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Nachkriegskirchenkunstästhetik Eine Annäherung an das Werk von Kurt Lettow

Dr. Arie Hartog Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses, Bremen

Kurt Lettow (1908 – 1992) ist ein wichtiger Künstler für die Region

Der Begriff „halbmodern“ ist keineswegs negativ. Er beschreibt

um Bremen. Er hat für viele Kirchen beider Konfessionen Kunstwerke ge-

ein strukturelles Problem, mit dem die Kunstgeschichte der Moderne

schaffen und ist heute fast unbekannt. Darin ist er ein typischer Vertreter

immer wieder konfrontiert wird. Geschichte beschreibt Entwicklungen

der unzähligen Bildhauer, die nach 1945 einen Beitrag zum deutschen

und manche Entwicklungen sind weiter vorangeschritten als andere.

Wiederaufbau leisteten und das Aussehen der Städte prägten. In Stä-

Diese anderen sind aber weder „konservativ“ noch „rückständig“. Der

dten ohne Parteibanner (die waren weg) und großen Werbeflächen

Begriff „halbmodern“ beinhaltet daneben vor allem den Hinweis, dass

(die gab es noch nicht) spielte die Bildhauerei eine visuell prominente

diese Kunst nicht nur modern ist, was sie – mit ihrer betonten Orientie-

Rolle; sowohl in öffentlichen wie in öffentlich zugänglichen Räumen.

rung auf ein allgemeines Publikum – auch nicht sein wollte.

Die Besonderheit Lettows ist der relativ gute Erhaltungszustand seines

Für die deutschen Bildhauer dieser Richtung waren Ernst Bar-

Nachlasses und damit wurde aus einem typischen Vertreter ein für die

lach (1870 – 1938), Gerhard Marcks (1889 – 1981) und Ewald Mataré

Kunstgeschichte exemplarischer Künstler. Sein Werk erlaubt einen Blick

(1887 – 1965) die Leitfiguren. Diese Künstler hatten eine vereinfachte,

auf allgemeine Tendenzen der Kunst im kirchlichen Kontext nach 1945.

einprägsame Bildsprache entwickelt, die in der europäischen Bild-

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tradition verankert war. Die von ihnen inspirierten jüngeren Bildhauer

1948 organisierte die Stadt Köln aus Anlass der 700-Jahr-Feier

knüpften bei der expressionistischen Tradition an, die im Dritten Reich

des Kölner Doms eine große internationale und ökumenische Aus-

verfemt worden war, milderten den betont subjektiven Ausdruck des

stellung zur christlichen Kunst der Gegenwart. Diese Ausstellung, die

Expressionismus aber im Sinne einer allgemeinen Beruhigung und Klä-

europaweit rezipiert wurde, demonstriert die besondere Position der

rung der Form. Im christlichen Kontext bekam die geordnete Form da-

christlichen Kunst im Nachkriegsdeutschland und die darin enthaltene

bei sofort eine inhaltliche Bedeutung, da sie als Sinnbild für göttliche

Suche nach einem ästhetischen dritten Weg. Dieser dritte Weg ist der

Ordnung wahrgenommen werden konnte (und wurde).

ideenhistorische Hintergrund der deutschen Kirchenkunst der 1950er-

und 1960er-Jahre. Die Kirchen wollten mit ihrer Kunst eine Alternative

hauern der Generation von Lettow mittelgroße Aufträge. In Deutschland

schaffen; sowohl zu der elitären Moderne mit ihrem berühmten Schlag-

existierte in den 1950er-und frühen 1960er-Jahren kaum ein Kunstmarkt;

wort der „l’art pour l’art“ wie auch zur populistischen Ästhetik von Na-

Kirchenaufträge und Kunst am Bau ermöglichten eine Künstlerexistenz.

tionalsozialismus und Kommunismus. Daraus entwickelte sich ein Mittel-

Die manchmal zu lesende Behauptung, diese Künstler hätten sich an-

weg, eine „Halbmoderne“, die ästhetisch anspruchsvoll und inhaltlich

gepasst, weist auf eine völlige Fehleinschätzung der tatsächlichen so-

breiten-orientiert war.

zialen Situation und auch des kurz angedeuteten Selbstverständnisses.

Die Neu- und Umgestaltungen von Kirchen ermöglichten Bild-

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