Die Gräber schweigen - von Johann Steiner

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Plötzlich Herr und Millionär Von Ignaz Pfleger Die Grenze haben wir zwischen 24 und 1 Uhr überschritten. Es war Anfang Oktober 1989. Weil wir vor dem Grenzstreifen durch einen Wassergraben mussten, war ich nass bis zu den Knien. Losgegangen waren wir um 21 Uhr, in Grenznähe mussten wir bis Mitternacht warten. Es war eine kalte, klare und windige Nacht, Reif ließ sich nieder, und mir war die ganze Zeit kalt. Wir waren zu zwölft, was wir im Vorfeld wohl alle nicht gewusst hatten. Darunter waren der Schlepper-Chef, ein Zigeuner, und seine Geliebte. Der Übertritt erfolgte ohne Zwischenfall. Wir gelangten bis in die Nähe von Werschetz. Ich ging voraus, hatte ein Rufen geIgnatz Pfleger hört, aber nicht reagiert, denn ich fror heftig und war schon müde. Ich stand plötzlich allein da, als neben mir ein Auto hielt, aus dem zwei Männer in blauer Uniform ausstiegen und mich mit „Dobro utro“ (Guten Morgen) begrüßten. So viel Serbisch verstand ich und antwortete auf den Gruß. Sie fragten nach meinen „Papira“, und ich erklärte, dass ich keine hätte und rumänischer Flüchtling sei. Daraufhin musste ich einsteigen, und in wenigen Minuten waren wir auf dem Polizeirevier. Tasche, Gürtel und Schuhschnüre musste ich abgeben, dann sperrten sie mich unter einer Treppe ein, die zum Stockwerk führte. Es gab ein mattes Licht, einen Holzrost auf dem Boden und Decken. Ich zog die nassen Schuhe und Socken aus und versuchte zu schlafen. Es gelang mir jedoch nicht, es dürfte etwa 5 Uhr gewesen sein. Zu Dienstbeginn, um 8 Uhr, wurde ich herausgeholt und in ein Büro geführt, wo ein älterer Herr mich einlud, Platz zu nehmen. Zuerst fragte er, in welcher Sprache wir uns verständigen könnten, es blieb beim Rumänischen, das er perfekt beherrschte. Dann wollte er genau wissen, wo ich die Grenze überschritten habe. Das konnte ich nicht genau sagen, nur dass ich durch zwei Ortschaften gekommen bin, durch einen Spalier-Weingarten, wo Anhänger standen, die mit Trauben beladen waren. Dort hatten Leute aus unserer Gruppe Spuren hinterlassen, weil sie sich an den Trauben bedient hatten, was der Polizei gemeldet worden ist. Dann wollte er noch wissen, ob ich von jemandem gesehen worden bin und ob ich Leuten begegnet war. Das verneinte ich. Ob er

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