hat den Ofen angeschaut. Er hatte das Bedürfnis, mit seinen Leuten die Ursprünge ihres Handwerks vor Ort anzuschauen und zu begreifen. Das war ihm sehr wichtig. Dass dazwischen die ganze Industrialisierung stattgefunden hatte, blendete er hingegen aus. Nachdem die Glasi unter den Siegwarts 1975 als industrielle Glasfabrik scheiterte, machte Roberto Niederer wieder mit dem alten, handwerklichen System weiter.
Gibt es für Sie als Historiker Parallelen vom heutigen Glasi-Glas zum Flühliglas?
«VOLKSKUNDLICH SIND FLÜHLIGLÄSER SEHR INTERESSANT» Der Kunsthistoriker und FlühliglasExperte Heinz Horat über Roberto Niederer und Flühliglas
Heinz Horat, Sie sind Experte für Flühliglas. Wie haben Sie zu diesen Gläsern gefunden? Den Ausschlag dazu gab Roberto Niederer (1928 bis 1988). 1981 zeigte das Kunstmuseum Luzern eine grosse Ausstellung über römisches Glas. Roberto Niederer ärgerte sich, dass dabei kein Wort über Flühliglas verloren wurde und organisierte deshalb in der Glas-Galerie eine kleine Flühliglas-Ausstellung. Ich arbeitete damals bei der Denkmalpflege des Kantons Luzern und war unter anderem für das Inventar der Kunstdenkmäler im Entlebuch zuständig, hatte aber nichts mit Glas zu tun. Einzig wenn ich im Rahmen der denkmalpflegerischen Arbeit im Entlebuch auf das Stichwort Glas gestossen bin – etwa in einem alten Ratsprotokoll oder ähnlich – legte ich das unter diesem Stichwort zu den Akten. Knappe zwei Tage vor der Ausstel-
lungs-Eröffnung – typisch Roberto Niederer – hat er mich angefragt, ob ich zur Vernissage etwas über das Waldglas aus dem Entlebuch erzählen würde. Nachdem ich im Lexikon nachgelesen hatte, was Glas überhaupt ist, habe ich zugesagt. Und kurz darauf fragte mich der Haupt-Verlag an, ob ich nicht ein Flühliglas-Buch schreiben würde – Roberto Niederer habe gesagt, ich sei FlühliglasExperte...
was uns 1983/84 grössere Grabungen im Südel ermöglichte. Zudem wurde in dieser Zeit eine TV-Sendung aus Flühli ausgestrahlt, die volkstümliche Sendung «heute Abend in...». In dieser Sendung war auch das Flühliglas Thema und wir konnten die Zuschauer aufrufen, sich zu melden, wenn sie solche Gläser zu Hause hätten. Die Resonanz war riesig und ich konnte gegen 1200 Gläser inventarisieren. Daraus ist dann das Flühliglas-Buch entstanden.
Wie sind Sie dann zum wirklichen Experten geworden?
Welchen historischen Wert hat Flühliglas?
Ich habe mich in die bestehende Literatur eingearbeitet, aber bald gemerkt, dass sehr vieles unter dem Titel «Flühliglas» läuft – Gläser zwischen dem Osttirol und den Pyrenäen. Deshalb initiierte ich eine archäologische Grabung im Entlebuch, um zu sehen, was da wirklich vorhanden war. Mit den Fundstücken konnten wir Rückschlüsse auf die vor Ort hergestellten Gläser ziehen. Diese erste Grabung wurde von Edi Kloter, einem Arzt in Hasle, ermöglicht. Das dort gefundene Glas steht inzwischen im Historischen Museum in Luzern. Aufgrund der Resultate dieser Grabung habe ich beim Nationalfonds ein Projekt eingereicht,
Historisch gesehen haben Flühligläser für das Entlebuch eine sehr grosse Bedeutung. Das Entlebuch war ein armes, schlecht erschlossenes Tal, bäuerlich geprägt, irgendwie vergessen zwischen Luzern und Bern. Anfang 18. Jahrhundert kam die Glasproduktion und brachte Geld ins Tal. Diese Glasmacher, die Ausländer im Tal, gingen clever vor: Sie haben nur ihren Hüttenbereich bewirtschaftet, die Fabrikation und der Verkauf in der eigenen Wirtschaft. Alles was ausserhalb des Hüttenbereichs war, haben sie den Einheimischen abgetreten – den Glas-Wiederverkauf oder den Holzschlag. So steigerten die Glasmacher die Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung.
