: Hansueli Füllemann hat als Bauingenieur ETH a ­ bgeschlossen und ist heute Immobilientreuhänder und Bauherrenberater. Er ist langjähriges Vor­standsmitglied beim Hausverein Sektion Zürich und war zeitweise auch im Vorstand des Dachverbands Hausverein Schweiz. Muriel Bonnardin ist zuständig für Projektspenden, Stiftungen und Erbschaften und arbeitet über 20 Jahre bei Greenpeace Schweiz.

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Bonnardin: Ich empfehle ein Beratungs­gespräch mit mir und einem Vertreter des Hausvereins. Dabei lässt sich eruieren, in welcher Form sich Wünsche zum Erhalt der Liegenschaft erfüllen lassen. Die Regel ist ein handschrift­licher Zusatz zum Testament. Man kann aber auch die von uns vorbereitete Checkliste ausfüllen, die ebenfalls dem Testament beigefügt wird. Im Gegensatz zum Eintrag im Testament ist die ­Checkliste nicht rechtsverbindlich, aber wir sichern zu, dass wir uns für die letzten Wünsche einsetzen. Bei der Erarbeitung stehen wir gerne mit Rat und Tat zur Seite. Früher hätte man sein Haus wohl kaum ­einer Umweltorgani­ sation vermacht. Woher rührt dieser Wunsch heute? Bonnardin: Das spiegelt sicher den gesellschaftlichen Wandel der vergangenen Jahrzehnte. Oft haben die Spenderinnen und Spender keine Pflichterben – wie Kinder, Ehepartner oder Eltern – oder sie haben den Nachlass mit ihren Kindern schon geregelt. Manchmal verfügen sie auch einfach über eine grössere Erbmasse, die den Pflichtteil nicht angreift, wenn sie eine Immobilie einem Hilfswerk vermachen. Da spielt dann sicher das Motiv eine Rolle, per­sönliche Werte weiterzugeben, die man selbst gelebt hat, etwa in Form eines ökologisch vor­ bildlich sanierten Hauses. Greenpeace hat bislang stets ausgeschlossen, geerbte Liegenschaften zu behalten. Andere Nichtregierungsorganisationen sind inzwischen selbst zu Liegenschaftsbe­sitzern geworden. ­Ändern Sie diese Politik? Bonnardin: Wir denken sicher darüber nach und eine Öffnung in dieser Frage ist wahrscheinlich. Wie müsste man sich das vorstellen? Bonnardin: Greenpeace wird solche Lie­genschaften sicher nicht selber verwalten und wir würden uns den Sachverhalt auch genau ­anschauen, bevor wir zusagen. Verluste könnten wir gegenüber unseren Spenderinnen und ­Spendern nicht verantworten. Aber da haben wir dank unserer Zusammenarbeit mit dem Hausverein den richtigen Partner gefunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Expertinnen und Experten des Hausvereins solche Fälle in unserem Auftrag prüfen. Und was hat der Hausverein von der Kooperation mit Greenpeace? Füllemann: Wir teilen Ideale und Visionen. Das ist das eine. Und als kleiner Verband mit 11 000 Mitgliedern erhoffen wir uns sicher auch, das eine oder andere der 160 000 Greenpeace-Mitglieder mit in unser Boot zu holen. Das stärkt uns und unsere Sache. Das Interview führte Urs Fitze, Pressebüro Seegrund

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Event

Ausstellung zum Thema Verantwortung Für die Ausstellung «Verant­ wortung» im Vögele Kultur Zentrum stellt Greenpeace Schweiz ­eine Originalfotografie von Spencer Tunick als Leihgabe zur Verfügung. Es handelt sich dabei um e­ ine signierte Fotografie, welche Spencer Tunick im Anschluss an die gemeinsame Kunstauktion im Winter 2007 Greenpeace Schweiz geschenkt hat. Der Künstler wünschte sich, dass Greenpeace die ­Fotografie verkauft und den Erlös für die Arktis-Kampagne ein­ setzt. Die Ausstellung im Vögele Kultur Zentrum ermöglicht es uns nun, die Fotografie in einem passenden Rahmen öffentlich aus­ zustellen und Kaufinteressierten vorzu­stellen. Das Mindestgebot für die signierte Fotografie beträgt CHF 7800 (USD 8500). Der Zuschlag für das Werk erhält diejenige Person, die das höchste Angebot macht. Interessierte KäuferInnen können

das Werk zwischen den Sonntagen 26. Mai und 22. September 2013 an der Ausstellung «Verantwortung» betrachten. Kaufangebote können bis Ende September 2013 per E-Mail direkt an Frau Muriel B ­ onnardin (muriel.bonnardin@greenpeace.org) ­geschickt werden. Anfang Oktober 2013 werden die I­ nteressenten ­benachrichtigt. Für Fragen erreichen Sie Muriel ­Bonnardin von Montag bis Donnerstag unter Telefon 044 447 41 64. Künstler: Spencer Tunick Titel: Switzerland Aletsch Glacier 3.1 (Greenpeace) 2007 Signiert auf der Rück­seite mit «Spencer Tunick 2007» Medium: C-Print Ramen: zwischen P ­ lexiglasscheiben Edition: 6er-Set Grösse: 95,25 x 76,20 cm Verpackung: Holzkiste

