Forschungsreihe 04/2018

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Forschungsreihe 04/2018

Customer Profiling Die Vermessung des Konsumenten Daniel Boller, Dr. Alexander Schulte-Mattler und Jessica Schneider


Einführung Der Ingenieur erfasst die Statik und quantifizierbaren Charakteristika der Objekt-konstituierenden Elemente um einen effizienten und zielgerichteten Einsatz des Objektes in einer definierten Umwelt zu ermöglichen. Customer Profiling definiert und etabliert einen vergleichbaren Ansatz im Marketing: Der Marketing-Analyst erfasst die quantifizierbaren Charakteristika des Konsumenten, um eine effiziente und zielgerichtete Adressierung des Konsumenten in einer definierten Umwelt zu erreichen («Customer Profiling»). Customer Profi-

ling ist dabei, im Gegensatz zur Naturwissenschaft, jedoch mehr als die Summe der quantifizierbaren Charakteristika eines Objektes. Der Konsument wird vielmehr durch eine intelligente und «lernende» Vernetzung seiner Charakteristika erfasst, um seine zukünftigen Verhaltensmuster und Bedürfnisse zu antizipieren. Customer Profiling sowie darauf abgestimmte Marketing-Aktivitäten, können schliesslich eine individuelle und sensitive Penetrierung des Konsumenten ermöglichen und darüber hinaus knappe Budgetressourcen effizient allokieren.

Top Marketing Trends 2017 Social Media Marketing Consumer Profiling / Target Adver tising Mobile Marketing Marketing Automation Internet of Things Paid Search Marketing Content Marketing Communities Big Data Wearabwles 0

0.05

0.1

0.15

0.2

0.25

0.3

0.35

0.4

0.45

Abbildung 1: Top Marketing Trends 2017 (Hinweise: Umfrage via Google Survey; Target Group: «Small and Medium Business Owners and Managers» (USA); Teilnehmer: N=222; Frage: «What is the most relevant marketing trend in 2017 for your business?»; Einfach-Auswahl)


Customer Profiling sowie darauf abgestimmte Marketing-Aktivitäten werden aus unternehmerischer Perspektive als relevante und erfolgsversprechende Treiber zukünftiger Markt- und Wachstumspotentiale eingeordnet. Die Relevanz von Customer Profiling zeigt sich auch in der Zunahme technologischer Innovationen und

Anwendungsapplikationen für Customer Profiling mit einem durchschnittlichen Wachstum von 18 % p.a. in den vergangenen 15 Jahren, gestützt auf die Anmeldung entsprechender Patente und Gebrauchsmuster. Wissenschaft und Praxis arbeiten intensiv an Lösungen und Implementierungsstrategien von Customer Profiling.

Anmeldung Patente und Gebrauchsmuster 300 250 200 150 100 50 0

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Abbildung 2: Patente und Gebrauchsmuster «Customer Profiling» (Hinweise: Daten des European Patent and Trademark Office; Zeitraum: 01.01.2000–31.12.2015; Aggregation der Patente und Gebrauchsmuster auf Jahresbasis; Insgesamt 2.238 Patente und Gebrauchsmuster).

Im Folgenden soll zunächst die Methodologie zu Customer Profiling eingeführt sowie korrespon­ dierende Analysekriterien vorgestellt werden. Im Weiteren wird die Rückkopplung der Ergebnisse des Customer Profiling mit Marketing-Aktivitäten

diskutiert. Eine Case Study illustriert Customer Profiling in der Praxis. Final kann eine Checkliste die Implementierung von Customer Profiling in der Unternehmenspraxis begleiten.


CUSTOMER PROFILING: KONSUMENTEN VERMESSEN Customer Profiling referenziert im Wesentlichen auf sieben zu differenzierende Faktoren bzw. Datenquellen, welche, isoliert oder in Kombination, zur Charakterisierung des Konsumenten eingesetzt werden können. Diese Faktoren können grundsätzlich entlang der Dimensionen statisch, d.h. relativ konsistente Faktoren, und dynamisch, d.h. relativ inkonsistente Faktoren, abgetragen werden: Statische Faktoren 1. Sozioökonomische Faktoren (z.B. Bildungsstand und soziale Milieus) 2. Demographische Faktoren (z.B. Alter und Geschlecht) Dynamische Faktoren 1. Psychographische Faktoren (z.B. Handlungs­ motive und Life-Style-Verständnis) 2. Behavioristische Faktoren (z.B. Informations­ akquisition und Handlungsmuster) 3. Geographische Faktoren (z.B. Bewegungsprofile und -Radien) 4. Kontextuelle Faktoren (z.B. Emotionen und Umfeld) 5. Technologische Faktoren (z.B. Technik-Affinität und -Nutzung) Unternehmen können dabei sowohl auf interne als auch externe Datenquellen zurückgreifen. Exemplarisch kann Nike aus «smarter» Kleidung in Verbindung mit der Nike+ App Daten generieren, welche für eine geographische und kontextuelle Charakterisierung von Konsumenten geeignet sind (intern), während Master Card Advisors Kooperationspartnern demographische und behavioristische Informationen von Konsumenten offerieren kann (extern). Die Nutzung der intern und/oder extern generierten Informationen für die Charakterisierung von Konsumenten und das effiziente und zielgerichtete Design von Marketing-Aktivitäten gestalten sich komplexer – dies sowohl aus intratemporaler, also Rückgriff auf statische Faktoren, als auch intertemporaler Perspektive, also Rückgriff auf dynamische Faktoren.