Wie schätzen Sie den kulturellen Wert des Waldglases ein? Der kulturelle Wert ist – verglichen mit dem böhmischen Glas der damaligen Zeit oder Gläsern aus den französischen Kristallglashütten – zwar weniger hoch. Die Waldglaser arbeiteten immer am Limit, die Temperatur war nur knapp hoch genug, etc., was Auswirkungen auf die Glasqualität hatte. Aber das Flühliglas war ein sehr populäres Glas, das auch in Büchern von Gotthelf auftaucht. Volkskundlich ist das Glas deshalb sehr interessant, es gibt Aufschluss über die Alltagskultur jener Zeit.
Welche Bedeutung hatte das Flühliglas für Roberto Niederer? Als ich die Arbeiten für das Flühliglas-Buch begann, erkundigte ich mich bei der Familie Siegwart nach dem Glas ihrer Vorfahren. Doch nirgends war solches Glas vorhanden – sie hatten diese Vorgeschichte irgendwie verdrängt. Ganz anders Roberto Niederer: Er wollte wieder am Handwerk der Flühliglaser anknüpfen. Roberto Niederer hatte eine sehr romantische Seite. Als wir die Grabungen machten im Entlebuch ist Roberto Niederer mit zwei Bussen und der ganzen Glasi-Belegschaft aufmarschiert und
Ich glaube, Roberto Niederer hat immer stark auf der Flühliglas-Linie produziert. Im historischen Vergleich mit etwa MuranoGlas, das edle Glas von höchster Qualität, war Flühliglas einfach, auch unregelmässig, das einzelne Stück war nie gleich wie das andere. Genau das kommt bei den Gläsern von Roberto Niederer auch wieder vor; in einem Set von 12 Gläsern sind nie alle gleich, es gibt Nuancen, jedes hat einen eigenen Charakter. Selbstverständlich war Roberto in der Gestaltung und im Design sehr viel kreativer als die einstigen Flühliglasmacher.
Vor der Begegnung mit dem Flühliglas hatten Sie mit Glas nichts zu tun, heute fasziniert Sie diese Materie; Sie gehen an den Flohmarkt und kaufen alte Gläser – was macht diese Faszination aus? Am Glas fasziniert mich am meisten die Zerbrechlichkeit. Wenn ich ein Glas viel brauche, dann habe ich es nach ein, zwei Jahren gerne; es gehört zum Alltag. Wenn das Glas zerbricht, tut mir das weh. Es ist ein Verlust. Dieses Spannungsverhältnis hat mit unserem Leben allgemein zu tun. Ich kenne kein anderes Objekt, das diese Komponente des Lebens so ausschliesslich beinhaltet. Vieles anderes können Sie flicken, ein Glas nicht. Das ist die philosophische Seite des Glases. Dazu kommt, dass Glas selbst ein sehr schönes Material ist, das Lichtstimmungen verschieden weitergeben kann, das Material lebt. Inzwischen ist Glas mein Lieblingsmaterial.
Der Kunsthistoriker Heinz Horat arbeitete bei der Denkmalpflege Luzern, war später Denkmalpfleger des Kantons Zug und anschliessend bis zu seiner Pensionierung Direktor des Historischen Museums Luzern. 1986 veröffentlichte er im Haupt-Verlag das Buch „Flühli-Glas“, welches aber leider seit einigen Jahren vergriffen ist.
Ausstellung
GLAS JUWELEN Flühliglas aus dem 18. und 19. Jahrhundert Sammlung der Glasi Hergiswil.
Hergiswiler Glas AG Seestrasse 12 CH-6052 Hergiswil Tel. 041 632 32 32 Fax 041 630 21 57 www.glasi.ch info@glasi.ch
Der Eingang zur Ausstellung befindet sich auf Zuschauertribüne der Glashütte.
Öffnungszeiten Montag bis Freitag 9.00 bis 18.00 Uhr, Samstag 9.00 bis 16.00 Uhr. Die Glasbläser arbeiten auch am Samstag.
Entdecken Sie den traditionsreichsten Glasmacherbetrieb der Schweiz. Schauen Sie den Glasbläsern über die Schultern. Der Zutritt in die Glashütte und alle Ausstellungen ist kostenlos. Der Eintritt ins Museum und ins Glas-Labyrinth ist kostenpflichtig (Rückerstattung des Eintritts bei Einkauf im 1. oder 2.Wahl-Laden der Glasi). Wir Glasi-Lüüt wünschen Ihnen einen schönen und spannenden Aufenthalt in der Glasi Hergiswil.
www.glasi.ch
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Einkaufen im Glasi-Webshop
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