© Spe nce r Tuni ck

In KÜRZE

Die Verantwortung ist Teil jeder menschlichen Handlungsweise und das Fluidum, das eine zivile, auf Konventionen basierende ­Gesellschaftsform überhaupt erst ermög­licht. Das Vögele Kultur Zentrum stellt in seiner kommenden, interdisziplinären Ausstellung die Frage: «Verantwortung. Jeder trägt sie. Wer nimmt sie wahr?» Ausgangslage ist die These, dass jedes Tun Verantwortung impliziert und nicht ohne Folgen bleibt. Es wird, ohne zu moralisieren, ­dafür mit Feingefühl und Humor thematisiert, was der Einzelne leisten kann, wenn sein Verhalten am Massstab globaler Auswirkung und Verantwortung gemessen wird. Ziel der Ausstellung ist es, sowohl die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen sowie das verantwortungsvolle Handeln der Gemeinschaft zu reflektieren. Unterstützt durch eine überraschende szenografische Umsetzung verlässt der Besucher die Ausstellung mit einem positiven Gefühl, das aus einer Übernahme von Verantwortung resultieren kann. Ausstellungsdaten: 26.5.2013 bis 22.9.2013, Vögele Kultur Zentrum, Gwattstrasse 14, 8808 Pfäffikon SZ Weiterführende Informationen: voegelekultur.ch oder Tel. 055 416 11 11 Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 11—17 Uhr Donnerstag 11—20 Uhr Öffentliche Führungen jeweils sonntags um 11.15 Uhr

Der Verkauf dieser signierten Originalfotografie von Spencer Tunick kommt der Arktis-Kampagne von Greenpeace zugute. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

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Energie

Mit Aquaponik zu mehr ­Selbstbe­stimmung

Fliegende Windkraftwerke

In Kürze

Die Azteken waren die Ersten, die Landwirtschaft im Wasser (Aquakultur) mit Fischzucht in B ­ ecken (Hydroponik) verbanden. In «Chinampas», schwebenden Gärten, kultivierten sie Getreide in seichten Seegebieten. Ziel dieser Kopplung war ein geschlossener Wasser- und Nährstoffkreislauf. Die stickstoffreichen Fischfäkalien werden nämlich von natürlich ­vorkommenden Bakterien zu wertvollen Nitraten umgewandelt, die den Pflanzen als Dünger dienen. Dabei wird das Wasser gereinigt und von überschüssigem ­Kohlendioxid befreit. Im Zuge der Urban-Farming-Welle der ver­ gangenen Jahre erlebte die Aquaponik in Gewächshäusern auf Stadtdächern eine Renaissance. In den Beeten spriessen Tomaten, Paprika und Salate, während im Wassertank gleichzeitig Speise­ fische wie Tilapias oder Barsche heranwachsen. Dank dem ­geschlossenen Wasserkreislauf braucht die Gemüseproduktion gemäss Produzenten 80 bis 90 Prozent weniger Wasser gegenüber konventioneller Landwirtschaft im Feld. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2013

Bislang vor allem in den Metropolen Europas und Nordamerikas populär, entdecken immer mehr Stadtbewohner in wasserarmen Ländern des Südens die Techno­ logie. So zum Beispiel in Amman, Jordaniens Hauptstadt, wo die NGO «Meezan» Aquaponik-­ Gewächshäuser aus Recyclingmaterialien baut. Damit werden die Flachdächer Ammans zu Grünflächen umgerüstet und die ärmere, von Nahrungsmittelimporten ­abhängige Stadtbevölkerung erhält eine willkommene Möglichkeit zur Selbstversorgung. «Um unsere Freiheit wiederzuerlangen, ­müssen wir im Nahen Osten nicht nur die Politik demokratisieren, sondern auch die Art, wie wir Nahrungsmittel produzieren», ist ­Projektleiter Bashar Humeid überzeugt. Bemerkung der Redaktion: Das Tierwohl, sprich die angemessene und verantwortungsvolle Haltung der Zuchtfische, muss laut dem Verein Fair-Fish auch bei Aquaponikprojekten gewährleistet sein.

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Ingenieure und Techniker wittern grosses Energiepotenzial mit fliegenden Windkraftanlagen. Die Vorteile: Sie produzieren gleichmässig und fast das ganze Jahr über Strom. Es gibt verschiedene Prototypen wie helikopterähnliche Konstruktionen, Flugdrachen oder ring­ förmige Heliumballone, in deren Mitte sich ein Windrad dreht. Alle Modelle sind noch in der Testphase und sollten in einer Höhe von 100 bis 600 Metern arbeiten. Die Technik befindet sich noch in der Entwicklung, sie ist aber herkömmlichen Windkraftanlagen bereits in vielerlei Hinsicht überlegen. Fliegende Kraftwerke be­ deuten bis zu 90 Prozent weniger Materialaufwand und die Wind­ geschwindigkeit in 600 Metern Höhe ist zwei- bis dreimal grösser als am Boden.