Intratemporale Perspektive: Im intratemporalen Kontext von Customer Profiling gilt es eine sinnvolle Gewichtung der Datenpunkte vorzunehmen, als auch die Interdependenzen zwischen den Datenpunkten zu beachten. Das Ziel besteht darin, eine hinreichend plausible und konsistente

Charakterisierung von Konsumenten vorzunehmen und zugleich eine machbare Adressierung durch Marketing-Aktivitäten zu gewährleisten. Intertemporale Perspektive: Im intertemporalen Kontext von Customer Profiling gilt es eine sinnvolle Gewichtung der Datenpunkte vorzunehmen, deren Interdependenzen zu beachten sowie, im Unterschied zur intratemporalen Perspektive, deren Dynamik über die Zeit, insbesondere für Prognosemodelle, zu beachten. Die zeitliche Dynamik stellt aufgrund der häufig nicht-linearen und nicht Segment-spezifischen Abfolge von Events eine Herausforderung dar. Im unternehmensspezifischen Kontext sollten die jeweiligen Parameterkonstellationen für die Modellierung der zeitlichen Dynamik unter Bezugnahme auf kausale Testverfahren im Feld evaluiert werden. Auch hier besteht das Ziel darin, eine hinreichend plausible und konsistente Charakterisierung von Konsumenten vorzunehmen und zugleich eine machbare Adressierung der Konsumenten durch Marketing-Aktivitäten zu gewährleisten.


TARGETED AUDIENCE: MARKETING-AKTIVITÄTEN

Customer Profiling setzt den Grundstein für Marketing-Aktivitäten und die Kommunikation mit Konsumenten. In diesem Zusammenhang stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Konsumenten auf Basis eines zugewiesenen Segments oder individuell durch Marketing-Aktivitäten adressiert werden sollten. Die Konsumenten-Segmentierung bietet den Vorteil einer, in Abhängigkeit der Segmentierung, endlichen Designgestaltung für Marketing-Aktivitäten (z.B. drei divergente Konfigurations-Website-Interfaces eines Automobilherstellers für die Segmente «Young Driver», «Family Driver» und «Sport Driver»). Zugleich können aufgrund der Konsumenten-Segmentierung wichtige Information auf individueller Konsumenten-Ebene verloren gehen und einzelne Charakteristika, welche ggf. einen Effekt auf die Wahrnehmung der Marketing-Aktivitäten entfalten, werden negiert. Die individuelle Ausgestaltung der Marketing-Aktivitäten hingegen bietet die Möglichkeit, Konsumenten individuell auf Basis des Customer Profiling mit Marketing-Aktivitäten zu adressieren (z.B. individuelle Ernährungspläne in einer Gesundheits- App auf Basis der

Ergebnisse des individuellen Customer Profiling).Die individuelle Ausgestaltung von Marketing-Aktivitäten ist mit einem hohen Implementierungsaufwand verbunden und erhöht gleichwohl die Sensitivität des Gesamtsystems mit der Gefahr von unerwünschten Ergebnissen. Der Trade-Off zwischen gewünschter Granularität und gebotener Effizienz der Marketing-Aktivitäten muss im unternehmensspezifischen Kontext aufgelöst werden. Eine initiale Etablierung des Segmentierungs-Ansatzes und darauf aufbauender granularer Modifikationen können die besten Erfolgs-Aussichten attestiert werden. Danach werden in einer ersten Phase zunächst Konsumenten-Segmente definiert, welche, auf Basis der Ergebnisse des Customer-Profiling, möglichst homogen konstituiert sind und schliesslich mit entsprechenden Marketing-Aktivitäten adressiert werden. In einer zweiten Phase werden die Ergebnisse der Marketing-Aktivitäten in den jeweiligen Konsumenten-Segmenten evaluiert und entsprechend der jeweiligen Evaluationsergebnisse weiter verfeinert bzw. das Customer Profiling und darauf abgestellte Marketing-Aktivitäten entsprechend adjustiert.


