Die Gräber schweigen - von Johann Steiner

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Pfarrer Gheorghe Naghi:

Glückssträhne Als Pfarrer Gheorghe Naghi im September 1989 die Flucht in den Westen angetreten hat, war er regelrecht mit Glück gesegnet. Ob es reiner Zufall war oder seine Gebete erhört worden sind, keiner kann es mit Gewissheit sagen. Die Glückssträhne, die ihm beschert war, hat jedenfalls ausgereicht, um wohlbehalten in Aachen anzukommen. Der Kommunismus mit all seinen negativen Facetten hatte Pfarrer Naghi schon immer missfallen. In der multikulturellen Stadt Temeswar im Südwesten Rumäniens, wo er am 16. Juni 1950 geboren wurde, hat er auch das wahre Gesicht dieser Ideologie kennengelernt. Gheorghe Naghi 1989 war der Entschluss in ihm gereift: Er wollte seine Heimat, das Banat, hinter sich lassen und in Freiheit leben. Am 7. September 1989 war es soweit, er ist über die Grenze nach Ungarn gegangen. Wenn er allerdings damals gewusst hätte, dass die kommunistische Diktatur drei Monate später hinweggefegt werde, hätte er die Strapazen nicht auf sich genommen. Was sich im Dezember 1989 in seiner Geburtsstadt und in Rumänien ereignet hat, verfolgt er aus der Distanz in Deutschland. Doch heute weiß er eines: Wäre er in jenen Tagen in Temeswar gewesen, hätte er sich an den Demonstrationen -Diktatur beteiligt. Schon als Theologiestudent hat Gheorghe Naghi erste Erfahrungen mit dem Unterdrückungsapparat gemacht. Mitarbeiter des Geheimdienstes Securitate haben ihn immer wieder belästigt. Von all den Schikanen, Überprüfungen und Durchsuchungen, die er ertragen musste, habe eine ihn besonders berührt. Ein Mitarbeiter des Geheimdienstes hat bei einer Durchsuchung ein etwa 300 bis 400 Seiten starkes Manuskript über archäologische Ausgrabungen beschlagnahmt. Einen Grund dafür hat er ihm nicht genannt. Selbst der Bischof, dem Naghi diesen Vorfall in einem Brief geschildert hat, konnte ihm nicht helfen. Der Geheimdienst hat das Manuskript, das er lediglich in Verwahrung hatte, nicht mehr herausgerückt. Heute wäre Pfarrer Naghi froh, wenn er das Manuskript hätte, denn er schreibt ein Buch über seinen Eigentümer. Seine ersten Konflikte mit dem Geheimdienst hatte Naghi schon als Schüler und Student. Einen ersten Fehler hat Naghi auf dem Gymnasium begangen, als

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