© Altae ro s Ene rg i es

© Sam uel S c h läf li

Nahrung


«We like»

Buchtipp

© E c ow in V er l ag

Petition ­Deklarationspflicht bei Fisch

Die geheime Sprache der Bäume und wie die Wissenschaft sie entschlüsselt Der Autor Erwin Thoma möchte beim Leser von «Die geheime Sprache der Bäume» vor allem ­Begeisterung und neugieriges ­Interesse für die Bäume und den Wald wecken. Dafür findet er eine eingängige Sprache, die hoch­ komplexe Vorgänge anschaulich macht. Thoma begibt sich zum Beispiel zusammen mit dem Leser auf eine imaginäre Reise durch das Innere eines Stammes – ein spannendes Abenteuer! «Die geheime Sprache der Bäume» ist nicht als Ratgeber oder Lehrbuch gedacht, gibt aber viele wertvolle Hinweise für Waldbesitzer und Holzökonomen. Denn eines zeichnet sich immer deutlicher ab: In Zeiten globaler wirtschaftlicher Krisen und des voranschreitenden Klimawandels hat Holz als hei­ mische und nachwachsende Ressource Konjunktur. Dem Wald ­gehört die Zukunft. 208 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, CHF 31.50, ISBN 978-3-7110-0033-0

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Würden Sie einen Fisch kaufen, wenn Sie wüssten, dass er beim Fang stundenlang zerquetscht im Schleppnetz durchs Meer gezogen wurde? Der Verein Fair-Fish lanciert eine Unterschriftenpetition für die Deklaration von Herkunft und Fangmethoden bei Fischen. Die Petition fordert, dass Handel und ­Gastronomie nur noch Fische verkaufen und anbieten dürfen, die mit einer genauen Angabe der verwen­ deten Fangmethode und des Landes versehen ist, in dessen Gewässern die Tiere gefangen bzw. gezüchtet wurden. Rund 18 Organisationen, darunter auch Greenpeace, unterstützen diese Petition, denn nur eine entsprechende Deklaration ermöglicht es den Kon­ sumentinnen und Konsumenten, bewusst auf mit tierquälerischen Methoden gefangenen Fisch aus überfischten Gebieten zu verzichten. Bestellen Sie den Unterschriftenbogen jetzt auf www.fair-fish.ch/ aktuell oder unterschreiben Sie online und posten Sie die Petition auf Facebook oder Twitter. Öffentlicher Verkehr

­ otovoltaikanlage auf dem Dach, F das auf weiteren 150 Quadrat­ metern bepflanzt wird. Das Regenwasser wird in einer Zisterne ­gesammelt und für die Toilettenspülung genutzt. Eine OberlichtIn Kerpen-Horrem, westlich von konstruktion lenkt Tageslicht Köln, baut die DB den Bahnhof in alle Gebäudebereiche, bei Dunder Zukunft. Im Rahmen eines öfkelheit sorgt LED-Technik für fentlich geförderten Pilotprojekts eineenergiesparende Beleuchwird bis Ende 2013 der erste Nulltung. Energie-Bahnhof in Deutschland Beim Bau kommen nachwachsende und rezyklierbare Baustoffe aus gebaut. In dem neuen Gebäude will DB Station & Service alle moder Region zum Einsatz. Auch in dernen Standards für ökologisches der Lutherstadt Wittenberg und nachhaltiges Bauen einsetzen und in Offenburg entstehen zwei und sie im Hinblick auf ihre grüne Bahnhöfe nach diesem E ­ ignung für künftige Bahnhofneu- ­Konzept, mit dem die DB ihre Klibauten prüfen. maschutzziele nun auch auf So erhält der CO2-freie Bahnhof ­Bahnhofneubauten ausdehnt. Kerpen-Horrem beispielsweise ­eine 340 Quadratmeter grosse

Erster ­Null-EnergieBahnhof ­ in ­Deutschland

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Zu gewinnen: 3 Greenpeace Banner-Taschen

Rätsel

Die Aktions-Banner waren im früheren Leben für Greenpeace im Einsatz und jedes Stück ist ein Unikat. Senden Sie das Lösungswort bis am 31. Mai 2013 per E-Mail an redaktion@greenpeace.ch oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels resp. des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

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© Lu G uan g

Skurriles Landschaftsbild aus der inneren Mongolei: Weil neben ­Kohlekraftwerken und chemischer Industrie das Weideland für das Vieh schwindet, hat die Regierung die Tiere kurzerhand durch Skulpturen ersetzen lassen.


AZB 8031 Zürich

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