Case Study Customer Profiling (Automobilindustrie) Die Case Study referenziert auf Customer Profiling Aktivitäten eines weltweit agierenden Automobilherstellers im Premium Segment. In einem ersten Schritt wurden Website-Traffic Daten für die Ableitung relativ homogener Segmente analysiert. In diesem Zusammenhang wurden auf individueller Konsumenten-Ebene sowohl Pfadverläufe (z.B. historische Konfigurationsdaten) als auch Umfeldspezifische Elemente (z.B. Interaktionsfrequenz) für die Segmentierung berücksichtigt. Die Analyse dieser Faktoren resultierte in der Definition von vier jeweils relativ homogenen Konsumenten-Segmenten. In einem zweiten Schritt wurden die Konsumenten-Segmente mit vier divergenten Website-Architekturen adressiert. Die Website-Architekturen sind durch eine modifizierte Anordnung von Design-, Bilder- und Text-Elementen charakterisiert. Die divergenten Website-Architekturen verfolgen dabei grundsätzlich das Ziel den Konsumenten-Segmenten auf Basis deren

behavioristischen und kontextuellen Nutzungscharakteristika individuell zu begegnen. In einem dritten Schritt wurden die KonsumentenSegmente mit den jeweils entsprechenden Website-Architekturen während einer Feldphase adressiert. Das Feldexperiment verfolgte das Ziel, die konkreten Ansätze in Relation zur nicht-individualisierten Website-Architektur im direkten Marktumfeld zu erproben. Die Ergebnisse des Feldexperiments offerierten dem Automobilhersteller zwei zentrale Einsichten. Zunächst konnte gezeigt werden, dass Customer Profiling einen positiven Effekt auf massgebliche Erfolgsgrössen entfaltet. Konkret konnte für alle Targeted Audience Konditionen im Vergleich zur Non-Targeted Audience Kondition die Interaktion mit der Website als auch die Abschlussrate gesteigert werden. Auf Basis des positiven Effektes von Customer Profiling auf relevante Erfolgsgrössen können Marketing-Budgetressourcen in der Unternehmensorganisation für den nachhaltigen Einsatz von Customer Profiling legitimiert werden.


Interaktionsrate

Abschlussrate

0.2500

0.1100 0.2028

0.2000 0.1500

0.1090

0.1090 0.1080

0.1138

0.1000

0.1070

0.0500

0.1060

0.0000

0.1059

0.1050 Non-Targeted Audience

Targeted Audience

Non-Targeted Audience

Targeted Audience

Abbildung 3: Effekte von Consumer Profiling auf massgebliche Erfolgsfaktoren (Hinweise: Die Analyse referenziert auf 896.776 zufällig ausgewählte Testteilnehmer (Zeitraum der Datenerhebung: 11.07.17–22.05.18) der deutschen Version der Unternehmens-Website. Die Testteilnehmer wurden randomisiert den Targeted Audience bzw. Non-Targeted Audience Konditionen zugeteilt. Die Interaktionsrate bezieht sich auf die Anzahl der Überleitungen von Informations-Inhalt (definierte Webpage A) zum Produkt-Konfigurator (definierte Webpage B) relative zur Anzahl der Teilnehmer der jeweiligen Kondition. Die Abschlussrate bezieht sich auf die Anzahl der finalisierten Produkt-Konfigurationen relative zur Anzahl der begonnen Produkt-Konfigurationen der jeweiligen Kondition).

Im Weiteren hat das Feldexperiment dem Automobilhersteller konkrete Ansatzpunkte und Potentiale für weitere Customer Profiling Aktivitäten aufgezeigt. Die Feldphase verfolgt damit

einen Lernansatz, welcher in wiederkehrender Rückkopplung mit den Customer Profiling und der Konsumenten-Segmentierung eine Verbesserung der Marketing-Aktivitäten erzielt.


CHECKLISTE: ERFOLGREICHE IMPLEMENTIERUNG VON CUSTOMER PROFILING IM UNTERNEHMEN

AKZEPTANZ & VERTRAUEN

TRACKING & DATENKOMPETENZ

Der Einsatz von Customer Profiling kann nur erfolgreich sein, wenn Konsumenten die weitreichende Nutzung ihrer Daten für Marketing-Aktivitäten akzeptieren und der Nutzenattribuierung von Customer Profiling vertrauen können. Unternehmen sollten den Prozess der Datengenerierung, -nutzung, und -analyse transparent gestalten, eine angemessene Infrastruktur für Datensicherheit vorhalten, und Konsumenten den Nutzen von Customer-Profiling kommunizieren.

Die Nutzung von Customer Profiling setzt die Generierung von und den Zugang zu entsprechenden Konsumentendaten voraus. Unternehmen sollten verifizieren, welche externen und internen Optionen für die Datengenerierung und -nutzung zur Verfügung stehen und deren Relevanz für das Customer Profiling evaluieren. Ferner müssen auf Basis geeigneter IT- und Analytics-Kompetenzen Ansätze für die Datenmigration und -integration definiert werden.

PRÄDIKTION & EXPLORATION Die Implementierung von Customer Profiling vollzieht sich praktisch im Design der Marketing-Aktivitäten. Entscheidend dabei ist die

Kohäsion zwischen Unternehmenszielen und den Ergebnissen des Customer Profiling.


MONITORING & PERFORMANCE MANAGEMENT Die Ergebnisse von Customer Profiling bzw. die daraus ableitbaren Marketing-Aktivitäten sollten fortlaufend im Hinblick auf definierte Ergebnisgrössen evaluiert werden, um damit Rückschlüsse auf die Relevanz einzelner Datenquellen zu ermöglichen, die Modellparameter im Kontext der Marketing-Aktivitäten zu adjustieren, die Granularität der Konsumenten-Segmente zu erhöhen und schliesslich den Nutzen von Customer Profiling im Unternehmenskontext transparent zu quantifizieren.

COURAGE & INNOVATION Customer Profiling inkludiert die fortlaufende Integration neuer Datenquellen, Anwendung neuer Analysesystematiken sowie Adjustierung von Prognosemodellen. Unternehmen sollten diesen, im Wesentlichen durch technologische Innovationen bedingten, Entwicklungen offen gegenüber stehen. Customer Profiling löst ferner bestehende Marketing-Paradigmen ab und wirkt auf die Gesamtstrategie der Unternehmensorgani­sation ein.


FAZIT

Konsumenten produzieren fortlaufend Daten – Customer Profiling ist die logische Nutzung dieser Daten im Unternehmenskontext und verspricht weitreichende Potentiale. Unternehmen sollten diese Potentiale im individuellen Unternehmenskontext kritisch evaluieren und die strategische Integration von Customer Profiling auf Basis der zuvor ausgeführten Überlegungen in der Gesamtorganisation überprüfen.


DIE AUTOREN DANIEL BOLLER Daniel Boller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Customer Insight (ICI) an der Universität St. Gallen und Visiting Researcher an der Stanford University Graduate School of Business. E-Mail: daniel.boller@unisg.ch

DR. ALEXANDER SCHULTE-MATTLER Dr. Alexander Schulte-Mattler ist Senior Projekt Manager für Content Performance Analytics und Customer Journey Personalisierung bei der Audi AG. E-Mail: alexander.schulte-mattler@audi.de

JESSICA SCHNEIDER Jessica Schneider ist Senior Projekt Manager für Website Konzeption, Entwicklung und Rollout bei der Audi AG. E-Mail: jessica.schneider@audi.de Hinweis: Die Daten und Analyseskripte stehen zur Verfügung. Für weiterführende Fragen kontaktieren Sie bitte Herrn Daniel Boller (daniel.boller@unisg.ch).

PERFOR MANCE

neutral Drucksache No. 01-18-185384 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership


GfM-Forschungsreihe

In Zusammenarbeit mit Experten aus der Wissenschaft und der Praxis nimmt die GfM eine führende Rolle in der Forschung im Bereich marktorientierte Unternehmensführung in der Schweiz ein. Die GfM-Mitglieder erhalten die wichtigsten Ergebnisse der von der GfM unterstützten Forschungsprojekte in der Publikation «GfM-Forschungsreihe» zugestellt. 01/2018 Trends 2018 02 /2018 Umkämpf te Marken 03/2018 From Insights to Action

01/2017 What’s next ? Kant für morgen 02 /2017 Neue Wege zur Innovation – von der Problemlösung zur Problemfindung 03/2017 Innovation in der Schweiz 04/2017 Influencer Marketing 05/2017 Marketingorganisation der Zukunf t 06/2017 Marke und Authentizität

Unter dem Link ht tp://www.gfm.ch/de/forschung/forschungsreihe/ können Sie die GfM-Forschungsreihen der vergangenen Jahre kostenlos downloaden.

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